Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 24.09.2007, Az.: 1 B 34/07

Anordnungsanspruch; Anordnungsgrund; Bereichswechsel; Dringlichkeit; einstweilige Anordnung; Leistungsnachweis; Magisterprüfung; Magisterprüfungsordnung; Prüfungsbedingung; Rechnungswesen; Selbstbindung; Vertrauensschutz

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
24.09.2007
Aktenzeichen
1 B 34/07
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2007, 71761
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Gründe

I.

1

Die Antragstellerin studiert im 8. Semester „Angewandte Kulturwissenschaften“ mit den Hauptfächern Betriebswirtschaftslehre, Sprache und Kommunikation und dem Nebenfach Medien- und Öffentlichkeitsarbeit.

2

Am 29. September 2006 beantragte die Antragstellerin beim Prüfungsausschuss des Fachbereichs Kulturwissenschaften, anstelle des Teilgebiets „B 2 Rechnungswesen“ das Teilgebiet „B 1 Unternehmensführung“ zu studieren und als studienbegleitende Prüfungsleistung einen Leistungsnachweis im Bereich „Personal und Führung“ (Teilgebiet B 1.2) zu erbringen. Mit E-Mail vom 6. Oktober 2006 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass ein Wechsel nicht möglich sei. Mit Schreiben vom 3. April 2007 beantragte die Antragstellerin erneut, das Studium eines anderen Teilgebietes als B 2 zu genehmigen, und zwar nunmehr den Bereich „Interkulturelles Management“ (B 4) mit Belegung des Seminars „Konfliktregelung in Organisationen“. Mit Bescheid vom 9. Mai 2007 gab die Antragsgegnerin dem Antrag dahingehend statt, dass die Antragstellerin im Rahmen ihrer Magisterprüfung eine der im Fach Betriebswirtschaftslehre insgesamt geforderten vier Prüfungsleistungen in dem Bereich „Interkulturelles Management“ (B 4) absolvieren könne. Der nach der Magisterprüfungsordnung geforderte Leistungsnachweis im Bereich B 2 sei jedoch weiterhin erforderlich.

3

Gegen den Bescheid vom 9. Mai 2007 erhob die Antragstellerin Widerspruch, den die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 20. Juli 2007 zurückwies.

4

Am 17. August 2007 hat die Antragstellerin Klage erhoben und vorläufigen Rechtsschutz beantragt. Den Antrag begründet sie wie folgt: Der beantragte Bereichswechsel sei in der Magisterprüfungsordnung zwar nicht ausdrücklich vorgesehen, in jahrelanger Übung seien vergleichbare Anträge jedoch vom zuständigen Prüfungsausschuss genehmigt worden. Die bislang geübte Praxis sei darauf zurückzuführen, dass nach der tatsächlichen Organisation des Studiengangs im Vorstudium keine ausreichende Vermittlung des geforderten Prüfungsstoffes sowohl im Teilbereich B 1 als auch im Teilbereich B 2 erfolge und daher - wegen fehlender Identität der Lehr- und Prüfungsinhalte - bislang Bereichswechsel genehmigt worden seien. Die Antragstellerin habe ihr Studium im Vertrauen auf die geübte Praxis ausgerichtet, so dass die Änderung der Verwaltungspraxis eine unzulässige Rückwirkung und eine Verletzung der Chancengleichheit darstelle.

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Die Antragstellerin beantragt,

6

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Bereichswechsel der Klägerin vom Bereich „Rechnungswesen“ in den Bereich „Interkulturelles Management“ zuzustimmen und einen entsprechenden Leistungsnachweis für die Magisterprüfung im Studiengang angewandte Kulturwissenschaften neben den bereits testierten Leistungsnachweisen als Erfüllung der Voraussetzungen der Ziffer 3 der Anlage 5 zu § 8 der Magisterprüfungsordnung für diesen Studiengang anzuerkennen.

7

Die Antragsgegnerin beantragt,

8

den Antrag abzulehnen.

9

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.

II.

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Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz hat keinen Erfolg.

