Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 17.05.2004, Az.: 5 B 3381/03
Abstandsregelung; Abstandsregelung; Bewertungsraster; genehmigungsbedürftige Anlage; Geruchsbelästigung; Geruchsgutachten; Gerüche; GIRL; immissionsschutzrechtliche Genehmigung; landwirtschaftlicher Bereich; Nachbarwiderspruch; Prognosesicherheit; Schweinemaststall; schädliche Umwelteinwirkungen; Zumutbarkeit
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 17.05.2004
- Aktenzeichen
- 5 B 3381/03
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2004, 50616
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 16 BImSchG
- § 6 BImSchG
- § 5 BImSchG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Zur Anwendbarkeit der Geruchsimmissionsrichtlinie GIRL bei der Bestimmung der Zumutbarkeit von Geruchsimmissionen nach Inkrafttreten der TA-Luft 2002.
Tenor:
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruches des Antragstellers vom 1. Juli 2003 gegen die dem Beigeladenen vom Antragsgegner erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung vom 27. Mai 2003 wird wiederhergestellt.
Der Antragsgegner und der Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens je zu Hälfte; ihre außergerichtlichen Kosten tragen der Antragsgegner und der Beigeladene jeweils selbst.
Gründe
I. Der Antragssteller begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruches gegen eine dem Beigeladenen erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung zur Errichtung eines Schweinemaststalles.
Der Antragsgegner erteilte dem Beigeladenen unter dem 27. Mai 2003 eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb eines Stallgebäudes für Mastschweine mit 480 Tierplätzen. Auf Antrag des Beigeladenen ordnete der Antragsgegner mit weiterem Bescheid vom 8. Juli 2003 die sofortige Vollziehung der erteilten Genehmigung an.
Der Antragsteller ist Eigentümer des in einer Entfernung vom geplanten Stallgebäude von etwa 300 Metern gelegenen Wohngrundstückes ... in B. Das Grundstück befindet sich in einem als „allgemeines Wohngebiet“ ausgewiesenen Baugebiet.
Am 1. Juli 2003 erhob der Antragsteller Widerspruch gegen die dem Beigeladenen erteilte Genehmigung. Über den Widerspruch ist bislang noch nicht entschieden worden.
Am 16. September 2003 hat der Antragsteller bei Gericht um vorläufigen Rechtschutz nachgesucht. Er macht neben einer Vielzahl öffentlicher Belange im Wesentlichen geltend, durch die dem Beigeladenen erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung in seinen Nachbarrechten verletzt zu werden, weil von dem Betrieb des Schweinemaststalles nicht hinnehmbare schädliche Umwelteinwirkungen in Gestalt von Geruch und Staub auf sein Wohngrundstück ausgingen. Das der erteilten Genehmigung zugrundeliegende Geruchsgutachten der Firma Zech Ingenieurgesellschaft vom 20. August 2002 (im Folgenden Firma Zech) komme zu dem Ergebnis, dass die Einhaltung des Immissionsrichtwertes von 0,10 - entsprechend einer relativen flächenbezogenen Häufigkeit der Geruchsstunden von 10 % der Jahresstunden - nur unter Berücksichtigung bestimmter lüftungstechnischer Maßnahmen gewährleistet werden könne. So sei es aus geruchstechnischer Sicht erforderlich, die Abluft aus den Ställen 2 und 4 über je einen Sammelkamin in die Atmosphäre zu leiten. Der Kamin sei bei Stall 2 mit einer Ableithöhe von 9 m über Gelände und bei Stall 4 mit einer Ableithöhe von 6 m über