Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 18.05.2004, Az.: 12 A 1485/03

Askhali; Diabetes mellitus; Einzelrichter; KFOR; Kosovo; mittelbare Verfolgung; politische Verfolgung; Roma; Schutzfähigkeit; Schutzwille; Serbien Montenegro; UNMIK

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
18.05.2004
Aktenzeichen
12 A 1485/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 50830
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Nicht jede von der Kammer noch nicht ausdrücklich geklärte Frage verpflichtet den Einzelrichter, die Sache an die Kammer zurück zu übertragen (§ 76 Abs. 3 AsylVfG).

2. Zur Bedeutung der EU-Qualifikationsrichtlinie im Asylstreitverfahren.

3. Mangelnde Schutzfähigkeit ist nicht anzunehmen, wenn der Staat, die quasistaatlichen Organisationen und /oder die internationalen Organisationen im Großen und Ganzen Schutz gewähren und im konkreten Fall auf Übergriffe reagieren und dann tatsächlich Schutz bieten.

4. Die Voraussetzungen einer mittelbaren staatlichen Verfolgung liegen für Angehörige der Roma/Askhali im Kosovo nicht vor.

5. Diabetes mellitus ist im Kosovo behandelbar.

Tenor:

Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Kläger die Klage zurück genommen haben.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kläger tragen die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Tatbestand:

1

Die Kläger sind serbisch-montenegrinische Staatsangehörige und nach eigenen Angaben Zugehörige der Volksgruppe der Roma bzw. albanisierten Roma aus dem Kosovo. Die Kläger zu 1. und 2. sind die Eltern der ... in U... (Kosovo) geborenen Klägerin zu 3. Sie reisten im Oktober 2001 in die Bundesrepublik Deutschland ein und hielten sich zunächst beim Bruder des Klägers zu 1. in I... auf. Im März 2003 beantragten sie dann ihre Anerkennung als Asylberechtigte.

2

Zur Begründung verwiesen sie in dem Antragsschreiben, wie auch bei der vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge am 26. März 2003 in Oldenburg durchgeführten Anhörung, darauf, dass sie Roma seien und deshalb von Albanern im Kosovo verfolgt würden. Sie hätten im Kosovo in ständiger Angst vor Verfolgung gelebt. Außerdem sei der Kläger zu 1. an Diabetes erkrankt. Diese Krankheit sei im Kosovo nicht hinreichend behandelbar.

3

Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge lehnte mit Bescheid vom 1. April 2003 den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigte ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG sowie Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen und forderte die Kläger unter Fristsetzung und Androhung der Abschiebung nach Serbien und Montenegro zur Ausreise auf.

4

Die Kläger haben am 17. April 2003 Klage erhoben. Zur Begründung führen sie aus: Es finde im Kosovo eine quasi staatliche Verfolgung ethnischer Minderheiten durch die albanische Bevölkerungsmehrheit statt. Gegen diese Verfolgungen seien sowohl KFOR als auch UNMIK machtlos. Außerdem sei der Kläger zu 1. an Diabetes erkrankt, so dass jedenfalls Abschiebungshindernisse vorlägen. Der Prozessbevollmächtigte der Kläger verweist zudem auf Änderung der Gesetzeslage seit dem 1. Januar 2005, die es erforderlich mache, dass über die Sache durch eine Grundsatzentscheidung der Kammer entscheiden werden müsse. Der Einzelrichter müsse wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache das Verfahren auf die Kammer zurück übertragen.

5

In der mündlichen Verhandlung nahmen die Kläger ihre Klage hinsichtlich ihres Antrages auf Anerkennung als Asylberechtigte (Ziff. 1 des Bescheides vom 1. April 2002) zurück.

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Die Kläger beantragen sodann,

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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 1. April 2003 zu verpflichten, festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG hilfsweise des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

10

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den der Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge sowie auf die in der Erkenntnismittelliste aufgeführten Unterlagen (Bl. 75 ff GA) Bezug genommen; sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

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Das Verfahren war gem. § 92 Abs. 1 VwGO einzustellen, soweit die Kläger die Klage zurück genommen haben.

12

Über die Klage konnte - im Übrigen - nach entsprechendem Übertragungsbeschluss der Kammer durch den Einzelrichter entschieden werden. Die Voraussetzungen für die vom Prozessbevollmächtigten der Kläger begehrten Rückübertragung der Sache auf die Kammer liegen nicht vor. Nach § 76 Abs. 3 AsylVfG kann der Einzelrichter (nach Anhörung der Beteiligten) den Rechtsstreit auf die Kammer zurück übertragen, wenn sich aus einer wesentlichen Änderung der Prozesslage ergibt, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Eine solche Änderung der Prozesslage seit dem Übertragungsbeschluss der Kammer vom 21. Januar 2005 ist nicht eingetreten. Sie folgt im Übrigen auch nicht aus den vom Prozessbevollmächtigten der Kläger aufgeworfenen Rechtsfragen. Diese betreffen die Fassung des am 1. Januar 2005 in Kraft getretenen und in diesem Verfahren gem. § 77 Abs. 1 S. 1 2. HS AsylVfG maßgeblichen § 60 Abs. 1 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz - AufenthG) vom 30. Juli 2004 (BGBL. I S. 1950), insbesondere dessen Satz 3 und 4. Ob diese Änderung der Rechtslage sich zu Gunsten der Kläger auswirkt, ist im Wesentlichen abhängig von der Auswertung und Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse in ihrem Heimatland. Nicht jede von der Kammer noch nicht ausdrücklich geklärte Frage verpflichtet den Einzelrichter, die Sache an diese Kammer zurück zu übertragen. Die vom Prozessbevollmächtigten der Kläger aufgeworfenen Fragen lassen sich auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation ohne besondere Schwierigkeiten beantworten. Diese Antworten hängen im Wesentlichen von der Bewertung der tatsächlichen Situation in Serbien und Montenegro ab. Eine solche Bewertung kann - wie bisher - auch der Einzelrichter durchführen.

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Die - nach der teilweisen Klagerücknahme noch streitgegenständliche - Klage ist zulässig, aber unbegründet. Die mit der Klage noch weiterhin angefochtenen Teile des Bescheides vom 1. April 2003 sind rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO).

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Die Kläger haben keinen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen, noch auf die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG.

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Gem. § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf in Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtstellung der Flüchtlinge (Genfer Konvention) ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Insoweit entspricht der Wortlaut des neuen § 60 Abs. 1 AufenthG dem des § 51 Abs. 1 AuslG. Zur näheren Bestimmung und Auslegung des § 60 Abs. 1 S. 1 AufenthG kann deshalb grundsätzlich auf die zu § 51 Abs. 1 AuslG ergangene Rechtsprechung zurück gegriffen werden (vgl. Verwaltungsgericht Oldenburg, Urteile der Kammer vom 16. Mai 2000 - 12 A 4382/99 und 12 A 1003/00 -, vom 27. Januar 2004 - 12 A 606/03 -, vom 10. Februar 2004 - 12 A 4665/02 -, jeweils mit zahlreichen Nachweisen der obergerichtlichen Rechtsprechung, insbesondere des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts). Nach Auffassung des Gerichts sind zusätzlich die in der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Amtsbl. EU L 304/12 vom 30.09.2004) - Qualifikationsrichtlinie - enthaltenen Grundsätze bei der Auslegung des § 60 Abs. 1 S. 1 AufenthG zu berücksichtigen, soweit die Mindestnormen nicht bereits ohnehin Inhalt der Neuregelung des § 60 AufenthG geworden sind. Dies ergibt sich schon daraus, dass die Qualifikationsrichtlinie nach Art. 38 zur Angleichung des europäischen Rechtsstandards bis zum 10. Oktober 2006 in nationales Recht umgesetzt werden muss und sie - wie in der Präambel ausdrücklich betont ist - als Ergänzung u.a. der Genfer Konvention zu betrachten ist.

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Eine Verfolgung nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann ausgehen von dem Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die zuvor genannten Institutionen einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht, es sei denn, es besteht eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG). § 60 Abs. 1 S. 4 AufenthG regelt also (wie Art. 6 der Qualifikationsrichtlinie), von wem die Verfolgung (oder ein ernsthafter Schaden) ausgehen kann und regelt die Akteure, die Schutz bieten können. Vorausgesetzt ist zunächst, dass eine verfolgungsrelevante Handlung vorliegt. Eine solche Verfolgung ist im Sinne einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung zu verstehen, die dem Einzelnen gezielt, d.h. in Anknüpfung an die verfolgungsrelevanten Merkmale zugefügt worden ist bzw. werden soll (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502/86 u.a.-, BVerfGE 80, 315 = InfAuslR 1990, 21 = NVwZ 1990, 151 = DVBl 1990, 102). Sie kann sich als Einzelverfolgung oder als gruppengerichtete Verfolgung darstellen. Die Schutzgewährung hängt vom Grad der Verfolgungshandlungen und der Schwere der Übergriffe ab. Erheblich sind die Verfolgungen auch dann, wenn im Herkunftsland des Ausländers keine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist (§ 60 Abs. 1 S. 4c AufenthG). Der Schutz der Genfer Konvention wird nunmehr wie nach der (schon bisherigen) Rechtslage in den meisten Staaten der Europäischen Union auf Fälle von nichtstaatlicher Verfolgung erstreckt. Entscheidend ist in den Fällen nichtstaatlicher Verfolgung, ob im jeweiligen Einzelfall der Ausländer im Falle seiner Rückkehr in sein Heimatland Schutz vor Verfolgung erlangen kann. Eine solche Möglichkeit scheidet nicht nur dann aus, wenn der Staat oder internationale Organisationen die Übergriffe auf Minderheiten tatenlos hinnehmen, billigen, unterstützen oder gar anregen, also nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten (mangelnder Schutzwille). Der Schutz muss im konkreten Fall auch tatsächlich gewährt werden (können), er muss effektiv sein. Der Ausländer erhält den Schutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG also nicht nur bei mangelndem Schutzwillen sondern auch bei mangelnder Schutzfähigkeit. Dabei ist die Formulierung „erwiesenermaßen“ in § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG nicht so zu verstehen, dass der Betroffene den Beweis zu liefern hat, denn hierzu ist er in aller Regel nicht in der Lage (vgl. Marx, Die Bedeutung der EU-Qualifikationsrichtlinien für die deutsche Asylpraxis, Asylmagazin 2004 Heft 9; Zur Darlegungslast des Asylbewerbers vgl. nur Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 24. Nov. 1981 - 9 C 251.81 -, Buchholz 402.24 § 28 Nr. 31; Urteil vom 22. März 1983 - 9 C 68.81 -, Buchholz 310, § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 144; Marx, AsylVfG-Kommentar, 5. Aufl., § 25 Anm. 7, 14 m.w.N.). Ob mangelnder Schutzwille oder mangelnde Schutzbereitschaft vorliegen, ist anhand der Auskunftslage für den jeweiligen Einzelfall zu prüfen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass weder ein Staat mit seinen Ordnungskräften noch die übrigen in § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG genannten Gruppen/Organisationen einen lückenlosen Schutz vor Übergriffen gewährleisten können. Dies gilt für die politisch motivierten Handlungen ebenso wie für die Fälle des rein kriminellen Unrechts. Entscheidend ist, ob der Staat, die quasi staatliche Organisation und/oder internationale Organisationen (erwiesenermaßen) die Übergriffe zum Einen im Großen und Ganzen verhindern und so Schutz gewähren und zum Anderen, ob sie im konkreten Fall auf Übergriffe reagieren und dann tatsächlich Schutz bieten. Ob und welcher Form sich der Betroffene um polizeilichen/behördlichen Schutz bemüht haben muss, hängt vom jeweiligen Einzelfall ab. Als Maßstab kann der in Art. 8 Abs. 2 der Qualifikationsrichtlinie genannte Maßstab, dass die allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsland und die persönlichen Umstände des Ausländers zum Zeitpunkt der Entscheidung über seinen Antrag zu berücksichtigen sind, herangezogen werden (so auch Marx, a.a.O., Asylmagazin 2004, Heft 9).

17

Bei dieser Einzelfallprüfung ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer bereits vor seiner Ausreise die Verfolgung erlitten hat oder sie ihm jedenfalls drohte. Ist diese Vorverfolgung bereits eingetreten, ist dies ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Ausländers vor Verfolgung begründet ist. Eine Wiederholungsgefahr ist allerdings nicht gegeben, wenn stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass der Ausländer erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird (vgl. Art. 4 Abs. 4 Qualifikationsrichtlinie).

18

Nach diesen Grundsätzen liegen die Voraussetzungen der Schutzgewährung nach § 60 Abs. 1 AufenthG für die Kläger, die der Gruppe der Roma bzw. der albanisierten Roma angehören - insoweit weichen die Angaben der Kläger bei der vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge am 26. März 2003 in Oldenburg durchgeführten Anhörung und den Angaben im gerichtlichen Verfahren voneinander ab -, für den Fall einer Rückkehr in den Kosovo nicht vor. Den Klägern droht als Angehörige der Gruppe der Roma/albanisierten Roma bei einer Rückkehr in die serbische Provinz Kosovo weder von staatlicher oder quasistaatlicher noch von nichtstaatlicher Seite politische Verfolgung, weil sich die tatsächlichen Verhältnisse seit Juni 1999 grundlegend geändert haben.

