Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 05.07.2023, Az.: 7 U 97/23

Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem sog. "Diesel-Abgasskandal"

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
05.07.2023
Aktenzeichen
7 U 97/23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 33062
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - 20.03.2023 - AZ: 18 O 58/22

Tenor:

  1. 1.

    Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf bis zu 6.000 € festgesetzt.

  2. 2.

    Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Einzelrichters der 18. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 20. März 2023 durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig zu verwerfen.

  3. 3.

    Dem Kläger wird Gelegenheit zur Stellungnahme und zur eventuellen Rücknahme der Berufung aus Kostengründen innerhalb einer Frist von drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses gegeben.

Gründe

I.

Der Kläger macht Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem sog. "Diesel-Abgasskandal" geltend.

Der Kläger erwarb am 16. November 2017 von der Autohaus S. mit Sitz in R. einen gebrauchten PKW Audi A6 Allroad zum Kaufpreis von 34.150 €. In dem Fahrzeug ist ein V-6-Turbodieselmotor der Schadstoffnorm Euro 5 verbaut, für den das Kraftfahrtbundesamt (KBA) einen Rückrufbescheid wegen der Ausstattung der Motorsteuerungssoftware mit unzulässigen Abschalteinrichtungen angeordnet hatte.

Das Landgericht hat mit Urteil vom 20. März 2023 (Bl. 197 ff. d. A.), auf das wegen des erstinstanzlichen Parteivortrags, der getroffenen Feststellungen und der erstinstanzlich gestellten Anträge Bezug genommen wird, die zuletzt auf Erstattung eines vermeintlichen Minderwerts von 15 % des Kaufpreises sowie Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten gerichtete Klage abgewiesen.

Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Klage unter jeder denkbaren Anspruchsgrundlage scheitere, weil nach dem Vortrag des Klägers die Feststellung eines Schadens für das erkennende Gericht - selbst unter Berücksichtigung des vereinfachten Maßstabs des § 287 ZPO - nicht möglich sei.

Der Kläger habe weder den - wiederholt - angeforderten Kostenvorschuss für die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Ermittlung des behaupteten Fahrzeugminderwerts eingezahlt, noch anderweitig ausreichend belastbare Anhaltspunkte vorgetragen, die als geeignete Anknüpfungstatsachen für die Schätzung eines Mindestschadens in Betracht kämen. So habe der Kläger unter Bezugnahme auf ein trotz Bestreitens seines Vorbringens durch die Beklagte nicht vorgelegtes Sachverständigengutachten eines Dipl.-Ing. Paris zunächst einen Minderwert von mindestens 25 % behauptet, ohne weitere Erklärungen dann allerdings im Rahmen der Umstellung seines Klageantrags von der zunächst beanspruchten Rückabwicklung auf den sog. "kleinen" Schadensersatz lediglich einen Minderwert von 15 % geltend gemacht, um anschließend auf angebliche "Gerichtsentscheidungen" und "Gutachten" zu verweisen, die Minderungen von sogar 30 % angenommen hätten.

Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang auf eine Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 12. Dezember 2019 (Az. 13 U 84/19) verwiesen habe, die das vom Kläger angesprochene Gutachten des Sachverständigen Paris erwähne, sei nicht ansatzweise ersichtlich, inwieweit sich hieraus Rückschlüsse auf den hiesigen Fall ergeben könnten, da das dortige Urteil ein völlig anderes, mit dem Klägerfahrzeug nach Konzeption und Preisklasse nicht annähernd vergleichbares Fahrzeug - nämlich einen Seat Altea XL mit einem Motor des Typs EA 189 - betroffen habe. Eine Schadensschätzung auf der Grundlage dieses Klägervortrags hätte sich daher als völlig willkürlich erwiesen, zumal auch die beim Motortyp EA 189 zum Einsatz gelangte "Umschaltlogik" nicht mit den Beanstandungen des KBA bezüglich der Motorsteuerungssoftware des Klägerfahrzeugs vergleichbar sei und das OLG Düsseldorf im Übrigen lediglich auf "gut begründete" erstinstanzliche Ausführungen zur Frage der Wertminderung verwiesen habe.

Schließlich habe der Kläger auch nichts dazu vorgetragen, inwieweit sich die Entwicklung des Abgasskandals und dessen Wahrnehmung durch die Öffentlichkeit auf eine etwaige Wertminderung ausgewirkt habe, obwohl diese Umstände für die Frage der Wertentwicklung von Relevanz seien und der Kläger selbst den Wagen erst Ende des Jahres 2017 erworben habe - einem Zeitpunkt, zu dem sich die allgemeine Ungewissheit über die sich aus dem Abgasskandal ergebenden Konsequenzen für die Fahrzeugerwerber bereits weitgehend gelegt gehabt habe.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er sein erstinstanzliches Begehren weiterverfolgt. Das Landgericht habe verkannt, dass die Beklagte dem Kläger nach Maßgabe der Entscheidung des EuGH vom 21. März 2023 (Rechtssache C-100/21) jedenfalls Schadensersatz aus § 823 Abs. 2 i. V. m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV i. V. m. Art. 18 der Richtlinie 46/2007/EG und Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 schulde, da schon die fahrlässige Ausstattung eines Fahrzeugs mit unzulässigen Abschalteinrichtungen hierfür genüge und zumindest die erfolgte Implementierung eines Thermofensters den Vorwurf fahrlässigen Handelns rechtfertigte.

Entgegen der Annahme des Landgerichts sei der klägerische Vortrag zu dem von ihm beanspruchten Minderwert auch nicht unsubstantiiert. So sei ein unbezifferter Klageantrag nach der Rechtsprechung des BGH zulässig. Auch brauche der Geschädigte nur die Anspruchsvoraussetzungen für eine Wertminderung darzutun, die Ermittlung der Schadenshöhe stehe dann im tatrichterlichen Ermessen gem. § 287 ZPO. Der Kläger habe erstinstanzlich unter Vorlage des Gutachtens des Sachverständigen Paris dargetan, dass er für das Fahrzeug mindestens 25% des Kaufpreises zuviel entrichtet habe. Dass sich die Rechtsprechung dergestalt positioniert habe, belege das von ihm in Bezug genommene Urteil des OLG Düsseldorf vom 12. Dezember 2019.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Berufungsbegründung vom 20. