Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 08.05.2003, Az.: 2 A 61/02

Baugenehmigung; Gebot der Rücksichtsnahme; Geländeoberfläche; gewachsene Geländeoberfläche; Höhe der Geländeoberfläche; Nachbarschutz

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
08.05.2003
Aktenzeichen
2 A 61/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 48082
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tatbestand:

1

Die Klägerin wendet sich gegen ihren Nachbarn erteilte Baugenehmigungen.

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Die Klägerin ist Eigentümerin des im unbeplanten Innenbereich von F. gelegenen und mit einem Wohnhaus bebauten Flurstücks G. der Flur H. in der Gemarkung I.. Die Beigeladenen erhielten für das südwestlich angrenzende Hinterliegergrundstück (Flurstück J.) am 28. Dezember 2000 eine Baugenehmigung für eine Doppelwohnhaushälfte und einen Carport sowie am 26. Juni 2001 eine Baugenehmigung für die Errichtung eines Garagengebäudes mit Abstellraum. Gegen beide Baugenehmigungen, die ihr nicht zugestellt worden waren, legte die Klägerin am 9. August 2001 Widerspruch ein. Zur Begründung führte sie aus, dass die Beigeladenen für die Errichtung ihres Einfamilienhauses eine Aufschüttung auf dem Baugrundstück vorgenommen hätten. Diese verfolge allein den Zweck, die Geländeoberfläche anzuheben und dadurch die Wandhöhe künstlich zu verringern. Aus den beigefügten Fotos ergebe sich deutlich das Maß der Aufschüttung und der Bau einer erheblichen Mauer. Wegen der Aufschüttung hielten die zugelassenen Vorhaben die vorgeschriebenen Höhen für das Grundstück nicht ein, so dass eine unerträgliche Beeinträchtigung ihrer Wohnsituation entstehe. Die Genehmigungsunterlagen entsprächen nicht den tatsächlichen Gegebenheiten. Insbesondere sei die Geländeoberfläche fehlerhaft aufgenommen worden. Die zugelassenen Bauten begännen erheblich oberhalb der gewachsenen Bodenfläche.

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Die Beklagte führte daraufhin eine Ortsbesichtigung durch und nahm die Geländemaße auf. Mit Schreiben vom 22. Dezember 2001 teilte sie der Klägerin mit, dass die Vermessung ergeben habe, dass es sich um ein ansteigendes Gelände mit einem Höhenunterschied von 2,85 m handele. Zur Verdeutlichung sei ein Vermessungsplan als Anlage beigefügt. Auch aus der Liegenschaftskarte sei der Höhenunterschied ersichtlich. Die gewachsene Geländeoberfläche entspreche dem Gefälle des Baugrundstücks der Beigeladenen. Durch die Bauherren sei somit keine Aufschüttung vorgenommen worden, die nicht mit der gewachsenen Geländeoberfläche übereinstimme. Die Oberkante der errichteten Stützmauer an der Grundstücksgrenze sei demnach die Geländeoberfläche. Von diesem Punkt aus überschreite die Garage nicht die zulässige Höhe von 3 m. Die Errichtung der Stützmauer sei baugenehmigungsfrei, da sie nicht eine Höhe von 1,50 m über der Geländeoberfläche übersteige.

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Nachdem die Klägerin erklärt hatte, dass sie das Widerspruchsverfahren fortsetzen wolle, wies die Bezirksregierung Lüneburg mit Bescheid vom 29. Januar 2002 den Widerspruch gegen die Baugenehmigung vom 26. Juni 2001 zurück. Eine Entscheidung über den Widerspruch gegen die Baugenehmigung vom 28. Dezember 2000 ist nach Aktenlage bisher nicht ergangen. Zur Begründung führte die Bezirksregierung Lüneburg im Einzelnen aus, dass das Garagenbauwerk die zulässige Höhe von 3 m nicht überschreite. Eine Messung der Beklagten habe ergeben, dass das Gelände ansteigend sei und dass eine Aufschüttungen durch die Bauherren nicht habe festgestellt werden können. Soweit gerügt werde, dass die tatsächliche Bauausführung nicht der Genehmigung entspreche, sondern dass ungenehmigte Aufschüttungen vorgenommen und der Grenzabstand unterschritten worden sei, berühre dieses nicht den Bestand und die Rechtmäßigkeit der erteilten Baugenehmigung.