19

Seit Juni 1999 haben die KFOR-Truppen die Gebietsgewalt im Kosovo übernommen. Diese Tatsachen sind allgemeinkundig und bedürfen deshalb keiner Beweiserhebung, da sie allen Beteiligten unzweifelhaft gegenwärtig und als entscheidungserheblich bewusst sind (vgl. zu diesen Anforderungen: BVerwG, Urteil vom 13. Juli 1982 - 9 C 43/82 -, NVwZ 1983,99 = InfAuslR 1982, 249). Die Stationierung der KFOR-Truppen erfolgte zur Sicherung einer dauerhaften Rückkehr Vertriebener und einer allgemeinen Befriedung der Region. Die Dauerhaftigkeit der Stationierung der KFOR-Truppen und der Anwesenheit der zivilen UN-Mission (UNMIK) wird auch durch die Zielsetzung der Resolution 1244 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 verdeutlicht, wonach u. a. der Aufbau der für eine demokratische und autonome Selbstverwaltung erforderlichen Übergangsstrukturen, die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und der Schutz und die Förderung der Menschenrechte sichergestellt werden sollen. Schließlich bieten auch die vorhandenen Erkenntnisquellen keinen Hinweis dafür, dass sich die KFOR und UNMIK in absehbarer Zeit aus dem Kosovo zurückziehen werden (vgl. Auswärtiges Amt, Lageberichte vom 8. Dezember 1999, 18. Mai 2000, 4. September 2001, 4. Juni 2002, 27. November 2002 und 4. November 2004). Entsprechend diesen Zielen bilden sich mehr und mehr autonome Strukturen. Seit den Parlamentswahlen am 17. November 2001 sind vorläufige Selbstverwaltungsinstitutionen eingesetzt worden, einschließlich eines Parlaments, in dem alle ethnische Gruppen vertreten sind. Der Aufbau einer lokalen, multiethnischen Polizei (Kosovo Police Service, KPS) ist inzwischen weit vorangetrieben. Bisher haben 28 Klassen die Ausbildung für die Kosovo Police absolviert. Im Juni 2004 hatten 6.586 Polizeimitarbeiter bereits die theoretische und praktische Grundausbildung abgeschlossen. Im März und April 2003 wurden ca. 200 KPS-Mitarbeiter wegen Dienstvergehen und anderer Delikte nach internen Ermittlungen aus dem Polizeidienst entfernt. Zwar rekrutiert sich der überwiegende Anteil der KPS-Mitarbeiter aus Kosovo-Albanern (84 %); die restlichen 16 % sind aber Minderheitenangehörige. Zum Aufbau des Justizwesens sind derzeit 359 Richter und Staatsanwälte aus allen ethnischen Gruppen nach ihrer Ernennung tätig, darunter auch Angehörige ethnischer Minderheiten. Zusätzlich haben 27 internationale Richter für besondere Aufgaben ihre Arbeit aufgenommen. Es bestehen Betätigungsmöglichkeiten für Parteien und andere Organisationen. Weitere Parlamentswahlen haben am 23. Oktober 2004 stattgefunden. Sie haben nach Auskunft internationaler Wahlbeobachter den Europaratskriterien entsprochen (vgl. Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Serbien und Montenegro (Kosovo) vom 4. November 2004). Zwar leidet die Arbeit der provisorischen Institutionen der Selbstverwaltung teilweise noch an der Unerfahrenheit und der mangelnden Kompetenz der sie repräsentierenden Personen. Die Parteien verstricken sich in Machtkämpfe. Auch kommt es zu Auseinandersetzungen zwischen den lokalen Institutionen und der UNMIK, da sich lokale Politiker Kompetenzen anmaßen, die ihnen nach dem Verfassungsrahmen nicht zustehen (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes Kosovo vom 4. November 2004). Der Anteil an albanischen Nationalisten und Extremisten an Funktionsstellen in den lokalen Behörden soll beträchtlich sein (vgl. Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, 13. Menschenrechte, September 2004). Die Vertreter der provisorischen Institutionen unterliegen aber noch der Überprüfung der UNMIK bzw. der internationalen Gemeinschaft. Diese hat Mitte 2005 als den Zeitpunkt vorgesehen, an dem überprüft werden soll, ob der Kosovo die Standards einer toleranten, demokratischen und multiethnischen Gesellschaft erfüllt. Diese Standards sind in einem am 10. Dezember 2003 veröffentlichten Papier von UNMIK konkretisiert worden. Die Verantwortlichkeiten seitens der provisorischen Institutionen und der UNMIK zur Umsetzung der Standards wurden durch den „Kosovo standards implementation plan“ vom 31. März 2004 festgeschrieben. Frühere militärische und zivile Strukturen aus der ersten Nachkriegsphase durch Kosovo-Albaner, die ebenfalls Anspruch auf Amtsgewalt erhoben hatten und diesen auch in Teilen der Provinzen de facto ausübten, wie zum Beispiel die „provisorische Regierung des Kosovo“ unter Führung von Hasim Thaci , dem früheren Führer der UCK, die in den meisten Kommunen Verwaltungsstrukturen etablierte und eine Konkurrenz zur UNMIK-Verwaltung darstellte, wurden unter Zustimmung der LDK, der LDB und der PPDK (jetzt PDK) aufgelöst. Die Parteien stimmten zu, mit der provisorischen gemeinsamen Verwaltungsstruktur (JIAS) unter der Schirmherrschaft der UNMIK zusammen zu arbeiten. Hinreichende Anhaltspunkte für die Annahme, dass sich neben der KFOR und der UNMIK, die in Zusammenarbeit mit den oben genannten Institutionen auf der Grundlage der Resolution 1244 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 gegenwärtig die Staats- und Gebietsgewalt im Kosovo ausüben, eine anderweitige staatsähnliche Herrschaftsmacht, die zumindest in einem „Kernterritorium" ein bestimmtes Herrschaftsgefüge von gewisser Stabilität tatsächlich errichtet hat, liegen nicht vor. Es hat sich weder im gesamten Kosovo noch in Teilen davon eine Organisation einer albanischen Bevölkerungsgruppe - etwa ehemalige Angehörige der UÇK (Befreiungsarmee für Kosovo - albanisch „ Ushtria Çlirimtare e Kosovës “) - als eine staatsähnliche Herrschaftsmacht mit der Folge etabliert, dass die dort lebende Bevölkerung einer anderweitigen quasi staatlichen Hoheitsgewalt unterworfen ist. Die UÇK ist aufgelöst worden. Von einem homogenen Gebilde kann nicht (mehr) die Rede sein. Es ist ein Zivilschutz-Korps („Kosovo Protection Corps“ - KPC - albanisch TMK „Kosovo Schutz Truppe“) gegründet worden, das weitgehend aus demobilisierten Mitgliedern der UÇK besteht. Die TMK soll politisch neutral und multi-ethnisch organisiert sein und strikt zivile Aufgaben wie Katastrophenschutz, Minenräumung etc. übernehmen. Zwar wird der zivile Charakter des KPC noch immer nicht von all seinen Mitgliedern vorbehaltlos akzeptiert. So tragen seine Mitarbeiter militärische Rangbezeichnungen. Eine erhebliche Anzahl von Übergriffen wird Berichten zufolge ihren Mitgliedern zugeschrieben. In manchen Gegenden des Kosovo agiert der KPC außerhalb der Kontrolle der UNMIK (vgl. BAFl.: 13. Menschenrechte, September 2004). Nach Ermittlungen der UNMIK-Polizei waren zwei der Täter des Sprengstoffanschlages auf die einzige Eisenbahnverbindung nach Serbien im April 2003, zu dem sich die „albanische nationale Armee“ (ANA, albanisch: Aksh) bekannte, Angehörige des KPC. Daraufhin forderten jedoch UNMIK, KFOR und wichtige Verbindungsbüros vor Ort den KPC unmissverständlich auf, sich von kriminellen und terroristischen Elementen zu trennen. In der Folgezeit wurden 12 hochrangige KPC-Mitarbeiter durch UNMIK vorläufig vom Dienst suspendiert. Diese Suspendierungen wurden dann am 19. Mai 2004 durch UNMIK aus Mangel an Beweisen aufgehoben. Des Weiteren hat sich die ehemalige Befreiungsbewegung in mehrere politische Lager und Bewegungen aufgespaltet, die ihrerseits um die Macht konkurrieren (vgl. Auswärtiges Amt, Lageberichte vom 8. Dezember 1999, 18. Mai 2000, 4. September 2001, 4 Juni 2002 und 27. November 2002; UNHCR vom 31. Mai 2000; SFH vom März 2000). Die 2001 erneut aufgetretene bewaffnete - oben genannte - albanische Untergrundgruppe „Albanische nationale Armee“ (ANA, Aksh) agierte zunächst in Mazedonien und Südserbien, später auch im Kosovo. 2002/03 machte sie wiederholt durch Großalbanische Propaganda in den Medien und durch die Übernahme der Verantwortung für den genannten Anschlag auf sich aufmerksam. Eine akute Gefährdung der Sicherheitslage stellt diese bewaffnete Gruppierung, die Verbindungen zu ehemaligen und aktiven TMK-Mitgliedern und zu Strukturen der organisierten Kriminalität hat, derzeit jedoch nicht dar. UNMIK hat sie als terroristische Organisation verboten, wodurch schon die reine Mitgliedschaft zu einer strafbaren Handlung wird (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 4. November 2004). Es sind zahlreiche ehemalige UCK-Kämpfer verhaftet und unter Anklage gestellt worden (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 4. November 2004).

