Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 21.05.2003, Az.: 1 A 153/01

arbeitsmarktpolitisches Interesse; Aufenthaltsbeendigung; Auflage; Ausländer; Duldung; Ermessen; Ermessensbetätigung; Ersatzpapier; Erwerbstätigkeit; Erwerbstätigkeitsauflage; Erwerbstätigkeitsverbot; Interessenabwägung; Nebenbestimmung; Passersatzpapier

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
21.05.2003
Aktenzeichen
1 A 153/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 48379
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Grundsätzlich kann eine Duldung auf der Grundlage einer Interessenabwägung mit dem Verbot der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit verbunden werden (§ 56 Abs. 3 S. 3 AuslG).

2. Eine ermessensgerechte Abwägung der beteiligten Interessen verlangt allerdings, dass die Ursachen und Gründe der Passlosigkeit eines kooperativen Ausländers sachgerecht berücksichtigt werden.

3. Eine mangelhafte Kooperation der pakistanischen Auslandsvertretung kann nicht dem Ausländer angelastet werden.

Tatbestand:

1

Der Kläger wendet sich gegen ein ihm vom Beklagten in der Duldung auferlegtes Erwerbstätigkeitsverbot.

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Der nach seinen Angaben am 23. April 1966 in Pakistan geborene Kläger ist pakistanischer Staatsangehöriger. Er reiste im Mai 1993 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte einen Asylantrag. Mit Bescheid vom 8. Juni 1993 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Asylantrag des Klägers ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen der §§ 51 Abs. 1 und 53 AuslG nicht vorliegen. Die hiergegen erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht Lüneburg mit rechtskräftigem Urteil vom 8. Januar 1996 - 2 A 635/93 - ab. Einen daraufhin vom Kläger gestellten Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens lehnte das Bundesamt mit Bescheid vom 24. Juni 1996 ab. Ein Antrag des Klägers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes blieb erfolglos (vgl. VG Lüneburg, Beschl. v. 24.7.1996 - 2 B 322/96 -); mit rechtskräftigem Urteil vom 22. März 1999 wies das Verwaltungsgericht Lüneburg - 1 A 597/97 - die Klage des Klägers ab.

3

In der Folgezeit erteilte der Beklagte dem Kläger jeweils befristete Duldungen. In den Nebenbestimmungen war zunächst u.a. festgelegt, dass Erwerbstätigkeit nur mit gültiger Arbeitserlaubnis gestattet und Wohnsitz in der Samtgemeinde Elbmarsch zu nehmen sei. Zweck der Erteilung der Duldungen war jeweils die Ausweisbeschaffung. Die Bemühungen, Ausreisepapiere durch das pakistanische Konsulat zu bekommen, blieben jedoch bislang erfolglos. Seit dem 7. Februar 1995 arbeitete der Kläger für einige Jahre und bezog nach seinen Angaben keine Sozialhilfe mehr, seit Juli 1998 erhielt er Arbeitslosenhilfe. Zur Zeit erhält er Hilfe zum Lebensunterhalt.

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Mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 30. Januar 1998 beantragte er die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 3 AuslG. Zugleich wies er darauf hin, er sei tatsächlich am 23. April 1966, und nicht wie aufgrund eines Übersetzungsfehlers beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in dem Duldungsausweis angegeben am 2. Februar 1962, geboren.

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Unter dem 14. September 1999 verlängerte der Beklagte die Duldung des Klägers, nunmehr allerdings erstmals - und seitdem fortlaufend - mit der Nebenbestimmung, dass Erwerbstätigkeit nicht gestattet sei.

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Am 28. Februar 2000 beantragte der Kläger die Aufhebung der mit seiner Duldung erteilten Auflage des Verbotes der Erwerbstätigkeit. Nach dem niedersächsischen Erlass vom 7. Oktober 1998 sei die Passlosigkeit nicht vom Ausländer zu vertreten, sobald er alles Erforderliche für eine Ausstellung oder Verlängerung des Identitätspapieres getan habe. Er sei seiner Mitwirkungspflicht bezüglich der Beschaffung eines Passersatzpapieres hinreichend nachgekommen. Er habe mehrfach persönlich bei der Botschaft nachgefragt. Die Botschaft habe aber trotz mehrfacher Erinnerung noch immer nicht auf seinen Antrag auf ein Passersatzpapier reagiert. Mithin habe er die Nichtausstellung nicht zu vertreten.

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Mit Bescheid vom 29. März 2000 lehnte der Beklagte diesen Antrag ab. Die Beschränkung der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit sei nach § 56 Abs. 3 AuslG gerechtfertigt. Nach § 284 Abs. 5 SGB III dürfe einem Ausländer eine Arbeitsgenehmigung nur erteilt werden, wenn er eine Aufenthaltsgenehmigung nach § 50 AuslG besitze, soweit nicht durch Rechtsverordnung etwas anderes bestimmt sei. Nach § 5 Nr. 5 der Verordnung über die Arbeitsgenehmigung für ausländische Arbeitnehmer (Arbeitsgenehmigungsverordnung - ArGV) könne die Arbeitsgenehmigung abweichend von § 284 Abs. 5 SGB III erteilt werden, wenn der Ausländer eine Duldung besitze, es sei denn, er habe sich in das Inland begeben, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen, oder bei diesem Ausländer könnten aus von ihm zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden. Letzteres sei beim Kläger der Fall. Er sei ohne Pass eingereist und aus diesem Grunde könne eine Abschiebung nicht erfolgen. Die Tatsache, dass der Kläger Anträge auf ein pakistanisches Passersatzpapier ausgefüllt und mehrfach bei der pakistanischen Botschaft vorgesprochen habe, stehe dem nicht entgegen. Da der Kläger keinerlei Identitätsnachweise aus Pakistan vorgelegt habe, sei nicht nachvollziehbar, ob er die richtigen Personalien angegeben habe. Wenn er falsche Personalien angegeben haben sollte, könne die pakistanische Botschaft ohnehin kein Passersatzpapier ausstellen. Der Sinn der Regelung des § 5 Nr. 5 ArGV sei, Personen, die aufenthaltsbeendende Maßnahmen verzögerten, indem sie ohne Pass einreisten oder an der Beschaffung von Passersatzpapieren nicht mitwirkten, nicht noch für die Zeit dieses ungenehmigten Aufenthaltes in den Genuss von Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten kommen zu lassen. Dies würde dazu führen, dass auch weiterhin Ausländer ohne gültigen Heimatpass einreisten oder an der Beschaffung von Passersatzpapieren nicht mitwirkten. Dieser Gesichtspunkt sei auch bei der Entscheidung relevant, ob die Ausländerbehörde durch eine entsprechende Auflage eine Arbeitsaufnahme untersage.

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Hiergegen legte der Kläger Widerspruch mit der Begründung ein, er habe sich stets kooperativ gezeigt. Seine Eltern seien in Pakistan zwischenzeitlich verstorben, so dass auch von dort keine neuen Papiere zu erwarten seien. Er sei unverschuldet in die jetzige Lage geraten. Die Auflage belaste ihn auch unverhältnismäßig, da er hierdurch zu einem Sozialfall werde.

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Mit Verfügung vom 6. Oktober 2000 sandte die Bezirksregierung Lüneburg den Vorgang, den der Beklagte an diese zur Entscheidung abgegeben hatte, an den Beklagten mit der Bitte um erneute Überprüfung unter Berücksichtigung der dargelegten Rechtsansicht zurück.