Gelände zu errichten und jeweils im Bereich der Gebäudemitte zu positionieren. Der Stall 9 (geplante Umnutzung) sei über eine Trauf-First-Lüftung mit einer Ableitung von 7 m über Gelände zu entlüften. Die Abluft des Stalles Nr. 10 (geplanter Neubau) müsse mit einer Ableithöhe von 11 m über Gelände abgeleitet werden, wobei der Kamin im Bereich des nordwestlichen Giebels zu errichten sei. Diese Vorgaben des Gutachtens seien nicht ordnungsgemäß und vollständig in die der Genehmigung beigefügten Auflagen aufgenommen worden. Die Auflagen in der Genehmigung gäben zum einen keinen räumlichen Standort der Abluftkamine wieder. Zum anderen enthalte die Genehmigung nicht die Vorgabe des Gutachtens, dass für die Ställe 2 und 4 ein Sammelkamin zu errichten sei. In den Auflagen sei vielmehr lediglich festgehalten, dass die Abluft 9 m bzw. 6 m über Erdboden austreten müsse. Schließlich sei auch für den Stall 9 die Vorgabe, dass eine Trauf-First-Lüftung zu errichten sei, nicht beachtet worden. Vor diesem Hintergrund ergebe sich, dass die Genehmigung keine ausreichenden Vorkehrungen zum Schutze der Nachbarschaft vor unzulässigen Geruchseinwirkungen enthalte. Zudem leide das Gutachten der Firma Zech auch daran, dass bei der Ermittlung der Großvieheinheiten nicht die gesamte Zahl der vorhandenen Rinder berücksichtigt worden sei. Ferner befinde sich sein Grundstück im Grenzbereich zu dem Wertquadraten 14 und 10, so dass der tatsächliche Immissionswert wesentlich über dem Durchschnittswert von 0,07 liegen dürfte. Aus all diesen Gründen sei von einer höheren Geruchsbelastung als der vom Gutachter ermittelten auszugehen. Schließlich lasse das Gutachten auch unberücksichtigt, dass die zwischen seinem Wohnhaus und den Stallungen des Beigeladenen befindlichen Flächen aller Voraussicht nach als Gülleausbringensflächen herangezogen werden könnten. Der vom Beigeladenen vorgelegte qualifizierte Flächennachweis sei falsch. Des weiteren sei zu rügen, dass die Hedonie, d.h. die Qualität der Gerüche bei der auf der Grundlage der Geruchsimmissionsrichtlinie (GIRL) erstellten Geruchsimmissionsprognose keinerlei Berücksichtigung gefunden habe. Sowohl die Gerüche der aufgebrachten Gülle als auch diejenigen des Schweinemastbetriebes selbst seien in ihrer Qualität als ausgesprochen penetrant und intensiv zu bezeichnen. Ferner enthalte die Genehmigung keinerlei Aussagen über die Staubbelastung durch den Schweinemastbetrieb. Dies sei umso bedenklicher, als in dem betreffenden Gebiet schon die Staubvorbelastung den zulässigen Grenzwert erreiche oder überschreite. Die Frage, ob von dem Vorhaben des Beigeladenen schädliche Umwelteinwirkungen in Gestalt von Staub ausgingen, habe der Antragsgegner im Genehmigungsverfahren überhaupt nicht geprüft. Die im weiteren Verfahren nachgereichte Berechnung der Gesamtstaubbelastung reiche nicht aus und sei im Übrigen auch aus sich heraus nicht nachvollziehbar. Aus diesen Gründen wäre der Antragsgegner jedenfalls verpflichtet gewesen, den zu erwartenden unzulässigen Beeinträchtigungen durch Gerüche und Staub dadurch zu begegnen, dass dem Beigeladenen auferlegt wird, eine Abluftreinigungsanlage zu installieren. Derartige Anlagen seien heute Stand der Technik und würden in den benachbarten Landkreisen regelmäßig von der Genehmigungsbehörde verlangt.