11

Das Gericht kann gemäß § 123 Abs. 1 VwGO eine einstweilige Anordnung treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (§ 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO - Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes zulässig, wenn die Regelung - insbesondere bei dauernden Rechtsverhältnissen - zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint (§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO - Regelungsanordnung). Beide Formen der einstweiligen Anordnung setzen voraus, dass sowohl ein Anordnungsgrund als auch ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht werden.

12

1. Ein den Erlass einer einstweiligen Anordnung rechtfertigender Anordnungsgrund, die Dringlichkeit einer Eilentscheidung, ist gegeben. Die Eilbedürftigkeit ergibt sich daraus, dass die Antragstellerin zum Wintersemester 2007/2008 ihre Magisterprüfung ablegen möchte. Die Antragsteller muss sich auf von ihr im Prüfungsverfahren zu erfüllende Anforderungen einstellen können. Dazu ist die Klärung erforderlich, welche Prüfungsteile sie zu absolvieren hat. Es ist ihr nicht zumutbar, eine Entscheidung über die Anrechenbarkeit von Prüfungsleistungen im Hauptsacheverfahren abzuwarten.

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2. Der Antragstellerin steht aber ein Anordnungsanspruch nicht zur Seite. Sie hat einen Rechtsanspruch auf Genehmigung des von ihr gewünschten „Bereichwechsels“ nicht glaubhaft gemacht. Der Bescheid vom 9. Mai 2007 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 20. Juli 2007 erweist sich nach im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotener summarischer Prüfung als rechtmäßig und verletzt die Antragstellerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO).

14

Die Art der erforderlichen Prüfungsleistungen für die Magisterprüfung richtet sich nach § 8 der Magisterprüfungsordnung für den Studiengang „Angewandte Kulturwissenschaften“ (MPO) vom 23. Juli 2003 i.V.m. Punkt I. Nr. 3 der Anlage 5 zu § 8 MPO. Im Hauptfach Betriebswirtschaftslehre sind danach grundsätzlich 4 Leistungsnachweise aus folgenden Bereichen erforderlich, wobei jeder Bereich mit mindestens einem Leistungsnachweis in die Prüfungsleistung eingehen muss:

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- Entscheidungstheorie und Organisation (A1), Personal und Führung (B1) oder Strategisches Management (A 2)

16

- Rechnungswesen (A3), Betriebliche Steuerlehre (A4) oder Finanz- und Investitionsplanung (B2)

17

- Marketing (B3).

18

Aus der Magisterprüfungsordnung folgt, dass im Bereich Rechnungswesen (A3, A4 oder B2) zwingend ein Leistungsnachweis als studienbegleitende Prüfungsleistung zu erbringen ist, da jeder der vorgenannten Bereiche in die Prüfungsleistung eingehen muss. Es ist nach der MPO nicht möglich, auf einen entsprechenden Leistungsnachweis im Rahmen der Magisterprüfung zu verzichten. Aus der Studienordnung für den Studiengang „Angewandte Kulturwissenschaften“ (STO) vom 5. August 2003, welche nach Punkt I. Nr. 1 Satz 3 die Hinweise in der MPO konkretisiert und näher ausführt, geht lediglich hervor, dass mit Genehmigung des Prüfungsausschusses im Hauptfach Betriebswirtschaftslehre ein anderes Teilgebiet in den Wahlpflichtfachbereichen Unternehmensführung (B1), Rechnungswesen (B2) und Marketing (B3) studiert werden kann (vgl. STO unter IV., Studiengebiet des Hauptfaches Betriebswirtschaftslehre, Hauptstudium, B Wahlpflichtbereich). Als studienbegleitende Prüfungsleistung ist insoweit jedoch ebenfalls mindestens ein Leistungsnachweis aus dem Bereich Rechnungswesen erforderlich (A 3, A 4 oder B 2).