20

Aus dieser dargestellten tatsächlichen und politischen Lage im Kosovo folgt, dass nicht nur von Seiten der KFOR oder UNMIK unmittelbare Verfolgungshandlungen gegenüber Angehörigen ethnischer Minderheiten auszuschließen sind. Angehörige der Gruppe der Roma/albanisierten Roma/Ashkali sind seit Einzug der KFOR-Truppen im Kosovo einer staatlichen oder quasistaatlichen Verfolgung auch sonst weder ausgesetzt gewesen noch ist dies in absehbarer Zeit zu befürchten.

21

Ebenso wenig liegen die Voraussetzungen für die Annahme einer mittelbaren staatlichen Verfolgung vor, die in den Übergriffen Dritter gegenüber Angehörigen der Bevölkerungsgruppe der Roma und Ashkali begründet ist. Dies wäre nach den o.g. Grundsätzen nur zu bejahen, wenn die internationale Verwaltung, die zusammen mit den genannten Institutionen im Kosovo die staatliche Gewalt ausübt, derartige Übergriffe auf Angehörige ethnischer Minderheiten billigt (mangelnder Schutzwille) oder sie tatsächlich keinen Schutz gewährt (mangelnde Schutzfähigkeit). Die der Entscheidung zugrunde liegenden Erkenntnismittel bieten jedoch keinen Anhalt, dass diese Voraussetzungen für die Annahme einer mittelbaren politischen Verfolgung vorliegen. Aus den Erkenntnismitteln ergibt sich vielmehr, dass die UN-Übergangsverwaltung (UNMIK) mit der internationalen Polizeitruppe und der zwischenzeitlich aufgebauten örtlichen Polizei (KPS) sowie die KFOR-Einheiten, die die Staats- und Gebietsgewalt im Kosovo weiterhin ausüben, allen im Kosovo lebenden Bevölkerungsgruppen und damit auch den Roma und Ashkali mit den zur Verfügung stehenden Mitteln Schutz gewähren und dazu prinzipiell auch in der Lage sind.

22

Das Auswärtige Amt führt aus, dass die Minderheitengruppen der Roma und Ashkali, deren Geschichte stets durch mangelnde Akzeptanz und Diskriminierung geprägt gewesen sei, (auch) nach den Übergriffen in 1999 gezielten Diskriminierungen und Einschüchterungen bis hin zu gewalttätigen Übergriffen und Brandstiftung durch Kosovo-Albaner ausgesetzt seien. Im Zusammenhang mit den Unruhen nach dem Rückzug der jugoslawischen Einheiten (Juni 1999) habe mehr als die Hälfte der Roma den Kosovo verlassen. Auch wenn sich die Sicherheitslage zwar zwischenzeitlich wesentlich gebessert habe, müsse diese jedoch weiter als schwierig bezeichnet werden. Angehörige ethnischer Minderheiten erführen weiterhin in unterschiedlicher Stärke Diskriminierungen bis hin zu Bedrohungen ihres Lebens und ihrer körperlichen Unversehrtheit. Die Lage könne zwar als ruhig, nicht jedoch als stabil bezeichnet werden (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 4. November 2004). Auch der UNHCR verweist in seinen Stellungnahmen darauf, dass die Sicherheit der nicht zur Gruppe der Kosovo-Albaner gehörenden Bewohner des Kosovo (weiterhin) ernsthaft bedroht sei. Diese Gefahren verhinderten auch einen gleichberechtigten Zugang zu Sozialleistungen, Gesundheitsversorgung, Bildung, Arbeitsmarkt und Wohnung. Weiterhin wird darauf verwiesen, dass die Sicherheitslage von Roma, Ashkali und Ägyptern veränderlich und brisant sei. Manche ihrer Gemeinschaften hätten ein Maß an Stabilität erreicht, bei dem gewaltsame Anschläge selten seien, während andere weiterhin unerbittlicher Gewalt und Einschüchterungsversuchen ausgesetzt seien. Bei diesen ethnisch motivierten Angriffen seien in einigen Fällen Menschen zu Tode gekommen (UNHCR vom 9. April und August 2004, Positionspapier zur fortdauernden Schutzbedürftigkeit von Personen aus dem Kosovo von Januar 2003; Auskunft vom 5. März 2003 an VG Bayreuth und Erklärung vom 11. März 2003). Auch in weiteren Stellungnahmen wird berichtet, dass die Situation für Angehörige der Roma, Ashkali und Ägypter im Kosovo weiterhin besonders schwierig und prekär sei. Die Minderheitenangehörigen seien immer noch Übergriffen von extremistischen Albanern ausgesetzt, so dass bei ihnen kein Gefühl von Sicherheit bestehe. Allerdings könne die Sicherheitslage im Kosovo nicht einheitlich beurteilt werden; sie sei regional sehr unterschiedlich (Bericht des Herrn Paul Polansky für GfbV vom Oktober 2003 und 30. März 2004). Auch die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) führt entsprechend aus, dass zwar die Zahl der gewaltsamen Zwischenfälle gegenüber den Minderheitenangehörigen im Jahr 2001 zurückgegangen sei, doch könne ihre Sicherheitssituation nicht als stabil bezeichnet werden. Es gebe nach wie vor Morde, Angriffe und Belästigungen. Solche Vorkommnisse reichten aus, um die Minderheiten zu verunsichern und von einer Rückkehr abzuschrecken. Ebenso sei eine wesentliche Besserung der allgemeinen sozialen und wirtschaftlichen Situation nicht festzustellen (vgl. SFH vom 25. April 2002 und vom 16. April 2002, ebenso UNHCR vom Juli 2002; SFH vom 2. und 3. April 2003; SFH im April 2003). Insbesondere bestünden weiterhin Probleme bzgl. ausreichenden Wohnraums. UNMIK und die örtlichen Behörden könnten keine Gewähr für Unterbringungsmöglichkeiten bieten, so dass die Wiederherstellung von Häusern etc. weitgehend in Privatinitiative geleistet werden müsse und Rückkehrer auf Hilfe durch Verwandte angewiesen seien (vgl. UNHCR vom 15. März 2004). Nach den Angaben der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) leben mindestens 5.000 Roma sowie ca. 20.000 Ashkali und Ägypter im Kosovo; nach Angaben des Auswärtigen Amtes leben im Kosovo schätzungsweise 31.000 Roma, Ashkali und Ägypter und die Gesamtzahl der im Kosovo verbliebenen nichtserbischen Minderheitenangehörigen wird auf 75.000 (einschließlich Roma, Ashkali und Ägypter - Stand Ende November 2004) geschätzt (GfbV vom Oktober 2003; Auswärtiges Amt, Lageberichte vom 10. Februar und 4. November 2004). Nach dem Bericht der Gesellschaft für bedrohte Völker sind Minderheitenangehörige - wenngleich nicht in großer Anzahl - in den Kosovo zurückgekehrt sind: So sei nach Lipljan (Lipjan) ca. jeder Fünfte der ca. 1.500 vormals dort ansässigen Ashkali (jedoch nur 5 % der Roma), nach Ðjakovica ( Gjakovë ) seien ca. 200 Minderheitenangehörige, nach Prizren ( Perzeren ) seien alle 280 Roma-Angehörige zurückgekehrt. Dem gegenüber gebe es aber auch Orte, in die Minderheitenangehörige nicht zurückgekehrt oder Rückkehrprogramme der UNMIK gescheitert seien (GfbV vom Oktober 2003). Nach Angaben des UNHCR kehrten bis Juni 2004 rund 1000 Roma und 2800 Ashkali und Ägypter freiwillig in den Kosovo zurück (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom4. November 2004).

