Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 25.07.2007, Az.: 4 LB 314/05
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 25.07.2007
- Aktenzeichen
- 4 LB 314/05
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2007, 63291
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2007:0725.4LB314.05.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BVerwG - 09.06.2008 - AZ: BVerwG 5 B 204/07
In der Verwaltungsrechtssache
...
Streitgegenstand: Jugendhilfe (Hilfe für seelisch behinderte Kinder)
hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht - 4. Senat - auf die mündliche Verhandlung vom 25. Juli 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Meyer-Lang, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Tröster, den Richter am Oberverwaltungsgericht Malinowski sowie die ehrenamtliche Richterin ... und den ehrenamtlichen Richter ... für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Klägerinnen gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - Einzelrichter der 9. Kammer - vom 29. August 2001 wird hinsichtlich des Sommertrimesters 2000 zurückgewiesen.
Die Klägerinnen tragen die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerinnen können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerinnen begehren von der Beklagten die Übernahme von Kosten für eine Internatsunterbringung in England im Rahmen der Gewährung von Jugendhilfe.
Die am 1. Juni 1989 geborenen Klägerinnen sind Zwillinge. Bei beiden wurden cerebrale Dysfunktion bei Zustand nach Risiko-Zwillingsschwangerschaft, Frühgeburt, sensomotorische Wahrnehmungsstörung, Muskeltonusdysregulation sowie Sprachentwicklungsverzögerung diagnostiziert. Das Versorgungsamt A. erkannte beide Kinder mit Bescheiden vom 30. September 1999 als schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 50 an.
Die Klägerin zu 1) besuchte nach Zurückstellung vom Schulbesuch 1995/1996 zunächst den Schulkindergarten und ab dem Schuljahr 1996/1997 die 1. Klasse der B.-Schule in C., einer Schule für Sprachbehinderte. Zum 22. April 1998 wechselte die Klägerin zu 1) an die D.-Schule, eine Schule für Lernhilfe. Zu Beginn des Schuljahres 1998/1999 nahm sie dort am Unterricht der 2. Klasse teil. Die Klägerin zu 2) wurde ebenfalls im Schuljahr 1995/1996 vom Schulbesuch zurückgestellt. Sie besuchte zunächst den Schulkindergarten und in den folgenden Schuljahren die 1. und 2. Klasse der Ratsschule E.. Zum 22. April 1998 wechselte die Klägerin zu 2) auch an die D.-Schule. Mit Zeugnis vom 22. Juli 1998 wurde sie in die 3. Klasse versetzt und nahm zu Beginn des Schuljahres 1998/1999 dort am Unterricht teil.
Im Oktober 1998 wurden die Klägerinnen von ihren Eltern in das F. College in England umgeschult. An diesem Internat wird für Kinder mit Lernschwierigkeiten und Legasthenie Einzelunterricht und Unterricht in Kleinklassen durchgeführt. Nach einer mit Schriftsatz vom 7. März 2001 überreichten Kostenaufstellung betrugen die Kosten des Schulbesuchs in der Zeit vom Sommertrimester 1999 bis einschließlich Sommertrimester 2000 75 051,88 DM, wovon ein Betrag von 19 936,45 DM auf das Sommertrimester 2000 entfiel.
Am 26. August 1999 beantragten die Eltern der Klägerinnen bei dem Landkreis Hannover, dem Rechtsvorgänger der Beklagten, die Gewährung von Eingliederungshilfe und legten im März 2000 die Übersetzung eines am F. College erstellten psychologischen Gutachtens vom 26. November 1999 vor, wonach die Klägerinnen seit ihrer Aufnahme dort erhebliche Fortschritte gemacht hätten. Der Landkreis Hannover lehnte die Anträge mit Bescheid vom 28. März 2000 ab, da weder eine seelische Behinderung der Klägerinnen erkennbar sei noch eine solche drohe. Den mit Schreiben vom 13. April 2000 eingelegten Widerspruch der Klägerinnen wies der Landkreis Hannover mit Widerspruchsbescheid vom 31. Juli 2000, zugestellt am 3. August 2000, zurück und ergänzte die Begründung dahin, dass das F. College keine Einrichtung der Eingliederungshilfe für seelisch behinderte oder von einer seelischen Behinderung bedrohte Kinder und Jugendliche sei.
Die Klägerinnen haben am Montag, dem 4. September 2000, Klage erhoben.
Sie haben beantragt,
den Landkreis Hannover zu verpflichten, ihnen wirtschaftliche Jugendhilfe in Form der Übernahme der Kosten im Internat F. College für die Zeit des Sommertrimesters 1999 bis einschließlich Sommertrimester 2000 in Höhe von 75 051,88 DM zu bewilligen, und den Bescheid des Landkreises Hannover vom 28. März 2000 sowie seinen Widerspruchsbescheid vom 31. Juli 2000 aufzuheben, soweit sie diesem Begehren entgegenstehen,
hilfsweise, ein Sachverständigengutachten über ihre drohende seelische Behinderung einzuholen.
Der beklagte Landkreis Hannover hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 29. August 2001 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die Klägerinnen in dem hier maßgebenden Zeitraum nicht seelisch behindert gewesen seien. Es sei nach Auswertung aller vorliegenden Erkenntnisse auch nicht zu erwarten gewesen, dass die Klägerinnen von einer seelischen Behinderung bedroht gewesen seien. Gegenteiliges ergebe sich auch nicht aus den am F. College erstellten Gutachten. Wie sich ein Abbruch des Internatsbesuchs auf die Klägerinnen auswirken werde, hänge entscheidend davon ab, in welches schulische und sonstige Umfeld sie nach dem Internatsbesuch kämen. In Niedersachsen stehe ein differenziertes Schulangebot zur Verfügung, das es ermögliche, die verschiedenen Formen der Lernbehinderung angemessen zu berücksichtigen. Daneben seien Fördermaßnahmen im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe vorgesehen. Der Einholung eines neuen Sachverständigengutachtens bedürfe es nicht. Dem von den Klägerinnen geltend gemachten Anspruch stehe außerdem § 78 b SGB VIII entgegen. Danach setze eine Verpflichtung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe zur Übernahme des Entgelts für eine Leistung, die in einer Einrichtung erbracht werde, den Abschluss bestimmter Vereinbarungen (über die Leistungen, das Entgelt und die Qualitätsbewertung) voraus. Derartige Vereinbarungen gebe es für das F. College unstreitig nicht. Eine ausnahmsweise Kostenübernahme komme nicht in Betracht, weil es an einer konkreten Hilfeplanung für die Klägerinnen fehle und sie ohne Abstimmung mit dem Jugendhilfeträger zum F. College gewechselt seien.
Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts hat der Senat auf Antrag der Klägerinnen mit Beschluss vom 8. März 2002 die Berufung wegen besonderer tatsächlicher und rechtlicher Schwierigkeiten zugelassen.
Die Klägerinnen haben im Berufungsverfahren vorgetragen, bereits aus ihrer Vorgeschichte und den geschilderten Erfahrungen mit dem deutschen Schulsystem ergebe sich, dass ihnen bei einer Rückkehr nach Deutschland eine seelische Behinderung drohe. Neuere Stellungnahmen des Lehrers, des Schulleiters und der Hausmutter des Internats zeigten, dass ihnen schwere seelische und emotionale Schäden drohen würden, wenn sie aus dem College herausgenommen werden müssten. Bereits jetzt zeigten sich bei ihnen neue seelische Auffälligkeiten, nachdem ihnen diese Möglichkeit bekannt geworden sei.
Die Klägerinnen haben beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - 9. Kammer - vom 29. August 2001 zu ändern und den Bescheid des Landkreises Hannover vom 28. März 2000 und dessen Widerspruchsbescheid vom 31. Juli 2000 aufzuheben sowie die Beklagte zu verpflichten, ihnen Jugendhilfe in Form der Übernahme der Kosten für die Betreuung im Internat F. College in der Zeit vom Sommertrimester 1999 bis einschließlich Sommertrimester 2000 in Höhe von 75 051,88 DM zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und mündlicher Erläuterung des Gutachtens durch die Sachverständige hat der Senat mit Urteil vom 19. März 2003 das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide des Landkreises Hannover verpflichtet, den Klägerinnen Jugendhilfe in Form der Übernahme der Kosten für die Betreuung im Internat F. College in der Zeit vom Sommertrimester 1999 bis einschließlich Sommertrimester 2000 in Höhe von 75 051,88 DM zu gewähren. Der Senat hat ausgeführt, dass den Klägerinnen ein Anspruch auf Gewährung von Eingliederungshilfe gemäß § 35 a SGB VIII i.V.m. §§ 39 Abs. 3, 40 Abs. 1 Nr. 3 BSHG in den bis zum 30. Juni 2001 gültig gewesenen Fassungen in der zugesprochenen Höhe zustehe. Aufgrund des von ihm eingeholten Sachverständigengutachtens vom 29. Oktober 2002 nehme der Senat an, dass bei der Klägerin zu 1) im Zeitpunkt der Umschulung in das F. College im Herbst 1998 bereits eine seelische Behinderung vorgelegen habe und dass die bei der Klägerin zu 2) noch nicht so verfestigten Anzeichen einer seelischen Behinderung durch die für sie im F. College adäquate Förderung hätten behoben und somit eine Verstärkung der Symptome habe vermieden werden können. Das Gutachten habe keinen Zweifel daran gelassen, dass bei einer Rückkehr der Klägerinnen nach Deutschland in diesem Zeitraum für beide eine - erneute - seelische Behinderung zumindest gedroht hätte. Die Beschulung der Klägerinnen sei auch geeignet und erforderlich gewesen, die vorhandene seelische Behinderung zu beheben oder zu mildern bzw. die drohende seelische Behinderung zu verhüten. Das Gutachten habe nachvollziehbar dargelegt, dass die seelischen Störungen der Klägerinnen in ihrer Schulzeit in Deutschland nicht oder nur unvollständig erkannt worden seien. Die den Klägerinnen seinerzeit angediehene Förderung sei nicht geeignet gewesen und habe zu einer tiefgreifenden Verweigerungs- und Angsthaltung gegenüber dem deutschen Schulsystem geführt, die auch heute noch bestehe. Damit liege es geradezu auf der Hand, dass die - geeignete - Förderung in dem außerhalb des deutschen Schulsystems gelegenen englischen Internat in diesen beiden Einzelfällen als Maßnahme der Eingliederung erforderlich gewesen sei. Der fehlende Abschluss von Vereinbarungen nach § 78 b Abs. 1 SGB VIII stehe einem Anspruch der Klägerinnen nicht entgegen, weil die Erbringung der Leistung in der gewählten Form geeignet und erforderlich gewesen sei und es eine gleichermaßen geeignete und kostengünstigere Maßnahme nicht gegeben habe. Die Hilfeleistung scheitere auch nicht daran, dass die Gewährung von Leistungen der Jugendhilfe einen Antrag voraussetze. Leistungen für die Zeit vor der Antragstellung seien nicht Gegenstand des Verwaltungsrechtsstreits. Zu entscheiden sei über die Kosten der Unterbringung ab Sommertrimester 1999 bis einschließlich Sommertrimester 2000. Nur insoweit hätten die Klägerinnen am 26. August 1999 die Gewährung von Eingliederungshilfe beantragt. Soweit die Beklagte erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geltend gemacht habe, sie sei sachlich nicht zuständig, da für Leistungen der Jugendhilfe für Deutsche im Ausland (§ 6 Abs. 3 SGB VIII) der überörtliche Träger sachlich zuständig sei (§ 85 Abs. 2 Nr. 9 SGB VIII), sei dem entgegen zu halten, dass die Beklagte zumindest zum vorläufigen Tätigwerden verpflichtet sei (Rechtsgedanke aus § 86 d i.V.m. § 86 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII). Denn der überörtliche Träger sei bislang mit dieser Angelegenheit überhaupt nicht befasst worden, während die Beklagte und ihr Rechtsvorgänger gegenüber den Klägerinnen im gesamten bisherigen Verfahren als vermeintlich zuständiger Jugendhilfeträger aufgetreten seien.
