Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 18.08.2005, Az.: 2 LA 883/04
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 18.08.2005
- Aktenzeichen
- 2 LA 883/04
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 50879
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 11.12.2003 - AZ: 3 A 84/99
Tenor:
Der Antrag des Beklagten, die Berufung gegen das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 11. Dezember 2003 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Osnabrück - 3. Kammer, Einzelrichter - zuzulassen, wird abgelehnt.
Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für den zweiten Rechtszug auf 3.881,73 € festgesetzt.
Gründe
Der Antrag des Beklagten, die Berufung gegen das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 11. Dezember 2003 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen, in dem das Verwaltungsgericht den Beklagten verpflichtet hat, über den Antrag des Klägers auf Gewährung einer Mietbeihilfe nach § 7 a USG für die Dauer des von diesem abgeleisteten 13monatigen Zivildienstes erneut zu entscheiden, bleibt ohne Erfolg. Denn der allein von dem Beklagten geltend Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO greift nicht durch.
1.1. Die Zulassung der Berufung erfordert, dass einer der in § 124 Abs. 2 VwGO bezeichneten Zulassungsgründe eindeutig geltend gemacht und innerhalb der Antragsfrist aus sich heraus verständlich näher dargelegt (§ 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO) wird, dass und aus welchen Gründen dieser Zulassungsgrund vorliegen soll. An die Darlegung sind nicht geringe Anforderungen zu stellen (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 16.9.1997 - 12 L 3580/97 -, NdsVBl. 1997, 282 ; Bader, DÖV 1997, 442; ders., in: Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, VwGO, 3. Aufl. 2005, RdNrn. 77ff. zu § 124 a; Seibert, DVBl. 1997, 932; Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl. 2003, RdNr. 34 zu § 124 a). Die dem Revisionsrecht nachgebildete Darlegungspflicht bestimmt als selbständiges Zulässigkeitserfordernis den Prüfungsumfang des Rechtsmittelgerichts. Sie verlangt qualifizierte, ins Einzelne gehende, fallbezogene und aus sich heraus verständliche, auf den jeweiligen Zulassungsgrund bezogene und geordnete Ausführungen, die sich mit der angefochtenen Entscheidung auf der Grundlage einer eigenständigen Sichtung und Durchdringung des Prozessstoffes auseinandersetzen. Das bloße Benennen oder Geltendmachen eines Zulassungsgrundes genügt dem Darlegungserfordernis ebenso wenig wie eine bloße Wiederholung des erstinstanzlichen Vorbringens oder gar eine - ergänzende - Bezugnahme hierauf (vgl. Bader, NJW 1998, 409(410)). Insgesamt ist bei den Darlegungserfordernissen zu beachten, dass sie nicht in einer Weise ausgelegt und angewendet werden, welche die Beschreitung des eröffneten (Teil-)Rechtswegs in einer unzumutbaren, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert (BVerfG, 1. Kammer des Zweiten Senats, Beschl. v. 21.1.2000 – 2 BvR 2125/97 -, DVBl. 2000, 407).
Wird der Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (Bestehen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils) geltend gemacht, so ist für dessen Darlegung als Mindestvoraussetzung zu verlangen, dass geltend gemacht wird, dass die verwaltungsgerichtliche Entscheidung im Ergebnis unrichtig ist, und die Sachgründe hierfür bezeichnet und erläutert werden. Hiernach ist für die Darlegung hinreichend, dass sich ein Zulassungsantrag nicht darauf beschränkt, die Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung allgemein oder unter Wiederholung des erstinstanzlichen Vorbringens anzuzweifeln, sondern hinreichend fallbezogen und substantiiert (insoweit hängen die Darlegungsanforderungen auch von Art und Umfang der Begründung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung ab) auf die Erwägungen des Verwaltungsgerichts zu den für die Entscheidung maßgeblichen Rechts- und Tatsachenfragen eingeht, deren Unrichtigkeit mit zumindest vertretbaren, jedenfalls nicht unvertretbaren Erwägungen dartut und sich dazu verhält, dass und aus welchen Gründen die verwaltungsgerichtliche Entscheidung auf diesen - aus der Sicht des Rechtsmittelführers fehlerhaften - Erwägungen beruht. Ernstliche Zweifel i. S. des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen dann vor, wenn der Erfolg des Rechtsmittels (mindestens) ebenso wahrscheinlich ist wie der Misserfolg (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 18.1.1999 - 12 L 5431/98 - , NdsVBl. 1999, 93; Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: September 2004, RdNrn. 395 g, h zu § 80; Schenke, in: Kopp/Schenke, aaO, RdNr. 7 zu § 124). Hierbei reicht es aus, dass ein die Entscheidung des Verwaltungsgerichts tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, Beschl. v. 23.6.2000 – 1 BvR 830/00 - , DVBl. 2000, 1458(1459) = NdsVBl. 2000, 244(245) = NVwZ 2000, 1163).