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Am 1. März 2002 hat die Klägerin gegen die Baugenehmigung vom 26. Juni 2001 und den hierzu ergangenen Widerspruchsbescheid Klage erhoben. Zur Begründung führte sie aus, dass sie ihr Grundstück 1997 erworben habe. Das benachbarte Grundstück der Beigeladenen sei zu diesem Zeitpunkt etwa 1,30 m höher gewesen. Allerdings habe der nunmehr verstorbene frühere Nachbar durch jahrelanges Einbringen von Schweinemist eine Erhöhung des Geländes verursacht. Bei der Bebauung des Grundstücks seien erhebliche Aufschüttungen vorgenommen worden. Die ursprünglich vorhandene Hanglage sei beseitigt worden, um eine Doppelhausbebauung zu ermöglichen. Zur Befestigung der Aufschüttung sei eine Betonsteinmauer direkt auf der Grundstücksgrenze errichtet worden, die eine Höhe von etwa 1,40 m bis 1,50 m habe. Sollte der Carport errichtet werden und eine Höhe von etwa 2 m einhalten, so ergebe sich dann eine Wand, die insgesamt eine Höhe von ca. 3,50 m gemessen vom Grundstücksboden aus habe. Die Gesamthöhe des Bauwerks inklusive der Aufschüttung sei in den Bauunterlagen nicht korrekt dargestellt worden. Sie weiche erheblich von der tatsächlichen Geländeoberfläche ab. Ihr Grundstück werde durch diese Baugenehmigung übermäßig belastet. Es sei eine unerträgliche Beeinträchtigung der Wohnsituation eingetreten.

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Die Klägerin beantragt,

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den Bescheid der Beklagten vom 26. Juni 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Lüneburg vom 29. Januar 2002 aufzuheben.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Die gewachsene Geländeoberfläche sei die des Baugrundstücks und nicht die des Grundstücks der Klägerin. Dass keine erhebliche Aufschüttung des Baugrundstücks stattgefunden habe, ergebe sich bereits daraus, dass nach den eigenen Ausführungen der Klägerin das Grundstück der Beigeladenen im Jahre 1997 etwa 1,30 m höher gewesen sei als ihr eigenes. Unstrittig sei, dass die Mauer selbst eine Höhe von etwa 1,40 m bis 1,50 m einhalte. Da der südlich der Mauer liegende Teil des Baugrundstücks etwas tiefer liege als die Oberkante der Mauer, ergebe sich bereits daraus, dass keine erhebliche Bodenaufschüttung vorgenommen worden sein könne.

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Die Beigeladenen haben schriftsätzlich beantragt

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die Klage abzuweisen.

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Sie verteidigen die ihnen erteilte Baugenehmigung. Das Höhenniveau ihres Grundstücks sei seit 1997 nicht verändert worden.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die vorgelegten Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin wird durch die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung nicht in ihren nachbargeschützten Rechten verletzt.

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Das Gericht kann die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung und den hierzu ergangenen Widerspruchsbescheid nur dann aufheben, wenn der Nachbar dadurch in seinen Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Aufgrund eines von einem Nachbarn eingelegten Rechtsbehelfs ist die dem Bauherrn erteilte Genehmigung also nicht umfassend auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen, sondern lediglich darauf, ob eine Verletzung von nachbarschützenden Rechten festzustellen ist. Das ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Durch das Vorhaben der Beigeladenen wird die Klägerin nicht in ihren subjektiv geschützten Nachbarrechten verletzt.

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Gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist ein Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Nachbarschutz wird bei einer solcherart definierten Innenbereichslage nur durch das baurechtliche Gebot der Rücksichtnahme vermittelt, welches Bestandteil des Tatbestandsmerkmals des „Einfügens“ in § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist.

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Gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 3 NBauO sind auf einem Baugrundstück jeweils ein sonstiges Gebäude ohne Feuerstätten und Aufenthaltsräume ohne Grenzabstand oder mit einem bis auf 1 m verringerten Grenzabstand zulässig. Soweit die in Satz 1 genannten Gebäude den Grenzabstand nach § 7 unterschreiten, darf

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1. ihre Grundfläche im Fall der Nummer 3 höchstens 15 m2 betragen,

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2. ihre Gesamtlänge an keiner Grenze größer als 9 m sein und

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ihre Höhe 3 m nicht übersteigen.

