Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 05.07.2023, Az.: 2 A 1567/23

Beihilfe; Kieferorthopädische Behandlung bei Erwachsenen

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
05.07.2023
Aktenzeichen
2 A 1567/23
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2023, 24164
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGHANNO:2023:0705.2A1567.23.00

Amtlicher Leitsatz

§ 9 Abs. 4 Satz 1 NBhVO, wonach Aufwendungen für ambulante kieferorthopädische Leistungen nur beihilfefähig sind, wenn der Beihilfeberechtigte oder der berücksichtigungsfähige Angehörige bei Behandlungsbeginn das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder bei schweren Kieferanomalien eine kombinierte kieferchirurgische und kieferorthopädische Behandlung erfolgt, ist mit Art. 3 GG vereinbar.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Bewilligung von Beihilfe für ihre Tochter.

Am 22. Juni 2022 reichte die Klägerin einen kieferorthopädischen Behandlungsplan für ihre im Jahr 2001 geborene Tochter bei dem Beklagten mit der Bitte um Bestätigung der Kostenübernahme ein. Mit Bescheid vom 6. Juli 2022 teilte der Beklagte mit, dass die kieferorthopädische Behandlung gemäß § 9 Abs. 4 Satz 1 NBhVO nicht anerkannt werde, da die Tochter der Klägerin das 18. Lebensjahr bereits vollendet habe und eine kombinierte kieferchirurgische und kieferorthopädische Behandlung einer schweren Kieferanomalie nicht erfolge. Die Klägerin erhob am 15. Juli 2022 Widerspruch und teilte mit, ihre Tochter habe eine abgeschlossene kieferorthopädische Behandlung vor dem 18. Lebensjahr durchlaufen. Diese sei offensichtlich nicht fachgerecht gewesen. Es seien massive Probleme aufgetreten, die einer erneuten Behandlung und Korrektur bedürften.

Daraufhin gab der Beklagte ein kieferorthopädisches Gutachten zur Prüfung der medizinischen Notwendigkeit und Angemessenheit in Auftrag. Mit Schreiben vom 9. November 2022 antwortete der beauftragte Fachzahnarzt für Kieferorthopädie, dass die Fehlstellung im vorliegenden Fall geringfügig sei und keinesfalls eine schwere Kieferanomalie vorliege. Es fänden sich keine offensichtlichen Anhaltspunkte dafür, dass die vorherige Behandlung nicht fachgerecht gewesen sei. Eine persönliche Untersuchung der Tochter der Klägerin erfolgte nicht.

Mit Widerspruchsbescheid vom 4. Januar 2023 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück und wiederholte seine im Bescheid vom 6. Juli 2022 vorgetragenen Argumente. Zudem nahm er Bezug auf das Ergebnis des eingeholten Gutachtens. Der Bescheid wurde der Klägerin am 18. Januar 2023 zugestellt.

