Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 18.09.2007, Az.: 2 B 59/07
Untersagung einer gewerblichen Altpapiersammlung; Anforderungen an die formellen Voraussetzungen einer Anordnung der sofortigen Vollziehung; Verpflichtung zur Überlassung von Abfällen aus privaten Haushaltungen an öffentlichrechtliche Entsorgungsträger; Begriff der "überwiegenden öffentlichen Interessen" in § 13 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 Kreislaufwirtschafts-und Abfallgesetz (KrW-/AbfG)
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 18.09.2007
- Aktenzeichen
- 2 B 59/07
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2007, 41827
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGLUENE:2007:0918.2B59.07.0A
Verfahrensgang
Rechtsgrundlagen
- § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO
- § 80 Abs. 5 VwGO
- § 13 Abs. 1 S. 1 KrW-/AbfG
- § 21 Abs. 1 KrW-/AbfG
- § 42 Abs. 1 AbfG,ND
Verfahrensgegenstand
Untersagung einer gewerblichen Altpapiersammlung
In der Verwaltungsrechtssache
hat das Verwaltungsgericht Lüneburg -2. Kammer -
am 18. September 2007
beschlossen:
Tenor:
- 1.
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird
abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
- 2.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 25.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen eine Verfügung des Antragsgegners, mit der dieser ihr die Sammlung von Altpapier in seinem Kreisgebiet untersagt hat.
Der Antragsgegner betreibt in seinem Kreisgebiet die Abfallentsorgung als öffentliche Einrichtung. Nach seiner Satzung über die Abfallentsorgung im Landkreis Uelzen vom 6.06.2006 (abgekürzt AES) umfasst die Abfallentsorgung u.a. alle anfallenden Abfälle aus privaten Haushalten (§ 2 Abs. 2 AES). Altpapier ist dem Antragsgegner bzw. dem von ihm Beauftragten nach § 6 AES gebündelt an den jeweiligen Abfuhrterminen (Straßensammlung) oder an den bekannt gegebenen Sammelstellen durch Eingabe in die entsprechend gekennzeichneten Container zu überlassen.
Der Antragsgegner führt die Altpapierentsorgung nicht selbst durch, sondern hat mit Vertrag vom Oktober 2002 die KG E. F. G. GmbH & Co aus H. für den Zeitraum vom 1.1.2004 bis 31.12. 2008 damit beauftragt. Nach diesem Vertrag enthält keine der Vertragsparteien eine Vergütung. Ferner führt die Firma F. auch die Altpapierentsorgung für das Duale System durch, mit dem sie einen getrennten Vertrag abgeschlossen hat.
Am 28. Juni 2007 zeigte die Antragstellerin dem Antragsgegner an, dass sie beginnend mit der 28. KW 2007 zukünftig eine regelmäßige gewerbliche Altpapiersammlung im gesamten Kreisgebiet durchführen und allen Haushalten eine "Blaue Tonne" für Pappe/ Papier zur Verfügung stellen werde. Sie werde eine flächendeckende Altpapiersammlung gewährleisten und die Sammelmengen einer ordnungsgemäßen und schadlosen Verwertung zuführen.
Auf Nachfragen des Antragsgegners legte die Antragstellerin eine Bestätigung der Firma I. J. aus H. vor, dass sie das Material aus der gewerblichen Altpapiersammlung aus den Kreisen Lüchow-Dannenberg und Uelzen der ordnungsgemäßen und schadlosen Verwertung in zwei Papierfabriken in K. (Niederlande) bzw. L. /M. zuführen werde. Ferner erklärte sie, sie sei auch mit Systemen nach § 6 Abs. 3 VerpackV im Gespräch über die Übernahme von Verpackungsaltpapier; sollte eine Einigung nicht realisierbar sein, werde sie Verkaufsverpackungen von der Sammlung ausnehmen. Die Sammlung werde als Holsystem ausgestaltet, bei dem alle Haushalte Tonnen der Größe 240 l erhalten sollten, die vierwöchentlich geleert werden sollten. Mit den Nutzern würden keine vertraglichen Vereinbarungen geschlossen; die Tonnen würden auf Wunsch aufgestellt und entfernt. Andere Stoffe als Altpapier seien von der Sammlung ausgeschlossen. Sie werde durch klare Regeln darauf hinwirken, dass Fehlbenutzungen unterblieben.
