Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 12.07.2023, Az.: 4 A 3629/19
Abgrenzung Innen-/Außenbereich; Baulücke; Bebauungszusammenhang; Wirksamkeit eines Bebauungsplans der Innenentwicklung (§ 13a BauGB), in dem ein Grundstück als private Grünfläche festgesetzt wird
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 12.07.2023
- Aktenzeichen
- 4 A 3629/19
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2023, 33918
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGHANNO:2023:0712.4A3629.19.00
Rechtsgrundlagen
- BauGB § 13a
- BauGB § 34
- BauGB § 35
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Vollstreckungsgläubigerin zuvor Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Erteilung eines Bauvorbescheides für die Errichtung von zwei Einfamilienhäusern.
Er ist Eigentümer des Flurstücks G.. Das (unbebaute) Grundstück mit einer Größe von 1.951 m2 liegt am westlichen Rand der sog. "Siedlung H.", die aus Wohnhäusern für Mitarbeiter der ehemaligen Munitionsfabrik sowie aus zwei Villen für leitende Angestellte des früheren Kali-Bergwerkes besteht. Das gesamte Areal ist als Gruppendenkmal gemäß § 3 Abs. 3 NDSchG ausgewiesen. Das Baugrundstück liegt zwischen den Grundstücken I. und J., auf denen sich jeweils Wohngebäude befinden. Westlich befindet sich freies Feld, das landwirtschaftlich genutzt wird, in östlicher Richtung befindet sich Bebauung, die straßenbegleitend an der K. steht. Die freie Fläche zwischen der Bebauung in nördlicher und der in südlicher Richtung hat eine Länge von ca. 120 m. Der Kläger erwarb das Grundstück (wohl) im Jahre 2016 von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben. Im Rahmen dieses Erwerbs gab es Gespräche/Verhandlungen mit der Beigeladenen über die Ausübung des Vorkaufsrechts, die im Einzelnen streitig sind. Der Kläger hatte seinerzeit wohl erklärt, das Grundstück als Gartenland oder Pferdewiese nutzen zu wollen.
Am 11.01.2019 stellte der Kläger die Bauvoranfrage, ob die Errichtung von zwei Einfamilienhäusern mit Garage bauplanungsrechtlich zulässig sei. Bei dem Grundstück - das seinerzeit nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplans lag - handele es sich um ein Grundstück im Außenbereich. Das Vorhaben sei nicht privilegiert. Belange, die einer Bebauung entgegenstehen könnten, seien aber nicht ersichtlich.
In der denkmalpflegerischen Stellungnahme der Beklagten zu dem Bauvorhaben wird ausgeführt, dass nach Rücksprache mit dem Nds. Landesamt für Denkmalpflege Denkmalrecht einer Bebauung nicht zwingend entgegenstehe. Die Gestaltung der Neubebauung müsse jedoch so vorgenommen werden, dass sie die vorhandenen Baudenkmale nicht beeinträchtige.
Die Beigeladene verweigerte die Erteilung des Einvernehmens, da gemäß § 35 Abs. 2 BauGB die Entstehung einer Splittersiedlung im Außenbereich zu befürchten sei.
Die Beklagte lehnte die Erteilung des Bauvorbescheides mit Bescheid vom 04.04.2019 ab. Das Baugrundstück liege nicht im Innenbereich und sei auch nicht nach § 35 BauGB privilegiert. Das Vorhaben lasse die Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten (§ 35 Abs. 3 Nr. 7 BauGB).
Den dagegen gerichteten Widerspruch, der mit der Begründung erhoben wurde, die planungsrechtliche Beurteilung richte sich nach § 34 BauGB, wies die Beklagte mit Bescheid vom 11.07.2019 zurück. Das Vorhaben sei auch deswegen unzulässig, weil es dem widerspreche, was ein in Aufstellung befindlicher Bebauungsplan an Festsetzungen vorsehe. Diese förmliche öffentliche Planung müsse als öffentlicher Belang Berücksichtigung finden, so dass es nicht auf die Frage ankomme, ob § 35 Abs. 3 Nr. 7 BauGB einschlägig sei.