Gegen dieses Urteil hat sich die Beklagte mit der vom Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 30. Juli 2004 zugelassenen Revision gewandt.
Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 11. August 2005 unter Aufhebung des Urteils des Senats vom 19. März 2003 die Berufung der Klägerinnen gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover vom 29. August 2001 hinsichtlich des Zeitraums Sommertrimester 1999 bis einschließlich Frühjahrstrimester 2000 zurückgewiesen und im Übrigen den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Zur Begründung hat das Bundesverwaltungsgericht ausgeführt, dass der Senat die Beklagte zu Unrecht verpflichtet habe, die Schulkosten für das Sommertrimester 1999 zu übernehmen, weil das Sommertrimester beim Eingang des Antrags der Klägerinnen auf Eingliederungshilfe am 26. August 1999 bereits beendet gewesen sei. Die Beklagte sei auch nicht verpflichtet, die Schulkosten für das Herbsttrimester 1999 und das Frühlingstrimester 2000 zu übernehmen. Denn die Gewährung von Eingliederungshilfe nach § 35 a SGB VIII setze nicht nur voraus, dass überhaupt ein Antrag gestellt sei, sondern grundsätzlich auch, dass er so rechtzeitig gestellt sei, dass der Jugendhilfeträger zu pflichtgemäßer Prüfung sowohl der Anspruchsvoraussetzungen als auch möglicher Hilfemaßnahmen in der Lage sei. Zwar sei der Antrag der Klägerinnen beim Landkreis Hannover bereits am 26. August 1999 eingegangen. Der Jugendhilfeträger habe aber prüfen müssen, ob bei den Klägerinnen eine seelische Behinderung vorgelegen oder ihnen gedroht habe und ob eine stationäre Maßnahme notwendig gewesen sei. Dazu habe er ein kinder- und jugendpsychiatrisches Gutachten für erforderlich gehalten. Da die Eltern die Vorstellung der Klägerinnen bei einem Kinder- und Jugendpsychiater in Deutschland abgelehnt hätten, habe der Jugendhilfeträger erst nach Eingang der Übersetzung des englischen psychologischen Gutachtens vom 26. November 1999 im März 2000 prüfen können, ob die Voraussetzungen für die begehrte Eingliederungshilfe vorlagen, und nach angemessener Zeit der Prüfung dieses Gutachtens mit Bescheid vom 28. März 2000 über den Antrag auf Eingliederungshilfe unter diesen Umständen auch rechtzeitig entschieden. Gegen Ende März 2000 sei das Frühlingstrimester 2000 aber bereits beendet gewesen. Auch die Verpflichtung der Beklagten, die Schulkosten für das Sommertrimester 2000 zu übernehmen, beruhe auf der Verletzung von Bundesrecht. Das Berufungsgericht habe zu Unrecht die Frage, wer für die begehrte Jugendhilfeleistung an die Klägerinnen eigentlich sachlich zuständig sei, mit der Begründung offen gelassen, dass die Beklagte nach dem Rechtsgedanken aus § 86 d i.V.m. § 86 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII zumindest zum vorläufigen Tätigwerden verpflichtet gewesen sei. Vielmehr beziehe sich die spezielle Regelung des § 86 d SGB VIII mit der Verpflichtung zum vorläufigen Tätigwerden allein auf die örtliche Zuständigkeit; ihr könne kein auf die sachliche Zuständigkeit übertragbarer allgemeiner Rechtsgedanke entnommen werden. Die Beklagte sei auch nicht zwei Wochen nach dem Inkrafttreten des § 14 SGB IX zum 1. Juli 2001 zuständig geworden, weil der bei ihr gestellte Antrag in dieser Frist nicht weitergeleitet worden sei. Denn zum einen wirke eine Zuständigkeitsbestimmung vorbehaltlich einer - hier nicht vorliegenden - anderweitigen gesetzlichen Regelung nicht auf Leistungen vor ihrem Inkrafttreten zurück und zum anderen gelte § 14 SGB IX nur für Rehabilitationsträger, was die Träger der öffentlichen Jugendhilfe für die hier im Streit stehende Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung (§ 35 a SGB VIII i.V.m. § 40 Abs. 1 Nr. 3 BSHG) nicht seien. Der Rechtsstreit sei zur Klärung der Zuständigkeit der Beklagten an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, weil Feststellungen zum tatsächlichen Aufenthalt der Klägerinnen fehlten. Ob die Beklagte für die begehrten Leistungen für das Sommertrimester 2000 nach § 85 Abs. 1 SGB VIII sachlich zuständig sei, hänge davon ab, wo sich die Klägerinnen aufgehalten hätten. Denn nach § 85 Abs. 2 Nr. 9 SGB VIII sei für die Gewährung von Leistungen an Deutsche im Ausland (§ 6 Abs. 3 SGB VIII) der überörtliche Träger sachlich zuständig; die örtliche Zuständigkeit richte sich in diesem Fall nach § 88 SGB VIII. Um die Fortsetzung einer bereits im Inland gewährten Leistung handele es sich im Streitfall nicht, weil die Klägerinnen nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts die Schulausbildung in England auf eigene Kosten bereits seit Oktober/November 1998 aufgenommen, Jugendhilfe dafür aber erst im August 1999 beantragt hätten. Die Entscheidung des Berufungsgerichts, die Klägerinnen hätten nach § 35 a SGB VIII i.V.m. § 39 Abs. 3, § 40 Abs. 1 Nr. 3 BSHG - in der bis zum 30. Juni 2001 gültigen Fassung - einen Anspruch auf Übernahme der Schulkosten, verletze auch insoweit Bundesrecht. Das Berufungsgericht stütze sich bei seiner Feststellung einer seelischen Behinderung bzw. drohenden seelischen Behinderung allein auf das von ihm in Auftrag gegebene Sachverständigengutachten. Das sei jedoch nicht ausreichend, weil nicht davon ausgegangen werden könne, dass dieses Sachverständigengutachten von den richtigen Maßstäben für die Beurteilung einer seelischen Behinderung bzw. einer drohenden seelischen Behinderung nach den vom Berufungsgericht seiner Entscheidung vorangestellten Maßstäben des Bundesverwaltungsgerichts ausgegangen sei. Im Gutachten seien abgesehen von den dort bezeichneten Lernschwächen, die als solche unstreitig noch keine seelischen Störungen seien, allenfalls seelische Störungen (z.B. emotionale Blockade, schwere Neurotisierung) bezeichnet, nicht aber werde weitergehend ausgeführt, ob bzw. dass diese Störungen nach Breite, Tiefe und Dauer so intensiv seien, dass sie die Fähigkeit zur Eingliederung in die Gesellschaft beeinträchtigten. Zudem sei die Annahme des