Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 04.12.2002, Az.: 12 K 223/99
Berufliche Veranlassung von Umzugskosten bei einer arbeitstäglich mindestens einstündigen Fahrzeitersparnis
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 04.12.2002
- Aktenzeichen
- 12 K 223/99
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 14041
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2002:1204.12K223.99.0A
Rechtsgrundlage
- § 9 Abs. 1 S. 1 EStG
Fundstellen
- EFG 2003, 839-840 (Volltext mit red. LS)
- NWB 2003, 2234
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Eine berufliche Veranlassung für einen Umzug ist zu bejahen, wenn der erforderliche Zeitaufwand für den Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte sich täglich um mindestens eine Stunde vermindert.
- 2.
Dem Gesichtspunkt der mindestens einstündigen Fahrzeitersparnis ist ein solches Gewicht beizumessen, dass private Motive im Rahmen des § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG generell in den Hintergrund treten.
- 3.
Wird die erforderliche Wegezeitersparnis von täglich einer Stunde nicht an allen Arbeitstagen erreicht, spricht das gegen die berufliche Veranlassung der Umzugskosten.
Tatbestand
Streitig ist die Abzugsfähigkeit von Umzugskosten als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit.
Die Kläger sind Ehegatten, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. Im Streitjahr 1997 bewohnten sie bis zum 30.04. eine Mietwohnung in Itzum. Am 01.05.1997 verlegten sie ihren Wohnsitz nach Giesen. Der Kläger war während des gesamten Kalenderjahres 1997 in Hannover beschäftigt. Er benutzte für die Fahrten von seiner Wohnung zur Arbeitsstätte seinen eigenen Pkw. In der Einkommensteuererklärung beantragte der Kläger, die Aufwendungen für den Umzug in Höhe von 11.528,00 DM als Werbungskosten bei seinen Einkünften steuermindernd zu berücksichtigen. Im Einkommensteuerbescheid vom 30.09.1998 erkannte das beklagte Finanzamt die Umzugskosten nicht als Werbungskosten an. Hiergegen wendeten sich die Kläger mit ihrem Einspruch vom 04.10.1998. Dieser Einspruch blieb jedoch erfolglos. Mit der vorliegenden Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren aus dem Einspruchsverfahren weiter.
Zur Begründung tragen sie Folgendes vor: Anfang 1997 habe der ehemalige Vermieter Eigenbedarf geltend gemacht. Wegen der räumlichen und verkehrsgünstigen Anbindung zur Arbeitsstätte in Hannover hätten sich die Kläger für einen Umzug nach Giesen entschieden. Dieser Umzug sei ausschließlich beruflich veranlasst gewesen, da sich hierdurch die Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte von 44 bzw. 52 km auf 29 km verkürzt habe. Hinsichtlich der Fahrt von Itzum nach Hannover habe der Kläger unregelmäßig je nach Verkehrssituation zwei verschiedene Fahrstrecken benutzt:
1. Fahrstrecke:
Itzum, Goldene Hufe
Senator-Braun-Allee
Berliner Straße
A 7
Hannover-Anderten
Südschnellweg
Hildesheimer Straße
Hannover, Im Haspelfeld.
2. Fahrstrecke:
Itzum, Goldene Hufe
Heinde
Autobahnauffahrt, Hildesheimer Börde
A 7
Hannover-Anderten
Südschnellweg
Hildesheimer Straße
Hannover, Im Haspelfeld.
Die tägliche Zeitersparnis betrage mehr als eine Stunde. Sie resultiere daraus, dass bei der bisherigen täglichen Fahrstrecke von Itzum nach Hannover ein Anteil von 10 km auf den Stadtverkehr in Hildesheim entfalle. Gerade diese ersten 10 km hätten dazu beigetragen, dass für die Einfachfahrt (Hinfahrt) der Zeitaufwand aus den Erfahrungen der Vergangenheit ca. 50 - 70 Minuten betragen habe. Wegen der günstigeren Straßenführung sei der Zeitbedarf auf der Rückfahrt etwas günstiger. Die Fahrt von Giesen nach Hannover habe hingegen nicht mehr die Probleme des städtischen Verkehrs. Aufgrund der sehr günstigen Verkehrsanbindung von Giesen nach Hannover werde grundsätzlich nur eine reine Fahrzeit von ca. 20 - 25 Minuten für die einfache Fahrt benötigt.
Die vom Beklagten zugrunde gelegte Durchschnittsgeschwindigkeit von ca. 50 km/h sei gerade für den innerstädtischen Verkehr zur sog. Rush Hour völlig unrealistisch. Bei dem Arbeitgeber des Klägers, der Hannoverischen landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft, betrage die gleitende Arbeitszeit zwischen 6.30 und 8.30 Uhr und zum Arbeitszeitende zwischen 15.00 und 18.00 Uhr. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass die Fahrstrecke nach Hildesheim hinein bzw. durch Hildesheim hindurch auf einer einspurigen und bisher nicht ausgebauten Strecke der Marienburger Straße verlaufe. In dem Bereich dieser Straße befänden sich eine Vielzahl von Lichtzeichenanlagen für den Querverkehr sowie den Fußgängerverkehr. Für den Kläger stelle die Wegzeitverkürzung, insbesondere das Ersparen des Durchfahrens einer ganzen Großstadt wie Hildesheim jeden Morgen und jeden Abend eine merkliche Erleichterung dar. Zu berücksichtigen sei, dass der neue Wohnort in Giesen über den Messeschnellweg eine sehr kurze Anbindung an den südlichen Bereich von Hannover habe.
Die Fahrzeitverkürzung habe sich nach dem regelmäßigen Arbeitstag zu richten und nicht nach den Daten eines sog. Routenplaners, der die unterschiedliche Belastung der Verkehrswege am Wochenende oder an Feiertagen und innerhalb der Tageszeit werktäglich völlig außer Acht lasse und vielmehr eine durchschnittliche innerörtliche Geschwindigkeit von vielleicht 30 oder 40 km zugrunde lege.
Die Kläger beantragen,
den Einkommensteuerbescheid 1997 vom 30.09.1998 in der Fassung des Einspruchsbescheides vom 22.03.1999 abzuändern und die Einkommensteuer auf 14.886,00 DM herabzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist der Auffassung, der Umzug sei nicht beruflich veranlasst, da sich durch den Wechsel der Familienwohnung die Fahrzeit für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nicht wesentlich verkürzt habe. Als wesentliche Verkürzung der Wegezeit sei eine Fahrzeitersparnis von einer Stunde arbeitstäglich notwendig. Diese Fahrzeitersparnis sei im Streitfall nicht festzustellen. Zunächst errechne der Routenplaner für verschiedene Streckenverläufe zwischen Itzum und Hannover, Haspelfeld, einen Fahrzeit für die einfache Fahrt zwischen 27 und 36 Minuten. Die Fahrstreckenverkürzung betrage unter Berücksichtigung der Fahrstrecke des Klägers je nach Fahrstrecke arbeitstäglich 15 bzw. 23 km. Unter Berücksichtigung einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 50 km/h sei hier von folgenden Wegezeiten auszugehen:
Fahrstrecke 44 km: ca. 50 Minuten, Fahrstrecke 52 km: ca. 60 Minuten, Fahrstrecke 29 km. ca. 35 Minuten.
Entgegen der Auffassung der Kläger könnten die Zeiten, die sich aus einem Routenplaner ergeben, als Anhaltspunkte für die Berechnung der Fahrzeitverkürzung einbezogen werden. Dies gelte in diesem Fall insbesondere deshalb, weil sich die errechnete Fahrzeit für die Strecke Giesen - Hannover lt. Routenplaner exakt mit der vom Kläger im Vorverfahren (Schreiben vom 14.02.1999) angegebenen Zeit von 25 Minuten deckte. Wenn insofern von dem Programm die exakte Zeit errechnet werde, könne davon ausgegangen werden, dass die zeitlichen Angaben auch für die andere Strecke zuträfen. Im Übrigen gehe der Kläger bei seiner Argumentation von extremen Verkehrsverhältnissen aus, die auf wenige Tage im Jahr zuträfen, allerdings keinesfalls die durchschnittliche Fahrzeit widerspiegelten.
Gründe
Die Klage ist unbegründet.
Das beklagte Finanzamt hat zu Recht die streitigen Umzugskosten nicht als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit anerkannt (§§ 9 Abs. 1 Satz 1, 19 EStG).
Nach der Rechtsprechung des BFH sind Werbungskosten alle Aufwendungen, die durch den Beruf des Steuerpflichtigen veranlasst sind. Dazu können auch Umzugskosten gehören (zuletzt BFH-Urteil vom 24. Mai 2000 VI R 147/99, BFHE 191, 561, BStBl II 2000, 476, m.w.N.). Voraussetzung dafür ist, dass der Umzug nahezu ausschließlich beruflich veranlasst ist, private Gründe also eine allenfalls ganz untergeordnete Rolle spielen (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 16. Oktober 1992 VI R 132/88, BFHE 170, 484 [BFH 16.03.1993 - V R 65/89], BStBl II 1993, 610; vom 28. April 1988 IV R 42/86, BFHE 153, 357, BStBl II 1988, 777).