Der Kläger hat am 12.08.2019 Klage erhoben. Am 17.03.2022 ist der Bebauungsplan Nr. L. "Siedlung H." mit Erhaltungssatzung in Kraft getreten. Das streitbefangene Grundstück liegt innerhalb des Geltungsbereichs des Bebauungsplans. Der Bebauungsplan setzt das Flurstück M. als private Grünfläche mit der Zweckbestimmung Weidenutzung fest. Das südliche angrenzende Flurstück N. enthält ebenfalls die Festsetzung als private Grünfläche mit der Zweckbestimmung Parkanlage. Im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung hat der Kläger Einwendungen erhoben und geltend gemacht, durch die Festsetzung als Grünfläche werde das streitbefangene Grundstück seine bisher gegebene Baulandqualität verlieren. In ihrer Stellungnahme verwies die Beigeladene darauf, dass die in Rede stehenden Flächen zu keinem Zeitpunkt einer baulichen Nutzung gedient hätten, sondern als großzügige Frei- bzw. Grünflächen den beiden Villengrundstücken. Daher würden sie aus städtebaulicher Sicht nicht als Baulücken aufgefasst. Die Festsetzung als private Grünfläche entspreche der früheren und derzeitigen Nutzung.
Zur Begründung macht der Kläger nunmehr geltend:
Das klägerische Grundstück sei als Baulücke anzusehen. Damit sei dem Kläger durch den Bebauungsplan Baurecht entzogen worden. Etwaige Planungsabsichten der Gemeinde hätten keinen Einfluss auf die rechtliche Zuordnung eines Grundstücks zum Innen- oder Außenbereich. Auf den Inhalt von Absprachen zwischen dem Kläger und der Beigeladenen komme es daher nicht an. Auch in tatsächlicher Hinsicht sei der Vortrag der Beigeladenen unzutreffend. Die Beigeladene habe angekündigt, ihr Vorkaufsrecht ausüben zu wollen, hier jedoch die Fristen versäumt.
Der Bebauungsplan Nr. L. "Siedlung H." und die Erhaltungssatzung seien rechtswidrig.
Die Beigeladene hätte den Bebauungsplan nicht im beschleunigten Verfahren gemäß § 13a Abs. 2 Nr. 1 BauGB i.V.m. § 13 Abs. 2 Nr. 1 BauGB aufstellen dürfen, da auf der Grundlage der Annahme der Beigeladenen Außenbereichsflächen in unzulässiger Weise einbezogen worden seien. Der Fehler sei nach § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BauGB beachtlich.
Ein Planerfordernis nach § 1 Abs. 3 BauGB sei nicht gegeben. Der zeitliche Ablauf lege die Vermutung nahe, dass die Bauleitplanung allein der Verhinderung des klägerischen Vorhabens diene.
Der Bebauungsplan verstoße gegen das Gebot der gerechten Abwägung. Die Beigeladene habe die Belange des Klägers nicht hinreichend gewichtet. Weder dem Bebauungsplan, dessen Begründung oder den sonstigen Planunterlagen sei mit hinreichender Klarheit zu entnehmen, welche rechtliche Qualität die Beigeladene dem klägerischen Grundstück beigemessen habe. Das Grundstück sei als private Freifläche in die Abwägung eingestellt worden. Die fehlerhafte Zuordnung des klägerischen Grundstücks zum Außenbereich nach § 35 BauGB stelle eine gravierende Fehleinschätzung dar. Dieser Gewichtungsmangel sei auch im Sinne von § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB erheblich, da die konkrete Möglichkeit bestehe, dass die planende Stelle eine andere Entscheidung getroffen hätte. Es fehle auch an einer hinreichenden Auseinandersetzung mit der Reichweite des Denkmalschutzes. Die Beigeladene hätte näher begründen müssen, ob und insbesondere in welchem Umfang die Freiflächen aus planungsrechtlicher Sicht Teil des Denkmalensembles seien. Daran fehle es. Es sei auch fraglich, in welchem Umfang die untere Denkmalschutzbehörde im Jahr 2020 erneut beteiligt worden sei. Der von der Beigeladenen vorgenommene Ausgleich sei zudem in einer Weise vorgenommen worden, der zu der objektiven Gewichtung der Belange außer Verhältnis stehe. Es sei bereits fraglich, ob die Beigeladene überhaupt einen Interessenausgleich vorgenommen habe. Das auf der Grundlage von § 34 BauGB bestehende Baurecht des Klägers sei nicht hinreichend beachtet worden. Die Beigeladene hätte dem Rechnung tragen können, indem sie die Bebauung nicht vollständig ausgeschlossen hätte, sondern zumindest eine Bebauung erlaubt hätte, die sich in das Denkmalensemble einfüge.