Berufungsgerichts, den Klägerinnen habe eine seelische Behinderung zumindest gedroht, zum einen nicht schlüssig begründet, zum anderen beruhe sie auf einer im Tatsächlichen nicht ausreichend belegten Prognose. Soweit das Berufungsgericht angenommen habe, eine im Zeitpunkt der Einschulung in das F. College im Herbst 1998 bereits vorhandene oder jedenfalls drohende seelische Behinderung habe auch im Sommer 2000 "fortbestanden", stehe dies im Widerspruch zu seiner Ansicht, die Beschulung der Klägerinnen in diesem College sei eine geeignete Maßnahme. Das Berufungsgericht unterstelle bei seiner Prognose auch zu Unrecht, dass die Klägerinnen bei einer Rückkehr nach Deutschland eine für sie ungeeignete Schule besuchen müssten. Soweit bei den Klägerinnen Ängste vorhanden sein sollten, sie würden bei einer Rückkehr nach Deutschland an aus ihrer Sicht ungeeignete Schulen kommen, müsste zunächst geklärt werden, ob solche Ängste abgebaut werden könnten. Die bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts rechtfertigten auch nicht seine Annahme, dass die Beschulung der Klägerinnen am F. College in England eine geeignete Eingliederungsmaßnahme zu einer angemessenen Schulbildung sei. Das Berufungsgericht habe ausdrückliche Feststellungen zum Aufenthalt der Klägerinnen im Sommertrimester 2000 nicht getroffen. Das erscheine aber mit Rücksicht auf ihren Vortrag, sie hätten ihren Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt in der streitgegenständlichen Zeit in Niedersachsen gehabt, auch für die Beurteilung der Beschulung in England als geeigneter Hilfemaßnahme geboten. Denn wenn die Klägerinnen im Sommertrimester 2000 ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Niedersachsen gehabt haben sollten, wären sie vorbehaltlich einer bislang nicht festgestellten Ausnahmegenehmigung dort schulpflichtig gewesen, was einer Beschulung in England als geeigneter Maßnahme entgegen gestanden hätte. Weiterhin fehlten Feststellungen zu den schulischen Entwicklungs- und Leistungsmöglichkeiten der Klägerinnen am F. College.
Die Klägerinnen tragen zur Begründung ihrer Berufung weiter vor, zwischen dem überörtlichen und dem örtlichen Jugendhilfeträger sei vereinbart worden, dass die Beklagte als örtlicher Jugendhilfeträger sich zunächst für vorläufig zuständig erklären solle. Dies ergebe sich aus einem Schreiben des Beigeladenen vom 6. September 2005 und einem Schreiben der Beklagten vom 14. September 2005. Damit sei für sie als Antragstellerinnen eine Zuständigkeitsregelung endgültig geschaffen worden, auch wenn sie zwischen den Leistungsträgern als vorläufig bezeichnet werde. Eine solche Vereinbarung sei auch zweifelsfrei zulässig. Die Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts, dass die Jugendhilfeträger nicht Rehabilitationsträger im Sinne des § 14 SGB XI seien, widerspreche sämtlichen Kommentaren und zahlreichen gerichtlichen Entscheidungen. Gerade das Jugendhilferecht sei ein Zielbereich des § 14 SGB IX. Schuldig bleibe das Bundesverwaltungsgericht überdies die Beantwortung der Frage, warum es für die Frage der Zuständigkeit des örtlichen oder des überörtlichen Trägers auf den tatsächlichen Aufenthalt ankomme. In dem vorliegenden Fall werde übersehen, dass es sich um Minderjährige handele, deren Aufenthalt die Eltern bestimmten. Eine Zugrundelegung des tatsächlichen Aufenthaltes bei Minderjährigen erscheine unzulässig. Ein Minderjähriger habe seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Regel dort, wo er auch seine Erziehung erhalte. Dabei komme es maßgeblich auf die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthaltes durch die Personensorgeberechtigten an. Diese Feststellung sei hier klar festgelegt und auch durch die Meldung in Deutschland nachgewiesen. Das Zentrum der Familie sei die Wohnung in Deutschland. Die Auslegung, dass bei einem Minderjährigen der tatsächliche Aufenthalt maßgeblich sei, verstoße gegen Art. 6 GG. Eine derart harte Auslegung, die die Familienbindung völlig missachte, sei unserem Rechtssystem fremd. Es müsse daher eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschriften erfolgen, welche das Bundesverwaltungsgericht ganz offenbar übersehen habe. Im Übrigen hätten sie sich im Jahr 2000 in den Sommerferien vom 1. Juli bis zum 5. September 2000 in Hannover aufgehalten. Die übrige Zeit seien sie in England gewesen. Auch die Ferien vom 11. bis zum 24. April 2000 hätten sie zusammen mit ihren Eltern bei einem Urlaub in Großbritannien verbracht. Ferner sei zu berücksichtigen, dass das Postulat, dass es in Deutschland ausreichende und in jedem Fall gut und effektiv arbeitende Einrichtungen gebe, zweifellos unrichtig sei. Bereits das Schulsystem mache dies fast unmöglich. Es sei auch die Behauptung verfehlt, dass weder Dyslexie noch Legasthenie eine seelische Störung oder Behinderung begründen würden. Die gutachterlichen Äußerungen von G. H. belegten im Übrigen eine seelische Störung. Die von ihnen vorgelegten Zeugnisse bewiesen auch die angemessene Schulbildung. Sie belegten weiter, dass eine umfassende Hilfestellung und Förderung insbesondere auch in psychischer Hinsicht erfolge. Die vorgelegten Berichte des Internats wiesen die Geeignetheit der Einrichtung nach. Daraus ergebe sich auch, dass eine Beschulung in England geeignet erscheine, weil eine Zuwendung, wie sie dort geschehe, in Deutschland nicht denkbar sei. Bei einer Beschulung in Deutschland wären sie getrennt worden und in Lernförderschulen ohne einen Abschluss geblieben. Die Frage einer eventuellen Verletzung der Schulpflicht sei eine völlig andere als die der adäquaten dem Gesetz entsprechenden Jugendhilfeleistung. Ein Dispens sei zu jeder Zeit möglich und damals auch möglich gewesen. Dass sie davon nichts gewusst haben und von niemandem darauf angesprochen worden seien, könne ihnen nicht angelastet werden. Jedenfalls könne es keine Auswirkungen darauf haben, ob heute die tatsächlich gewählten Maßnahmen nach Jugendhilferecht zu fördern seien.
Die Klägerinnen haben schriftsätzlich sinngemäß beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - Einzelrichter der 9. Kammer - vom 29. August 2001 zu ändern und die Beklagte zu verpflichten, ihnen Jugendhilfe in Form der Übernahme der Kosten für ihre Betreuung im Internat F. College im Sommertrimester 2000 zu gewähren, sowie den Bescheid des Landkreises Hannover vom 28. März 2000 in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 31. Juli 2000 aufzuheben, soweit er dem entgegensteht.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte macht im Berufungsverfahren geltend, dass die Klägerinnen sowohl im Jahr 2000 als auch im Jahr 2001 ihren tatsächlichen Aufenthalt in England gehabt hätten mit der Konsequenz, dass für einen eventuellen Anspruch der überörtliche Träger der Jugendhilfe zuständig sei. Die Klägerinnen seien im Herbst 1998 ins F. College gewechselt und lebten seither dort im Internat. Nach einer telefonischen Auskunft des Bürgerbüros I. sollen die Klägerinnen wohl am 24. November 1998 von ihren Eltern nach Großbritannien abgemeldet und einige Wochen später wieder angemeldet worden sein. Der Umstand, dass zunächst eine Abmeldung erfolgt sei, zeige, dass mit dem Umzug der Klägerinnen nach Großbritannien, wo die Großeltern lebten, ein dauerhafter Abschied aus der Bundesrepublik Deutschland beabsichtigt worden sei. Dazu passe es, dass sich die Eltern der Klägerinnen zum 1. September 2001 von I. nach J. umgemeldet, ihre Kinder jedoch beim Bürgeramt I. abgemeldet und in J. nicht wieder angemeldet haben. Der Vater der Klägerinnen habe sich zum 5. Dezember 2001 nach K. umgemeldet und in diesem Zusammenhang seine Kinder nicht mit angemeldet. Die Mutter der Klägerinnen habe sich am 5. Dezember 2001 nach Großbritannien abgemeldet. Auch als sich der Vater zum 2. Februar 2002 von K. nach A. umgemeldet habe, sei keine Mitanmeldung der Kinder erfolgt. Erst am 1. September 2002 seien die Klägerinnen laut Auskunft der Meldebehörde der Stadt A. wieder in A. angemeldet und zum 1. November 2003 gleichzeitig mit dem Vater nach I. umgemeldet worden. Die Klägerinnen hätten in den letzten Jahren fast jedes Wochenende im Internat, bei ihrer Mutter oder den Großeltern in England verbracht, ebenso wie große Teile des Urlaubs. Von einem gemeinsamen Familiensitz in I. könne also nicht die Rede sein. Bejahe man gleichwohl ihre Zuständigkeit, so erweise sich die Ablehnung der beantragten Eingliederungshilfe auch für das Sommertrimester 2000 als rechtmäßig. Im maßgeblichen Zeitpunkt habe nach den psychologischen Gutachten vom 26. November 1999 und vom 16. Juni 2000 weder eine seelische Störung noch die Gefahr einer seelischen Behinderung bestanden. Sollten die Klägerinnen ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland behalten haben, wären sie zudem in Deutschland schulpflichtig gewesen, so dass eine Beschulung in England keine geeignete angemessene Schulbildung sein könne. Abgesehen davon stelle die Beschulung in einer anderen Sprache bei Kindern mit diagnostizierter Lernschwäche - wie den Klägerinnen - ohnehin keine angemessene Beschulung dar. Bei der Entscheidung des überörtlichen Jugendhilfeträgers im Rahmen der Ermessensvorschrift des § 6 Abs. 3 SGB VIII über die Eingliederungshilfe werde das Fehlen einer seelischen Störung im maßgeblichen Zeitpunkt ebenso zu beachten sein wie die Tatsache, dass die gewählte Schulbildung ungeeignet sei, eine Integration in die deutsche Gesellschaft zu fördern.
Der Beigeladene stellt keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Landkreises Hannover Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Klägerinnen hat keinen Erfolg.
Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist nach der Zurückweisung der Berufung hinsichtlich des Zeitraums Sommertrimester 1999 bis Frühjahrtrimester 2000 und der Zurückverweisung der Sache im Übrigen durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. August 2005 (5 C 18.04) nur noch die Übernahme der Schulkosten am F. College für das Sommertrimester 2000 aus Mitteln der Jugendhilfe.
Das Verwaltungsgericht hat die von den Klägerinnen erhobene Klage auf Gewährung von Eingliederungshilfe nach § 35 a SGB VIII i.V.m. §§ 39 Abs. 3, 40 Abs. 1 Nr. 3 BSHG - jeweils in der bis zum 30. Juni 2001 gültig gewesenen Fassung - durch Übernahme der Kosten ihrer Betreuung am F. College in England im Ergebnis zu Recht auch für das Sommertrimester 2000 abgewiesen.
Den Klägerinnen steht der für das Sommertrimester 2000 gegen die Beklagte geltend gemachte Anspruch auf Leistungen der Jugendhilfe schon deshalb nicht zu, weil die Beklagte als örtlicher Träger der Jugendhilfe für die begehrte Leistung sachlich nicht zuständig ist.
