Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 17.12.2013, Az.: 2 A 601/13
leben bei einem Elternteil; Unterhaltsvorschuss
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 17.12.2013
- Aktenzeichen
- 2 A 601/13
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2013, 64283
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 1 Abs 1 Nr 2 UVG
Tenor:
Soweit die Klage zurückgenommen worden ist, wird das Verfahren eingestellt.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens; Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des gegen ihn festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
Der am xxx geborene Kläger begehrt vom Beklagten Unterhaltsvorschussleistungen. Die Eltern des Klägers, die gemeinsam das Sorgerecht für diesen ausüben, sind seit Juli oder September 2010 dauernd getrennt lebend. Seit dem 11. Januar 2013 sind sie rechtskräftig geschieden. Für den Umgang mit dem Kläger schlossen sie vor dem Amtsgericht Kassel zwei Vergleiche. In einem zu dem Aktenzeichen 522 F 83/12 SO am 27. Februar 2012 protokollierten Vergleich einigten sie sich darauf, dass der Kläger im Durchschnitt jedes zweite Wochenende beim Vater und zwar von freitags bis sonntags lebt. Darüber sollte der Kläger im Durchschnitt alle 4 Wochen eine Woche beim Vater verbringen. An diese Woche sollte sich eines der Besuchswochenenden unmittelbar anschließen. Darüber hinaus sollte der Kläger jeweils den Dienstag- und den Freitagnachmittag, wenn freitags nicht ohnehin Umgang sei, beim Vater verbringen.
Die Umgangswoche sollte jeweils montags beginnen und Sonntagabend enden. Entsprechend der so getroffenen Umgangsregelung verfuhren die Eltern des Klägers bis zum 4. Oktober 2012. An diesem Tag nahm die Mutter des Klägers diesen vollständig bei sich auf und verweigerte dem Kindsvater zunächst das Umgangsrecht. Die Kindsmutter tat dies, weil der Kläger in der Schule große Probleme gehabt habe. Sie habe das hin und her für den Kläger zwischen ihr und dem Kindsvater als Ursache für diese Entwicklung angesehen und ihn deshalb ab dem 4. Oktober 2012 bei sich behalten.
Im Zuge der rechtskräftigen Scheidung schlossen die Eltern des Klägers unter dem Aktenzeichen 524 F 1352/12 UG am 11. Januar 2013 vor dem Amtsgericht Kassel einen weiteren Vergleich zum Umgang mit dem Kläger. In diesem Vergleich regelten die Kindseltern, dass der Kläger mit seinem Vater jedes zweite Wochenende von Donnerstag nach Schulschluss bis Sonntagabend 18.00 Uhr habe; des weiteren bestehe Umgang jedes 4. Wochenende für eine Woche von Montags nach Schulschluss bis Sonntagabend 18.00 Uhr. Entsprechend dieses Vergleichs verfuhren die Eltern des Klägers ab dem 11. Januar 2013.
Nach unbestrittenen, übereinstimmenden Vortrag der Eltern des Klägers hält dessen Vater in seiner Wohnung einen Raum für den Kläger vor. In diesem Raum befinden sich alle zum Wohnen nötigen Dinge wie Bett, Tisch oder Schrank. Der Vater des Klägers hält darüber hinaus die für diesen erforderlichen Kleidungsstücke vor. Während des Aufenthalts des Klägers bei seinem Vater, bringt dieser den Kläger zur Schule und holt ihn von dort wieder ab. Elternabende besuchen die Eltern des Klägers gemeinsam. Arztbesuche werden nur ganz ausnahmsweise gemeinsam von den Eltern des Klägers wahrgenommen. Ferienzeiten und Feiertage verbringt der Kläger gleichmäßig bei beiden Elternteilen.