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Dass die Maße für Fläche und Länge von dem genehmigten Garagengebäude eingehalten werden, ist unter den Beteiligten unstreitig. Strittig ist allein, ob die Höhe überschritten wird.

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Die nach den §§ 7 bis 12 a NBauO maßgebliche Höhe der Geländeoberfläche ist die der gewachsenen Geländeoberfläche. Eine Veränderung dieser Geländeoberfläche durch Abgrabungen ist zu berücksichtigen, eine Veränderung durch Aufschüttung dagegen nur, wenn die Geländeoberfläche dadurch an die vorhandene oder genehmigte Geländeoberfläche des Nachbargrundstücks angeglichen wird (§ 16 Abs. 1 NBauO). Gemäß Absatz 2 setzt die Bauaufsichtsbehörde die Höhe der Geländeoberfläche fest, soweit dies erforderlich ist. Dabei kann sie unter Würdigung nachbarlicher Belange den Anschluss an die Verkehrsfläche und die Abwasserbeseitigungsanlagen sowie Aufschüttungen berücksichtigen, die wegen des vorhandenen Geländeverlaufs gerechtfertigt sind. Im Ergebnis ist festzustellen, dass maßgeblich nicht die Geländeoberfläche ist, wie sie nach Errichtung des genehmigten Bauvorhabens sich dem Betrachter darstellen wird - zum Beispiel durch Aufschüttungen oder Abgrabungen -, sondern die Geländeoberfläche, wie sie in der Landschaft vor der Bebauung vorgefunden wird. Das bedeutet, dass die Baugenehmigungsbehörde zum maßgeblichen Zeitpunkt der Genehmigung des Vorhabens feststellen muss, wie sich die Geländeverhältnisse darstellen. Ist eine Höhenfestsetzung zu diesem Zeitpunkt unterblieben, ist auch eine nachträgliche Festsetzung gerechtfertigt, wenn sie zur Ausräumung eines Rechtsverstoßes durchgeführt wird (Große-Suchsdorf/ Lindorf/ Schmaltz/ Wiechert, Nds. Bauordnung, Komm., 7. Aufl. 2002, § 16 Rdn. 13 ff).

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So ist vorliegend von der Beklagten verfahren worden. Bei Erteilung der angefochtenen Genehmigung ist eine Höhenfestsetzung unterblieben, weil sie nicht für erforderlich gehalten wurde. Aufgrund des Widerspruchs der Klägerin gegen die erteilte Baugenehmigung hat die Beklagte am 4. Oktober 2001 eine Höhenvermessung durch eine Vermessungsingenieurin der Planungsabteilung vorgenommen und ist dabei zu dem Ergebnis gekommen, dass das Gelände von dem Schachtdeckel in der Straße bis zur Stützmauer um 2,85 m ansteigt. Dabei handle es sich um ein natürlich ansteigendes Gelände, das Gefälle sei nicht durch künstliche Aufschüttungen entstanden. Diesen tatsächlichen Feststellungen der Beklagten ist die Klägerin schriftsätzlich nicht substantiiert entgegengetreten. Die Ausführungen ihrer Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung, sie - die Klägerin - habe selbst eine Vermessung vorgenommen, diese allerdings aus Kostengründen nicht dokumentiert, vermag das Ergebnis einer fachamtlichen Stellungnahme nicht ernsthaft in Frage zu stellen, zumal die Prozessbevollmächtigte in ihrem Klagebegründungsschriftsatz vom 29. August 2002 selbst angegeben hat, dass das Grundstück der Beigeladenen 1997 bereits 1,30 m höher war. Dieser Höhenunterschied entspricht in etwa der Höhe der Stützmauer. Ausgehend von diesen maßgeblichen Höhenangaben hält der Carport die nach § 12 Abs. 1 NBauO zulässige Höhe von 3 m unproblematisch ein. Bei dieser Sachlage bedurfte es auch nicht der Durchführung eines Ortstermins, den die Prozessbevollmächtigte der Klägerin erstmals - ohne dass neue Erkenntnisse eingeführt worden wären - in der mündlichen Verhandlung beantragt hat.

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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO. Gründe für die Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht liegen nicht vor (§ 124a Abs. 1 iVm § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO).