Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 07.05.2004, Az.: 7 A 92/03

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
07.05.2004
Aktenzeichen
7 A 92/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 43460
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGOLDBG:2004:0507.7A92.03.0A

Tatbestand

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Die bislang nicht beschnittene Klägerin ist togoische Staatsangehörige und gehört dem Volk der Kotokolli an. Am 11. November 2002 meldete sie sich in Bremen als Asylsuchende und stelle am 14. November einen Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigte. Zur Begründung ihres Asylbegehrens machte sie im Verlaufe ihrer persönlichen Anhörung durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge am 24. November 2002 geltend, sie sei vor einer ihr drohenden Zwangsbeschneidung aus Togo geflohen. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge lehnte den Antrag der Klägerin auf Anerkennung als Asylberechtigte mit Bescheid vom 20. Dezember 2002 ab (Ziffer 1). Gleichzeitig stellte es fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes nicht vorlägen (Ziffer 2). Abschiebungshindernisse nach § 53 des Ausländergesetzes lägen ebenfalls nicht vor (Ziffer 3). Mit gleichem Bescheid wurde die Klägerin ferner aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen; im Falle einer Klageerhebung ende die Ausreisefrist einen Monat nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens. Für den Fall, dass die Klägerin die Ausreisefrist nicht einhalte, wurde ihr die Abschiebung nach Togo oder in einen anderen Staat, in den sie einreisen dürfe oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet sei, angedroht.

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Der Bescheid wurde der Klägerin am 02. Januar 2003 zugestellt.

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Am 10. Januar 2003 hat die Klägerin Klage erhoben, mit der sie ihr Vorbringen ergänzt und vertieft.

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Nachdem die Klägerin die Klage in der mündlichen Verhandlung insoweit zurückgenommen hat, als es ihr um die Anerkennung als Asylberechtigte ging, beantragt sie nunmehr,

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die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG, hilfsweise Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen und den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 20. Dezember 2002 aufzuheben, soweit er dem entgegensteht.

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Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

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Sie verteidigt den angefochtenen Bescheid und nimmt auf dessen Inhalt Bezug.

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Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im einzelnen wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen. Er ist Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

Entscheidungsgründe

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Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Klägerin die Klage zurückgenommen hat, § 92 Abs. 3 VwGO.

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Im Übrigen ist die Klage, über die die Berichterstatterin aufgrund des Übertragungsbeschlusses der Kammer vom 26. Februar 2004 als Einzelrichterin entscheiden kann, zulässig und begründet. Im Falle der Klägerin liegen die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vor. Der angegriffene Bescheid des Bundesamtes ist daher rechtswidrig und aufzuheben, soweit er dem entgegensteht (Ziffern 2 und 4). Über den Hilfsantrag der Klägerin ist nach alledem nicht mehr zu entscheiden.

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Zur Überzeugung des Gerichts liegen die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich des Staates Togo vor. Gemäß § 51 Abs. 1 AuslG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Ob diese Voraussetzung erfüllt ist, richtet sich nach den Umständen im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung, s. § 77 Abs. 1 AsylVfG.