Wie das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 11. August 2005 bereits ausgeführt hat, ist die Beklagte nicht nach § 86 d i.V.m. § 86 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII zumindest zum vorläufigen Tätigwerden verpflichtet gewesen. Denn die spezielle Regelung des § 86 d SGB VIII mit der Verpflichtung zum vorläufigen Tätigwerden bezieht sich allein auf die örtliche Zuständigkeit. Ein auf die sachliche Zuständigkeit übertragbarer allgemeiner Rechtsgedanke kann ihr nicht entnommen werden.
Die Beklagte ist auch nicht zwei Wochen nach dem Inkrafttreten des § 14 SGB IX zum 1. Juli 2001 zuständig geworden, weil der Antrag der Klägerinnen auf Gewährung von Eingliederungshilfe in dieser Frist nicht an den sachlich zuständigen Jugendhilfeträger weitergeleitet worden ist. Denn ausweislich des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts wirkt zum einen eine Zuständigkeitsbestimmung vorbehaltlich einer - hier nicht vorliegenden - anderweitigen gesetzlichen Regelung nicht auf Leistungen vor ihrem Inkrafttreten zurück. Zum anderen gilt § 14 SGB IX nur für Rehabilitationsträger, zu denen die Träger der öffentlichen Jugendhilfe für die hier im Streit stehende Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung (§ 35 a SGB VIII i.V.m. § 40 Abs. 1 Nr. 3 BSHG) nicht gehören. An diese rechtliche Beurteilung, die tragende Gründe für die Aufhebung des Senatsurteils vom 19. März 2003 und die Zurückverweisung des Rechtsstreits hinsichtlich des Sommertrimesters 2000 betrifft, ist der Senat nach § 144 Abs. 6 VwGO gebunden.
Die sachliche Zuständigkeit der Beklagten ergibt sich auch nicht aus § 85 Abs. 1 SGB VIII. Nach dieser Vorschrift ist für die Gewährung von Leistungen und die Erfüllung anderer Aufgaben nach dem SGB VIII der örtliche Träger sachlich zuständig, soweit nicht der überörtliche Träger sachlich zuständig ist. Der überörtliche Träger ist gemäß § 85 Abs. 2 Nr. 9 SGB VIII sachlich zuständig für die Gewährung von Leistungen an Deutsche im Ausland (§ 6 Abs. 3 SGB VIII), soweit es sich nicht um die Fortsetzung einer bereits im Inland gewährten Maßnahme handelt. Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII werden Leistungen nach dem SGB VIII jungen Menschen, Müttern, Vätern und Personensorgeberechtigten von Kindern und Jugendlichen gewährt, die ihren tatsächlichen Aufenthalt im Inland haben. Gemäß § 6 Abs. 3 SGB VIII können Deutschen Leistungen nach dem SGB VIII auch gewährt werden, wenn sie ihren Aufenthalt im Ausland haben und soweit sie nicht Hilfe vom Aufenthaltsland erhalten. Anknüpfungspunkt für die sachliche Zuständigkeit des örtlichen Jugendhilfeträgers ist somit der tatsächliche Aufenthalt des Leistungsempfängers im Inland, soweit es nicht um die Fortsetzung einer bereits im Inland gewährten Maßnahme geht.
Danach ist hier eine sachliche Zuständigkeit der Beklagten als dem örtlichen Jugendhilfeträger nicht begründet. Den tatsächlichen Aufenthalt hat eine Person dort, wo sie sich körperlich aufhält. Für die Begründung des tatsächlichen Aufenthalts bedarf es nicht der Geschäftsfähigkeit, deren Fehlen der selbständigen Wohnsitzbegründung durch Kinder und Jugendliche entgegensteht (vgl. §§ 8, 11 BGB). Der Begriff des tatsächlichen Aufenthalts ist auch von dem des gewöhnlichen Aufenthalts zu unterscheiden, den nach § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I jemand dort hat, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt, und der bei Kindern und Jugendlichen grundsätzlich durch die dazu nach § 1631 Abs. 1 BGB berechtigten Personensorgeberechtigten bestimmt wird. Ob der tatsächliche Aufenthalt mit einem Wohnsitz oder dem gewöhnlichen Aufenthalt zusammenfällt, ist unerheblich. Insofern ist es für die Beurteilung des tatsächlichen Aufenthalts der Klägerinnen nicht entscheidend, dass sie auch im Jahr 2000 mit Hauptwohnsitz in Deutschland gemeldet gewesen sind. Maßgebend ist vielmehr, wo sich die Klägerinnen rein physisch aufgehalten haben.
Die Klägerinnen haben seit Oktober/November 1998 das F. College in England besucht und sich mit Ausnahme von Ferienaufenthalten in Deutschland auch an schulfreien Tagen wie den Wochenenden, Feiertagen oder kürzeren Ferien in England aufgehalten. Im Jahr 2000 sind sie nach ihren eigenen Angaben lediglich in den Sommerferien vom 1. Juli bis zum 5. September 2000 in Deutschland gewesen und haben sich ansonsten in England aufgehalten. Auch die Frühjahrsferien vom 1. bis zum 24. April 2000 haben sie mit ihren Eltern in England verbracht. Die Klägerinnen hielten sich somit während des Sommertrimesters 2000 und damit während des gesamten Zeitraums, für den sie die hier streitigen Jugendhilfeleistungen beantragt haben, tatsächlich in England auf. Auch im März 2000, als der damals zuständige Landkreis Hannover nach Eingang der Übersetzung des von den Klägerinnen vorgelegten psychologischen Gutachtens über ihren Antrag auf Gewährung von Jugendhilfe entschieden hat, war der tatsächliche Aufenthalt der Klägerinnen nicht in Deutschland, sondern in England. Aufgrund des tatsächlichen Aufenthalts der Klägerinnen in England sowohl während des Sommertrimesters als auch zur Zeit der Entscheidung über ihren Antrag ist eine sachliche Zuständigkeit der Beklagten als örtlicher Jugendhilfeträger somit nicht gegeben, zumal es sich bei der beantragten Jugendhilfe, wie das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 11. August 2005 schon ausgeführt hat, nicht um die Fortsetzung einer bereits im Inland gewährten Leistung handelt, für die der örtliche Träger der Jugendhilfe sachlich zuständig wäre.