Mit Verfügung vom 10. August 2007 untersagte der Antragsgegner der Antragstellerin unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Durchführung einer flächendeckenden Altpapiersammlung für private Haushalte, insbesondere die Verteilung und Leerung von Altpapierbehältern, und drohte für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Zwangsgeld in Höhe von 2.500 EUR an. Zur Begründung führte er aus: Die Voraussetzungen für eine gewerbliche Sammlung nach § 13 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 KrW-/AbfG lägen nicht vor, so dass die Überlassungspflicht nach § 13 Abs. 1 Satz 1 KrW-/AbfG fortbestehe. Begrifflich liege bereits keine Sammlung vor, da durch die Aufstellung der Behälter eine faktische Verpflichtung der Abfallbesitzer zur Überlassung von Abfällen begründet werde und die regelmäßige Abfuhr von festen Tonnen nicht dem eher zufälligen Charakter einer Sammlung entspreche. Ferner sei ihm nicht ordnungsgemäß nachgewiesen worden, dass die Abfälle einer ordnungsgemäßen und schadlosen Verwertung zugeführt würden; die vorgelegten Schreiben eines zertifizierten Verwerters und zweier Papierfabriken genügten nicht; vielmehr müssten vorab Verfahren und Verwertung genau beschrieben werden. Schon der Entsorgungsweg bleibe offen; es würden auch keine verbindlichen Verträge mit den Fabriken vorgelegt, von denen auch nicht bekannt sei, ob sie über die erforderlichen Genehmigungen verfügten und tatsächlich eine vollständige Verwertung leisteten. Ferner fehle ein Nachweis, wie mit den Stoffen aus Fehlwürfen umgegangen werden solle. Darüber hinaus stünden dem Vorhaben auch überwiegende öffentliche Interessen im Sinne von § 13 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 KrW-/AbfG entgegen, da die flächendeckend eingeführte PPK-Entsorgung des Antragsgegners gefährdet werde. Es sei ein vollständiger Rückgang der kommunalen Sammlung zu erwarten, die in eine bloße Reservefunktion zurückgedrängt und später vielleicht sogar vollständig eingestellt werde. Dies sei unter Aspekten der Planungssicherheit wie auch eines betriebwirtschaftlich sinnvollen Konzeptes nicht hinnehmbar, zumal nicht erkennbar sei, wie lange die Antragstellerin ihre Sammlung aufrecht erhalten wolle und könne. Ihm sei es weder möglich noch zumutbar, auf unabsehbare Zeit Sach-und Betriebsmittel bereit zu halten, um künftig eine flächendeckende Entsorgung zu garantieren. Weiterhin würden derzeit Erlöse gebührenmindernd eingesetzt; bei einem Rückgang der Papiermengen sei auch mit Schadensersatzansprüchen der Fa. F. zu rechnen. Ferner sei er auch gegenüber dem Dualen System vertraglich verpflichtet und habe eine Mitbenutzung des kommunalen PKK-Systems bis 31.12.2009 vereinbart. Durch die Abfallbehälter werde auch die Gefahr begründet, dass auch andere Abfälle ("Fehlwürfe") entsorgt würden; dagegen habe die Antragstellerin keinerlei Schutzmaßnahmen ergriffen. Am 21. August 2007 legte die Antragstellerin gegen diesen Bescheid Widerspruch ein, über den noch nicht entschieden ist.
Am 28. August 2007 hat sich die Antragstellerin an das Gericht gewandt.
Sie trägt vor:
Sie sei ein 1989 gegründetes, im Landkreis Uelzen ansässiges, zertifiziertes Entsorgungsunternehmen, das im wesentliche verschiedene Dienstleistungen abfallwirtschaftlicher Art erbringe. Die angefochtene Verfügung sei offensichtlich rechtswidrig.
Es bestehe bereits keine Überlassungspflicht für Abfälle aus privaten Haushaltungen, die einer ordnungsgemäßen Verwertung durch Dritte zugeführt würden. Unabhängig davon sei ihre Tätigkeit als gewerbliche Sammlung im Sinne von § 13 Abs. 3 Satz 1 KrW-/AbfG zulässig. Es handele sich um eine Sammlung, denn dieser Begriff umfasse jede Form des Einsammelns von Abfällen. Die Anforderungen des Antragsgegners an den Nachweis der ordnungsgemäßen und schadlosen Verwertung des Altpapiers seien völlig überzogen; in der Anlage werde die Genehmigung des Landes Sachsen-Anhalt für die N. GmbH aus L. nach dem BImSchG zur Erzeugung von Wellpappenrohpapieren vorgelegt. Die Papierfabrik aus K. habe sogar das Verwertungsverfahren benannt. Verträge könne sie im jetzigen Verfahrensstadium nicht vorlegen. Es stünden auch keine überwiegenden öffentlichen Interessen entgegen, denn die öffentliche Entsorgung sei nicht in ihrem Bestand bedroht. Ein zu erwartender Mengeneinbruch für die Fa.F. sei durch nichts belegt. Nach allgemeiner Auffassung sei die Altpapiersammlung im Holsystem durch blaue Tonnen umweltfreundlicher und verbessere die Verwertung. Deshalb sei dieses System schon 2004 im Landkreis Harburg eingeführt worden und werde zum 1.1.2008 auch im Landkreis Lüneburg eingeführt. Sie selbst habe bereits ca. 4000 gebrauchte Tonnen beschafft.
Die Antragstellerin beantragt,
die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs vom 20. August 2007 gegen die Untersagungsverfügung des Antragsgegners vom 17. August 2007 wiederherzustellen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er trägt vor, er habe 1998 eine öffentliche Ausschreibung der Papierentsorgung durchgeführt, bei der die Antragstellerin selbst die Unterlagen angefordert habe, ohne dann aber ein Angebot abzugeben. Zwischenzeitlich sei die Antragstellerin bis Januar 2005 als Subunternehmerin selbst mit dem Einsammeln der Altpapierbündel beauftragt gewesen. Er werde Ende 2008 eine neue Ausschreibung vornehmen. Der Antragstellerin stehe es frei, sich an dieser und an anderen Ausschreibungen zu beteiligen. Die Abfälle, die die Antragstellerin zu erfassen beabsichtige, seien überlassungspflichtige Abfälle aus privaten Haushaltungen Die Überlassungspflicht bestehe, soweit der Abfallbesitzer nicht selbst zu einer Verwertung in der Lage sei. Eine Drittbeauftragung sei nach § 16 KrW-/AbfG nur für die zur Verwertung und Beseitigung Verpflichteten zulässig, während für private Haushalte keine Entsorgungs-, sondern nur Überlassungspflichten bestünden. Das KrW-/AbfG unterscheide zwischen Einsammeln durch Hol-und Bringsysteme und Sammeln; nach § 13 KrW-/AbfG sei nur ein Sammeln erlaubt. Die Antragstellerin habe es versäumt, den gesamten Stoffstrom bis zum Abschluss des Verwertungsvorgangs darzustellen und nachzuweisen. Sie müsse die Nachweise von sich aus vorab erbringen. Der Verwertungsnachweis für Stoffe aus Fehlwürfen sei ebenfalls nicht erfolgt. In Anbetracht der Ankündigung der Antragstellerin, allen Haushalten eine "Blaue Tonne" zur Verfügung zu stellen, sei ein massiver Mengeneinbruch für seine eigene Papiersammlung zu erwarten, der die kommunale Altpapiersammlung in ihrem Bestand gefährde. Bereits durch die "gemeinnützige" Bündelsammlung der Antragstellerin sei die eingesammelte Altpapiermenge von 6.443 to. im Jahr 2004 auf 4.921 to im Jahr 2006 zurückgegangen; die Verwirklichung des nunmehr geplanten Vorhabens der Antragstellerin würde schlagartig zu einem Komplettausfall der öffentlichen Sammlung führen. Ein wirtschaftlicher Betrieb sei dann wegen der unverhältnismäßig hohen Transportkosten nicht mehr möglich. Derzeit finanziere sich das öffentliche Entsorgungssystem für Altpapier allein über den Verkaufserlös des Papiers, aber die Firma F. habe schon Nachforderungen für den Fall des Rückgangs des Altpapiervolumens angekündigt. Es bestehe die Gefahr, dass die Antragstellerin bei sinkenden Altpapierpreisen ihren Betrieb auch wieder einstelle, nachdem ihr Betrieb die bislang bestehende und gut funktionierende öffentliche Abfallentsorgung zerschlagen habe.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach-und Streitstandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten des Antragsgegners sowie der Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag, mit dem die Antragstellerin die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs begehrt, ist nach § 80 Abs. 5 VwGO zulässig, aber nicht begründet.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO durch den Antragsgegner entspricht den formellen Anforderungen. Dem Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist noch genüge getan. Voraussetzung hierfür ist, dass eine Behörde die Erwägungen offen legt, die sie in diesem konkreten Fall veranlasst haben, von der Möglichkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung Gebrauch zu machen (vgl. Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 3. Aufl., Rdnr. 596). Der Antragsgegner hat hier das Interesse an einem sofortigen Vollzug seiner Verfügung hinreichend erläutert. Er hat nachvollziehbar dargelegt, warum die sofortige Vollziehung der noch nicht unanfechtbar gewordenen Verfügung im Hinblick auf die Gefährdung des kommunalen Abfallentsorgungssystems durch drohende Unwirtschaftlichkeit geboten ist.