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Nachdem der Beklagte mit der Bezirksregierung Lüneburg in dieser Frage weiter korrespondiert und den Vorgang an diese zurückgegeben hatte, wies diese den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 18. April 2001 - zugestellt am 19. April 2001 - als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen an: Der Kläger habe keinen Anspruch auf Streichung der Auflage. Eine Abschiebung des Klägers sei nicht möglich, da er ohne Pass eingereist sei. Hier bestehe die Möglichkeit, über die pakistanische Botschaft Passersatzpapiere zu beschaffen. Der Kläger habe dies zwar versucht, dies sei aber erfolglos geblieben. Es sei ihm aber möglich gewesen, über seine Eltern die erforderlichen Schriftstücke zu fordern. Auch sei die Möglichkeit gegeben gewesen, über seinen Bruder, der nach seinen Angaben in Offenbach ein Asylverfahren betrieben habe, Nachweise über seine Identität beizubringen. Dies sei jedoch offenbar nicht geschehen. Die Identität des Klägers sei damit nicht nachweisbar. Die Tatsache, dass er keinerlei Dokumente vorlegen könne, die in irgendeiner Weise seine Identität bewiesen, stelle ein Abschiebungshindernis dar. Der Kläger habe aber durchaus weitere Versuche unternehmen können, um dieses Abschiebungshindernis zu beseitigen. Dies sei jedoch verschuldet nicht geschehen. Dass der Kläger zuvor habe arbeiten dürfen, rechtfertige kein anderes Ergebnis, da Auflagen auch nachträglich angeordnet werden könnten. Erst nach mehreren Jahren habe sich der Eindruck verfestigt, er habe nicht ausreichende Bemühungen zur Beibringung der erforderlichen Identitätsnachweise unternommen.

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Daraufhin hat der Kläger am 21. Mai 2001, einem Montag, Klage erhoben. Zur Begründung vertieft und ergänzt er sein bisheriges Vorbringen. Er habe alles ihm Zumutbare zur Erlangung von Passersatzpapieren getan. Seine Mutter sei bereits verstorben, zu seinem Vater habe er mehrmals vergeblich versucht, Kontakt aufzunehmen. Ein pakistanischer Bekannter, den er gebeten habe, Kontakt zu seinem Vater herzustellen, habe vor Ort in Pakistan jedoch nicht seinen Vater, sondern nur seinen Bruder vorgefunden. Sein Bruder sei allerdings schwer erkrankt, er leide unter Fettleibigkeit und könne nicht mehr sprechen. Am 15. August 1998 habe er in einer Telefonzelle in Marschacht seine Geldbörse mit sämtlichen Anschriften aus der Heimat liegen lassen. Er habe diesen Vorfall zwar nicht der Polizei gemeldet, jedoch im Fundbüro in Marschacht, allerdings vergeblich, nachgefragt. Später habe er zwar über die Post seinen Duldungsausweis wieder erhalten, seine Geldbörse und die persönlichen Notizen, insbesondere die Anschriften aus seiner Heimat, seien jedoch verschwunden geblieben. Dass er bei seiner letzten Vorsprache beim Beklagten am 6. Februar 2000 bei der Angabe der Heimatadresse diese mehrmals ablesen habe müssen, sei nachvollziehbar. Er sei in Pakistan nur etwa zwei bis drei Jahre in die Dorfschule gegangen. Deshalb könne er auch nur ganz wenig Urdu lesen und schreiben. Er könne auch nur etwas Deutsch und Englisch verstehen, aber weder lesen noch schreiben. Ihm könne auch nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass er bereits ohne Passpapiere eingereist sei. Dies sei der Normalfall, da die Schlepper den Flüchtlingen meistens die Reisepapiere abnähmen. Auch sei es unverständlich, dass ihm erst nach ca. sieben Jahren verboten worden sei, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Bereits in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Lüneburg am 22. März 1999 habe er richtiggestellt, dass sein Vater noch lebe, nur seine Mutter verstorben sei. Weitere Brüder, die in Deutschland seien oder gewesen seien, habe er nicht. Er sei am 3. Mai 1993 zusammen mit einem weiteren pakistanischen Asylbewerber namens Jahanzeb Hussain oder Hossain nach Deutschland eingereist. Diesen Mann, mit dem er nicht verwandt sei, habe er in seinem gesamten Asylverfahren und später auch in seinem ausländerrechtlichen Verfahren als „Bruder“ bezeichnet. Dies habe er auf Anraten des Schleppers getan. Auf Anraten des Schleppers habe er noch einen weiteren Mann namens Asrad Tareq als weiteren "Bruder" angegeben. Dies sei aber nicht richtig gewesen. Herr Jahanzeb Hussain oder Hossain sei 1995 oder 1996 nach Polen gegangen, seitdem habe er zu diesem Mann keinen Kontakt mehr. Mit Herrn Asrad Tareq aus Offenbach habe er noch ca. ein Jahr lang telefonischen Kontakt gehabt. Tatsächlich habe er drei leibliche Brüder, zu seinen zwei älteren und verheirateten Brüdern habe keinen Kontakt, er wisse auch nicht, wo diese sich aufhielten. Sein jüngerer Bruder sei schwer erkrankt, habe immer unter schweren Kopfschmerzen gelitten, sei immer dicker geworden und geistig verwirrt. Vermutlich leide er an einem Anfallsleiden (Epilepsie). Zu seinem Vater habe er 1997 oder 1998 noch telefonischen Kontakt gehabt. Er habe bereits vor dem Arbeitsverbot sich intensiv um neue Identitätspapiere bemüht. Der Beklagte habe in seinen Schreiben vom 20. August 1996 und 9. Januar 1997 beide Male ein falsches Geburtsdatum, nämlich das vom 1. Juli 1962, angegeben. Auf der Grundlage eines falschen Geburtsdatums könne selbstverständlich seine Identität auch beim pakistanischen Konsulat nicht festgestellt werden. Erst mit den Schreiben vom 1. Dezember 1997 und 2. Februar 1998 an die pakistanische Botschaft habe der Beklagte das Geburtsdatum des 2. Februar 1962 angegeben. Auch dieses Geburtsdatum sei nicht richtig. Seine Prozessbevollmächtigte habe bereits mit Schreiben vom 30. Januar 1998 gegenüber dem Beklagten mitgeteilt, dass sein richtiges Geburtsdatum der 23. April 1966 sei. Überdies sei er sehr verwirrt, so dass sich seine unterschiedlichen Angaben zu seinem Geburtsdatum hieraus erklärten. Seitdem er nicht mehr arbeiten dürfe, habe sich sein Gesundheitszustand wesentlich verschlechtert. Er befinde sich bei dem Neurologen Dr. Christ in fachärztlicher neurologischer und bei Dr. Kleemeier in fachärztlicher internistischer Behandlung. Hierzu legte der Kläger ein ärztliches Attest des Dr. med. Bernd Kleemeier aus Tespe vom 26. September 2001 und eine Bescheinigung des Dr. med. Christ aus Winsen vom 14. Mai 2001 vor.