Nachdem der Kläger bis einschließlich September 2012 Unterhaltsvorschussleistungen durch den Landkreis Kassel erhalten hatte, ging die Zuständigkeit durch den Umzug des Klägers und seiner Mutter nach Staufenberg am 26. Juni 2012 auf den Beklagten über. Dieser bewilligte zunächst mit Bescheid vom 21. September 2012 monatliche Unterhaltsvorschussleistungen für den Kläger in Höhe von 180 € ab dem 1. Oktober. Nachdem der Vater des Klägers den Umfang seiner Betreuungsleistungen gegenüber dem Beklagten dargelegt hatte, erließ dieser unter dem 21. Dezember 2012 einen weiteren Bescheid. Mit diesem Bescheid lehnte er den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Unterhaltsvorschussleistungen ab und hob den Bescheid vom 21. September 2012 auf. Zur Begründung führte er aus, der Kläger lebe nicht bei einem seiner Elternteile, sondern bei beiden Elternteilen zu etwa gleichen Teilen.
Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17. April 2013, zugestellt am 19. April 2013, zurück. Zur Begründung führte er im Wesentlichen an, dass die von den Eltern des Klägers jeweils erbrachten Betreuungsleistungen dazu führten, dass das Tatbestandsmerkmal des Lebens bei einem Elternteil im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG nicht erfüllt sei.
Hiergegen hat der Kläger am 21. Mai 2013 (Dienstag nach Pfingsten) Klage erhoben. Zu deren Begründung trägt er im Wesentlichen vor, sein Vater habe für ihn lediglich ein Umgangsrecht. Die wesentlichen Betreuungsleistungen erbringe seine Mutter. Deshalb lebe er bei ihr als einem Elternteil.
Der Kläger, der zunächst Leistungen ab dem 1. Juli 2012 begehrt hatte, beantragt, nunmehr,
den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 21. Dezember 2012 und seines Widerspruchsbescheides vom 17. April 2013 zu verpflichten, dem Kläger ab dem 1. Oktober 2012 Unterhaltsvorschussleistungen in Höhe von 180,00 € monatlich zu bewilligen.
Der Beklagte beantragt, zur Begründung im Wesentlichen Bezug nehmend auf seinen Widerspruchsbescheid vom 17. April 2013
die Klage abzuweisen.
Die gesetzlichen Vertreter des Klägers sind in mündlicher Verhandlung informatorisch angehört worden. Insoweit wird wegen der Einzelheiten ihrer Einlassungen auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Soweit der Kläger seine Klage zurückgenommen hat, das betrifft die Monate Juli bis einschließlich September 2012, ist das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO mit der Kostenfolge aus § 155 Abs. 2 VwGO einzustellen.
Die Klage ist zulässig, insbesondere fristgerecht erhoben, aber unbegründet.
Der Bescheid des Beklagten vom 21. Dezember 2012 und dessen Widerspruchsbescheid vom 17. April 2013 sind rechtmäßig und der Kläger hat einen Anspruch gegen den Beklagten auf Bewilligung von Unterhaltsvorschussleistungen ab dem 1. Oktober 2012 nicht (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Der Kläger ist nicht anspruchsberechtigt im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Sicherung des Unterhalts von Kindern alleinstehender Mütter und Väter durch Unterhaltsvorschüsse oder Ausfallleistungen (Unterhaltsvorschussgesetz) - UVG - (BGBl. 2007 I, 1446).
Danach hat Anspruch auf Unterhaltsvorschuss oder -ausfalleistung nach diesem Gesetz (Unterhaltsleistung), wer u.a. im Geltungsbereich dieses Gesetzes bei einem seiner Elternteile lebt, der ledig, verwitwet oder geschieden ist oder von seinem Ehegatten dauernd getrennt lebt. Der Kläger lebt im Streitzeitraum nicht in diesem Sinne bei einem seiner Elternteile.