23

Selbst wenn nach diesen Erkenntnissen die Sicherheit der nicht zur Gruppe der Kosovo-Albaner gehörenden Bewohner des Kosovo auch weiterhin als ernsthaft bedroht anzusehen ist, sichert die KFOR dennoch nach ihren Möglichkeiten die Siedlungen der Roma und Ashkali, kontrolliert Zufahrtstraßen und eskortiert Bustransporte sowie Konvois privater Fahrzeuge. Sind Übergriffe zu erwarten, reagiert die KFOR mit erhöhter Präsenz, verstärkten Patrouillen und verschärften Sicherheitsvorkehrungen (Auswärtigen Amt, Lageberichte vom 21. November 2000; 4. September 2001, 4. Juni 2002 und 27. November 2002; UNHCR vom 1. März 2000). Die aus den vorliegenden Erkenntnismitteln ersichtlichen Bemühungen der KFOR mit mehr als 17.800 Soldaten (Stand September 2004), der UNMIK mit 3495 Polizeibeamten (Stand November 2004) und 3695 Vollzugsbeamten der internationalen Polizei (Stand Juli 2004), sowie der Kosovo Police Service (KPS) - einer lokalen, multi-ethnischen Polizei - lassen erkennen, dass sie alle ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten einsetzen, um den ethnischen Minderheiten Schutz zu gewähren (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 4. November 2004). Zentrales Aufgabengebiet von KFOR und der internationalen Polizeieinheit ist der Schutz und die Förderung der Menschenrechte und die sichere und unbehinderte Rückkehr aller Flüchtlinge und Binnenvertriebenen (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 4. November 2004). Die Sicherheitsbehörden haben die Anpassung ihres Sicherheitskonzeptes auch im Laufe des Jahres 2003 fortgeführt (sog. „Lösungsstrategie“). So wurden statische Kontrollpunkte für Fahrzeuge verringert und vermehrt flexiblere, spontane Kontrollpunkte eingerichtet. Im Rahmen der Übergangsstrategie werden Polizeiaufgaben - wo sie als notwendig erachtet werden - vom KPS übernommen. Diese Änderungen des Sicherheitskonzeptes wurden stufenweise vorgenommen und die Sicherheit der Minderheitenangehörigen durch den Einsatz von UNMIK-Polizei und KPS erhöht. So werden verstärkt ethnisch gemischte KPS-Patrouillen eingesetzt (UNHCR und OSZE, Zehnte Beurteilung der Situation ethnischer Minderheiten im Kosovo für den Zeitraum Mai bis Dezember 2002 - vom März 2003).

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Gleichwohl kann die Sicherheit für die Minderheitenangehörigen auch bei Einsatz aller Möglichkeiten nicht umfassend gewährleistet werden. Dies haben insbesondere auch die Ausschreitungen Mitte März 2004 gezeigt.