Eine andere Beurteilung ist auch nicht im Hinblick darauf geboten, dass die Klägerinnen geltend machen, die Beklagte als örtlicher Jugendhilfeträger und der Beigeladene als überörtlicher Jugendhilfeträger hätten vereinbart, dass der örtliche Jugendhilfeträger für die Hilfegewährung zuständig sein solle. Die Klägerinnen haben dazu zwar an sie gerichtete Schreiben des Beigeladenen vom 6. September 2005 und der Beklagten vom 14. September 2005 vorgelegt, aus denen sich ergibt, dass der Beigeladene Anträge der Klägerinnen an die Beklagte weitergeleitet hat, da vereinbart worden sei, dass die Beklagte sich zunächst für "vorläufig" zuständig erklärt. Die in Bezug genommenen Anträge betreffen aber nicht das hier vorliegende Verfahren, in dem es um den Antrag der Klägerinnen vom 26. August 1999 auf Übernahme der Kosten für das Sommertrimester 2000 geht. Vielmehr haben die Klägerinnen, wie sich aus einem Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 7. Januar 2005 ergibt, nach Ende des hier entscheidungserheblichen Zeitraums weitere Anträge auf Übernahme der Internatskosten aus Jugendhilfemitteln für nachfolgende Zeiträume gestellt. Nach einem Schreiben der Landeshauptstadt Hannover vom 17. Dezember 2002 hat diese einen Antrag der Klägerinnen an das Landesjugendamt Hannover weitergeleitet, da sie den überörtlichen Jugendhilfeträger als zuständig ansah. Die Bezirksregierung Hannover - Niedersächsisches Landesjugendamt - hat dem Vater der Klägerinnen mit Schreiben vom 13. Januar 2003 daraufhin mitgeteilt, dass über den Antrag vom 10. Mai 2002 erst nach Abschluss des vorliegenden Verfahrens entschieden werden solle. Aus einem Schreiben der Beklagten vom 8. Januar 2004 ergibt sich, dass diese ebenfalls einen Antrag der Klägerinnen vom 16. Dezember 2003 an die Bezirksregierung Hannover - Niedersächsisches Landesjugendamt - als dem überörtlichen Träger der Jugendhilfe weitergeleitet hat. Einen weiteren mit Schreiben vom 17. Dezember 2004 an den Beigeladenen gerichteten Antrag hat dieser offenbar, wie sich aus seinem Schreiben vom 6. September 2005 ergibt, an die Beklagte weitergeleitet. Diesem Schreiben ist außerdem zu entnehmen, dass der Beigeladene mit der Beklagten vereinbart habe, dass diese sich zunächst für "vorläufig" zuständig erklärt, und er bei ihm eingegangene Anträge an die Beklagte weitergeleitet habe. Die Beklagte hat mit Schreiben vom 14. September 2005 bestätigt, dass der Beigeladene die Folgeanträge tatsächlich an sie weitergesandt habe, gleichzeitig aber darauf hingewiesen, dass ein "Einvernehmen über die vorläufige Zuständigkeit und Leistung" aus ihrer Sicht "nicht erzielt" sei.
Abgesehen davon, dass sich die o.g. Schreiben demnach lediglich auf Folgeanträge der Klägerinnen und nicht auf den hier zu entscheidenden Rechtsstreit beziehen, ergibt sich aus dem Schreiben des Beigeladenen vom 6. September 2005 allenfalls, dass der Beigeladene und die Beklagte eine Vereinbarung über die vorläufige Zuständigkeit, nicht aber über die hier maßgebliche endgültige Zuständigkeit geschlossen haben. Zudem hat die Beklagte mit Schreiben vom 14. September 2005 erklärt, aus ihrer Sicht sei kein Einvernehmen über die vorläufige Zuständigkeit erzielt worden, so dass auf der Grundlage der beiden Schreiben gerade nicht vom Abschluss einer Vereinbarung über die - vorläufige - Zuständigkeit ausgegangen werden kann.
Im Übrigen hätte eine zwischen der Beklagten und der Beigeladenen getroffene Vereinbarung über die Zuständigkeit auch keine rechtliche Wirkung. Zuständigkeitsvereinbarungen zwischen Behörden untereinander oder mit dem Bürger hinsichtlich der örtlichen oder sachlichen Zuständigkeit sind nämlich unwirksam, soweit sie nicht auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen. Eine Behörde kann ohne ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung ihre Zuständigkeit auch nicht einseitig auf eine andere Behörde übertragen (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, Komm., 9. Aufl., § 3 Rn. 12a m.w.N.; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl., § 3 Rn. 11; Peters, Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren, Stand: September 2000, § 2 Anm. 1 h; van Wulffen, SGB X, 4. Aufl., § 2 Rn. 3). Da im Bereich des Jugendhilferechts Zuständigkeitsvereinbarungen gesetzlich nicht vorgesehen sind (vgl. Jans/Happe/Saurbier/Maas, Kinder- und Jugendhilferecht, 3. Aufl., Vorbem. KJHG Art. 1 §§ 85-89 h Rn. 2; Schellhorn, SGB VIII/KJHG, § 85 Rn. 14 und § 86 Rn. 6), würde eine hier getroffene Vereinbarung mangels Wirksamkeit nichts an der sachlichen Unzuständigkeit der Beklagten ändern.
Einem Anspruch der Klägerinnen auf Eingliederungshilfe nach § 35 a SGB VIII steht zudem entgegen, dass die Klägerinnen im Sommertrimester 2000 in Niedersachsen schulpflichtig gewesen sind und ihre Beschulung im F. College in England daher keine geeignete Eingliederungshilfemaßnahme zu einer angemessenen Schulbildung im Sinne von § 35 a SGB VIII i.V.m. §§ 39 Abs. 3, 40 Abs. 1 Nr. 3 BSHG gewesen ist.
