Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 11.08.2005, Az.: 12 LA 347/04

beglaubigte Abschrift; Bindung; Bindungswirkung; Schriftform

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
11.08.2005
Aktenzeichen
12 LA 347/04
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2005, 50736
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 09.06.2004 - AZ: 5 A 2705/03

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Die Wahrung der Schriftform für den Antrag auf Zulassung der Berufung (§ 125 Abs. 1 iVm § 81 Abs. 1 VwGO) setzt grundsätzlich die eigenhändige Unterzeichnung der Rechtsmittelschrift voraus. Ob die Schriftform auch dann gewahrt ist, wenn der nicht unterzeichneten Rechtsmittelschrift eine beglaubigte Abschrift beigefügt wird, die vom Prozessbevollmächtigten des Klägers mit einem unterzeichneten Beglaubigungsvermerk versehen worden ist, kann offen bleiben.

2. Die Bindung der Fahrerlaubnisbehörde an das strafgerichtliche Urteil im Sinne von § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG tritt u.a. dann nicht ein, wenn das Strafgericht von der Maßregel der Entziehung der Fahrerlaubnis lediglich im Hinblick auf die verstrichene Zeit seit der Tatbegehung abgesehen hat (Bestätigung der bisherigen Rspr.)

Gründe

1

Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen, mit dem die gegen die Fahrerlaubnisentziehungsverfügung der Beklagten vom 21. Januar 2003 und den Kostenbescheid vom 17. September 2002 gerichtete Klage abgewiesen worden ist, hat keinen Erfolg.

2

Der Senat lässt es offen, ob der Zulassungsantrag form- und fristgerecht gestellt worden ist. Zweifel daran bestehen, weil die Prozessbevollmächtigten des Klägers, denen das Urteil des Verwaltungsgerichts am 21. Juni 2004 zugestellt worden ist, innerhalb der gemäß § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO bestehenden einmonatigen Einlegungsfrist für das Rechtsmittel am 12. Juli 2004 (vorab per Fax) bzw. 14. Juli 2004 einen nicht unterschriebenen Antrag auf Zulassung der Berufung an das Verwaltungsgericht übermittelt haben. Die ordnungsgemäße Einlegung des Rechtsmittels setzt nach § 125 Abs. 1 i.V.m. § 81 Abs. 1 VwGO die Beachtung der Schriftform voraus, wozu auch die eigenhändige Unterzeichnung der Rechtsmittelschrift - hier durch einen der Prozessbevollmächtigten des Klägers - gehört (vgl. GemS-OGB, Beschl. v. 30.4.1979 - GmS-OGB 1/78 -, BVwerGE 58, 359; BVerwG, Urt. v. 26.8.1983 - 8 C 28/83 -, Buchholz 310 § 81 VwGO Nr. 9; Kopp/ Schenke, VwGO, 14. Aufl., § 81 RdNr. 5 f; Ortloff, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: Sept. 2004, § 81 RdNr. 7). Diese ist hier unterblieben. Allerdings haben die Prozessbevollmächtigten des Klägers ihrem Schriftsatz vom 12. Juli 2004 eine beglaubigte Abschrift beigefügt, die einen von Rechtsanwalt Dr. W. unterzeichneten Beglaubigungsvermerk enthält. Ob dadurch das Schriftformerfordernis für den Zulassungsantrag gewahrt worden ist (vgl. insoweit BGH, Beschl. v. 3.5.1957 - 8 ZB 7/57 -, NJW 1957, 990; BAG, Urt. v. 21.3.1973 - 4 AZR 225/72 -, MDR 1973, 794; Kopp/Schenke, VwGO, a.a.O.; Geiger, in: Eyermann, VwGO, 11. Aufl., § 81 RdNr. 3; vgl. auch GemS-OGB. Beschl. v. 30.4.1979, a.a.O. zum Beglaubigungsvermerk unter Schriftsätzen einer Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts oder einer Behörde), kann letztlich ebenso dahinstehen wie die Frage, ob dem Antragsteller wegen einer etwaigen Versäumung der Frist für die Einreichung des Zulassungsantrags Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren wäre. Denn der Zulassungsantrag hat jedenfalls in der Sache keinen Erfolg.

3

Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte für berechtigt erachtet, dem Kläger gemäß § 3 Abs. 1 StVG i.V.m. § 46 FeV die Fahrerlaubnis zu entziehen. Der Kläger habe am 11. November 2001 auf öffentlichen Straßen ein Kraftfahrzeug mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,79 0 geführt. Die Beklagte habe ihn deshalb zu Recht gemäß §§ 46 Abs. 3, 13 Nr. 3 c FeV aufgefordert, ein medizinisch-psychologisches Gutachten zur Frage seiner Fahreignung beizubringen, und ihm wegen der Aufforderung Gebühren auferlegt. Da der Kläger das Gutachten nicht beigebracht habe, habe die Beklagte nach § 11 Abs. 8 FeV auf die Nichteignung des Klägers schließen dürfen. Der streitigen Maßnahme stehe nicht entgegen, dass das Amtsgericht Neustadt a. Rbg. den Kläger mit Urteil vom 21. Juni 2002 wegen des Vorfalls vom 11. November 2001 wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen verurteilt und gegen ihn ein Fahrverbot von zwei Monaten verhängt, nicht aber die Entziehung seiner Fahrerlaubnis verfügt habe. Die Beklagte sei ungeachtet der Regelung in § 3 Abs. 4 StVG über die Bindungswirkung an strafgerichtliche Entscheidungen zu einer eigenständigen Beurteilung der Fahreignung des Klägers berechtigt gewesen, weil das Amtsgericht das Absehen von einer Entziehung der Fahrerlaubnis ausschließlich mit einem Hinweis auf die seit der Tatbegehung verstrichene Zeit begründet habe.