Die Klägerin hat am 20. Februar 2023 Klage erhoben. Sie trägt vor, es handele sich um die Fortsetzung einer vor Vollendung des 18. Lebensjahres eingeleiteten Behandlung. Diese müsse korrigiert werden. Der kieferorthopädische Behandlungsplan vom 14. Juni 2022 weise in der Anamnese auch auf eine KFO-Vorbehandlung hin. Der Gutachter habe diesen Hinweis nicht weiter geprüft. Es sei schon unklar, welche Unterlagen ihm vorgelegt worden seien. Der Gutachter habe seine Einschätzung nur oberflächlich anhand des Behandlungsplans vorgenommen. Es werde nicht deutlich, wie er zu seiner Feststellung komme. Die Fortsetzung einer vor Vollendung des 18. Lebensjahres begonnenen kieferorthopädischen Behandlung sei nicht vom Leistungsausschluss des § 9 Abs. 4 Nr. 1 NBhVO umfasst. Zudem sei der allgemeine Ausschluss kieferorthopädischer Behandlungen für Erwachsene nach einem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 2. Mai 2012 - 2 S 2904/10 - mit Art. 3 GG unvereinbar. Zwar sei der Leistungsausschluss nach einem Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 7. August 2013 - 5 LA 95/13 - rechtmäßig. Der Leistungsausschluss verfolge allerdings ein sachliches Ziel, nämlich die Beihilfeleistung auf erfolgsversprechende Therapien zu beschränken und medizinisch umstrittene Behandlungen sowie Lifestyleoperationen auszuschließen. Um derartiges gehe es hier nicht. Die Behandlung sei medizinisch notwendig.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 6. Juli 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Januar 2023 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, eine kieferorthopädische Behandlung für ihre Tochter D. anzuerkennen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er verweist zur Begründung auf den angefochtenen Bescheid und den Widerspruchsbescheid. Ergänzend trägt er vor, die vorherige Behandlung der Tochter der Klägerin basiere auf dem Behandlungsplan der Fachärztin für Kieferorthopädie Frau Dr. E.. Die Behandlung sei bis zum 31. Oktober 2017 befristet gewesen und nach Retentionsmaßnahmen abgeschlossen worden. Daher sei keine Fortsetzung einer kieferorthopädischen Behandlung gegeben, zumal ein neues Behandlungskonzept von einem anderen Arzt vorliege. Die Voraussetzungen nach § 9 NBhVO lägen nicht vor. Auch ein atypischer Fall sei nicht gegeben. Bei Personen bis zum 18. Lebensjahr biete eine kieferorthopädische Behandlung in der Regel deutlich mehr Aussicht auf Erfolg. Bei Erwachsenen erfolge eine solche Behandlung oft nur aus ästhetischen Gründen oder wegen mangelnder zahnmedizinischer Vorsorge. Daher verfolge die Altersgrenze der Niedersächsischen Beihilfeverordnung ein sachliches Ziel. Im Übrigen stehe dem Dienstherrn bzw. Normgeber ein Gestaltungsspielraum zur Verfügung, durch den er die Voraussetzungen und den Umfang der Beihilfefürsorge bestimmen könne. Über die Beihilfe müssten nicht sämtliche medizinische Behandlungen finanziert werden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Über die Klage kann durch den Berichterstatter und ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, weil die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben (§§ 87a Abs. 2, Abs. 3, 101 Abs. 2 VwGO).

Die Klage ist zulässig. Ein Begehren auf vorherige Anerkennung der Beihilfefähigkeit kann im Wege einer Verpflichtungsklage verfolgt werden (VGH BW, Urt. v. 1.2.2019 - 2 S 1352/18 -, juris Rn. 22). Die Klage ist zudem fristgerecht erhoben worden. Die Monatsfrist nach § 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO endete am 18. Februar 2023. Da der Tag auf einen Samstag fiel, war der folgende Werktag, der 20. Februar 2023, fristentscheidend (§ 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 2 ZPO).

Die Klage ist jedoch unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dass die beabsichtigte ambulante kieferorthopädische Behandlung ihrer Tochter als notwendig anerkannt wird. Der dieses Begehren ablehnende Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Für die rechtliche Beurteilung beihilferechtlicher Streitigkeiten ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen maßgeblich, für die Beihilfe verlangt wird (BVerwG, Urt. v. 29.7.2021 - 5 C 18.19 -, juris Rn. 9 m.w.N.). Dies gilt auch in dem Fall, in dem - wie hier - um die Voranerkennung der Beihilfefähigkeit von Aufwendungen gestritten wird (VGH BW, Urt. v. 1.2.2019 - 2 S 1352/18 -, juris Rn. 24).

Gemäß § 9 Abs. 4 Satz 1 NBhVO sind Aufwendungen für ambulante kieferorthopädische Leistungen beihilfefähig, wenn der Beihilfeberechtigte oder der berücksichtigungsfähige Angehörige bei Behandlungsbeginn das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder bei schweren Kieferanomalien eine kombinierte kieferchirurgische und kieferorthopädische Behandlung erfolgt (vgl. zum Sinn und Zweck der Norm Nds. OVG, Beschl. v. 7.8.2013 - 5 LA 95/13 -, juris Rn. 7). Nach § 9 Abs. 4 Satz 2 NBhVO wird Beihilfe in diesem Fall jedoch nur gewährt, wenn die Festsetzungsstelle die Notwendigkeit der Behandlung vor deren Beginn auf der Grundlage eines Heil- und Kostenplans anerkannt hat.