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 1. Juli 2003 gegen die dem Beigeladenen erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung vom 27. Mai 2003 wiederherzustellen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er verteidigt die angefochtene immissionsschutzrechtliche Genehmigung. Ausweislich des Gutachtens zur Ermittlung und Beurteilung der Geruchsimmissionssituation in der Umgebung des landwirtschaftlichen Betriebes betrage der Geruchsimmissionswert für das Wohnhaus des Antragstellers 0,07 und unterschreite somit den in einem allgemeinen Wohngebiet maßgeblichen Immissionshöchstwert von 0,10 entsprechend der Geruchsimmissionsrichtlinie. Zwar treffe es zu, dass in der Genehmigung versehentlich nicht exakt die Lüftungsanforderung aus dem Geruchsgutachten übernommen worden sei. Dies sei aber unerheblich, da das Gutachten Grundlage und somit Bestandteil der Genehmigung sei. Im Übrigen habe der Beigeladene erklärt, sämtliche Vorgaben des Gutachtens zu beachten. Soweit der Antragsteller rüge, die Staubbelastung sei nicht ordnungsgemäß ermittelt worden, sei hierzu anzumerken, dass die durch den Schweinemaststall mit 480 Tierplätzen hervorgerufene Staubzusatzbelastung unter den Bagatellmassenstrom nach Ziff. 4.6.1.1 der TA-Luft falle, wie eine im Rahmen einer Dienstaufsichtsbeschwerde vorgenommene Gesamtstaubberechnung für den Betrieb des Beigeladenen ergeben habe. Diese Berechnung sei der Bezirksregierung vorgelegt und nicht beanstandet worden. Die Staubimmissionen seien somit zu Recht im Genehmigungsverfahren unberücksichtigt geblieben. Schließlich habe der Antragsteller auch keinen Anspruch auf die Errichtung einer Abluftreinigungsanlage durch den Beigeladenen. Dies gelte schon deshalb, weil derartige Anlagen jedenfalls noch nicht den Stand der Technik wiederspiegelten. Demgemäß würden derartige Anlagen auch nicht durch die maßgebliche Richtlinie gefordert. Die Genehmigungspraxis anderer Genehmigungsbehörden sei für das vorliegende Verfahren ohne Belang.
Der Beigeladene beantragt ebenfalls,
den Antrag abzulehnen.
Die ihm erteilte Genehmigung sei offensichtlich rechtmäßig, insbesondere sei auch das der Genehmigung zugrunde gelegte Geruchsgutachten der Firma Zech fachlich nicht zu beanstanden. Das Gutachten sei von ihm im Genehmigungsverfahren vorgelegt und somit Bestandteil der Genehmigung geworden. Dass die Auflagen des Gutachtens nicht in die Genehmigung mit aufgenommen worden seien, sei somit unerheblich, zumal er die Stallanlagen tatsächlich so errichtet habe, wie der Gutachter es verlangt habe. Es könne auch keine Rede davon sein, dass er lediglich Flächen zum Güllenachweis ausschließlich in unmittelbarer Nähe zum Wohngebiet besitze. Bei der von dem Antragsteller angesprochenen Fläche handele es sich nur um 1 ½ ha Weideland, das schwerlich als klassische Gülleaufbringungsfläche bezeichnet werden könne. Im Übrigen habe er zum Nachweis der ordnungsgemäßen und schadlosen Verwertung der anfallenden Gülle einen qualifizierten Flächennachweis vorgelegt, der von der Landwirtschaftskammer geprüft und nicht beanstandet worden sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der von dem Antragsgegner vorgelegten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
II. Der nach § 80 Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO zu beurteilende Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Genehmigungsbescheid des Antragsgegners vom 27. Mai 2003 ist zulässig und begründet.