Die von der Beigeladenen auf der Grundlage von § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BauGB aufgestellte Erhaltungssatzung sei unwirksam, weil die materiellen Voraussetzungen für deren Erlass nicht vorlägen. Die Aufstellung einer solchen Satzung für ein Gebiet ohne bauliche Anlagen sei rechtlich unzulässig. Jedenfalls verletze die Satzung das Abwägungsgebot. Die Festlegung von Erhaltungsgebieten mit der Folge einer neuen Genehmigungsbedürftigkeit baulicher Anlagen bedürfe einer planenden Abwägung durch die Gemeinde.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger unter Aufhebung der Bescheide vom 04.04.2019 und vom 11.07.2019 unter Ersetzung des Einvernehmens der Beigeladenen den beantragten Bauvorbescheid zu erteilen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Dem Bauvorhaben stünden (jetzt) die Festsetzungen des Bebauungsplans entgegen. Zuvor sei das Vorhaben unzulässig gewesen, weil es auf der Grundlage von § 35 BauGB unzulässig gewesen sei. Bei der Frage, ob es sich um eine Baulücke handele, komme es neben der konkreten Ausdehnung darauf an, ob der Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit bestehe. Das sei unter Berücksichtigung der Eigenheiten der Siedlungsstruktur zu bewerten.
Die Beigeladene verteidigt den Bebauungsplan. Dieser diene mit seinen Festsetzungen insbesondere der Erhaltung, Anpassung und moderaten Fortentwicklung der vorhandenen gewachsenen städtebaulichen Strukturen und somit der Innenentwicklung der "Siedlung H.". Weil die auf diesen Flächen befindlichen Villen zusammen mit der übrigen Bebauung Teil eines Denkmalensembles bildeten und die dazwischenliegenden großzügigen Freiflächen zur Erhaltung der städtebaulichen Eigenart und Einheit des Gebietes planungsrechtlich abgesichert werden sollten, seien sie in den räumlichen Geltungsbereich des Bebauungsplans einbezogen und überplant worden. Bei dem Flurstück 44/25 handele es sich aus städtebaulicher Sicht nicht um eine Baulücke, sondern um eine zum Schutz der Stadtgestalt erhaltenswerte historische Freifläche, die zu keinem Zeitpunkt einer baulichen Nutzung gedient habe. Die Festsetzung als private Grünfläche entspreche der früheren und derzeitigen Nutzung und stehe im Einklang mit den Belangen des Denkmalschutzes.
Der Begriff der Innenentwicklung sei nicht mit dem Begriff des Innenbereichs im Sinne von § 34 BauGB gleichzusetzen. Daher sei etwa der "Außenbereich im Innenbereich" von dem unbestimmten Rechtsbegriff der Innenentwicklung mitumfasst. Da die Planung die Siedlungsstruktur nicht in die freie Landschaft ausdehne und somit die Bebauung nicht in den Außenbereich hinein erweitere, könne von einer unzulässigen Einbeziehung von Außenbereichsflächen nicht die Rede sein.
Die Vermutung, dass die Aufstellung des Bebauungsplans insbesondere der Verhinderung des klägerischen Vorhabens dienen sollte, sei abwegig. Die ausführliche Darlegung des Anlasses sowie die Ziele und Zwecke des Bebauungsplans fänden sich in der Begründung zum Bebauungsplan.