25

Hierbei ist es überwiegend zu Übergriffen von Kosovo-Albanern gegen Serben gekommen; aber auch Angehörige ethnischer Minderheiten sind Opfer von gezielten Übergriffen geworden. Bei den Zusammenstößen sei es der KFOR und der internationalen Polizei zunächst nicht gelungen, die ethnischen Gruppen zu trennen. In der Nacht zum 18. März 2004 machten Tausende Kosovo-Albaner im ganzen Kosovo „Jagd“ auf die serbische Minderheit und zerstörten Häuser, Kirchen und Fahrzeuge der internationalen Friedenstruppen. Die KFOR - und Polizeieinheiten beschränkten sich im Wesentlichen darauf, die Sicherheit der Angehörigen ethnischer Minderheiten durch Evakuierungen zu gewährleisten. Bei den Ausschreitungen sind 28 Personen ums Leben gekommen und mehrere Hundert (die Angaben schwanken zwischen 600 und 1.000) verletzt worden. Auch sind 286 Häuser sowie 30 Kirchen und Klöster niedergebrannt worden; daneben sind weitere 80 Häuser, 11 Kirchen und 25 andere Gebäude zerstört worden. Rund 4.000 Menschen haben ihre Wohnung verloren. Dabei sind vorrangig Serben angegriffen und vertrieben worden, deren Zahl mit 3.270 angegeben wird. Daneben waren im Umfeld serbischer Enklaven lebende Roma und Ashkali ebenfalls betroffen; auch sie sind von der KFOR in Sicherheit gebracht worden (vgl. BAFL vom 5. April 2004 - Schwere Unruhen im Kosovo -; Deutsches Verbindungsbüro Kosovo vom 2. April 2004; UNHCR vom 9. April 2004 und 23. März 2004; vgl. auch SZ vom 29. März 2004; Die Zeit vom 26. März 2004; FAZ vom 24. März 2003; taz vom 24. März 2004; NZZ vom 24. März 2004). Die Stärke der Ausschreitungen und deren Folgen variierten je nach Region. So wird die Zahl der Vertriebenen in der Region Prizren ( Perzeren ) mit 45 und in der Region Pec ( Pejë ) mit 123 angegeben. Demgegenüber wurden in der Region Mitrovica ( Mitrovicë ) 1.693 Bewohner und in der Region Priština ( Prishtinë ) 1.734 Bewohner vertrieben (vgl. BAFL vom 5. April 2004 - Schwere Unruhen im Kosovo -; Deutsches Verbindungsbüro Kosovo vom 2. April 2004; UNHCR vom 9. April 2004; vgl. auch GfbV vom 30. März 2004). Es sind auch Angehörige der Roma und Ashkali gezielt angegriffen worden. So sei es in Vuçitrn (Vushtrri) zu gezielten Vertreibungen und gewalttätigen Ausschreitungen gegen die dort lebende Ashkali-Bevölkerung gekommen. 67 Häuser der Ashkali seien niedergebrannt und mehr als 200 Bewohner des Ashkali-Viertels seien vertrieben worden. Auch in Kosovo Polje (Fushë Kosovë) und in Lipljan seien einige Häuser der Ashkali zerstört worden. Von den rund 4.000 Vertriebenen im Kosovo gehörten etwa 390 den Gruppen der Roma und Ashkali (von etwa 25.000 bis 31.000 im Kosovo lebenden Gruppenangehörigen) an. Von den 28 bei den Unruhen Getöteten gehörte keiner den Gruppe der Roma und Ashkali an (BAFL vom 5. April 2004; Deutsches Verbindungsbüro Kosovo an BAFL vom 2. April 2004; GfbV vom 30. März 2004; v. Holtey vom 7. April 2004, nach dem 257 Ashkali aus Vuçitrn (Vushtrri) vertrieben worden seien). In anderen Regionen sei es nicht zu gezielten Angriffen gegen Roma und Ashkali gekommen. Die ca. 3.600 evakuierten Serben und anderen Minderheitenangehörigen halten sich in KFOR - Liegenschaften oder Notunterkünften auf bzw. sind privat untergekommen (vgl. BAFL vom 5. April 2004; UNHCR vom 9. April 2004, SFH vom 24. Mai 2004). KFOR hat im Zusammenhang mit den Unruhen seine Truppenpräsenz bis zum 20. März 2004 um 2.000 Mann erhöht und in besonders brisanten Gebieten die Bewachung verstärkt. Hierdurch konnte die Gewalt in kurzer Zeit eingedämmt werden. Die Übergriffe werden auch strafrechtlich verfolgt; es ist zu zahlreichen Festnahmen gekommen (vgl. UNHCR vom 9. April 2004; BAFL vom 5. April 2004; NZZ vom 24. März 2004; Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 4. November 2004). Im Nachgang auf diese Ausschreitungen haben die Betroffenen internationale Hilfe erhalten. So hat u.a. das DRK Hilfslieferungen für zunächst 1.000 Flüchtlinge in das Krisengebiet geschickt. Auch Russland hat Hilfslieferungen geschickt und plane eine „langfristige Hilfsaktion“. Auch die Provinzregierung des Kosovo stellt eine Soforthilfe für den Wiederaufbau der zerstörten Häuser und Einrichtungen zur Verfügung; teilweise wurden durch UNMIK Ersatzunterkünfte bereitgesellt (vgl. UNHCR vom 9. April 2004; BAFL vom 5. April und Mai 2004; Basler Zeitung vom 27. März 2004; Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 4. November 2004). Es existieren nach wie vor zahlreiche Rückkehrprojekte (vgl. BAFL. Vom Dezember 2004). Im Januar 2004 hat die Gesellschaft für bedrohte Völker vor dem Hintergrund der schlechten Menschenrechts- und Versorgungslage ein neues Monitoring- und Hilfsprojekt gestartet, mit dem besonders hilfsbedürftige Familien, insbesondere Frauen und Kinder humanitär unterstützt werden sollen. Die Aufmerksamkeit soll auch Rückkehrern gelten, die oft vor dem Nichts stünden, weil sie mittellos und ihre Häuser oft zerstört oder von Albanern besetzt seien (Bericht des Herrn Paul Polanski für GfbV vom 30. März 2004). Es wird auch berichtet, dass die Bevölkerung nicht mehr auf die Lebensmittelversorgung durch internationale Hilfsorganisationen angewiesen seien (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 4. November 2004). UNMIK schätzt die allgemeine Lage nach den Ausschreitungen als stabil und ruhig ein, jedoch wird auch berichtet, dass die interethnische Beziehung zwischen den Gruppen weiterhin extrem gespannt und die Sicherheitslage daher äußert fragil sei (vgl. Deutsches Verbindungsbüro Kosovo an BAFL vom 2. April 2004; BAFL vom 5. April 2004; SFH vom 24. Mai 2004).

26

Die nach den oben dargelegten Maßstäben vorzunehmende Bewertung dieser allgemeinen Lage im Kosovo ergibt, dass die im Kosovo stationierten KFOR - Einheiten sowie die Polizeieinheiten willens und auch in der Lage sind, den Angehörigen ethnischer Minderheiten Schutz zu gewähren. Die KFOR verstärkte ihre militärische Präsenz im Kosovo umgehend, so dass die Unruhen binnen weniger Tage beendet waren (vgl. UNHCR vom 9. April 2004; BAFl vom 5. April 2004; NZZ vom 24. März 2004). Die KFOR hat das Mandat erhalten, bei weiteren Ausschreitungen hart durchzugreifen. Polizei und KFOR-Patroullien und Check-Points sind wieder überall aktiviert. (vgl. BAFl: 13. Menschenrechte, September 2004). Es wurden auch Ermittlungen eingeleitet. Vermutet wird, dass die Unruhen von einer extremistischen Organisation geplant und gesteuert waren. Unter den Beteiligten befanden sich auch nationalistische Drahtzieher; die große Schar der Mitläufer handelte vermutlich spontan. Die Verbände der ehemaligen Rebellen scheinen eine zentrale Funktion ausgeübt zu haben. Ca. 270 Personen wurden bisher festgenommen, darunter Parteimitglieder der PDK und AAK, sowie Mitglieder der TMK und Personen, die für extremistische Aktivitäten bekannt sind. Auch wenn die beschriebenen Ausschreitungen nicht verhindert werden konnten, so war nur ein geringer Teil der Gruppenangehörigen der Roma und Ashkali betroffen und diesem ist seitens der KFOR und Polizei tatsächlich Schutz gewährt worden, so dass Todesopfer nicht zu beklagen waren. Auch ist humanitäre Hilfe geleistet worden. Allein die Feststellung, dass es zu einer Vielzahl von Benachteiligungen bis hin zu Verfolgungsmaßnahmen an Angehörige von Minderheiten im Kosovo kommen kann und dass dort nach wie vor auch nach mehreren Jahren nach Beendigung des Kosovo-Krieges im Juni 1999 ein Klima der Repression und Angst der Minderheiten besteht, reicht für die Annahme einer politischen Verfolgung nicht aus.