Die vom erkennenden Gericht zu treffende Entscheidung hat sich grundsätzlich an dem Ergebnis einer Abwägung der sich gegenüberstehenden Interessen an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes einerseits und der vorläufigen Aussetzung der Vollziehung andererseits zu orientieren. Dabei sind in erster Linie die Erfolgsaussichten eines Rechtsbehelfs maßgeblich. Denn im Falle eines Nachbarwiderspruchs ist dem Antrag in der Regel bereits dann zu entsprechen, wenn sich die angefochtene Genehmigung bei überschlägiger Beurteilung als rechtswidrig erweist und den Antragsteller in seinen Rechten verletzt. Andererseits kommt eine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung dann nicht in Betracht, wenn der angegriffene Verwaltungsakt unter dem Gesichtspunkt des Nachbarschutzes voraussichtlich keinen Anlass zu einer rechtlichen Beanstandung gibt. Für das Ergebnis der Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache jedoch nur dann maßgeblich, wenn sie sich nach der hier allein gebotenen summarischen Prüfung zumindest mit hinreichender Wahrscheinlichkeit beurteilen lassen. Die summarische Prüfung führt im vorliegenden Fall zu dem Ergebnis, dass sich nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen lässt, ob die angegriffene immissionsschutzrechtliche Genehmigung Rechte des Antragstellers verletzt. In diesem Fall hat das Gericht eine von den Erfolgsaussichten der Hauptsache unabhängige Interessenabwägung vorzunehmen, nach der hier das Interesse des Antragstellers überwiegt.
Die dem Beigeladenen erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung vom 27. Mai 2003 ist anhand der Bestimmung des § 16 Abs. 1 Bundesimmissionsschutzgesetz - BImSchG in der Fassung vom 26. September 2002 (BGBl. I Seite 3830) zu überprüfen. Danach bedarf die wesentliche Änderung einer genehmigungsbedürftigen Anlage (§ 4 Abs. 1 BImSchG i.V.m. der Vierten Verordnung zur Durchführung des Bundesimmissionsschutzgesetzes - 4. BImSchG - in der Fassung vom 17. Mai 2002, BGBl. I Seite 1566) einer Genehmigung. Die Beteiligten sind - insoweit zutreffend - übereinstimmend davon ausgegangen, dass es sich bei dem Vorhaben des Beigeladenen zur Neuerrichtung eines Stallgebäudes für Mastschweine mit 480 Tierplätzen sowie zur Errichtung von zwei Futtermittelsilos um eine wesentliche Änderung einer genehmigungspflichtigen Anlage handelt. Eine Genehmigung nach § 16 Abs. 1 BImSchG darf dem Antragsteller nur erteilt werden, wenn die Genehmigungsvoraussetzungen des § 6 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BImSchG vorliegen. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG ist die Genehmigung nur dann zu erteilen, wenn sichergestellt ist, dass die sich aus § 5 BImSchG ergebenden Pflichten erfüllt werden. Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG sind genehmigungsbedürftige Anlagen so zu errichten und zu betreiben, dass schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen u.a. für die Nachbarschaft nicht hervorgerufen werden können. Daran bestehen nach der im vorliegenden vorläufigen Rechtsschutzverfahren gebotenen aber auch ausreichenden summarischen Prüfung erhebliche Zweifel. Nach dem derzeit erkennbaren Sachstand ist nicht hinreichend sicher davon auszugehen, dass mit der Errichtung und dem Betrieb des Schweinemaststalles voraussichtlich keine schädlichen Umwelteinwirkungen - hier in Gestalt von Geruchsimmissionen - verbunden sind, die nach Art, Ausmaß und Dauer geeignet sind, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für den Antragsteller herbeizuführen (§§ 3, 5 BImSchG).
Für die Ermittlung und Bewertung von Geruchsbelästigungen enthält die Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft (TA-Luft) 2002 ebenso wie die zuvor geltende TA-Luft 1986 keine näheren Vorschriften darüber, ob von einer Anlage Geruchsimmissionen hervorgerufen werden, die eine erhebliche Belästigung im Sinne des § 3 Abs. 1 BImSchG bewirken. Die auf den Stand der Technik sowie auf Mindestabstände zur Wohnbebauung abstellenden Regelungen im Abschnitt 5.2.8 bzw. 5.4.7.1. der TA-Luft 2002 konkretisieren lediglich die Vorsorgepflicht gem. § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG.
Anhaltspunkte für die Bestimmung der Grenze der Zumutbarkeit von Geruchsimmissionen für die Nachbarschaft bietet jedoch nach allgemeiner Ansicht zunächst die VDI-Richtlinie 3471 - Immissionsminderung Tierhaltung-Schweine (vgl. OVG Münster, Urteil vom 29. September 2000, Az. 10 aD 8/00, RDL 2001, Seite 64 ff.; sowie Nds. OVG, Urteil vom 25. Juli 2001, 1 LB 980/01 m.w.N., NVwZ RR 2003, Seite 24-27). Diese Richtlinie beruht auf der Erkenntnis, dass sich Geruchsbelästigungen durch eine räumliche Trennung von Wohnbebauung und Tierhaltung vermeiden oder vermindern lassen. Sie enthält in Abhängigkeit von der Bestandsgröße und weiteren Einflussfaktoren eine Abstandsregelung. Die Richtlinie bewertet dabei die Hauptfaktoren einer Tierhaltung, welche die Entstehung und Verteilung luftverunreinigender Stoffe beeinflussen und arbeitet diese Faktoren in eine Tabelle ein, an der sich ein Mindestabstand ablesen lässt, bei dessen Überschreitung regelmäßig nicht mit wahrnehmbaren Geruchsimmissionen der Tierhaltung zu rechnen ist, die nach allgemeiner Lebenserfahrung störend wirken und als Belästigung zu werten sind (vgl. OVG Münster, Urteil vom 29. September 2000 a.a.O.). Die VDI-Richtlinie 3471 ist zwar als solche nicht rechtsverbindlich, stellt jedoch eine brauchbare und im allgemeinen unverzichtbare Entscheidungshilfe für die Beurteilung der Zumutbarkeit von Geruchsbelastungen aus der Schweinehaltung dar (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Januar 1993 - 4 C 19.90 -, zitiert nach Juris). Die Abstandsregelung findet jedoch dann keine Anwendung, wenn der Mindestabstand unterschritten wird oder die schutzbedürftigen Wohnhäuser im Nahbereich unter 100 m liegen. In diesen Fällen ist dann eine Sonderbeurteilung der Geruchsimmissionssituation vorzunehmen (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 25. Juli 2002, a.a.O.).
Neben der VDI-Richtlinie 3471 kommt als Entscheidungshilfe für die Beurteilung von Geruchsimmissionen grundsätzlich auch die Verwaltungsvorschrift zur Feststellung und Beurteilung von Geruchsimmissionen - GIRL - vom 14. November (Nds. MBl. 2001, Seite 224) in Betracht (vgl. OVG Münster, Urteil vom 29. September 2000, a.a.O. und Nds. OVG, Urteil vom 25. Juli 2002, a.a.O.). Für den landwirtschaftlichen Bereich sieht die GIRL ein abgestuftes Überprüfungssystem vor. Danach ist zunächst eine Abstandsprüfung unter Rückgriff auf die in TA-Luft sowie in den VDI-Richtlinien 3471 und 3472 genannten Regeln durchzuführen. Bei Nichteinhaltung der Abstände sowie bei in der Praxis auftretenden Problemkonstellationen ist darüber hinaus eine Prüfung nach den weiteren Verfahrensschritten der GIRL vorzunehmen. Eine derartige Problemkonstellation hat der Antragsgegner in dem Umstand einer erheblichen Vorbelastung durch die in der Umgebung des geplanten Schweinemaststalles befindlichen, ebenfalls Geruchsimmission verursachenden Betrieben gesehen und demgemäß eine gutachterliche Überprüfung der Situation nach dem Regelwert der GIRL durchführen lassen.
Diese Vorgehensweise hat das Gericht in der Vergangenheit grundsätzlich für sachgerecht erachtet. Demgemäß hat es seiner rechtlichen Betrachtung der Sach- und Rechtslage in Fällen der vorliegenden Art regelmäßig Gutachten, die auf der Grundlage der GIRL erstellt worden sind, zugrunde gelegt.
Das vorliegende Verfahren gibt der Kammer jedoch Anlass, die bisherige Verfahrensweise zu überdenken. Gegen die Anwendung der GIRL sind vielfältige Bedenken geäußert worden (vgl. etwa Hamann, NVwZ 1999, S. 1158). Auch in der Rechtsprechung hat sich die Richtlinie trotz einiger dahin gehender Tendenzen bisher nicht entscheidend durchgesetzt. Nach Ansicht des Nds. Oberverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 27. Juli 2002, a.a.O.) bestehen erhebliche Zweifel daran, ob mit Hilfe der in der GIRL enthaltenen Methode gerade für den landwirtschaftlichen Bereich, um den es hier geht, die tatsächlichen Verhältnisse mit hinreichender Sicherheit beschrieben werden können. Sah der Entwurf der TA-Luft 2002 vom 8. Dezember 2000 noch vor, die GIRL als Grundlage der Ermittlung von Geruchsimmissionen nahezu unverändert in die neue TA-Luft zu übernehmen, so wurde dieses Konzept - wohl aufgrund von erheblichen Zweifeln an der Eignung und rechtlichen Haltbarkeit der in der GIRL festgelegten Immissionswerte und Bewertungsverfahren - wieder aufgegeben (vgl. hierzu Moench/Hamann, DVBl. 2004, Seite 201 ff.). Ein wesentlicher Kritikpunkt an der GIRL ist der Umstand, dass die Richtlinie Immissionsrichtwerte für Geruchsbelästigungen nur für zwei Gebietskategorien, nämlich Wohn-/Mischbebauung auf der einen und Gewerbe-/Industriegebiete auf der anderen Seite (vgl. Ziff. 3.1 GIRL, Tabelle 1) vorsieht. Demgegenüber kennt beispielsweise die TA-Lärm sieben verschiedene Kategorien (Ziff. 2.3.2.1 a - g TA-Lärm). Das von der GIRL zugrundegelegte Bewertungsraster ist somit als zu grob zu qualifizieren, was insgesamt zu erheblichen Vergröberungen und damit zu Ergebnissen führt, die den Umständen des Einzelfalles nicht mehr gerecht werden (vgl. hierzu Moench/Hamann, a.a.O.). Für Wohnbebauung in dem Gebietstyp „Wohn-/Mischgebiet“ legt die GIRL einen Immissionsrichtwert von 0,10 zugrunde. Danach liegen erhebliche Belästigungen durch Gerüche dann vor, wenn die relative Häufigkeit der Geruchsstunden 10 v.H. der Jahresstunden überschreitet, wobei eine Geruchsstunde dadurch bestimmt ist, dass während eines Messintervalles (10 Min. je Messstelle) in mindestens 10 v.H. der Zeitgeruchsimmissionen erkannt werden. Bei der Berechnung der Immissionswerte werden gem. Ziff. 4.4.3 GIRL sog. Beurteilungsflächen gebildet. Hierunter versteht man quadratische Teilflächen des Beurteilungsgebietes, deren Seitenlängen bei weitgehend homogener Geruchsbelastung in der Regel 250 m betragen soll. Eine Verkleinerung der Beurteilungsfläche soll gewählt werden, wenn außergewöhnlich verteilte Geruchsimmissionen auf Teilen der Beurteilungsfläche zu erwarten sind. Dabei ist das quadratische Gitternetz so festzulegen, dass der Immissionsschwerpunkt in der Mitte einer Beurteilungsfläche liegt. Das Gutachten der Firma Zech vom 20. August 2002 kommt für das Grundstück des Antragstellers unter Zugrundelegung dieser methodischen Vorgaben zu der Einschätzung, dass dort der maßgebliche Immissionsrichtwert von 0,10 