Abwägungsfehler seien nicht ersichtlich. Alle privaten und öffentlichen Belange seien berücksichtigt und angemessen und gerecht gewürdigt worden. Mit der Aufstellung des Bebauungsplans und der Erhaltungssatzung würden ausschließlich städtebauliche Ziele verfolgt. Dem Kläger seien beim Erwerb der in Rede stehenden Flächen vom Bund zum Gartenlandpreis im Jahre 2016 die Planungsabsichten der Beigeladenen bekannt gewesen, da der Bebauungsplan bereits zuvor öffentlich ausgelegen habe. Im Rahmen ihres Vorkaufsrechtsverzichtes habe die Beigeladene den Käufer nochmals darauf hingewiesen. Der Kläger habe seinerzeit mitgeteilt, er beabsichtige eine Weidetierhaltung, sodass die Beigeladene auf die Ausübung ihres Vorkaufsrechts verzichtet habe.
Die Belange des Denkmalschutzes und der Denkmalpflege seien bei der Planung insoweit berücksichtigt worden, als darauf geachtet worden sei, dass sie nicht durch die Planung bzw. entsprechende planungsrechtliche Festsetzungen beeinträchtigt würden. Denkmalschutzrechtliche Festsetzungen treffe der Bebauungsplan nicht.
Der Bebauungsplan sei auch das Ergebnis gerechter Abwägung. Die Flurstücke M. und N. seien nicht als Baugebiete festgesetzt worden, weil damit die Bebauungsstruktur und das erhaltens- und schützenswerte Stadtbild beeinträchtigt würden, was Sinn und Zweck der Erhaltungssatzung widersprochen hätten.
Die Erhaltungssatzung habe nicht in unzulässiger Weise Freiflächen einbezogen. Unter dem Begriff der "Stadtgestalt" seien vor allem die baulich-räumliche Struktur einer Stadt oder eines Siedlungsbereichs einschließlich der Freiräume zu verstehen. Die städtebauliche Eigenart des Gebiets sei aufgrund seiner unverwechselbaren städtebaulichen Gestalt und Struktur optisch deutlich wahrnehmbar. Die wechselseitige Zuordnung der baulichen Anlagen und der zugehörigen Freiräume mache das erhaltenswerte städtebauliche Gesicht der "Siedlung H." aus. Abwägungsfehler seien auch insofern nicht erkennbar.
Die Beigeladene stellt keinen Antrag und verteidigt Bebauungsplan sowie Erhaltssatzung.
Die Kammer hat vor Ort verhandelt und das streitbefangene Grundstück sowie die Umgebung in Augenschein genommen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage hat keinen Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung des beantragten Bauvorbescheides. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten vom 04.04.2019 und vom 11.07.2019 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.
Das zur Genehmigung gestellte Vorhaben ist nunmehr bereits deswegen bauplanungsrechtlich unzulässig, weil es den Festsetzungen des am 17.03.2022 in Kraft getretenen Bebauungsplans Nr. L. "Siedlung H." widerspricht, der das streitbefangene Grundstück als private Grünfläche mit der Zweckbestimmung "Weidenutzung" festsetzt. Die Festsetzungen des nach Klageerhebung in Kraft getretenen Bebauungsplans sind für die Beurteilung der Zulässigkeit des Vorhabens maßgeblich, weil es auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ankommt.
Der Bebauungsplan ist wirksam.