27

Aus den vorliegenden Erkenntnismitteln lässt sich mithin weder in quantitativer noch in qualitativer Hinsicht entnehmen, dass aufgrund der Sicherheitslage und der besonders schwierigen wirtschaftlichen und sozialen Lage der Minderheitenangehörigen für jedes Mitglied der Gruppe mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die aktuelle Gefahr besteht, bei einer Rückkehr in den Kosovo politisch verfolgt zu werden.

28

Die Kläger haben auch keine individuellen Verfolgungsgründe vorgetragen, so dass ihnen aus diesem Grund ebenfalls keine Verfolgung droht. Nach ihren Äußerungen in der Anhörung beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hätten sie vor ihrer Ausreise im Oktober 2001 im Kosovo in ständiger Angst vor den Übergriffen durch albanische Volkszugehörige gelebt. Zehn Tage nach der NATO-Bombardierung hätten zwei Söhne das Land verlassen. Sie - die Kläger - hätten „nach ein paar Tagen das Haus und das Land verlassen“. Aus diesem Vorbringen lässt sich ein individuelles Verfolgungsschicksal, das den o. g. Anforderungen genügt, nicht ableiten. Die Kläger haben nach den von ihnen geschilderten Vorfällen noch über zwei Jahre im Kosovo gelebt. Auch nach ihrer Einreise nach Deutschland haben sie zunächst keinen Asylantrag gestellt und damit auf eine politische Verfolgung hingewiesen. Diesen Antrag haben sie erst nach weiteren eineinhalb Jahren nach Ablauf der ihnen zwischenzeitlich erteilten Duldungen gestellt. Anhaltspunkte für die Annahme, dass die Kläger ein besonderes Schicksal erlitten hätten, sind nicht ersichtlich, so dass es auf die weiteren Fragen, ob die internationale Organisationen im konkreten Fall auf Übergriffe reagiert und dann auf entsprechende Hilfeersuchen tatsächlich Schutz geboten haben, nicht ankommt. Da die Kläger mithin schon aus den genannten Gründen nicht unter dem Eindruck einer erlittenen Verfolgung ausgereist sind, ist nicht zu entscheiden, ob ihnen im Kosovo oder in den übrigen Landesteilen von Serbien und Montenegro eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung gestanden hätte.

29

Den Klägern droht somit im Falle einer Rückkehr in das Kosovo weder eine politische Gruppenverfolgung noch eine solche aus individuellen Gründen.

30

Es liegen auch die Voraussetzungen eines Verbots der Abschiebung nach § 60 Abs. 2 bis 5 AufenthG nicht vor. Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 - 4 AufenthG sind ersichtlich nicht erfüllt. Auch ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 3 EMRK ist nicht gegeben, da im vorliegenden Verfahren keine Gründe ersichtlich sind, dass eine grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Für die Feststellung entsprechender Gefahren bedarf es nämlich konkreter Anhaltspunkte, an denen es hier fehlt. Kriegs- und Bürgerkriegsgefahren wie auch Rechtsverletzungen durch beliebige private Dritte (verbrecherische Banden oder auch einzelne Kriminelle) werden vom Schutzbereich des Art. 3 EMRK nicht einbezogen.

31

Den Klägern steht auch ein Abschiebungshindernis gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht zu. Danach soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Hiernach besteht bei Vorliegen der Voraussetzungen nicht mehr nur ein fakultatives Abschiebungshindernis wie nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG. Wie sich aus der Formulierung „soll“ ergibt, ist bei Vorliegen der Voraussetzungen in der Regel von einer Abschiebung abzusehen. Im Übrigen entspricht die Regelung der des § 53 Abs. 6 AuslG. Ein Verbot der Abschiebung ist dann anzunehmen, wenn der Ausländer bei einer Abschiebung im Zielstaat landesweit einer erheblichen konkreten und individuellen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre. Allgemeine Gefahren, die nicht nur dem betreffenden Ausländer, sondern zugleich der ganzen Bevölkerung oder einer Bevölkerungsgruppe drohen (§ 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG), begründen jedoch auch dann keine Abschiebungs-hindernisse nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG, wenn sie den Ausländer konkret und individualisierbar betreffen (vgl. zu § 53 Abs. 6 AuslG: BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1995 - 9 C 6.95 -, BVerwGE 99, 324, 328; Urteil vom 18. März 1998 - 9 C 36.97 -, juris; Urteil vom 27. April 1998 - 9 C 13.97 -, NVwZ 1998, 973; Urteil vom 8. Dezember 1998 - 9 C 4.98 -, BVerwGE 108, 77; Urteil vom 12. Juli 2001 - 1 C 2.01 -, BVerwGE 114, 379; Urteil vom 12. Juli 2001 - 1 C 5.01 -, BVerwGE 115,1). Damit ist § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG in einem Verfahren eines einzelnen Ausländers dann nicht anzuwenden, wenn dieselbe Gefahr zugleich einer Vielzahl weiterer Personen im Abschiebezielstaat droht. Nur dann, wenn dem einzelnen Ausländer keine Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2, 3, 4, 5 oder Abs. 7 S. 1 zustehen, er aber gleichwohl ohne Verletzung höherrangigen Verfassungsrechts nicht abgeschoben werden darf, ist bei verfassungskonformer Auslegung und Anwendung des § 60 Abs. 7 S. 2 AufentG im Einzelfall Schutz vor der Durchführung der Abschiebung nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG zu gewähren. Das ist der Fall, wenn die obersten Landesbehörden trotz einer extremen allgemeinen Gefahrenlage, die jeden einzelnen Ausländer im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausliefern würde, von ihrer Entscheidungsermächtigung aus § 60a Abs. 1 AufenthG keinen Gebrauch gemacht haben, einen generellen Abschiebestopp zu verfügen. In einem solchen Fall gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG als Ausdruck eines menschenrechtlichen Mindeststandards, dem betroffenen Ausländer trotz Fehlens einer behördlichen Entscheidung nach § 60 Abs. 7 S. 2, § 60 Abs. 1 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG zu gewähren (vgl. zur alten insoweit identischen Rechtslage: BVerwG, Urteile vom 17. Oktober 1995 - 9 C 6.95 -, a.a.O., vom 19. November 1996 - 1 C 6.91 -, BVerwGE 102, 249, 258, vom 2. September 1997 - 9 C 14.96 -, BVerwGE 105, 187, 192, vom 18. März 1998 - 9 C 36.97 -, vom 8. Dezember 1998 - 9 C 4.98 - und vom 12. Juli 2001 - 1 C 2.01 -, - 1 C 5.01 -, a.a.O.). Hinreichende Anhaltspunkte für die Annahme einer derartigen extremen Gefahrenlage liegen für Angehörige der Roma, Ägypter und Ashkali im Kosovo nicht vor. Den Klägern steht hiernach hinsichtlich ihrer Volkszugehörigkeit Abschiebungsschutz gem § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG nicht zu. Zur Begründung wird auf die obigen Ausführungen verwiesen. Die nach dem zitierten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Oktober 1995 (- 9 C 9.95 -, aaO) voraussetzende extreme Gefahrenlage kann danach erst Recht nicht angenommen werden.