eingehalten worden ist. Tatsächlich liegt das Grundstück des Antragstellers in einem Quadranten, der einen Immissionswert von 0,07 aufweist. Dabei liegt das Grundstück des Antragstellers aber an der Grenze zu zwei Quadraten, die Immissionswerte von 0,10 bzw. 0,14 aufweisen. Zudem sind bei diesen angrenzenden Quadraten kleinere Beurteilungsflächen gewählt worden, da dort offenbar inhomogene Geruchsausbreitungen auftreten. Angesichts dieser Umstände hat das Gericht erhebliche Zweifel an der hinreichenden Sicherheit der vorgenommenen Immissionsprognose. Dies muss umso mehr gelten, als auch die neue TA-Luft von der früheren Praxis einer flächenbezogenen Beurteilung der Schadstoffbelastung abgekehrt ist und nunmehr in Nr. 4.6.2.6. eine punktbezogene Beurteilung der Schadstoffbelastung vorsieht. Hinzu kommt, dass im Rahmen der Begutachtung der Geruchsimmissionen darauf verzichtet worden ist, die Bewertungsfaktoren Hedonie und Intensität in die Überlegungen miteinzubeziehen. Unstreitig ist, dass die Bewertung der belästigenden Wirkung von Gerüchen nicht nur von objektiven, sondern auch von subjektiven Faktoren abhängig ist. Insoweit kann als gesicherte Erkenntnis gelten, dass es zwischen der Geruchsintensität und der hedonischen Geruchswirkung, d.h. der Qualität der Gerüche, einen inneren Zusammenhang gibt, der in der Tendenz so beschrieben werden kann, dass ein Geruch umso unangenehmer ist, je intensiver er angeboten wird. Dennoch berücksichtigt die GIRL nur den Faktor „Dauer“ der Gerüche. Auch hieraus ergeben sich erheblich Zweifel an der Eignung der von der GIRL festgelegten Bewertungsmethoden hinsichtlich der Feststellung der Belästigungswirkungen von Gerüchen (vgl. hierzu ausführlich: Moench/Hamann, a.a.O.).
Die hiermit aufgeworfenen Fragen, wie etwa diejenige, wie künftig unter der Geltung der neuen TA-Luft 2002 Geruchsimmissionen zu beurteilen sind, welche Rolle dabei das Regelwerk der GIRL (noch) spielen kann und in welcher Weise die Hedonie der Gerüche zu berücksichtigen ist, bedürfen tiefgreifender Ermittlungen und Prüfungen, die dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben müssen.
Im vorliegenden Fall kommt ein weiterer Umstand hinzu, der jedenfalls gegenwärtig eine hinreichende Sicherheit dafür, dass von dem Betrieb des Beigeladenen keine schädlichen Umwelteinwirkungen auf das Grundstück des Antragstellers ausgehen, als zweifelhaft erscheinen lässt. Bereits nach den Feststellung der Firma Zech in dem Geruchsgutachten vom 20. August 2002 sind die im Bereich des südöstlich der Anlage gelegenen Wohngebietes, zu dem auch das Grundstück des Antragstellers gehört, geltenden Immissionsrichtwerte nur dann zuverlässig einzuhalten, wenn die auf Seite 12 des Gutachtens im Einzelnen aufgeführten lüftungstechnischen Maßnahmen realisiert werden. Diese Vorgaben des Gutachters sind jedoch - wie auch der Antragsgegner selbst einräumt - nicht oder nur unvollständig in den Auflagenkanon der Genehmigung aufgenommen worden. Insoweit vermag das Gericht auch nicht der Auffassung des Antragsgegners zu folgen, die Nichtaufnahme der Vorgaben des Gutachters in die Genehmigung sei unerheblich, weil das Gutachten ohnehin Bestandteil der Genehmigung sei. Bestandteil der Genehmigung wäre das Gutachten nämlich nur dann geworden, wenn es entweder ausdrücklich von