4

Der vom Kläger dagegen geltend gemachte Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegt nicht vor. An der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils bestehen keine ernstlichen Zweifel. Insbesondere hat das Verwaltungsgericht die Bindungswirkung im verwaltungsbehördlichen Entziehungsverfahren gemäß § 3 Abs. 4 StVG nicht verkannt. Nach dieser Vorschrift kann die Fahrerlaubnisbehörde, wenn sie in einem Entziehungsverfahren einen Sachverhalt berücksichtigen will, der Gegenstand der Urteilsfindung in einem Strafverfahren gegen den Inhaber der Fahrerlaubnis gewesen ist, zu dessen Nachteil vom Inhalt des Urteils insoweit nicht abweichen, als es sich auf die Feststellung des Sachverhalts oder die Beurteilung der Schuldfrage oder der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bezieht. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass eine Bindungswirkung nach dieser Vorschrift nicht eintritt, wenn die Entscheidung des Strafgerichts zur Eignung bzw. fehlenden Eignung des Kraftfahrers keine Aussagen enthält (vgl. Beschl. des Senats v. 17.7.2000 - 12 M 2503/00 -, ZfS 2000, 559; vgl. zur inhaltsgleichen Vorschrift des § 4 Abs. 3 Satz 1 StVG a.F. auch BVerwG, Urt. v. 15.7.1988 - 7 C 46/87 -, NJW 1989, 116; Beschl. v. 1.4.1993 - 11 B 82/92 -; Beschl. v. 31.3.1995 - 11 B 6/95 -; Beschl. des Senats v. 15.8.1995 - 12 M 5004/95 -, ZfS 1995, 438). Die Bindungswirkung ist weiterhin dann zu verneinen, wenn die Fahrerlaubnisbehörde bei ihrer Entscheidung von einem umfassenderen Sachverhalt als das Strafgericht auszugehen hat (Beschl. des Senats v. 23.1.2001 - 12 MA 441/01 -) oder wenn im strafgerichtlichen Urteil lediglich festgestellt wird, die Maßregel der Entziehung der Fahrerlaubnis sei im Hinblick auf die seit der Tat verstrichene Zeit nicht mehr erforderlich (BVerwG, Beschl. v. 20.12.1988 - 7 B 199/88 -, NZV 1989, 125; vgl. auch Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Aufl., § 3 StVG RdNr. 28).

5

Nach diesen Maßstäben unterliegt es keinen ernstlichen Zweifeln, dass die Beklagte die Fahrerlaubnis des Klägers im Anschluss an das strafgerichtliche Verfahren beim Amtsgericht Neustadt a. Rbg. eigenständig überprüfen und den Kläger zur Beibringung des medizinisch-psychologischen Eignungsgutachtens auffordern durfte. Das Amtsgericht hat gegen den Kläger mit Urteil vom 21. Juni 2002 wegen der am 11. November 2001 begangenen Trunkenheitsfahrt eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen und ein Fahrverbot von zwei Monaten verhängt, das durch die vorläufige Entziehung seiner Fahrerlaubnis bereits abgegolten sei. In den Gründen hat es zu dieser Maßregel wie folgt ausgeführt:

6

„Der Angeklagte kann nach Ablauf von nunmehr 7 Monaten seit Sicherstellung des Führerscheins und die darauf folgende Zeit der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis derzeit nicht mehr als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen angesehen werden. Die Voraussetzungen des § 69 StGB sieht das Gericht nicht als gegeben an. Gleichwohl war zur Einwirkung auf den Angeklagten - zur Verhinderung zukünftiger Vorfälle dieser Art - ein Fahrverbot gemäß § 44 StGB für die Dauer von 2 Monaten zu verhängen. Dieses Fahrverbot ist bereits durch die Zeit der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis abgegolten.“