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Die Klägerin ist aus Togo vor einer ihr unmittelbar drohenden Zwangsbescheidung geflohen. Das Gericht glaubt der Klägerin ihr Vorbringen in der mündlichen Verhandlung. Sie hat die Fragen des Gerichts umfassend und mit oft aussagekräftigem Mienenspiel beantwortet und dabei ein anschauliches und nachvollziehbares Bild ihrer familiären Verhältnisse sowie ihrer eigenen Situation gezeichnet. Ihre Angaben zur Beschneidung lassen sich zwanglos mit den Erkenntnissen des Gerichts (s.u.) in Übereinstimmung bringen. Die Widersprüche zum Bundesamtsprotokoll sind zur Überzeugung des Gerichts aufgeklärt worden. Im Falle der Rückkehr der Klägerin nach Togo alsbald oder in absehbarer Zeit ( s. dazu BVerwG, Urteil vom 31. März 1981 - 9 C 286.80 -, Buchholz 402.24 Nr. 27 zu § 28 AuslG a.F.) kann ihre zwangsweise Beschneidung nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden. Das Gericht geht bei dieser Bewertung von folgenden Umständen aus: Die Genitalverstümmelung wird in Togo noch praktiziert. Die weiblichen Angehörigen der Ethnie Kotokolli sind zu einem weit überwiegenden Teil (89 %) an ihren Geschlechtsorganen beschnitten (siehe Erkenntnisse des Bundesamts, Togo, 13. Menschenrechte, Mai 2003 m.w.N.). Des weiteren ist davon auszugehen, dass erheblich mehr muslimische Frauen beschnitten sind als Christinnen und wesentlich mehr Landbewohnerinnen als Städterinnen, dergleichen wesentlich mehr Frauen ohne Schulbildung als solche mit Schulbildung (Stellungnahme des Auswärtigen Amtes an VG Aachen vom 24. Januar 2001). Eine vor einigen Jahren gefertigte Untersuchung der Universität Lomé kommt zu dem Ergebnis, dass bei den Kotokolli 93 % der befragten Frauen ohne Schulbildung beschnitten waren (Stellungnahme des Auswärtigen Amtes an VG Aachen vom 21. Januar 2001). Die Klägerin gehört zu dem vorgenannten besonders gefährdeten Personenkreis. Bei den Kotokolli stellt die Genitalverstümmelung einen Teil eines Rituals für den Übergang von einem Altersabschnitt in den nächsten dar und bedeutet eine Stufe auf dem Weg eines jungen Mädchens von der Kindheit zur heiratsfähigen Frau (Stellungnahme des Auswärtigen Amtes an VG Aachen vom 24. Januar 2001). Auch dies hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung so dargelegt. Normalerweise werden die Mädchen im Alter von 18 - 20 Jahren einer Genitalverstümmelung unterworfen (Stellungnahme des Instituts für Afrikakunde an VG Aachen vom 9. Januar 2001). Daraus lässt sich allerdings nicht schließen, dass ältere Frauen - wie die Klägerin - nicht Opfer einer Beschneidung werden können, zumal wenn sie noch nicht verheiratet wurden. Betroffene Frauen sind in keinem Landesteil in Togo vor einer Beschneidung sicher. Zwar ist die Praxis der Genitalverstümmelung in der Küstenregion Togos kaum verbreitet (Auswärtiges Amt, Lagebericht, Stand: August 2003, Seite 18), doch dürfte dies eher auf die Ansiedlung der verschiedenen Ethnien in den verschiedenen Bereichen Togos zurückzuführen sein. Festzustellen ist, dass auch außerhalb des eigentlichen Siedlungsgebietes der Ethnien im Rahmen des Familienverbands oftmals erheblicher Druck auf die Betroffenen ausgeübt wird, an der Beschneidungspraxis festzuhalten. Selbst bei in Europa lebenden Familien werden vereinzelt noch Beschneidungen durchgeführt (siehe Stellungnahme des Auswärtigen Amtes an das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 4. Mai 2001).

