Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 18.01.2018, Az.: 3 A 584/17

örtliche Zuständigkeit; Wohnsitz

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
18.01.2018
Aktenzeichen
3 A 584/17
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2018, 74403
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Bei einer Jugendanstalt oder Justizvollzugsanstalt handelt es sich um eine Gemeinschaftseinrichtung im Sinne des § 178 Abs. 1 Nr. 3 ZPO.

Tatbestand:

Der im Jahr 1998 geborene, die Sprache Dari sprechende Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger, reiste im Juli 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 5. Januar 2016 einen Asylantrag.

Im November 2016 wurde der Kläger in Untersuchungshaft genommen und befindet sich seitdem in der Jugendanstalt A-Stadt. Vor seiner Inhaftierung wohnte er unter der Anschrift C. in D. bzw. E.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) lehnte mit Bescheid vom 8. September 2017 die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziff. 1 des Bescheides), Asylanerkennung (Ziff. 2) sowie auf subsidiären Schutz (Ziff. 3) ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 S. 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziff. 4), forderte den Kläger unter Androhung der Abschiebung nach Afghanistan zur Ausreise innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe des Bescheides bzw. nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens auf (Ziff. 5) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gem. § 11 Abs. 1 AufenthG auf 59 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziff. 6). Dem Bescheid war eine Rechtsmittelbelehrung sowie deren Übersetzung in die Sprache Dari, eine Übersetzung des Tenors des Bescheides und eine – ebenfalls übersetzte – „Wichtige Mitteilung nach dem Aufenthaltsgesetz“ beigefügt. Nach der Rechtsmittelbelehrung könne der Kläger gegen den Bescheid innerhalb von zwei Wochen nach dessen Zustellung Klage bei dem Verwaltungsgericht Lüneburg, Adolph-Kolping-Straße 16, 21337 Lüneburg erheben.

Die Zustellungsurkunde dokumentiert, dass der Bescheid vom 8. September 2016 am 12. September 2017 in der Jugendanstalt A-Stadt unter der Anschrift F. in A-Stadt durch einen Mitarbeiter der Deutschen Post AG einer zum Empfang ermächtigten, namentlich genannten Vertreterin übergeben wurde.

Der Kläger hat gegen den Bescheid vom 8. September 2017 am 1. November 2017 Klage erhoben. Zur Begründung hat er auf das Protokoll der Anhörung durch das Bundesamt verwiesen.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 8. September 2017, Az. , aufzuheben;

die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen;

die Beklagte zu verpflichten, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen;

die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen;

die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass in der Person des Klägers Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz vorliegen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass die Klage nicht fristgerecht erhoben worden ist.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage, über die im ausdrücklich erklärten Einverständnis der Beteiligten gem. § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte, ist unzulässig, da sie nicht innerhalb der gesetzlichen Klagefrist erhoben wurde.

Das erkennende Gericht ist aufgrund des Wohnsitzes des Klägers für die Klage gem. § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbsatz 2 VwGO i.V.m. § 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO (so auch etwa VG Stuttgart, Beschl. v. 07.06.2016 - A 2 K 2017/16 -, juris Rn. 3; VG Ansbach, Urt. v. 08.01.2014 - AN 11 K 13.31110, AN 11 K 13.31124, AN 11 K 13.31126 -, juris Rn. 21) örtlich zuständig. Der Kläger hatte seinen Wohnsitz zuletzt und bis zu seiner Inhaftierung in D. im Landkreis Celle, der gem. § 73 Abs. 2 Nr. 4 des Niedersächsischen Justizgesetzes im Gerichtsbezirk des Verwaltungsgerichts Lüneburg liegt. Zwar hält sich der Kläger aufgrund seiner Haft nunmehr in A-Stadt auf, dies führt mangels eines freiwilligen Wohnsitzaufgabewillens jedoch nicht zu einer Aufhebung seines bisherigen Wohnsitzes (juris-PK-BGB, Kommentar, 8. Auflage 2017, § 7 Rn.17; MüKo-BGB, Kommentar, 7. Auflage 2015, § 7 Rn. 40; jeweils m.w.N.).

Der Kläger hat die Klage am 1. November 2017 und damit nach Ablauf der gem. § 74 Abs. 1 Halbsatz 1 AsylG zweiwöchigen Klagefrist erhoben. Gem. § 74 Abs. 1 Halbsatz 1 AsylG muss die Klage gegen Entscheidungen nach dem Asylgesetz innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung der Entscheidung erhoben werden. Die Klagefrist endete damit gem. § 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO i.V.m. §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 Halbsatz 1 BGB am 26. September 2017 um 24:00 Uhr, da dem Kläger der angegriffene, seinen Asylantrag ablehnende Bescheid am 12. September 2017 zugestellt worden war. Die Zustellung erfolgte gem. § 1 Abs. 1 NVwZG i.V.m. §§ 2 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Var. 1, Abs. 3 Satz 1, 3 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 VwZG i.V.m. §§ 177, 178 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 2 ZPO durch Übergabe an einen dazu ermächtigten Vertreter einer Gemeinschaftseinrichtung. Bei einer Jugendanstalt handelt es sich um eine Gemeinschaftseinrichtung im Sinne des § 178 Nr. 3 ZPO (OLG Stuttgart, Beschl. v. 17.04.2012 - 13 U 46/12 -,juris Rn. 8; Zöller, ZPO, 32. Auflage 2018, § 178 Rn. 20; Musielak, ZPO, Kommentar, 14. Auflage 2017, Rn. 5 unter Hinweis auf VGH BaWÜ, Beschl. v. 25.06.2001 - 11 S 2290/00 -, NJW 2001, 3569 (zu § 181 ZPO a.F.)).

Eine Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung, gem. § 58 Abs. 2 VwGO mit der Folge einer (mindestens) einjährigen Klagefrist, wurde weder geltend gemacht, noch ist sie sonst ersichtlich. Insbesondere war die Rechtsbehelfsbelehrung mit Dari in eine Sprache übersetzt, die der Kläger versteht (vgl. dazu auch VG Lüneburg, Urt. v. 13.09.2017 - 3 A 394/17 -, juris Rn. 15).

Gründe für eine Wiedereinsetzung (§ 60 Abs. 1 VwGO), gegebenenfalls auch von Amts wegen (§ 60 Abs. 2 Satz 4 VwGO), wurden nicht vorgetragen oder gar glaubhaft gemacht (§ 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO) und sind auch sonst nicht erkennbar.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83 b AsylG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.