7

Eine die Fahrerlaubnisbehörde bindende Feststellung zur Fahreignung des Klägers hat das Amtsgericht danach nicht getroffen. Das Verwaltungsgericht hat in dem angefochtenen Urteil zu Recht ausgeführt, das Amtsgericht habe die Ungeeignetheit des Klägers nicht aufgrund einer umfänglichen Erkenntnisgrundlage verneint, sondern habe lediglich im Hinblick auf den Zeitablauf seit der Tat die Ungeeignetheit verneint und deshalb von einer Entziehung der Fahrerlaubnis abgesehen. Der Urteilsbegründung durch das Amtsgericht lasse sich nicht entnehmen, dass die Eignung des Klägers unabhängig vom Zeitablauf aufgrund einer Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit, wie sie in der Tat zum Ausdruck gekommen sei, beurteilt worden sei. Der Senat schließt sich dieser Beurteilung an und macht sie sich zu eigen (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Sie wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass das Amtsgericht gegen den Kläger ein Fahrverbot nach § 44 StGB verfügt hat. Allein dadurch ist nicht zum Ausdruck gekommen, dass das Amtsgericht die Fahreignung des Klägers in dem hier zu fordernden umfänglichen Rahmen beurteilt hat. Denn das Fahrverbot ist nach § 44 Abs. 1 Satz 2 StGB in der Regel anzuordnen, wenn in den Fällen einer Verurteilung nach § 315c Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, Abs. 3 oder - wie hier - § 316 die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 unterbleibt. Das gesetzliche Gebot des § 44 Abs. 1 Satz 2 StGB stellt nicht auf die Gründe ab, aus denen von der Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB abgesehen worden ist, sondern allein auf den Umstand, dass sie unterblieben ist (BGH, Beschl. v. 12.7.1979 - 4 StR 210/79 -, NJW 1980, 130). Eine umfassende Fahreignungsüberprüfung ist bei der Verhängung des Fahrverbots in einem solchen Fall nicht erforderlich. Vielmehr beschränkt sich die Prüfung des Strafgerichts auf die Frage, ob besondere Umstände ein Abweichen vom Regelfall der Anordnung rechtfertigen. Dies stellt aber keine umfassende Beurteilung der Fahreignung dar.

8

Der Einwand des Klägers, das Urteil des Amtsgerichts enthalte nur eine nach § 267 Abs. 4 StPO abgekürzte Begründung, ist unerheblich. Der Umfang der Bindungswirkung nach § 3 Abs. 4 StGB kann nur auf der Grundlage des Inhalts des strafgerichtlichen Urteils bestimmt werden, d.h. anhand der niedergelegten Urteilsgründe. Dies gilt auch dann, wenn das Strafgericht von der prozessualen Möglichkeit des § 267 Abs. 4 StPO Gebrauch macht und den Inhalt der Urteilsgründe nach seinem Ermessen abkürzt.

9

Die Berufung ist nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur dann zu, wenn sie in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht eine Frage aufwirft, die im Rechtsmittelzug entscheidungserheblich und fallübergreifender Klärung zugänglich ist sowie im Interesse der Rechtseinheit geklärt werden muss. Der Zulassungsantrag muss eine konkrete Frage aufwerfen, deren Entscheidungserheblichkeit erkennen lassen und (zumindest) einen Hinweis auf den Grund enthalten, der das Vorliegen der grundsätzlichen Bedeutung rechtfertigen soll (Meyer-Ladewig, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, aaO, RdNr. 30 zu § 124; Kopp/Schenke, aaO, RdNr. 10 zu § 124). Für die Darlegung reicht es aus, dass die aufgeworfene Grundsatzfrage rechtlich derart aufbereitet wird, wie dies nach Maßgabe der Begründung in der angegriffenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts erforderlich ist; Rechtsfragen, die in der Begründung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung keine Rolle gespielt haben, brauchen im Rahmen des Antrages auf Rechtsmittelzulassung nicht erörtert zu werden, um eine Entscheidungserheblichkeit darzulegen (BVerfG <1. Kammer des Zweiten Senats>, Beschl. v. 15.8.1994 - 2 BvR 719/93 -, NVwZ-Beil. 1994, 65 <66>). Diese Voraussetzungen sind dann nicht gegeben, wenn sich die Frage so, wie sie mit dem Antrag aufgeworfen worden ist, im Rechtsmittelverfahren nicht stellt, ferner dann nicht, wenn sich die Frage nach dem Gesetzeswortlaut ohne Weiteres eindeutig beantworten lässt (BVerwG, Beschl. v. 8.12.1985 - BVerwG 1 B 136.85 -, Buchholz 130 § 22 RuStAG, S. 2) oder sie in der Rechtsprechung - namentlich des Bundesverwaltungsgericht oder des erkennenden Senats - geklärt ist.

10

Diesen Anforderungen wird der Zulassungsantrag nicht gerecht. Die vom Kläger aufgeworfene Frage der Bindungswirkung von Strafurteilen nach § 4 Abs. 3 Satz 1 StVG (gemeint wohl: § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG) ist in der zuvor zitierten Rechtsprechung hinreichend geklärt. Welche über den Einzelfall hinaus relevante Frage rechtlicher oder tatsächlicher Art klärungsbedürftig sein soll, legt der Zulassungsantrag auch nicht konkret dar. Soweit der Kläger vorträgt, dass die Frage der Bindungswirkung in der Praxis immer wieder auf Schwierigkeiten stoße, ist dies eine Feststellung, die sich auf die Rechtsanwendung im Einzelfall bezieht. Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache wird dadurch nicht dargetan.