1.2 Nach diesen Grundsätzen ist es dem Beklagten nicht gelungen, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils mit dem Argument zu wecken, ein wirksamer Mietvertrag, der Voraussetzung für die Gewährung einer Mietbeihilfe nach § 7 a USG ist, sei entgegen der Begründung des verwaltungsgerichtlichen Urteils zwischen dem Kläger und seinem Vater nicht geschlossen worden.
1.2.1 Soweit der Beklagte hierzu zunächst geltend macht, entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts sprächen ganz erhebliche Anhaltspunkte gegen die Annahme des Vorliegens eines wirksamen Mietvertrages, so dass es sich bei dem auf den 1. Mai 1997 datierten Mietvertrag um ein nichtiges Scheingeschäft i. S. des § 117 BGB handele, kann dies nicht zum Erfolg des Zulassungsantrages führen. Denn dem Beklagten ist es nicht gelungen, insoweit mit der Begründung seines Zulassungsantrages (Schriftsatz vom 25.3.2004) ernstliche Zweifel an der entgegenstehenden Würdigung dieses Vertrages in den Gründen des verwaltungsgerichtlichen Urteils zu wecken. Soweit der Beklagte meint, die Annahme, dass es sich bei dem Mietvertrag um ein Scheingeschäft handele, rechtfertige sich schon daraus, dass die Angaben der Zeugen B. und J. O., ihr Sohn, der Kläger, hätte die Mietwohnung verlassen müssen, wenn er die Miete nicht (mehr) habe aufbringen können, nicht der Wahrheit entsprechen könnten, weil der Kläger nach eigenen Angaben spätestens ab Februar 1999 keine Miete mehr gezahlt habe, gleichwohl aber bis Ende November 1999 in der Wohnung in der M.-straße 11 in E. habe weiter wohnen dürfen, ist dies nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils hervorzurufen, das den Mietvertrag vom 1. Mai 1997 als rechtswirksam zustande gekommen gewürdigt hat. Der Beklagte berücksichtigt bei seiner Argumentation nicht hinreichend, dass hier (für die Annahme eines Scheingeschäfts) zunächst geprüft werden muss, ob den im Mietvertrag vom 1. Mai 1997 bezeichneten Vertragsparteien bei Vertragsschluss der für einen wirksamen Vertrag erforderliche Rechtsbindungswille gefehlt hat (oder ob dies nicht der Fall gewesen ist). Nach diesem Datum (1. Mai 1997) liegende Ereignisse können daher für einen fehlenden Rechtsbindungswillen nur in beschränktem Umfang herangezogen werden, und zwar nur insofern, als sie den (zweifelsfreien) Schluss darauf zulassen, den (angeblichen) Vertragsparteien habe von Anfang an der Rechtsbindungswille gefehlt (so zu Recht das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Urteil - s. UA, Bl. 7). Für die Zeit des Vertragsschlusses selbst (im Mai 1997) und auch für die Zeit danach ist es aber ohne Bedeutung, dass die Eltern des Klägers und damit auch dessen Vater als Vermieter den Kläger in der Zeitspanne zwischen Februar und November 1999 weiter in der Wohnung haben wohnen lassen, auch wenn der Kläger (erst) ab Februar 1999 die Miete nicht mehr entrichtet hat. Aus diesem Verhalten der Eltern kann daher auf einen vorher nicht bestanden habenden Rechtsbindungswillen nicht geschlossen werden. Im Übrigen ist die von dem Verwaltungsgericht in den Gründen des angefochtenen Urteils hierzu zusätzlich angestellte Erwägung - die Eltern des Klägers hätten für die letzten 10 Monate des Zivildienstes des Klägers auf eine Kündigung mit Rücksicht auf die ohnehin bestehenden familiären Spannungen verzichtet - zumindest vertretbar und kann damit keine ernstlichen Richtigkeitszweifel hervorrufen, zumal die Eltern zumindest bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens (Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Weser-Ems vom 1. Juni 1999) hoffen (und daher von einer Kündigung Abstand nehmen) konnten, der Beklagte werde die Miete als Unterhaltssicherungsleistungen noch übernehmen müssen.