19

Sofern der Prüfungsausschuss in seiner Besetzung bis zum Ende des Wintersemesters 2006/2007 bei der Auslegung der MPO und der STO auf einen solchen Leistungsnachweis komplett verzichtet hat, widerspricht dieses den Prüfungsbestimmungen. Die Antragsgegnerin ist daher befugt, ihre Verwaltungspraxis zu ändern. Eine Selbstbindung an eine rechtswidrige Verwaltungspraxis gibt es grundsätzlich nicht (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.2.1993 - 8 C 20/92 -, DÖV 1993, 867). Dass die Antragsgegnerin im Falle der Antragstellerin ihre rechtswidrige Verwaltungspraxis nicht aufrecht erhält, ist - auch unter Berücksichtigung des Gesichtspunktes des Vertrauensschutzes - nicht zu beanstanden.

20

Im Prüfungsrecht gilt, dass gesetzliche Prüfungsbestimmungen in dem dafür vorgesehenen Verfahren und auch mit dem Ziel einer Verschärfung der Voraussetzungen für den Prüfungserfolg geändert werden können (Niehues, Schul- und Prüfungsrecht, Bd. 2, 4. Aufl. 2004, Rn. 81). Demzufolge ist es erst Recht zulässig, eine rechtswidrige Verwaltungspraxis mit niedergelegten Prüfungsbestimmungen in Einklang zu bringen. Allerdings ist bei einer Änderung von Prüfungsbedingungen der Vertrauensschutz zu beachten. Wer einen Ausbildungsweg einschlägt oder sich sonst in angemessener Zeit auf eine Prüfung vorbereitet, darf darauf vertrauen, dass die sein Verhalten bestimmenden Prüfungsbedingungen nicht oder jedenfalls nicht so sehr zu seinem Nachteil geändert werden, dass er sich hierauf nicht mehr in zumutbarer Weise einrichten kann. Aus Gründen des Vertrauensschutzes sind daher grundsätzlich angemessene Übergangsregelungen vorzusehen, so dass die erschwerenden Prüfungsbedingungen erst nach einem gewissen Zeitablauf seit ihrer Bekanntgabe in Kraft treten, um es den Betroffenen zu ermöglichen, sich auf die geänderten Umstände einzustellen. Wie weit der Vertrauensschutz jeweils reicht, ist allerdings nach den Umständen des Einzelfalls im Hinblick auf die individuelle Situation der davon Betroffenen, das Gewicht der vorgesehenen Änderungen und die Anpassungsmöglichkeiten in dem vorgegebenen zeitlichen Rahmen zu beantworten (Niehues, a.a.O., Rn. 82 ff.).

21

Ein schutzwürdiges Vertrauen der Antragstellerin ist danach nicht festzustellen. Sie hat bereits mit Schreiben vom 29. September 2006 beantragt, ein anderes Teilgebiet als das Rechnungswesen (B2) zu studieren. In diesem Antrag hat sie angegeben, mehrere Vorlesungen im Bereich Rechnungswesen besucht zu haben, allerdings nicht die Notwendigkeit zu sehen, dort auch einen Leistungsnachweis zu erbringen. Bereits mit E-Mail vom 6. Oktober 2006 wurde die Antragstellerin durch die Antragsgegnerin darauf hingewiesen, dass eine Abwahl des Bereiches B 2 in dieser Form den Bestimmungen der MPO widerspreche und der Antrag daher nicht genehmigt werden könne. Die Inhalte der MPO waren der Antragstellerin damit bekannt. Auf anders lautende mündliche Informationen von Dozenten durfte die Antragstellerin bei dieser Sachlage nicht vertrauen. Bereits lange vor dem Wintersemester 2007/2008 war die Antragstellerin daher darüber informiert, dass im Fach Rechnungswesen ein Leistungsnachweis zu erbringen ist, so dass sie ihre Studienplanung entsprechend darauf hätte einstellen und insbesondere im Sommersemester 2007 den erforderlichen Leistungsnachweis hätte erbringen können. Sofern die Antragstellerin vorträgt, dass sie aufgrund des tatsächlichen Studienverlaufs tatsächlich nicht in der Lage gewesen sei, sich ausreichend auf das Fach Rechnungswesen vorzubereiten, widerspricht dieses ihrem eigenen Vorbringen, an mehreren Vorlesungen im Fach Rechnungswesen teilgenommen zu haben.

22

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 1 und 2 GKG.