Eine derartige berufliche Veranlassung hat der BFH z.B. anerkannt, wenn der Umzug aus Anlass eines Arbeitsplatzwechsels erfolgen musste oder wenn - auch ohne berufliche Veränderung - durch den Umzug der erforderliche Zeitaufwand für den Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte wesentlich vermindert worden ist. Als wesentliche Verkürzung der Wegezeit hat er dabei eine Ersparnis von mindestens einer Stunde täglich angesehen (vgl. BFH-Beschluss vom 11. September 1998 VI B 208/98, BFH/NV 1999, 178; Urteile in BFHE 178, 345, BStBl II 1995, 728 [BFH 27.07.1995 - VI R 17/95]; in BFHE 170, 484 [BFH 16.03.1993 - V R 65/89], BStBl II 1993, 610 [BFH 16.10.1992 - VI R 132/88]).
Das Abstellen auf eine Fahrzeitersparnis von mindestens einer Stunde zielt einerseits darauf ab, einen solchen Umzug zumindest ähnlich wie einen Umzug anlässlich eines Arbeitsplatzwechsels zu behandeln. Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass eine in Aussicht stehende mindestens einstündige Fahrzeitersparnis nach der Lebenserfahrung für viele Arbeitnehmer so bedeutsam ist, dass sie einen Umzug näher an den Arbeitsplatz ernsthaft in Erwägung ziehen (vgl. von Bornhaupt in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 9 Rdnr. B 601). Dem Gesichtspunkt der mindestens einstündigen Fahrzeitersparnis kann deshalb ein solches Gewicht beigemessen werden, dass private Motive im Rahmen des § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG generell in den Hintergrund treten.
Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechungsgrundsätze, denen der Senat folgt, kommt ein Werbungskostenabzug der Umzugskosten nicht in Betracht. Nach Würdigung aller Umstände des Streitfalls ist der Senat der Überzeugung, dass der Umzug nicht nahezu ausschließlich beruflich veranlasst ist.
Das von den Kläger eingeräumte private Motiv für den Umzug, die Eigenbedarfskündigung ihres Vermieters, tritt vorliegend nicht in den Hintergrund, da schon nach dem Vortrag des Klägers eine Fahrzeitverkürzung von mindestens einer Stunde arbeitstäglich nicht festzustellen ist.
Nach dem Vorbringen des Klägers in der mündlichen Verhandlung benötigte er für die von ihm benutzten Fahrstrecken zwischen Itzum und Hannover zwischen 50 und 70 Minuten und für die Rückfahrt etwas weniger. Seinen Angaben zufolge beträgt die Fahrzeit für die Strecke Giesen - Hannover 20 bis 25 Minuten. Selbst bei Unterstellen der Richtigkeit dieser Angaben, denen keine Aufzeichnungen zugrunde liegen und nur auf den Erfahrungen der Klägers aus der Vergangenheit beruhen, kann eine arbeitstägliche Fahrzeitverkürzung von mindestens einer Stunde nicht genommen werden.
Bei Ansatz einer Fahrzeitersparnis von nur 5 Minuten auf der Rückfahrt betrug die tägliche Wegezeit für die Gesamtstrecke Itzum - Hannover - Itzum zwischen 95 und 135 Minuten. Für die Strecke Giesen - Hannover - Giesen ergibt sich eine Wegezeit von insgesamt 40 bis 50 Minuten. Damit liegt die arbeitstägliche Fahrzeitersparnis nach den Angaben des Klägers nur zwischen 45 und 95 Minuten. Dem Kläger ist zwar zuzugeben, dass zumindest an einigen Arbeitstagen die erforderliche Wegezeitersparnis erreicht wird. Es steht jedoch nicht fest, dass dies - wie die Rechtsprechung es fordert - arbeitstäglich der Fall ist.
In Rahmen der Gesamtwürdigung hat der Senat darüber hinaus für bedeutsam erachtet, dass der Kläger keine regelmäßige Strecke zwischen Itzum und Hannover gefahren ist und im Rahmen der gleitenden Arbeitszeit den Zeitpunkt insbesondere der Rückfahrt flexibel - abhängig vom günstigsten Verkehrsaufkommen - bestimmen konnte. Als weiteres Indiz sprechen auch die verschiedenen vom Beklagten durchgeführten Berechnungen des Routenplaners, die deutlich unterhalb der Angaben des Klägers liegen, gegen eine mindestens einstündige arbeitstägliche Fahrzeitersparnis.
Da schon nach den Angaben des Klägers eine mindestens einstündige arbeitstägliche Wegezeitersparnis nicht festzustellen ist, hat das Gericht von einer durch die Klägerseite angeregte Beauftragung eines Gutachters abgesehen.
Verbleibende Zweifel gehen zu Lasten der Kläger, die die Beweislast (Feststellungslast) tragen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).