Bei der mithin nach § 80 Abs. 5 VwGO zu treffenden Entscheidung ist eine Abwägung der widerstreitenden Interessen der Beteiligten vorzunehmen. Hierbei können die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache eingelegten Rechtsbehelfs -hier des Widerspruchs des Antragstellers -besonders berücksichtigt werden (zum Abwägungsmaßstab: BVerfG (Vorprüfungsausschuss), Beschluss vom 15.2.1992 -2 BvR 1492/91 -, NVwZ 1982, 241, 242 [BVerfG 15.02.1982 - 2 BvR 1492/81];Beschluss vom 11.2.1982 -2 BvR 77/82 -, NVwZ 1982, 241; Finkelnburg/Jank, a. a. O., Rdnr. 649).
Die hier angefochtene Verfügung ist offensichtlich rechtmäßig und es sind auch sonst keine überwiegenden Interessen der Antragstellerin ersichtlich, vorerst von der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes verschont zu bleiben.
Rechtsgrundlage für die Untersagung ist § 21 Abs. 1 des Gesetzes zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Beseitigung von Abfällen vom 27. September 1994 (BGBl. I S. 2705, Kreislaufwirtschafts-und Abfallgesetz, nachfolgend KrW-/AbfG). Nach dieser Regelung kann die zuständige Behörde im Einzelfall die erforderlichen Anordnungen zur Durchführung dieses Gesetzes und der aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen treffen. Nach § 42 Abs. 1 des Niedersächsischen Abfallgesetzes (NAbfG) sind für Entscheidungen und andere Maßnahmen aufgrund des Kreislaufwirtschafts-und Abfallgesetzes, des Abfallverbringungsgesetzes, dieses Gesetzes und der aufgrund dieser Gesetze erlassenen Verordnungen die unteren Abfallbehörden zuständig, soweit nichts anderes bestimmt wird. Mithin war der Antragsgegner, der untere Abfallbehörde ist, für den Erlass der hier streitigen Verfügung zuständig, und es lag auch eine hinreichende Rechtsgrundlage für den Erlass vor. Denn nach den o. g. Vorschriften sind die Abfallbehörden umfassend für die Überwachung der Abfallgesetze und der dazu erlassenen Verordnungen zuständig.
1.
Zutreffend geht der angefochtene Bescheid davon aus, dass private Haushalte das anfallende Altpapier grundsätzlich dem Antragsgegner zu überlassen haben. Nach § 13 Abs. 1 Satz 1 KrW-/AbfG sind Erzeuger oder Besitzer von Abfällen aus privaten Haushaltungen abweichend von § 5 Abs. 2 und § 11 Abs. 1 verpflichtet, diese den nach Landesrecht zur Entsorgung verpflichteten juristischen Personen (öffentlichrechtliche Entsorgungsträger) zu überlassen, soweit sie zu einer Verwertung selbst nicht in der Lage sind oder diese nicht beabsichtigen. Diese Überlassungspflicht entfällt nicht bei Einschaltung eines privaten Entsorgungsträgers. Die Kammer folgt insoweit der Rechtsprechung des niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (Beschluss vom 10. Juni 2003 -9 ME 1/03 -, NdsVBl 2004, 107; Beschluss der Kammer v. 19.8.2004 -2 B 61/04 -;so auch VG Stade, Beschl. v. 31.5.2005 -6 B 678/05 -AbfallR 2005, 231 und wohl auch Nds. OVG, Beschluss v. 16.8.2005 -7 ME 120/05 -AbfallR 2005, 231, ebenso Thärichen, Öffentliche Interessen im Abfallrecht, 2003/2004, S. 