der Genehmigung in Bezug genommen oder aber als entsprechend mit einem Prüfvermerk versehener Bestandteil der Genehmigungsunterlagen gekennzeichnet worden wäre. Beides ist hier indessen nicht der Fall. Rechtlich unerheblich ist diesbezüglich auch die Darstellung des Antragsgegners und des Beigeladenen, die Stallanlagen seien jedenfalls tatsächlich entsprechend den Vorgaben des Gutachters errichtet oder umgebaut worden. Denn die Genehmigung hat zu jeder Zeit, also auch im Falle künftiger Modifikationen an der Anlage, sicherzustellen, dass vom Betrieb der Anlage keinerlei schädliche Umwelteinwirkungen auf die Nachbarschaft ausgehen. Dies ist nach dem Vorgesagten durch die vorliegende Genehmigung jedenfalls gegenwärtig nicht der Fall. Die von dem Antragsteller angefochtene Genehmigung des Antragsgegners trifft auch in sonstiger Weise keine hinreichenden Vorkehrungen zum Schutz der Nachbarschaft vor schädlichen Umwelteinwirkungen. Denkbar wäre insoweit gewesen, dass dem Beigeladenen aufgegeben worden wäre, eine Abluftreinigungsanlage zu installieren, um schädliche Umwelteinwirkungen in Gestalt von Gerüchen hinreichend sicher auszuschließen. Dem Argument des Antragsgegners, derartige Anlagen müssten bereits deshalb nicht gefordert werden, weil sie derzeit noch nicht den Stand der Technik wiederspiegelten, vermag das Gericht nicht zu folgen. Dagegen spricht bereits, dass in Abschnitt 2.8.2 der VDI-Richtlinie 3471 Biofilter und Biowäsche als Maßnahmen der Abluftbehandlung aufgeführt sind. Diese technischen Regelwerke erheben aber den Anspruch, dass sie den derzeitigen Stand der Technik wiedergeben (vgl. hierzu auch ausführlich: OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 8. Februar 1990, Az.: 21 A 2535/88, zitiert nach Juris).
Angesichts der aufgezeigten Unsicherheiten hinsichtlich der Anwendung der GIRL unter der Geltung der neuen TA-Luft, der auf dieser Grundlage vorgenommenen Immissionsprognose der Firma Zech sowie im Hinblick auf die unzureichende Übernahme der vom Gutachter geforderten lüftungstechnischen Maßnahmen lässt sich die Frage einer unzumutbaren Beeinträchtigung des Antragstellers durch Geruchsimmissionen derzeit nicht schlüssig beantworten, so dass nach den eingangs dargelegten rechtlichen Maßstäben eine nicht an den Erfolgsaussichten orientierte allgemeine Interessenabwägung über den Ausgang des Verfahrens entscheidet. Diese Interessenabwägung führt im vorliegenden Fall zu dem Ergebnis, dass der Beigeladene bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren die ihm erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung nicht ausnutzen darf. Das Interesse des Antragstellers von der Errichtung und der Inbetriebnahme des Schweinemaststalles des Beigeladenen verschont zu bleiben, die für ihn möglicherweise schädliche Umwelteinwirkungen hervorruft, überwiegt das Interesse des Beigeladenen an der Ausnutzung der Genehmigung für die unter Umständen nachbarrechtswidrige Anlage, zumal durch deren Errichtung vollendete Tatsachen geschaffen würden. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass für den Beigeladenen erheblich finanzielle und wirtschaftliche Belange in Rechnung zu stellen waren.
Auf die weiteren vom Antragsteller aufgeworfenen Fragen kommt es danach für die Entscheidung des vorliegenden Fall nicht an.