Er leidet nicht deswegen unter formellen Mängeln, weil er im beschleunigten Verfahren gemäß § 13a Abs.1 Satz 1, Abs. 4 BauGB aufgestellt wurde. Durch das Bundesverwaltungsgericht (Urt. v. 25.04.2023 - 4 CN 5/21 -, juris) ist nunmehr geklärt, dass auch Außenbereichsinseln in einen solchen Bebauungsplan einbezogen werden können, wenn sie etwa den Eindruck der Zugehörigkeit zum Siedlungsbereich vermitteln, und es der Aufstellung des Bebauungsplans im Wege des beschleunigten Verfahrens auch nicht entgegensteht, dass auf der Fläche einer Außenbereichsinsel kein Baurecht geschaffen, sondern diese als private Grünfläche festgesetzt wird. Nach diesen Grundsätzen durfte das streitbefangene Grundstück, bei dem es sich nach Auffassung des Klägers um eine bebaubare Innenbereichsfläche handelt, in den Geltungsbereich des Bebauungsplans einbezogen werden.
Das Gericht folgt auch nicht der Auffassung des Klägers, der Bebauungsplan sei gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB nicht erforderlich, weil es sich um eine reine Verhinderungsplanung handele. Die Aufstellung des Bebauungsplans beschloss der Rat der Beigeladenen in seiner Sitzung am 01.10.2009, also etwa sieben Jahre vor dem Eigentumserwerb durch den Kläger. Anlass der Aufstellung war ausweislich der Planbegründung, dass nach Veräußerung der Wohngebäude im Plangebiet an Einzeleigentümer im Jahr 1997 eine aus städtebaulicher Sicht negative bauliche Entwicklung auf mehreren Grundstücken der ehemaligen Werkssiedlung "H." zu verzeichnen gewesen sei. Ziel sei daher die planungsrechtliche Anpassung an neue städtebauliche Erfordernisse sowie die Sicherung und behutsame bauliche Entwicklung der "Siedlung H.". Dieses Ziel hält das Gericht für nachvollziehbar. Mit der Festsetzung von Baugrenzen etwa schafft der Bebauungsplan die Möglichkeit eines rückwärtigen Anbaus oder einer Ergänzung der Bestandsbebauung. Bei dem Grundstück des Klägers handelt es sich um eine unbebaute begrünte Freifläche, die in der Vergangenheit nie bebaut war. Warum es sich bei dem Bebauungsplan allein deswegen um eine reine Verhinderungsplanung handeln soll, weil der Plangeber diese Fläche als private Grünfläche festgesetzt hat, erschließt sich dem Gericht nicht, zumal der Kläger zu dem Zeitpunkt, als er den Antrag auf Erteilung des Bauvorbescheides gestellt hat, selbst davon ausging, dass es sich um ein im Außenbereich gelegenes Grundstück handelt.
Der Bebauungsplan ist auch nicht wegen Verletzung des Abwägungsgebotes unwirksam. Der Kläger macht geltend, das Abwägungsgebot sei verletzt, weil der Rat der Beigeladenen irrig davon ausgegangen sei, das Grundstück sei nicht bebaubar und damit abwägungsfehlerhaft Baurecht entzogen habe. Die Kammer folgt dem nicht.
Nach der Inaugenscheinnahme des Grundstücks und der näheren Umgebung handelt sich bei dem Grundstück, die Festsetzungen des Bebauungsplans hinweggedacht, nicht um eine sog. Baulücke, das heißt um ein bebaubares Innenbereichsgrundstück.
Für die Abgrenzung von Innen- und Außenbereich ist maßgeblich, wie weit sich das Grundstück noch in einem Bebauungszusammenhang befindet, der einem Ortsteil angehört. Ein Bebauungszusammenhang i.S.v. § 34 Abs. 1 BauGB reicht so weit, wie die vorhandene Bebauung trotz etwaiger Baulücken den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt. Dabei kommt es für die Ausdehnung eines Bebauungszusammenhangs auf die Grundstücksgrenzen nicht entscheidend an. Vielmehr bedarf es einer umfassenden Wertung und Bewertung der konkreten Gegebenheiten. Erforderlich ist, dass die zu beurteilende Fläche einen Bestandteil des Bebauungszusammenhangs bildet, also von ihm (noch) mitgeprägt wird. Eine unbebaute Fläche ist - als Baulücke - Teil des Bebauungszusammenhangs, wenn sie von der angrenzenden zusammenhängenden Bebauung so stark geprägt wird, dass die Errichtung eines Gebäudes auf dieser Fläche als zwanglose Fortsetzung der vorhandenen Bebauung erscheint (BayVGH, Beschl. v. 20.10.2022 - 6 CS 22.1804 -, Rn. 22, juris). Es muss sich also um ein unbebautes Grundstück handeln, das den Bebauungszusammenhang nicht unterbricht. Das unbebaute Grundstück muss gedanklich übersprungen werden können. Dies ist der Fall, wenn das unbebaute Grundstück nach der Verkehrsauffassung als eine sich zur Bebauung anbietende Lücke erscheint (BVerwG, Urt. v. 19.09.1986 - 4 C 15/84 -, juris).