55 ff; Prelle/Thärichen, Gewerbliche Abfallsammlungen zwischen öffentlichen Interessen und unternehmerischer Freiheit, AbfallR2004, 206; Zandonella/Thärichen, Bioabfälle zwischen öffentlicher und privater Entsorgung : Zum Begriff der "überwiegenden öffentlichen Interessen" in § 13 III 1 Nr. 3 KrW-/AbfG ). Der Streitstand zu dieser Frage ist zuletzt dargestellt im Beschluss des Sächsischen OVG vom 6.1.2005 (-4 BS 116/06 -UPR 2005, 440), das dazu ausgeführt hat: "Nach dem Wortlaut des § 13 Abs. 1 Satz 1 KrW-/AbfG erscheint die Zulässigkeit einer Drittbeauftragung eher zweifelhaft (so auch Dörr, DÖV 2003, 838 [845]). § 13 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbs. KrW-/AbfG bestimmt, dass die Erzeuger oder Besitzer von Abfällen aus privaten Haushaltungen die Überlassungspflicht trifft, "soweit sie zu einer Verwertung nicht in der Lage sind oder diese nicht beabsichtigen". Durch die Verwendung des Wortes "sie" und das Fehlen einer Regelung über die Einbeziehung Dritter dürfte § 13 Abs. 1 dahin zu verstehen sein, dass Pflichtige Abfälle aus privaten Haushalten entweder selbst verwerten oder diese den öffentlichrechtlichen Entsorgungsträgern überlassen müssen (VGH Bad-Württ., Urt. v. 21.7.1998, a.a.O.; NdsOVG, Beschl. v. 10.6.2003, a.a.O.; einschränkend OVG Brandenburg, Beschl. v. 14.10.2004 -2 B 122/04 -; a.A. LG Berlin, Urt. v. 16.9.2003, Grundeigentum 2003, 1553 f.). Hinzu kommt, dass Satz 1 der vorgenannten Norm mit der Formulierung "abweichend von § 5 Abs. 2" in Verbindung mit § 15 Abs. 1 KrW-/AbfG wohl eine selbständige gesetzliche Grundentscheidung für den Bereich der Abfälle aus privaten Haushalten enthält, wobei die Entsorgungspflicht der öffentlich- rechtlichen Körperschaften gleichwertig neben die in § 5 und § 11 KrW/ AbfG genannten Grundpflichten der Abfallerzeuger und -besitzer tritt (VGH Bad.- Württ., Urt. v. 21.7.1998 a.a.O.; NdsOVG, Beschl. v. 10.6.2003, a.a.O.). Auch dürfte das Ziel einer ordnungsgemäßen und schadlosen Verwertung i.S. von § 5 Abs. 3 KrW-/AbfG eher dafür sprechen, private Haushaltungen nur unter engen Voraussetzungen von der Überlassungspflicht freizustellen, weil Haushalte mit einer schadlosen Abfallentsorgung regelmäßig überfordert sein dürften. Angesichts der großen Zahl von privaten Haushaltungen, der Vielzahl von Gestaltungsmöglichkeiten bei der Entsorgung und der unüberschaubaren Entsorgungsmodalitäten spricht nicht zuletzt aus praktischer Sicht Überwiegendes dafür, Ausnahmen von der Überlassungspflicht auf die Fälle der Eigenverwertung zu begrenzen, um die Finanzierung eines flächendeckenden Entsorgungssystems und eine effektive behördliche Kontrolle zu ermöglichen sowie einen Anreiz zur illegalen Abfallentsorgung zu vermeiden (vgl. VGH Bad.-Württ., a.a.O.; NdsOVG, a.a.O.; von Lersner/ Wendenburg, Recht der Abfallbeseitigung, Stand Dez. 2004, § 13 KrW-/AbfG RdNr. 15; Kloepfer, UmweltR, 3. Aufl., S. 1809; Knopp, DÖV 2004, 604 [606]; Schink, NVwZ 1997, 435 [437 f.]; Queitsch, UPR 1995, 412 [415 f.]).