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Der Kläger beantragt,

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den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 29. März 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Lüneburg vom 18. April 2001 zu verpflichten, die Auflage „Erwerbstätigkeit nicht gestattet“ aus dem Duldungsausweis zu streichen.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er meint, der Kläger habe keinen Anspruch auf Erteilung einer Duldung ohne die streitgegenständliche Auflage. Seine Behauptung, er habe vergeblich versucht, Kontakt zu seinen Eltern aufzunehmen, habe er nicht nachgewiesen. Seine diesbezüglichen Angaben seien zudem widersprüchlich: Im Widerspruchsverfahren habe er noch vorgetragen, seine Eltern seien verstorben; in der Klageschrift heiße es nun, die Mutter des Klägers sei verstorben, während er versucht habe, zu seinem Vater Kontakt aufzunehmen. Die Behauptung, er habe zu seinem Bruder keinen Kontakt und dieser solle sich in Polen aufhalten, sei ebenfalls nicht frei von Widersprüchen. Zwei Brüder des Klägers müssten in Deutschland sein oder gewesen sein. Sobald der Kläger nachweise, dass er alles zum Erhalt der notwendigen Dokumente unternommen habe, werde ihm die Erwerbstätigkeit wieder gestattet. Derzeit sei dies jedoch nicht der Fall. Dass der Kläger die Anträge auf Ausstellung eines Passersatzpapieres ausfülle und unterschreibe und in polizeilicher Begleitung die Botschaft aufsuche, reiche als Nachweis, dass er alles zum Erhalt der notwendigen Dokumente unternommen habe, nicht aus. Der Kläger habe in der Vergangenheit selbst unterschiedliche Geburtsdaten angegeben.

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Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Gerichtsakten des VG Lüneburg 2 A 635/93, 2 B 322/96 und 1 A 597/97 sowie die beigezogenen Ausländerakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist begründet.