Die Voraussetzungen des § 9 Abs. 4 Sätze 1 und 2 NBhVO liegen nicht vor. Die Tochter der Klägerin hat das 18. Lebensjahr bereits vollendet. Damit besteht für sie nur im Falle einer schweren Kieferanomalie ein Anspruch auf Beihilfe. Hierunter fallen nur angeborene Missbildungen des Gesichts und der Kiefer, skelettale Dysgnathien (Fehlentwicklungen) und verletzungsbedingte Fehlstellungen (Mildenberger/Weigel/Fehr, Beihilferecht in Bund, Ländern und Kommunen, 190. EL, § 15a BBhV, S. 9; vgl. auch VG Hannover, Urt. v. 3.11.2009 - 13 A 2970/09 -, juris Rn. 27 f.). Eine solche liegt nicht vor. Der vom Beklagten beauftragte Gutachter führt im Schreiben vom 9. November 2022 aus, dass keinesfalls eine schwere Kieferanomalie vorliege (Blatt 24 der Beiakte). Zwar ist das Schreiben sehr knapp gehalten und enthält keine ausführliche Begründung der Feststellungen. Allerdings handelt es sich bei dem Aussteller um einen Facharzt für Kieferorthopädie, dem zumindest der kieferorthopädischen Behandlungsplan vom 14. Juni 2022 vorgelegen hat. Daher zweifelt der Berichterstatter die Feststellung, dass keine schwere Kieferanomalie vorliege, nicht an. Die Klägerin trägt zu den Beschwerden ihrer Tochter vor, es bestehe eine Bissfehlstellung und ihre Tochter leide unter Kopfschmerzen. Das möchte der Berichterstatter keinesfalls verharmlosen. Es genügt jedoch nicht, um die Beihilfefähigkeit zu bejahen.

Die Bewilligung von Beihilfe kommt auch nicht aufgrund des klägerischen Vortags in Betracht, die vor dem 18. Lebensjahr abgeschlossene kieferorthopädische Behandlung sei offensichtlich nicht fachgerecht erfolgt. Die Klägerin trägt nicht vor, weshalb die Behandlung nicht fachgerecht erfolgt sei. Offensichtlich ist es anhand der vorliegenden Unterlagen ebenfalls nicht. Im Übrigen wären in einem solchen Fall ggf. zivilrechtliche Schadensersatzansprüche zu prüfen. Auch in der gutachterlichen Stellungnahme vom 9. November 2022 heißt es, es fänden sich keine Hinweise darauf, dass die vorherige Behandlung nicht fachgerecht erfolgt sei. Zwar ist der Klägerin insoweit zuzustimmen, als diese Aussage nicht erklärt wird. Nach Ansicht des Berichterstatters bestand allerdings aufgrund des pauschalen Vortrags zur Vorbehandlung schon kein Anlass, ein Gutachten einzuholen.