Die dagegen angeführten Erwägungen der Antragstellerin, die sich auf Teile des Schrifttums stützen kann (u.a. auf Beckmann/Kersting in: Landmann/Rohmer, UmweltR, Stand Sept. 2004, § 13 KrW-/AbfG RdNr. 33 ff; Dörr, DÖV 2003, 838 [846]; Fluck, Kreislaufwirtschafts-, Abfall-und Bodenschutzrecht, Stand Okt. 2004, § 13 KrW-/AbfG RdNr. 86 ff.; Frenz, KrW-/AbfG, 3. Aufl., § 13 RdNr. 27 ff.; Kunig in: Kunig/Paetow/Versteyl, KrW-/AbfG, 2. Aufl., § 13 RdNr. 15), überzeugen demgegenüber nicht ohne Weiteres. Soweit die Antragstellerin auf einzelne Gesetzesmaterialien verweist, gibt ihr Beschwerdevorbringen zu dem Hinweis Anlass, dass der entstehungsgeschichtlichen Interpretation gegenüber der Auslegung anhand des Gesetzeswortlauts, des systematischen Zusammenhangs und dem Normzweck nur eine nachrangige Bedeutung zukommen kann (vgl. BVerfG, Beschl. v. 16.1.1980, BVerfGE 53, 135 [147] [BVerfG 16.01.1980 - 1 BvR 249/79]; SächsOVG, Urt. v. 5.11.2003, SächsVBl. 2004, 84 [89]). Eine abschließende Klärung der damit verbundenen Fragen muss jedoch einem eventuellen Klageverfahren vorbehalten bleiben."
2.
Nach § 13 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 KrW-/AbfG besteht die Überlassungspflicht nicht für Abfälle, die durch gewerbliche Sammlung einer ordnungsgemäßen und schadlosen Verwertung zugeführt werden, soweit dies den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern nachgewiesen wird und nicht überwiegende öffentliche Interessen entgegenstehen.
a)
Das Vorhaben der Antragstellerin, flächendeckend im Kreisgebiet allen Haushalten eine "Blaue Tonne" für Altpapier kostenlos anzubieten und diese vierwöchentlich zu entleeren, stellt eine gewerbliche Sammlung in diesem Sinne dar. Eine gewerbliche Sammlung liegt vor, wenn eine Person mit Gewinnerzielungsabsicht Abfälle als Gewerbetreibender einsammelt, ohne selbst entsorgungspflichtig zu sein oder von einem Entsorgungspflichtigen dazu beauftragt worden zu sein (vgl. Prelle/Thärichen, a.a.O., S. 206; Frenz, Kreislaufwirtschafts-und Abfallgesetz, 1996, § 13 Rn. 26; so auch Sächsisches OVG, Beschl. v. 4.1.2005, a.a.O.). Aus dem Begriff "Sammlung" lassen sich hingegen keine Einschränkungen hinsichtlich des Umfangs und der Verfahrensweise des "Einsammelns" ableiten. Eine Sammlung kann sowohl flächendeckend als auch punktuell erfolgen und ein einmaliger oder auch ein regelmäßiger Vorgang sein. Soweit § 4 Abs. 5 KrW-/AbfG sowohl "Sammeln" als auch "Einsammeln durch Hol-und Bringsysteme" von Abfällen zur Verwertung als Formen der Kreislauswirtschaft nennt, kann daraus nicht für § 13 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 KrW-/AbfG gefolgert werden, eine gewerbliche Sammlung könne nicht mit einem Hol-und Bringsystem erfolgen. Vielmehr stellt "Sammeln" den Oberbegriff dar, so dass auch freiwillige Hol-und Bringsysteme unter diesen Begriff fallen( so ausdrücklich v. Lersner in v. Lersner/Wendenburg, Recht der Abfallbeseitigung, Stand Juli 2007 0104 § 4 Abs. 3 Rn. 42). Die Voraussetzungen einer gewerblichen Sammlung liegen vor; entgegen der Ansicht des Antragsgegners kann aus dem bloßen Angebot einer "Blauen Tonne" keine rechtliche Verpflichtung der Abfallbesitzer gefolgert werden, ihre Papierabfälle auch oder ausschließlich der Antragstellerin zu überlassen. Nach dem nachvollziehbaren Vortrag der Antragstellerin besteht für die Haushalte grundsätzlich auch die Möglichkeit, die Tonne gar nicht erst entgegen zu nehmen oder sie nicht zu nutzen oder sie nachträglich zurückzugeben. Der Umstand, dass sich die Antragstellerin von der Aufstellung der "Blauen Tonne" einen wirtschaftlichen Erfolg verspricht und ihre Nutzung erwartet, ist rechtlich unverbindlich und verpflichtet die Abfallbesitzer in keiner Weise.
b)
Die Kammer geht nach den vorgelegten Unterlagen auch davon aus, dass die Antragstellerin die von ihr gesammelten Abfälle einer ordnungsgemäßen und schadlosen Verwertung zuführt. Der Nachweis soll die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger in den Stand setzen, gegenüber solchen Sammlungen Maßnahmen zu ergreifen, welche keine ordnungsgemäße und schadlose Verwertung bewirken. Zur Erreichung dieses Zieles müssen die Informationen vor Beginn der Sammlung übermittelt werden sowie deren Gegenstand und das Verfahren der Verwertung beschreiben, um eine Beurteilung der Ordnungsgemäßheit und Schadlosigkeit i.S. v. § 5 III KrW-/AbfG zu ermöglichen. Das kann auch dadurch geschehen, dass der gewerbliche Sammler sein vertragliches Innenverhältnis mit einem Verwertungsunternehmen insoweit offenlegt, welches selbst über die erforderlichen Genehmigungen, namentlich etwa aufgrund des Immissionsschutzrechts, verfügt (so Kunig in Kunig/ Paetow/Versteyl, Komm. zum KrW-/AbfG, 2. Aufl. 2003, § 13 Rn. 36; Sächsisches OVG, Beschl.v. 6.1.2005, a.a.O.). Hier hat die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 11. September 2007 sowohl eine Erklärung des zertifizierten Entsorgungsfachbetriebes I. J. GmbH vom 10. September 2007, nach der dieser sich verpflichtet, das von der Antragstellerin im Gebiet des Antragsgegners gesammelte Altpapier einer ordnungsgemäßen und schadlosen Verwertung zuzuführen, als auch eine Genehmigung nach dem BImSchG vorgelegt, die das Land Sachsen-Anhalt der N. GmbH für eine Anlage zur Erzeugung von Wellpappenrohpapieren unter dem 5.3.2001 erteilt hat. Damit ist nach Einschätzung der Kammer jedenfalls im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes der Nachweispflicht genüge getan.
c)
Die Kammer folgt der Ansicht des Antragsgegners, dass hier der Ausnahme von der Überlassungspflicht überwiegende öffentliche Interessen entgegenstehen. Nach der Rechtsprechung des OVG Lüneburg (Beschl. v. 16.8.2005 -7 ME 120/05 -AbfallR 2005, 231) sollen angesichts der vom Gesetzgeber vorgesehenen Einschränkungen der Überlassungspflicht zugunsten gewerblicher Sammlungen entgegenstehende öffentliche Interessen ohne die Feststellung konkreter, nicht mehr hinnehmbarer Beeinträchtigungen der öffentlichen Abfallwirtschaft nicht mit der allgemeinen Befürchtung begründet werden können , gewerbliche Sammlungen unterliefen die grundsätzlich bestehende Überlassungspflicht. In der diesem Beschluss vorangegangenen Entscheidung hat das VG Stade (Beschl. v. 31.5.2005 -6 B 678/05 -in [...]) die Ansicht vertreten, ein Überwiegen entgegenstehender öffentlicher Interessen liege vor, wenn die Erfüllung der gesetzlichen Pflichten des öffentlich-rechtlichen Versorgungsträgers gefährdet wird. Eine solche existenztielle Gefährdung liege vor, wenn die zum Betrieb der öffentlichen Entsorgungseinrichtungen notwendige Planungssicherheit nicht mehr gewährleistet sei, ein betriebswirtschaftlich sinnvoller Betrieb unmöglich gemacht oder die geordnete Abfuhr und Entsorgung der Abfälle aus privaten Haushaltungen sonst nicht mehr gewährleistet werde (so auch OVG Frankfurt/Oder, Beschluss v. 14.10.2004 -2 B 135/04 -in beck online ; ähnlich VG Sigmaringen Beschl.v. 26.1.1998 -3 K 1517/98 -, NVwZ 1998, 429, 431 [VG Sigmaringen 26.01.1998 - 3 K 1517/96]; VG Regensburg Urteil v. 10.11.1997 -RN 13 K 97.993 -NVwZ 1998, 431, 433 [VG Regensburg 10.11.1997 - 13 K 993/97]; vgl. dazu auch v. Lersner, a.a.O., 0113 § 13 Abs. 4 Rn. 26; Kunig a.a.O., § 13 Rn. 37; Frenz a.a.O. § 13 Rn. 27). Eine Gefährdung der Erfüllung der Pflichten des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers ist auch dann anzunehmen, wenn dieser die Entsorgung nicht selbst vornimmt, sondern nach entsprechender Ausschreibung einen Privaten mit der Entsorgung vertraglich verpflichtet hat und selbst nur das Verfahren der Entsorgung in seiner Satzung öffentlichrechtlich regelt, aber der Bestand dieses vertraglich gesicherten und satzungsgemäßen Entsorgungssystems nunmehr gefährdet ist ( so Prelle/Thärichen, a.a.O., S. 210; VG Chemnitz, Beschl. v. 27.2.2004 -2 K 142/04 -; VG Cottbus, Beschl. v. 31.3.2004 -3 L 749/03 -, beide zitiert nach Prelle/Thärichen, a.a.O.; VG Schleswig, Urt. v. 23.3.2006 -12 A 147/04 -veröffentlicht in beck online; bestätigt durch OVG Schleswig, Beschl. v. 17.1.2006 -4 MB 121/05 -v.n.b.).