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Bei dem in einer Duldungsverfügung enthaltenen Verbot der Ausübung einer Erwerbstätigkeit nach § 56 Abs. 3 Satz 3 AuslG handelt es sich um eine selbständige Verfügung i. S. v. § 35 VwVfG, die direkt mit der Anfechtungsklage angegriffen werden kann (so auch Hess. VGH, Beschl. v. 6.4.2001 - 12 TG 368/01 -, InfAuslR 2001, 378; VG Karlsruhe, Beschl. v. 13.3.2000 - A 11 K 10150/00 - und Urt. v. 18.10.2000 - 10 K 2791/99 <beide zitiert nach juris>, alle jeweils mit weiteren Nachweisen zum Meinungsstand) und nicht lediglich um eine sog. modifizierende Auflage, gegen die - wie es der Kläger getan hat - mit der Verpflichtungsklage vorgegangen werden kann. Die Kammer hat den als Verpflichtungsbegehren formulierten Antrag des Kläger daher gemäß § 88 VwGO als Anfechtungsantrag umgedeutet.

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Das in den Duldungsverfügungen des Beklagten enthaltene Verbot der Ausübung einer Erwerbstätigkeit ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, so dass es antragsgemäß aufzuheben ist. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 29. März 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Lüneburg vom 18. April 2001 kann mithin ebenfalls keinen Bestand haben (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

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Nach § 56 Abs. 3 Satz 3 AuslG kann die Ausländerbehörde die Duldung mit dem Verbot der Aufnahme der Erwerbstätigkeit versehen. Hiervon erfasst ist auch ein vollständiges Verbot jeder Erwerbstätigkeit. Die Ausländerbehörde hat dabei eine Ermessensentscheidung zu treffen und folglich die öffentlichen und privaten Interessen unter Berücksichtigung der konkreten Gegebenheiten des Einzelfalles angemessen abzuwägen (BVerwG, Beschl. v. 28.12.1990 - 1 B 14.90 -, Buchholz 402.24 § 17 auslG Nr. 8; VG Augsburg, Beschl. v. 13.11.2002 - Au 6 S 02.1065 -, Asylmagazin 2003, 36, 37 m. w. N.). Das Verwaltungsgericht ist nach § 114 VwGO dabei auf die Prüfung beschränkt, ob der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wird. Es hat in diesem Zusammenhang auch zu überprüfen, ob unter Umständen eine Ermessensreduktion auf Null vorliegt, so dass ein Anspruch des Ausländers auf eine Entscheidung in seinem Sinn gegeben ist.

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Gemessen an diesen Anforderungen stellt sich das im Ermessenswege ausgesprochene Verbot der Erwerbstätigkeit als ermessensfehlerhaft und damit als rechtswidrig dar.

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Es ist den Ausländerbehörden im Rahmen der Ermessensentscheidung des § 56 Abs. 3 Satz 3 AuslG zwar nicht verwehrt, aus einwanderungspolitischen Gründen den Aufenthalt eines geduldeten Ausländers so auszugestalten, dass eine seine spätere Entfernung aus dem Bundesgebiet unter Umständen hindernde Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse vermieden wir (BVerwG, Beschl. v. 28.12.1990 - 1 B 14.90 -, a. a. O.). Das Erwerbstätigkeitsverbot kann auch eingesetzt werden, um den betreffenden Ausländer dazu anzuhalten, freiwillig in sein Heimatland - etwa entsprechend der gesetzlichen Verpflichtung nach erfolgslosen Asylverfahren - zurückzukehren. Diese Grundsätze gelten auch gegenüber abgelehnten Asylbewerbern und sind verfassungsgemäß (BVerwG, Beschl. v. 28.12.1990 - 1 B 14.90 -, a. a. O.; Beschl. v. 23.9.1981 - 1 B 90.81 -, DÖV 1982, 40).

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Die im Fall des Klägers durch den Beklagten erfolgte Abwägung der gegenteiligen Interessen ist allerdings ermessensfehlerhaft. Neben allgemeinen arbeitsmarkt- und einwanderungspolitischen Interessen kann - wie bereits ausgeführt - grundsätzlich auch die (fehlende) Bereitschaft des Ausländers, an Passersatzpapieren mitzuwirken, hinreichend berücksichtigt werden.