Soweit die Klägerin im Klageverfahren ausführt, es handele sich um die Fortsetzung einer vor Vollendung des 18. Lebensjahres begonnenen kieferorthopädischen Behandlung, die nicht vom Leistungsausschluss des § 9 Abs. 4 Nr. 1 NBhVO umfasst sei, gibt es auch dafür keine Anhaltspunkte. Dagegen spricht schon die lange Behandlungspause zwischen dem vom Beklagten unstreitig vorgetragenen Abschluss der Vorbehandlung am 31. Oktober 2017 und der Einholung eines kieferorthopädischen Behandlungsplans im Juni 2022 (vgl. hierzu VG Köln, Urt. v. 24.8.2015 - 10 K 2616/14 -, juris Rn. 26; SächsOVG, Beschl. v. 14.4.2021 - 2 A 553/20 -, juris Rn. 7). Im Übrigen liegt bereits unter formalen Gesichtspunkten der Beginn einer neuen Behandlung vor, wenn diese aufgrund eines neuen Behandlungsplans durchgeführt werden soll. Bei Auslegung der Vorschrift des § 9 Abs. 4 NBhVO nach ihrem erkennbaren Zweck ist der Begriff der Behandlung so zu verstehen, dass maßgeblich insbesondere auch das inhaltlich-medizinische Behandlungskonzept sein soll, mit welchem ein bestimmtes Behandlungsziel erreicht werden soll. Gerade dieses muss grundsätzlich vor Vollendung des 18. Lebensjahres entworfen und die entsprechende Behandlung damit begonnen worden sein. Stellt der neue Behandler hingegen einen eigenen Behandlungsplan auf, der ein neues Behandlungskonzept vorsieht, ist von dem Beginn einer neuen Behandlung auszugehen, auch wenn diese dasselbe Behandlungsziel wie die Vorbehandlung verfolgt (vgl. zur ähnlichen Rechtslage im Saarland Saarl. VG, Urt. v. 15.7.2022 - 2 K 615/20 -, juris Rn. 50, 57 f.). Im Übrigen findet die Berücksichtigung eines Fortsetzungszusammenhangs zwischen der vor dem 18. Lebensjahr begonnenen und der nach der Vollendung des 18. Lebensjahrs beabsichtigten Behandlung im Gesetz keine Stütze, da der Beihilfeausschluss grundsätzlich unabhängig von den Gründen gilt, die zu einer Behandlung erst nach Vollendung des 18. Lebensjahres geführt haben (Saarl. VG, Urt. v. 13.7.2011 - 6 K 1775/10 -, juris Rn. 41 und Urt. v. 15.7.2022 - 2 K 615/20 -, juris Rn. 53 m.w.N.).

Die einschränkende Regelung des § 9 Abs. 4 Satz 1 NBhVO, nach Aufwendungen für ambulante kieferorthopädische Leistungen bei Beihilfeberechtigten, die bei Behandlungsbeginn das 18. Lebensjahr bereits vollendet haben, nur beihilfefähig sind, wenn eine schwere Kieferanomalie vorliegt, die eine kombinierte kieferchirurgische und kieferorthopädische Behandlung erfordert, ist auch mit höherrangigem Recht vereinbar (Nds. OVG, Beschl. v. 7.8.2013 - 5 LA 95/13 -, juris Rn. 7). Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht führt in seinem nicht veröffentlichten Beschluss vom 26. Juli 2016 - 5 LA 122/15 - aus:

"Soweit der Kläger der Ansicht ist, die Gewährung einer Beihilfe über die in § 9 Abs. 4 Satz 1 NBhVO geregelten Ausnahmen hinaus sei aufgrund einer erweiternden Auslegung dieser Norm geboten (Zulassungsbegründung - ZB - vom 7.7.2015, S. 2 [Bl. 74/GA]), folgt der Senat ihm nicht. Das Beihilferecht wird seit jeher vom Grundsatz der Nachrangigkeit geprägt. Die Fürsorgepflicht gebietet dem Dienstherrn, in Krankheits- und Geburtsfällen sowie bei Pflegebedürftigkeit durch Gewährung von Beihilfen ergänzend einzugreifen, um den Beamten von dem durch die Dienst- und Versorgungsbezüge nicht gedeckten notwendigen Aufwendungen in angemessenem Umfang freizustellen. Die Beihilfe ist somit ihrem Wesen nach eine Hilfeleistung, die - neben der zumutbaren Eigenbelastung des Beamten - nur ergänzend in angemessenem Umfang einzugreifen hat, um in einem durch die Fürsorgepflicht gebotenen Maß die wirtschaftliche Lage des Beamten durch Zuschüsse aus öffentlichen Mitteln zu erleichtern. Der Charakter der Beihilfe als eine ergänzende Hilfeleistung belässt dem Dienstherrn einen erheblichen Spielraum, innerhalb dessen er die Voraussetzungen, den Umfang und die Art und Weise dieser speziellen Fürsorge bestimmen kann (Topka/Möhle, NBhVO ab 1.1.2012, Stand: April 2016, § 4 NBhVO, S. 4/43). Das Nähere über Inhalt und Umfang der Beihilfegewährung ist in der Niedersächsischen Beihilfeverordnung geregelt. Solche Beihilfevorschriften konkretisieren grundsätzlich abschließend die Fürsorgepflicht des Dienstherrn in Krankheitsfällen (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.6.1980 - BVerwG 6 C 19.79 -, juris Rn 23 ff.).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze bestehen keine Bedenken gegen die Regelung des § 9 Abs. 4 Satz 1 NBhVO, wonach Aufwendungen für ambulante kieferorthopädische Leistungen nur beihilfefähig sind, wenn der zu Behandelnde bei Behandlungsbeginn das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder bei schweren Kieferanomalien eine kombinierte kieferchirurgische und kieferorthopädische Behandlung erfolgt. Insbesondere lässt bereits die Regelung in § 4 Abs. 2 NBhVO Ausnahmen zu. Ist die Gewährung von Beihilfe für Aufwendungen nach dieser Verordnung ausgeschlossen, so ist Beihilfe dennoch zu gewähren, wenn die Ablehnung der Beihilfegewährung im Hinblick auf die Fürsorgepflicht des Dienstherrn nach § 45 BeamtStG zu einer unmittelbaren Härte führt (vgl. § 4 Abs. 2 NBhVO)."

Diesen Grundsätzen folgt der Berichterstatter.

Soweit die Klägerin auf ein Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 2. Mai 2012 - 2 S 2904/10 - hinweist und meint, § 9 Abs. 4 Satz 1 NBhVO sei mit Art. 3 GG unvereinbar, ergibt sich das aus dem genannten Urteil nicht. Der Verwaltungsgerichtshof hat offen gelassen, ob eine solche Regelung generell gegen Art. 3 GG verstößt (vgl. juris Rn. 28 ff.) und einen Verstoß gegen höherrangiges Recht in einem Einzelfall angenommen, in dem eindeutig war, dass die Behandlung ausschließlich auf einer zahnmedizinisch zwingenden Indikation beruht (vgl. juris Rn. 33 ff.; vgl. hierzu auch VGH BW, Urt. v. 1.2.2019 - 2 S 1352/18 -, juris Rn. 60). Im Übrigen lagt bei der dortigen Klägerin anders als hier eine sekundäre Anomalie vor (VGH BW, Urt. v. 2.5.2012 - 2 S 2904/10 -, juris Rn. 39). Zwar hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg mittlerweile auch entschieden, dass im Falle einer primären Kieferanomalie ein Verstoß gegen Art. 3 GG und damit eine Beihilfefähigkeit der notwendigen medizinischen Maßnahmen in Betracht kommen kann, selbst wenn die Behandlung erst im Erwachsenenalter durchgeführt wird (VGH BW, Urt. v. 1.2.2019 - 2 S 1352/18 -, juris Rn. 53 ff.). Dem folgt der Berichterstatter jedoch nicht.

Zu den Urteilen des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 2. Mai 2012 und 1. Februar 2019 führt das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in seinem Beschluss vom 6. September 2021 - 1 A 2193/19 -, juris Rn. 17 ff. aus:

"Das Gericht [der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg] begründet seine - nicht tragende, s. o. - Annahme, nach der die Skepsis gegenüber kieferorthopädischen Behandlungen Erwachsener heute nicht mehr gerechtfertigt sein dürfte, mit der ihm durch den Sachverständigen vermittelten Einschätzung. Danach könne es auch im Erwachsenenalter "möglich und sinnvoll" sein, Zahnstellungsanomalien durch konservative kieferorthopädische Maßnahmen zu korrigieren, wie eine zunehmende Zahl solcher Behandlungen zeige; zudem lasse sich nicht wissenschaftlich bestätigen, dass eine entsprechende Behandlung bei Erwachsenen länger dauere als bei Kindern (juris, Rn. 31). Es ist schon nicht erkennbar (gemacht), weshalb diese - im Übrigen vorsichtigen ("möglich und sinnvoll sein kann"; Hervorhebung nur hier) - Erwägungen des Sachverständigen den bisher stets für maßgeblich erachteten Sachgrund der wegen der leichteren Formbarkeit des kindlichen oder jugendlichen Kiefers besseren Erfolgschancen einer kieferorthopädischen Behandlung Minderjähriger berühren sollen, mit dem sich der VGH offenbar bis heute noch nicht näher befasst hat.

Vgl. insoweit das Urteil des VGH Baden-Württemberg vom 1. Februar 2019 - 2 S 1352/18 -, juris, (Beanstandung der Voraussetzung einer erst im Erwachsenenalter erworbenen Zahnfehlstellung, die die Ausnahmeregelung der Nr. 1.2.3 lit. b) der Anlage zur BVO BW in der seinerzeit aktuellen Fassung 2016 aufstellt, als Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG), in dem der Senat in Rn. 61 die Frage der "Stichhaltigkeit des vom Beklagten für die Altersdifferenzierung angeführten Rechtfertigungsgrundes, Zahn- und Kieferfehlstellungen könnten im Kindes- und Jugendalter mit besseren Erfolgsaussichten reguliert werden als bei Erwachsenen", als nicht entscheidungserheblich offen gelassen hat.

Zudem sagt die behauptete Zunahme kieferorthopädischer Behandlungen Erwachsener für sich genommen nichts über die angesprochenen Erfolgschancen aus, weil eine solche Entwicklung ohne weiteres auch auf ökonomischen Erwägungen einer Vielzahl von Ärzten beruhen kann. Was die Dauer einer Behandlung mit dem typischerweise zu erwarten (Miss-)Erfolg zu tun haben soll, erschließt sich nicht.

Schließlich greift auch das Zulassungsvorbringen nicht durch, die Festlegung der Altersgrenze in § 4 Abs. 2 lit. a) BVO NRW verstoße deshalb gegen Art. 3 Abs. 1 GG, weil es in Anwendung dieser Regelung zu einer Ungleichbehandlung von Personen kommen könne, die nahezu gleich alt seien. Abgesehen davon, dass die Tochter der Klägerin die Altersgrenze bei Behandlungsbeginn bereits um mehr als vier Jahre überschritten hatte, verstößt es nämlich nicht gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz, wenn mit einer - hier gegebenen - generalisierenden, typisierenden und pauschalierenden Regelung des Normgebers, zu der dieser insbesondere bei Massenerscheinungen auch befugt ist, Härten verbunden sind.

Vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 4. April 2001 - 2 BvL 7/98 -, juris, Rn. 42, und Hess. VGH, Urteil vom 3. Mai 2017 - 1 A 472/16 -, juris, Rn. 51, jeweils m. w. N.

Außerdem hat es ein Beihilfeberechtigter dann, wenn die Zahnfehlstellung eines im Kürze 18 Jahre alt werdenden Kindes oder sonstigen Betroffenen und damit eine primäre Zahnfehlstellung in Rede steht, selbst in der Hand, den Eintritt einer solchen Härte zu verhindern, indem er auf eine Behandlung des Kindes oder sonstigen Betroffenen vor Eintritt der Volljährigkeit hinwirkt, die dann ja auch mehr Erfolg verspricht. Ggf. noch verbleibenden Härten der von der Klägerin befürchteten Art kann im Übrigen, soweit die entsprechenden Voraussetzungen vorliegen, durch eine Anwendung der Nr. 4.2.a VVzBVO und ggf. auch durch Annahme eines Anspruchs aus der ansonsten in ihrem Wesenskern verletzten Fürsorgepflicht Rechnung getragen werden."

Dies ist nach Ansicht des Berichterstatters überzeugend (so auch LAG Hamm, Urt. v. 5.2.2015 - 17 Sa 1293/14 -, juris Rn. 55 ff.; HambOVG, Beschl. v. 15.4.2016 - 5 Bf 82/15 -, juris Rn. 55 ff.; SächsOVG, Beschl. v. 14.4.2021 - 2 A 553/20 -, juris Rn. 10 ff.). Soweit ersichtlich hat sich das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht zuletzt in seinem Beschluss vom 17. Mai 2021 - 5 LA 184/19 -, Seite 16 f., nicht veröffentlicht, mit dieser Rechtslage befasst, wobei eine inhaltliche Auseinandersetzung aufgrund des dortigen ungenügenden Berufungszulassungsvorbringens nicht erfolgte. Es heißt in dem Beschluss:

"Der Kläger stützt seine Auffassung, § 9 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 NBhVO müsse contra legem verfassungskonform (erweitert) ausgelegt werden, erkennbar auf das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 2. Mai 2012 (a. a. O.) zu einer (seinerzeit) mit § 9 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 NBhVO vergleichbaren Bestimmung des baden-württembergischen Beihilferechts. Diesem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg hat die Vorinstanz unter Bezugnahme auf das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 5. Februar 2015 (- 17 Sa 1293/14 -, juris) entgegengehalten (UA, S. 12f.), es gehe im Ergebnis auch unter dem Gesichtspunkt der verfassungskonformen Auslegung um die Frage, ob die dem öffentlichen Dienstherrn obliegende Fürsorgepflicht in ihrem Wesenskern verletzt werde, wenn für die medizinisch notwendige und unabdingbare kieferorthopädische Behandlung die Zahlung von Beihilfe verweigert werde, weshalb auch die verfassungskonforme Auslegung voraussetze, dass es sich um erhebliche Aufwendungen handle, die für den Beamten unausweichlich seien, deren Übernahme ihm jedoch nicht zumutbar sei. Damit hat das Landesarbeitsgericht Hamm - und ihm folgend das Verwaltungsgericht - darauf abgehoben, die Anspruchsableitung aus verfassungskonformer Auslegung und die Anspruchsableitung aus dem Fürsorgegrundsatz beträfen dieselbe absolute Ausnahmekonstellation; die hohen Voraussetzungen für die Anspruchsableitung aus dem Fürsorgegrundsatz könnten nicht durch andere, weniger hohe Voraussetzungen "ausgehebelt" werden. Schon diesen rechtlichen Ansatz verkennt der Kläger, wenn er rügt (ZB, S. 3/unten [Bl. 145/GA]), das Landesarbeitsgericht Hamm - und mit ihm die Vorinstanz - "implantiere" eine zusätzliche Tatbestandsvoraussetzung - nämlich die Notwendigkeit erheblicher Aufwendungen, die für den Beamten unausweichlich seien, deren Übernahme ihm jedoch unzumutbar sei - in die vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg entwickelte verfassungskonforme Auslegung. Das Landesarbeitsgericht Hamm hat keine "zusätzliche Tatbestandsvoraussetzung" in die verfassungskonforme Auslegung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg "implantiert", sondern den dogmatischen Ansatz vertreten, dass verfassungskonforme Auslegung und Anspruchsableitung aus dem Fürsorgegrundsatz als absolute Ausnahmetatbestände zu den ansonsten als Ausdruck der Fürsorgepflicht gesetzlich normierten Beihilfevoraussetzungen nicht zu unterschiedlichen Ergebnissen führen und deshalb keine unterschiedlichen Anforderungen haben dürften."

Zu berücksichtigen ist, dass eine über den Wortlaut hinausgehende Anwendung der Beihilfevorschriften grundsätzlich unterbleiben muss, denn es ist Sache des Verordnungsgebers zu entscheiden, in welchen Fällen die Bewilligung von Beihilfe in Betracht kommt. In Einzelfällen kann eine Korrektur der Sachlage über § 4 Abs. 2 NBhVO erfolgen.