Die Kammer sieht es nach der in diesem Verfahren nur möglichen summarischen Prüfung als vom Antragsgegner ausreichend dargelegt an, dass die Funktionsfähigkeit der von ihm für seinen Zuständigkeitsbereich flächendeckend sicherzustellenden Altpapierentsorgung für private Haushalte beeinträchtigt würde, wenn die Antragstellerin parallel dazu eine gewerbliche Sammlung durchführen würde, bei der sie durch die angekündigte flächendeckende Verteilung der gegenüber der Bündelsammlung für den Abfallbesitzer attraktiveren "Blauen Tonne" in großem Umfang das Altpapier der öffentlichen Entsorgung entziehen würde. Insoweit folgt die Kammer den Ausführungen des VG Schleswig, dass die freie wirtschaftliche Betätigung ihre Grenze darin findet, dass die öffentliche Hand durch die entsprechenden entsorgungspflichtigen Körperschaften jederzeit in der Lage sein muss, eine ordnungsgemäße Abfallverwertung und -beseitigung sicherzustellen. Das ist aber nur möglich, wenn entsprechende Anlagen in ausreichender Größe und angemessener betriebswirtschaftlicher Form zu vertretbaren Gebühren fortgeführt werden können. Hier würde eine flächendeckende Betätigung der Antragstellerin dazu führen, dass die vom Antragsgegner dauerhaft vertraglich verpflichtete Firma F. die satzungsgemäße Bündelsammlung auf Dauer nicht mehr wirtschaftlich fortführen kann und daher entweder ein erhebliches Entgelt aus dem Gebührenhaushalt erhalten oder den Vertrag auflösen muss. Beide Alternativen beeinträchtigen die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Einrichtung Abfallentsorgung; eine Gebührenerhöhung erhöht stets die Gefahr wilder Müllablagerungen und illegaler Entsorgungen, während eine Vertragsauflösung die Beendigung des bisher funktionierenden Entsorgungssystems zur Folge hätte. Der Antragsgegner kann jedoch eine solche Auflösung des Vertrages mit der Firma F. derzeit nicht vornehmen, da er dann selbst seine Entsorgungspflicht nicht mehr erfüllen kann, andererseits aber auch nicht sicherstellen kann, dass die Antragstellerin selbst dauerhaft und flächendeckend die Entsorgung des Altpapiers übernimmt. Die Antragstellerin unterliegt derzeit keinen vertraglichen Verpflichtungen und kann ihre Sammlung jederzeit -etwa bei fallenden Altpapierpreisen -wieder einstellen.
Diese Auslegung des § 13 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 KrW-/AbfG widerspricht auch nicht dem europäischen Recht. Insoweit folgt die Kammer der Einschätzung des VG Schleswig, dass eine sich faktisch exportbeschränkend auswirkende Überlassungspflicht nicht nur nach Maßgabe des Art. 30 EGV, sondern auch durch ungeschriebene zwingende Erfordernisse gerechtfertigt sein kann, zu denen auch die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Entsorgungssysteme gehört. Die Kammer verweist diesbezüglich auf die ausführliche Darstellung der europarechtlichen Gesichtspunkte in der Entscheidung des VG Schleswig vom 23.2.2006 (a.a.O.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 1 und 2 GKG.
Müller
Pump