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Die Genitalverstümmelung togoischer Frauen stellt politische Verfolgung im Sinne des § 51 Abs. 1 AuslG im oben genannte Sinne dar. Eine Verfolgung ist dann eine politische, wenn sie dem Einzelnen in Anknüpfung an seine politische Überzeugung, seine religiöse Grundentscheidung oder ein für ihn unverfügbaren Merkmale, die sein Anderssein prägen, gezielt Rechtsverletzungen zufügt, welche ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen (siehe dazu BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502, 1000, 961/86, NVWZ 1990, 151 ff.). Soweit es nicht um eine unmittelbare Gefahr für Leib, Leben oder persönliche Freiheit geht, können Beeinträchtigungen der bezeichneten Rechtsgüter ein Asylrecht nur dann begründen, wenn sie ihrer Intensität und Schwere nach die Menschenwürde verletzen und über das hinausgehen, was die Bewohner des Heimatstaats aufgrund des dort herrschenden Systems allgemein hinzunehmen haben (BVerfG, Urteil vom 2. Juli 1980 - 1 BvR 147/80 ..., BVerfGE 54, 341 ff.). Mit anderen Worten kommt politische Verfolgung stets dann in Betracht, wenn die Verfolgungsmaßnahmen an Eigenschaften anknüpfen, die den Betroffenen von Geburt an anhaften, bzw. die ihm ohne eigenes Zutun schicksalhaft zufallen. Allein oder zumindest auch wegen dieser persönlichen Merkmale werden die Betroffenen aus Sicht des Verfolgers als andersartig klassifiziert und zwar im negativen Sinne, dass sie aufgrund ihrer Andersartigkeit als minderwertig, lebensunwert, schädlich oder gefährlich eingestuft werden. Der den Betroffenen gewährte asylrechtliche Schutz beruht auf dem allgemeinen Gesichtspunkt, dass derjenige Asyl genießen soll, der Verfolgungsmaßnahmen deshalb befürchten muss, weil er aufgrund unabänderlicherer persönlicher Merkmale anders ist als er nach Ansicht des Verfolgers zu sein hat (BVerwG, Urteil vom 15. März 1988 - 9 C 278/86 -, BVerwGE 79, 143 ff.). Die Praxis der Genitalverstümmelung wird in Togo gezielt eingesetzt gegenüber Personen, die mit einer Klitoris und Schamlippen ausgestattet sind, mithin gegenüber Frauen. Die körperlichen Merkmale einer Frau sind ihr von Geburt an gegeben. Allein aufgrund des Umstandes, dass die Frauen über Klitoris und Schamlippen verfügen werden sei als minderwertig und für die Gemeinschaft schädlich eingestuft. Die Klägerin hat dies anschaulich dargestellt, in dem sie darauf hinwies, dass man Frauen durch die Beschneidung "ihre von Geburt an anhaftende Sexlustigkeit nehmen und ihnen die Möglichkeit zur ehelichen Treue geben wolle, eine Eigenschaft, die sie sonst nicht hätten". Frauen, die sich der Genitalverstümmelung nicht unterziehen, müssen mit harten sozialen Sanktionen rechnen (Auskunft des Instituts für Afrikakunde an VG Aachen vom 9. Januar 2001). Die Genitalverstümmelung stellt auch eine Rechtsverletzung erheblichster Natur dar, die einer Folter in nichts nachsteht. Es handelt sich um einen elementaren Eingriff in die körperliche Integrität der jeweiligen Frau. Aufgrund des vorgenannten Umstandes ist es im Hinblick auf die Einstufung der Genitalverstümmelung als politische Verfolgung unerheblich, dass Frauen der Kotokolli in Togo diesen Eingriff aufgrund des dort herrschenden Systems üblicherweise hinzunehmen haben und demzufolge die Beschneidung als solche nicht ausgrenzenden Charakter hat. Die Verfolgungsmaßnahmen gegenüber den Frauen sind auch nicht lediglich privater Natur, denn sie sind dem Staat Togo zuzurechnen. Ob eine private Verfolgung Dritter einem Staat zuzurechnen ist oder nicht hängt davon ab, ob der Staat den Betroffenen mit den ihm an sich zur Verfügung stehenden Mitteln Schutz gewährt. Es begründet die Zurechnung, wenn der Staat zur Schutzgewährung entweder nicht bereit ist oder wenn er sich nicht in der Lage sieht, die ihm an sich verfügbaren Mittel im konk