32

Es liegen auch anderweitig konkret-individuelle Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG zugunsten der Kläger nicht vor. Dies gilt insbesondere für die vom Kläger zu 1. geltend gemachte Erkrankung.

33

Ein individuelles Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG kann sich aus der Gefahr ergeben, dass sich die Krankheit des ausreisepflichtigen Ausländers in seinem Heimatstaat verschlimmert, weil die Behandlungsmöglichkeiten dort unzureichend sind. Da § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG das Vorliegen einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib oder Leben voraussetzt, müsste bei einer Rückkehr in das Herkunftsland eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität zu erwarten sein. Dies ist zu bejahen, wenn sich der Gesundheitszustand wegen fehlender Behandlungsmöglichkeit wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert. Konkret wäre die Gefahr, wenn diese Verschlechterung der Gesundheit alsbald nach Rückkehr der Ausländers in seinen Herkunftsstaat einträte, weil er auf die dortigen unzureichenden Möglichkeiten zur Behandlung seines Leidens angewiesen ist und auch anderswo wirksame Hilfe nicht in Anspruch nehmen kann (vgl. zu § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG: BVerwG, Urteil vom 25. November 1997 - 9 C 58.96 -, BVerwGE 105, 383; Urteil vom 15. Oktober 1999 - 9 C 7/99 -, Buchholz 402.240, § 53 AuslG, Nr. 24). Die Voraussetzungen eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG liegen hiernach nicht bereits dann vor, wenn die in Deutschland verfügbaren (ggf. den Patienten schonenderen) medizinischen Behandlungsmaßnahmen und -methoden im Zielland nicht möglich sind bzw. zur Verfügung stehen, die Erkrankung nach den dort üblichen medizinischen Methoden aber angemessen behandelt werden kann. Der in § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG geregelte Abschiebungsschutz gewährleistet nicht, dass die medizinischen Behandlungsmöglichkeiten im Zielland geeignet sein müssten, eine bestehende Erkrankung optimal zu versorgen oder gar auszuheilen. Schutz vor Abschiebung nach dieser Norm ist nur dann zu gewähren, wenn infolge der Abschiebung konkrete Gefahren für Leib und Leben erwachsen, d.h. sich der gegenwärtige Gesundheitszustand im Falle einer Rückführung in den Zielstaat wesentlich verschlechtern würde. Dies wäre zu verneinen, wenn der - bereits angegriffene - Gesundheitszustand im Wesentlichen unverändert bliebe. Einen allgemeinen Anspruch auf Teilhabe am medizinischen Fortschrift und Standard in der medizinischen Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gewährt § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG nicht.

34

Ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG ist für die Fälle zu bejahen, in denen eine notwendige ärztliche Behandlung oder Medikation für die betreffende Krankheit in dem Herkunftsstaat - etwa wegen des geringen Versorgungsstandards - generell nicht verfügbar ist. Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis kann sich darüber hinaus trotz an sich verfügbarer medikamentöser und ärztlicher Behandlung aber auch aus sonstigen Umständen im Zielstaat ergeben, die dazu führen, dass der betroffene Ausländer diese medizinische Versorgung tatsächlich nicht erlangen kann. Steht eine notwendige Behandlung oder Medikation zwar allgemein zur Verfügung, ist sie dem betroffenen Ausländer aber individuell aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich, liegt eine unter § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG fallende zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben vor (vgl. zu § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG: BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 2002 - 1 C 1.02 -, DVBl. 2003, 463 = AuAS 2003, 106; Hess. VGH, Urteil vom 24. Juni 2003 - 9 E 34260/94.A -, V.n.b.).

35

Die Sperrwirkung des § 53 Abs. 6 S. 2 AuslG, entsprechend § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG tritt nach der angeführten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aber dann ein, wenn die Nichterreichbarkeit der medizinischen Versorgung den einzelnen Ausländer betrifft, weil er einer Bevölkerungsgruppe angehört, die den sich aus einer eingeschränkten medizinischen Versorgungslage ergebenden Gefahren ausgesetzt ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. März 1998 - 9 C 36/97 -, juris).

36

Wenn sich also eine individuelle Gefährdung eines Ausländers aus einer allgemeinen, eine Bevölkerungsgruppe betreffenden Gefahr, wie etwa eine eingeschränkte medizinische Versorgungslage, ergibt, kann diese auch dann nicht als Abschiebungshindernis unmittelbar nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG berücksichtigt werden, wenn sie durch Umstände in der Person oder in den Lebensverhältnissen des Ausländers begründet oder verstärkt wird, aber gleichwohl insgesamt nur eine typische Auswirkung der allgemeinen Gefahrenlage ist (vgl. zu § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG: BVerwG, Urteil vom 8. Dezember 1998 - 9 C 4/98 -, BVerwGE 108, 77).

37

Nach Maßgabe dessen liegt beim Kläger zu 1. die Voraussetzung für eine Verpflichtung der Beklagten, Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 7 AufenthG festzustellen, nicht vor, weil nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten ist, dass sich sein Gesundheitszustand im Falle einer Rückkehr nach Serbien und Montenegro, einschließlich Kosovo, alsbald wesentlich verschlechtern wird, so dass eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib und Leben zu befürchten ist. Nach der zuletzt eingereichten ärztlichen Bescheinigung vom 22. Februar 2005 leidet der Kläger zu 1. an Diabetes mellitus, Typ II ohne Insulin, grauer Star und Fettleber. Es finde eine medikamentöse Behandlung der Zuckerkrankheit statt. Diese geltend gemachten Erkrankungen sind nicht geeignet, eine individuelle konkrete Gefahr für Leib oder Leben i.S.d. § 60 Abs. 7 AufenthG im Falle einer Rückkehr zu begründen. Die geltend gemachten Krankheiten sind in Serbien und Montenegro einschließlich Kosovo hinreichend behandelbar (Deutsches Verbindungsbüro Kosovo an Nds. OVG vom 19. November 2003; vgl. auch zur Behandelbarkeit von Diabetes mellitus und Verfügbarkeit von Insulin: Deutsches Verbindungsbüro an VG Magdeburg vom 16. Januar 2003, an BAFL vom 27. November 2002, an VG Bayreuth vom 17. Oktober 2002, an VG Bayreuth vom 16. September 2002, an BAFL vom 26. August 2002; Deutsche Botschaft Belgrad vom 4. Februar 2002; Auswärtiges Amt an VG Sigmaringen 11. Juli 2001 und vom 16. Mai 2001; KIP (ICMPD) an VG Sigmaringen vom 8. Mai 2001 und vom 22. März 2001; BAFL, Gesundheitswesen, Juni 2004, Seite 14).

38

Die Abschiebungsandrohung in dem angefochtenen Bescheid ist ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden (§§ 34 Abs. 1, 36 Abs. 1 AsylVfG).

39

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 2 VwGO, § 83 b AsylVfG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.