Ein Kind lebt im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG bei einem seiner Elternteile, wenn es mit ihm eine auf Dauer angelegte häusliche Gemeinschaft unterhält in der es auch betreut wird. Dem Sinn und Zweck des Unterhaltsvorschussgesetzes entsprechend ist das Merkmal nur dann erfüllt, wenn der alleinstehende leibliche Elternteil wegen des Ausfalls des anderen Elternteils die doppelte Belastung mit Erziehung und Unterhaltsgewährung in seiner Person zu tragen hat. Abgrenzungsprobleme entstehen, wenn das Kind, wie hier, regelmäßig einen Teil des Monats auch bei dem anderen Elternteil verbringt. Für die Beantwortung der Frage, ob das Kind in derartigen Fällen nur bei einem seiner Elternteile lebt, ist entscheidend auf die persönliche Betreuung und Versorgung, die das Kind bei dem anderen Elternteil erfährt, und die damit einhergehende Entlastung des alleinerziehenden Elternteils bei der Pflege und Erziehung des Kindes abzuheben. Wird das Kind weiterhin auch durch den anderen Elternteil in einer Weise betreut, die eine wesentliche Entlastung des den Unterhaltsvorschuss beantragenden Elternteils bei der Pflege und Erziehung des Kindes zur Folge hat, ist das Merkmal des Lebens „bei einem seiner Elternteile“ zu verneinen. Neben dem zeitlichen Umfang der Betreuungsleistungen der Eltern kommt es für einen Leistungsanspruch auch darauf an, ob der antragstellende Elternteil die Verantwortung für die Sorge und Erziehung des Kindes trotz der Betreuungsleistungen des anderen Elternteils tatsächlich noch alleine hat. Lässt sich bei Kindern, die sich regelmäßig etwa gleichviel abwechselnd jeweils bei einem der beiden Elternteile aufhalten, ein Lebensmittelpunkt bei einem der Elternteile nicht eindeutig feststellen, so ist ein Anspruch auf Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz in Bezug auf jeden Elternteil ausgeschlossen (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.10.2012 - 5 C 20/11 -, NJW 2013, 405; Nds. OVG, Beschluss vom 01.06.2006 - 4 PA 100/06 -, Veröffentlichung nicht bekannt).
Gemessen an diesen rechtlichen Vorgaben, steht dem Kläger ein Anspruch auf Unterhaltsvorschussleistungen nicht zu. Sowohl unter der Geltung des gerichtlichen Vergleichs vom 27. Februar 2012 wie auch unter derjenigen des Vergleichs vom 11. Januar 2013 lässt sich feststellen, dass der Vater des Klägers erhebliche Pflege- und Erziehungsleistungen für diesen erbringt, die die Mutter des Klägers wesentlich entlasten, was das Tatbestandsmerkmal des Lebens bei einem Elternteil ausschließt.
Legt man den gerichtlichen Vergleich vom 27. Februar 2012 zugrunde, wurde der Kläger jedes zweite Wochenende von Freitag bis Sonntag durch seinen Vater betreut. Dies sind auf durchschnittlich 4 Wochen eines Monats verteilt 4 Nächte und 6 Tage. Daneben war er einmal im Monat eine volle Woche bei seinem Vater, was weitere 5 Nächte und 7 Tage ausmacht. Schließlich wurde er noch an zwei Nachmittagen vom Vater betreut, was in Summe einen ganzen Betreuungstag ausmacht. Zusammengenommen ist der Kläger von seinem Vater damit an 14 Tagen im Monat und über 9 Nächte hin betreut worden. Zu diesem Zwecke hielt der Vater des Klägers für diesen alles bereit, was für den täglichen Bedarf notwendig ist und sorgte auch für entsprechende Ersatzbeschaffungen. Ferner betreute und versorgte der Vater den Kläger mit Allem, was an den Besuchstagen nötig war. Auch wenn die Mutter des Klägers sicherlich höhere Aufwendungen für diesen hatte, insbesondere wenn es um die Anschaffung von Schulbüchern ging, und auch die Begleitung bei Arztbesuchen im Wesentlichen allein durch die Mutter des Klägers erfolgte, muss bei dem unter der Geltung des gerichtlichen Vergleichs vom 27. Februar 2012 gegebenen Betreuungsumfang davon ausgegangen werden, dass sich ein Lebensmittelpunkt bei einem der Elternteile nicht eindeutig feststellen lässt und die Entlastung der Mutter bei der Pflege und Erziehung des Klägers wesentlich ist.