Sofern die Gewährung von Beihilfe für Aufwendungen nach der Niedersächsischen Beihilfeverordnung ausgeschlossen ist, ist Beihilfe gem. § 4 Abs. 2 NBhVO dennoch zu gewähren, wenn die Ablehnung der Beihilfegewährung im Hinblick auf die Fürsorgepflicht des Dienstherrn nach § 45 BeamtStG zu einer unzumutbaren Härte führt. Auch diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.

§ 4 Abs. 2 NBhVO erfasst die nur seltenen Fälle, in denen sich die Verweigerung der Beihilfeleistung - atypischerweise - aufgrund ganz besonderer Fallumstände als fürsorgepflichtwidrig darstellen würde. Insoweit kann eine weitergehende Beihilfegewährung wegen besonderer medizinischer Umstände oder wegen einer unzumutbaren finanziellen Belastung geboten sein (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 7.8.2013 - 5 LA 95/13 -, juris Rn. 9 ff.; Beschl. v. 11.2.2015 - 5 LA 112/14 -, juris Rn. 11 ff. und Beschl. v. 27.2.2020 - 5 LA 161/18 -, nicht veröffentlicht). Die Klägerin hat das Vorliegen einer unzumutbaren finanziellen Belastung weder behauptet noch dargelegt. Im Bereich der Krankenvorsorge verpflichtet die Fürsorgepflicht den für den Dienstherrn handelnden Verordnungsgeber, den Beamten von im Hinblick auf seine Alimentation unzumutbaren und unabwendbaren Belastungen freizuhalten; die Fürsorgepflicht gebietet aber keine lückenlose Erstattung aller krankheitsbedingten Kosten. Daher ist der für den Dienstherrn handelnde Verordnungsgeber aus Gründen der Fürsorgepflicht grundsätzlich nicht gehindert, im Rahmen der nach medizinischer Einschätzung behandlungsbedürftigen Leiden Unterschiede zu machen und die Beihilfefähigkeit aus triftigen Gründen zu beschränken oder ganz auszuschließen (Nds. OVG, Beschl. v. 27.2.2020 - 5 LA 161/18 -, nicht veröffentlicht, unter Bezugnahme auf BVerwG, Urt. v. 2.4.2014 - 5 C 40.12 -, juris Rn. 19 m.w.N. und Nds. OVG, Beschl. v. 1.2.2018 - 5 LA 184/16 -). Eine derartige unzumutbare Härte aus finanziellen Gründen ist insbesondere anzunehmen, wenn der Beihilfeberechtigte glaubhaft machen kann, dass die Aufwendungen seine finanziellen Möglichkeiten erheblich übersteigen und zu befürchten steht, dass er hierdurch in eine finanzielle Notlage gerät (VG Lüneburg, Urt. v. 1.9.2022 - 5 A 395/21 -, nicht veröffentlicht). Allein die Tatsache, dass für eine Behandlung hohe Kosten entstehen, genügt nicht, denn es besteht die Möglichkeit, eine Ratenzahlung zu vereinbaren oder ggf. ein Darlehen aufzunehmen. Im Übrigen ist fraglich, ob hier wirklich Gesamtkosten in Höhe von über 10.000 EUR anfallen werden, denn es ist zweifelhaft, ob ein Überschreiten des 2,3fachen Gebührensatzes, wie er bei einer Vielzahl der im Kostenvoranschlag aufgeführten Positionen erfolgt, tatsächlich zulässig sein wird (vgl. hierzu § 5 Abs. 2 Satz 4 GOZ).

Das Gericht war auch nicht dazu verpflichtet, die Klägerin auf § 4 Abs. 2 NBhVO gesondert hinzuweisen. Die Voraussetzungen der Norm hat die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 19. Juni 2023 verneint. Eine weitere Stellungnahme hierzu erfolgte seitens der Klägerin nicht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.