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Ausschließlich auf letzteren Ermessensgesichtspunkt haben der Beklagte und die Bezirksregierung Lüneburg als Widerspruchsbehörde ihre Begründungen gestützt. Sie halten dem Kläger vor, dieser habe im Laufe seiner Verfahren zu seiner Person und seinen Verwandtschaftsverhältnissen unterschiedliche Angaben gemacht und bisher nicht alles Erforderliche und Mögliche zum Erhalt der notwendigen Dokumente unternommen, so dass die pakistanische Botschaft bisher aus von ihm zu vertretenden Gründen keine Passersatzpapiere ausgestellt habe. Mithin sei die Voraussetzung des § 5 Nr. 5 ArGV gegeben, was dazu führe, dass auch bei Streichung der Auflage eine Arbeitsgenehmigung nicht erteilt werden könnte. Diese Erwägungen halten einer gerichtlichen Überprüfung nicht stand.

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§ 5 Nr. 5 ArGV verweist auf § 1 a AsylbLG, der die Fälle anspricht, in denen aus vom Asylbewerber zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können. Zwar ist auch ein abgelehnter Asylbewerber verpflichtet, bei der Beendigung eines Abschiebungshindernisses mitzuwirken. Die Schwierigkeiten, die der Aufenthaltsbeendigung des Klägers im vorliegenden Fall entgegenstehen, resultieren aber nicht aus seiner mangelnden Mitwirkung, sondern im Ergebnis aus der Tatsache der Passlosigkeit des Klägers sowie der mangelhaften Kooperation der pakistanischen Auslandsvertretung mit deutschen Behörden bzw. ihren eigenen Staatsangehörigen. Jedenfalls ist der Einwand des Beklagten aufgrund der Widerspruchs- und Klagebegründung, die nicht von der Hand zu weisen ist, nicht stichhaltig genug. Im Zweifel ist der Beklagte als Ausländerbehörde beweispflichtig dafür, dass er sein Ermessen sachgemäß und nicht fehlerhaft ausgeübt hat. Die Einreise des Klägers ohne Ausweispapiere erklärt sich nach seinen glaubhaften Angaben dadurch, dass der Schlepper ihm diese bei seiner Einreise 1993 abgenommen hat. Dieser Umstand, den der Beklagte ihm überdies nicht von Anfang an, sondern erst nach einigen Jahren vorgehalten hat, kann ihm mithin zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, hier dem Erlass des Widerspruchsbescheides durch die Bezirksregierung Lüneburg vom 18. April 2001 nicht (mehr) mit Erfolg entgegengehalten werden. Der Kläger hat nach seinem ebenfalls glaubhaften Vortrag, den der Beklagte nicht zu widerlegen in der Lage war und ist, auch alles getan, um an Unterlagen oder Personen für einen Nachweis seiner Identität zu gelangen. Die im Laufe seiner Verfahren gemachten unterschiedlichen Angaben zu seinem Geburtsdatum und seinen Verwandtschaftsverhältnissen hat er ebenfalls hinreichend erklärt. Bezeichnenderweise hat die Bezirksregierung Lüneburg zunächst im Widerspruchsverfahren auch Bedenken hinsichtlich einer fehlerfreien Ermessensausübung durch den Beklagten gehabt und die Akte im Oktober 2000 zur erneuten Überprüfung an diesen zurückgesandt. Die Kammer schließt sich der seitens der Bezirksregierung hier zunächst aufgezeigten Einschätzung an, dass der Kläger mit den Behörden über den gesamten Zeitraum zusammengearbeitet hat und nach seinen Kräften hinreichend bemüht gewesen ist, Ersatzpapiere zu beschaffen. Der gegenteiligen Ansicht des Beklagten und der im Widerspruchsbescheid zum Ausdruck kommenden geänderten Auffassung der Bezirksregierung, erst im Laufe der Zeit sei der Eindruck entstanden, der Kläger unternehme nicht alle zumutbaren Bemühungen, kann die Kammer mangels hinreichender Anhaltspunkte, für die der Beklagte darlegungs- und beweispflichtig ist, nicht folgen.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.

28

Gründe für die Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht (§§ 124a Abs. 1 i. V. m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO) liegen nicht vor.