1.2.2 Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils lassen sich auch nicht daraus herleiten, dass die Zeugin O. angegeben hat, die im Verwaltungsverfahren vorgelegten Quittungen über vom Kläger erbrachte Mietzahlungen sowie die Aufstellung über verrechnete Arbeitsstunden seien erst im Nachhinein gefertigt worden; auch dieser Umstand ist entgegen der Ansicht des Beklagten nicht geeignet, die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, der Mietvertrag vom 1. Mai 1997 sei rechtswirksam zustande gekommen, (ernsthaft) in Zweifel zu ziehen. Wie das Verwaltungsgericht nachvollziehbar dargelegt hat, muss in diesem Zusammenhang zunächst berücksichtigt werden, dass die Zeugin diesen Umstand nicht etwa (zunächst) verschwiegen, sondern von sich aus in ihrer Zeugenaussage angesprochen hat, was in der Tat als Indiz für die Glaubhaftigkeit ihrer Aussage angeführt werden kann. Im Übrigen ist es durchaus nachvollziehbar, zumindest nicht ernstlich zweifelhaft, dass sich der Kläger und dessen Eltern erst durch die Hinweise des Beklagten in diesem Verfahren nach dem Unterhaltssicherungsgesetz veranlasst sahen, die vorher mündlich geschlossenen Nebenabreden über die von dem Kläger im Familienverband zu erbringenden Arbeitsleistungen und deren Verrechnung mit der aus dem Mietvertrag vom 1. Mai 1997 geschuldeten Miete schriftlich und damit auch für Dritte beweiskräftig in Gestalt von Mietquittungen und Stundenzetteln (nachträglich) zu fixieren.
1.3 Dem Beklagten ist es auch insoweit nicht gelungen, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils darzulegen, als er behauptet, es spräche eine tatsächliche Vermutung für eine Unwirksamkeit des Mietvertrages nach § 117 BGB, weil der Kläger nach seinen finanziellen Verhältnissen nicht in der Lage gewesen sei, die vereinbarte Miete ohne ergänzende Unterhaltszahlungen seiner Eltern aufzubringen. Auch insoweit muss sich der Beklagte wieder vorhalten lassen, dass für Umstände, die einen Schluss auf ein Scheingeschäft i. S. des § 117 BGB zulassen, maßgeblich auf die Verhältnisse bei Abschluss des Mietvertrages im Mai 1997 bzw. auf die sich unmittelbar anschließenden Monate abzustellen ist, nicht aber auf die Zeit des Zivildienstes des Klägers und erst recht nicht auf eine Zeitspanne (Februar bis November 1999), die über zwei Jahre nach dem Abschluss des Mietvertrages liegt. Im Frühjahr 1997 bestand aber kein Anlass zu der Annahme, der Kläger könne seiner Verpflichtung zur Zahlung der Miete (Mietzins und Nebenkosten) aus dem Mietvertrag vom 1. Mai 1997 nur mit Hilfe von Unterhaltsleistungen seiner Eltern nachkommen; denn zu diesem Zeitpunkt erbrachte der Kläger nicht nur – auf die Miete – verrechnete Arbeitsleistungen, sondern bezog auch – während des Besuchs der Fachoberschule Technik - BAföG-Leistungen in nicht geringer Höhe.
1.4 Schließlich kann die in § 3 des Mietvertrages vom 1. Mai 1997 vorgenommene Festlegung der Miete entgegen der Ansicht des Beklagten nicht als „eindeutiges Indiz“ für die Nichtigkeit des Mietvertrages angesehen werden. Allerdings lässt die zu den Verwaltungsvorgängen genommene Ablichtung des Mietvertrages erkennen, dass der Betrag des monatlichen Mietzinses („420,- DM“) und der Betrag der monatlich zu entrichtenden Gesamtmiete („590,- DM“) ziffernmäßig verändert worden sind. Diese Veränderungen lassen aber keine Rückschlüsse darauf zu, ob diese Veränderungen erst nachträglich – wie der Beklagte meint erst bei Stellung des Antrages auf Mietbeihilfe im Herbst 1998 – oder noch während des Vertragsabschlusses im Mai 1997 vorgenommen worden sind. Für die Annahme einer Abänderung noch während des Vertragsabschlusses (und damit gegen eine nachträgliche Manipulation) spricht, dass sich in § 3 des Mietvertrages gerade beim Mietzins ein Zusatz befindet, der die Herleitung der Summe (420 DM) plausibel macht, und zwar eine an der in § 1 Nr. 1 des Mietvertrages festgelegten Wohnfläche (59,47 qm) ausgerichtete Berechnung des Mietzinses. Legt man nämlich einen Quadratmeterpreis von 7 DM zugrunde („ca. 59,47 x 7,-„), so ergibt sich ein Mietzins von 416,29 DM, der in etwa dem vereinbarten Mietzins von 420 DM entspricht. Dass ein Mietzins von 7 DM pro Quadratmeter zum damaligen Zeitpunkt für die Wohnung M.-straße 11 in E. völlig überhöht und damit die Vereinbarung in § 3 des Mietvertrages eindeutig manipuliert gewesen sein soll, wird aber von dem Beklagten nicht behauptet, geschweige denn dargelegt.