Gleiches gilt unter der Geltung des gerichtlichen Vergleichs vom 11. Januar 2013. Hiernach ist der Kläger an zwei Wochenenden von Donnerstag bis Sonntag bei seinem Vater. Dies entspricht auf den Monat verteilt 6 Nächten und 8 Tagen. Darüber hinaus hält sich der Kläger nach jedem 4. Wochenende für eine Woche von Montag bis Sonntag bei seinem Vater auf. Dies ergibt im Monat weitere 7 Betreuungstage und 5 Betreuungsnächte; zusammengenommen ergeben sich 15 Tage und 11 Nächte der Betreuung des Klägers durch seinen Vater. Die Rahmenbedingungen dieser Betreuung sind dieselben wie eben dargestellt. Auch ab Januar 2013 ist daher davon auszugehen, dass der Kläger nicht im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG bei einem seiner Elternteile lebt.
Das Gericht verkennt nicht, dass der Kläger in der Zeit vom 4. Oktober 2012 bis zum 11. Januar 2013 allein von seiner Mutter betreut worden ist und somit, dem Wortlaut des § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG entsprechend bei einem seiner Elternteile gelebt hat. Dennoch scheidet auch für diese Zeit ein Anspruch auf Unterhaltsvorschussleistungen aus. Denn die Mutter des Klägers, deren Handlungen dieser sich zurechnen lassen muss, hat ihn während dieser Zeit eigenmächtig und entgegen dem gerichtlichen Vergleich vom 27. Februar 2012 bei sich behalten. Es mag hierfür aus Sicht der Mutter gute und nachvollziehbare Gründe gegeben haben, dieses mutwillige Verhalten rechtfertigt indes nicht einen Anspruch auf Unterhaltsvorschussleistungen. Für die Abänderung eines gerichtlich vereinbarten Umgangsrechts sieht das Familienrecht materiell-rechtlich wie prozessual eigene Vorschriften vor, die einzuhalten sind, wenn eine einmal getroffene Umgangsregelung abgeändert werden soll; ein Weg, den die Mutter des Klägers schließlich, wie aus dem Vergleich vom 11. Januar 2013 und der diesem zugrundeliegenden mündlichen Verhandlung ersichtlich, auch gegangen ist. Durch ein eigenmächtiges, zunächst die gesetzlich vorgeschriebenen Verfahrensregelungen missachtendes Verhalten der Mutter des Klägers, kann ein Anspruch auf öffentliche Leistungen nach dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung für den Kläger nicht erwachsen. Ein solches Verhalten erscheint bei allem menschlichen Verständnis für das Handeln der Mutter des Klägers unterhaltsvorschussrechtlich als rechtsmissbräuchlich und vermag einen Leistungsanspruch nicht zu begründen. Der Kläger muss sich daher so behandeln lassen, als wäre der familiengerichtliche Vergleich vom 27. Februar 2012 auch in der Zeit vom 4. Oktober 2012 bis zum 11. Januar 2013 beachtet und seine Vereinbarungen durchgeführt worden.
Soweit die Klage zurückgenommen wurde, hat der Kläger die Kosten des gemäß § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfreien Verfahrens gemäß § 155 Abs. 2 VwGO zu tragen. Da die Klage keinen Erfolg hat, trifft den Kläger gemäß § 154 Abs. 1 VwGO auch die Kostenlast im Übrigen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf §§ 167 VwGO i.V.m. 708 Nr. 11, 711 ZPO.