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reten Fall gegenüber Verfolgungsmaßnahmen bestimmter Dritter hinreichend einzusetzen (siehe BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989, a.a.O.). Das ist hier der Fall. Das Regime Eyademas hat die Zwangsbeschneidung zwar unter Strafe gestellt. So ist in Togo die Verstümmelung weiblicher Geschlechtsorgane seit 1998 gesetzlich verboten und wird mit Geld- oder Gefängnisstrafe bestraft. Das Gesetz wird jedoch in der Praxis nur selten durchgesetzt (Auswärtiges Amt, Lagebericht Togo, Stand: August 2003, Seite 18). Positiv bekannt ist lediglich ein (!) Fall von Strafverfolgung (Stellungnahme des Auswärtigen Amtes an das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 4. Mai 2001). Von besonderen oder intensiveren Aufklärungskampagnen seitens des togoischen Staates wird nichts berichtet. Soweit es dennoch heißt, dass die Praxis der Genitalverstümmelung infolge des gesetzlichen Verbotes und der durchgeführten Informations- und Sensibilisierungsmaßnahmen zurück gehe, existieren keine konkreten Zahlen (Stellungnahme des Auswärtigen Amtes an VG München vom 22. Oktober 2001). Die Angabe ist mithin nicht verifizierbar. Als Ursache für die fehlende Strafverfolgung wird seitens des Auswärtigen Amtes die Tabuisierung des Themas und die mangelnde Anzeigebereitschaft der Betreffenden angenommen (siehe Stellungnahme des Auswärtigen Amtes an VG München vom 22. Oktober 2001). Die Tabuisierung erfolgt indes nicht lediglich privat durch die togoische Gesellschaft, sondern auch durch den Staat, in dem er dem gesellschaftlichen Druck keine hinreichenden Hilfeleistungen und keinen hinreichenden staatlichen Druck entgegensetzt. Angesichts dessen, dass das togoische Regime in sonstigen Bereichen durchaus in der Lage ist, das Volk einzuschüchtern und die Marschrichtung vorzugeben, kann nur davon ausgegangen werden, dass im Hinblick auf die Genitalverstümmelung eine ernsthafte Schutzgewährung für die betroffenen Frauen nicht gewollt ist. Soweit von einer mangelnden Anzeigebereitschaft der Betreffenden die Rede ist, ist dies zum einen lediglich eine Annahme. Zum anderen wiese ein solcher Umstand darauf hin, dass die betroffenen Frauen auch mit einer Anzeige vom Staat in ausreichendem Maße keine Hilfe erlangen könnten. Diese Schlussfolgerung ist vor dem Hintergrund gerechtfertigt, dass die Diskriminierung der Frauen in Togo auch sonst an der Tagesordnung ist und die Polizei selbst bei innerfamiliärer Gewalt gegen Frauen nur in unerheblichem Umfang eingreift (siehe zu alledem Auswärtiges Amt, Lagebericht Togo, Stand: August 2003, Seite 18, 19

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Demgemäß ist auch die Abschiebungsandrohung gemäß Ziffer 4 der angefochtenen Entscheidung des Bundesamtes zu beanstanden und aufzuheben. Die Androhung ist wegen des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG nicht nur insofern rechtswidrig, als dem Kläger die Abschiebung nach Togo angedroht worden ist (vgl. § 50 Abs. 3 Satz 2 AuslG i.V.m. § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG). Die Abschiebungsandrohung genügt vielmehr darüber hinaus nicht dem zwingenden Erfordernis des § 51 Abs. 4 AuslG, wonach bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG nicht davon abgesehen werden kann, eine angemessene (nicht notwendigerweise mit der Frist des § 38 Abs. 1 AsylVfG identische) Ausreisefrist zu setzen und die Staaten positiv zu bezeichnen, in die abgeschoben werden darf. Diesen Erfordernissen würde eine sich nur auf die Bezeichnung des Staates, in den nicht abgeschoben werden darf (hier Togo), bezogene Teilaufhebung der Abschiebungsandrohung nicht hinreichend gerecht werden (vgl. zu weiteren Einzelheiten VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 25. Februar 1997 - A 14 S 3083/98 - V.n.b.). Die Abschiebungsandrohung ist daher insgesamt aufzuheben.