Nach diesen Maßstäben nimmt das streitbefangene Grundstück nicht als Baulücke am Bebauungszusammenhang teil. Die Entfernung zwischen den Bebauungen, die die Lücke einklammern, nämlich der nördlichen Gebäudekante des Wohnhauses auf dem Grundstück O. und der südlichen Gebäudekante am dem Grundstück P. beträgt deutlich mehr als 100 m. Da der Bebauungszusammenhang regelmäßig am letzten Baukörper endet, ist diese Entfernung für die anzustellende Einzelfallbetrachtung von erheblichem Gewicht. Bestätigt wird dies durch den Eindruck, den sich das Gericht durch die Inaugenscheinnahme verschaffen konnte. Insbesondere die in der Anlage zur Niederschrift durch Lichtbildaufnahmen dokumentierten Blickbeziehungen aus südlicher und nördlicher Richtung zeigen deutlich auf, dass von einer Baulücke, die gedanklich übersprungen werden könnte, nicht die Rede sein kann. Auch der westlich des Baugrundstücks verlaufende Wirtschaftsweg, der für den öffentlichen Verkehr nicht zugänglich ist, rechtfertigt es als "topografische Besonderheit" nicht, den Bebauungszusammenhang weiter auszudehnen. Der Weg ist von untergeordneter Bedeutung und dient insbesondere nicht der Erschließung der angrenzenden Grundstücke. Diese Gesichtspunkte allein rechtfertigen die Beurteilung, dass es sich nicht um eine Baulücke handelt.
Hinzu kommt, dass bei einer wertenden Betrachtung auch die Entstehungsgeschichte der Bebauung in den Blick genommen werden kann. Die begrünten Freiflächen waren in der Vergangenheit nie bebaut, sondern bildeten (bewusst) einen Abstand zwischen der Villa des ehemaligen Bergwerksdirektors (südliche Bebauung) und der Villa des ehemaligen kaufmännischen Direktors (nördliche Bebauung) und zu den später entstandenen Siedlungshäusern. Dieser historische Bezug ist heute noch sichtbar.
Selbständig tragend kommt hinzu: Selbst wenn die Abgrenzung, ob das Grundstück am Bebauungszusammenhang teilnimmt oder nicht, als offen anzusehen wäre, wäre es nicht abwägungsfehlerhaft, durch Festsetzung im Bebauungsplan eine Regelung zu treffen und es als Grünfläche festzusetzen. Auch mit einer solchen Abgrenzung bzw. der Absicht, die historischen Freiflächen zu bewahren, bewegt sich der Plangeber innerhalb seines Abwägungsspielraums (vgl. auch VG Hannover, Urt. vom 17.01.2023 - 4 A 2187/19 -, n.v.). Hinzuweisen ist auch in diesem Zusammenhang, dass der Kläger in seinem Bauantrag das Grundstück als Außenbereichsgrundstück angesehen hat. Bei dem Verkauf des Grundstücks an den Kläger gingen die Vertragsparteien davon ebenfalls aus.
Auf die Frage, ob die Erhaltungssatzung der Erteilung des begehrten Bauvorbescheides entgegensteht, kommt es nach dem Vorstehenden nicht an.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig, weil sie keinen Antrag gestellt und sich damit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO. Gründe, die Berufung zuzulassen, sind nicht ersichtlich.