Nach § 63 Abs. 1 Satz 1 NSchG (i.d.F. der Bekanntmachung v. 27.9.1993, Nds. GVBl. S. 383, geändert durch Gesetz v. 12.7.1994, Nds. GVBl. 1994 S. 304) ist, wer in Niedersachsen seinen Wohnsitz, seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder seine Ausbildungs- oder Arbeitsstätte hat, nach Maßgabe der folgenden Vorschriften des NSchG zum Schulbesuch verpflichtet. Nach § 7 Abs. 1 BGB begründet, wer sich an einem Orte ständig niederlässt, an diesem Orte seinen Wohnsitz. Minderjährige Kinder teilen gemäß § 11 BGB den Wohnsitz der Eltern; sie haben also einen vom Wohnsitz der sorgeberechtigten Eltern abgeleiteten gesetzlichen Wohnsitz (Palandt, BGB, Kommentar, 64. Aufl., § 11 Rn. 1). Hier haben die Eltern der Klägerinnen sich selbst und ihre Kinder am 23. Dezember 1993 mit Hauptwohnsitz in I. angemeldet. Daraus ist zu schließen, dass die Eltern sich im Dezember 1993 im Sinne von § 7 Abs. 1 BGB in I. ständig niedergelassen und dort für sich und die Klägerinnen ihren Wohnsitz begründet haben. Dieser Wohnsitz ist für die Klägerinnen bis zum Ende des hier streitigen Sommertrimesters 2000 auch nicht wieder aufgegeben worden. Der Wohnsitz wird nach § 7 Abs. 3 BGB aufgehoben, wenn die Niederlassung mit dem Willen aufgehoben wird, sie aufzugeben. Für eine solche Aufgabe der Niederlassung in I. bis zum Ende des Sommertrimesters 2000 liegen keine hinreichenden Anhaltspunkte vor. Wie sich aus den Meldebescheinigungen der Stadt I. vom 1. Juni 2007 ergibt, sind die Klägerinnen ebenso wie ihre Eltern in der Zeit vom 23. Dezember 1993 bis zum 1. September 2001 durchgehend mit Hauptwohnsitz in I. gemeldet gewesen. Eine Abmeldung der Klägerinnen während dieses Zeitraums etwa mit Beginn ihres Internatsbesuchs in England ist nach den im Bürgeramt der Stadt I. vorhandenen Meldeunterlagen, wie gegenüber der Berichterstatterin des Senats auch telefonisch bestätigt worden ist, nicht erfolgt. Die von den Klägerinnen eingereichten erweiterten Melderegisterauskünfte der Stadt I. vom 20. September 2004 sprechen ebenfalls gegen eine Abmeldung der Klägerinnen im maßgeblichen Zeitraum. Denn dort ist bezüglich der am 23. Dezember 1993 bezogenen Wohnung in I. das ursprüngliche Auszugsdatum 24. November 1998 handschriftlich gestrichen und - mit amtlichem Stempel versehen - durch das Datum 1. September 2001 ersetzt worden. Daraus, dass die Klägerinnen im Zusammenhang mit ihrem Schulbesuch in England von ihren Eltern in I. nicht abgemeldet worden sind, lässt sich nur der Schluss ziehen, dass trotz des Internatsaufenthaltes ihr Wohnsitz in I. bleiben und nicht im Sinne des § 7 Abs. 3 BGB aufgegeben werden sollte. Dafür sprechen im Übrigen auch die Äußerungen der Klägerinnen im gerichtlichen Verfahren. So haben sie immer wieder betont, dass ihr Wohnsitz in Deutschland geblieben sei (Schriftsatz vom 15.9.2004, Bl. 429 d.A.: "Die Kinder selbst sind nach wie vor in Deutschland mit Wohnsitz gemeldet und halten sich nur ausbildungsbedingt in England auf. ... Das Zentrum der Familie ist natürlich in Deutschland."; Schriftsatz vom 13.2.2006, Bl. 771 d.A.: " ...dabei kommt es maßgeblich auf die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts durch die Personensorgeberechtigten an. Diese Feststellung ist klar festgelegt und auch durch die Meldung in Deutschland nachgewiesen. Das Zentrum der Familie ist die Wohnung in Deutschland.").
Da die Klägerinnen somit im Sommertrimester 2000 ihren Wohnsitz in Niedersachsen gehabt haben, sind sie in Niedersachsen schulpflichtig gewesen und haben ihrer Schulpflicht nur durch den Besuch einer niedersächsischen öffentlichen Schule, einer Ersatzschule, einer Ergänzungsschule unter den Voraussetzungen des § 160 NSchG oder durch Privatunterricht (§ 63 Abs. 5 NSchG) genügen können (vgl. Rn. 3.1.3 des RdErl. d. MK v. 29.8.1995, Nds. MBl. S. 1145). Dass ihnen für den Besuch des F. College in England Ausnahmegenehmigungen erteilt oder sie von ihrer Schulpflicht befreit worden sind, ist nicht ersichtlich und von den Klägerinnen auch nicht vorgetragen worden. Dies hat zur Folge, dass die Klägerinnen mit dem Besuch des Internats in England ihrer allgemeinen Schulpflicht nicht nachgekommen sind. Wie bereits das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 11. August 2005 ausgeführt hat, steht eine Schulpflicht in Niedersachsen einer Beschulung in England als geeigneter Hilfemaßnahme zu einer angemessenen Schulbildung aber entgegen. Aus diesem Grund stellt der Schulbesuch der Klägerinnen am F. College in England keine geeignete Eingliederungshilfemaßnahme nach § 35 a SGB VIII i.V.m. §§ 39 Abs. 3, 40 Abs. 1 Nr. 3 BSHG dar.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 206 Abs. 1 SGG i.V.m. § 188 Satz 2 VwGO in der bis zum 31. Dezember 2004 gültig gewesenen Fassung. Da der Beigeladene keinen Antrag gestellt und sich damit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO), entspricht es nicht der Billigkeit, seine außergerichtlichen Kosten für erstattungsfähig zu erklären (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.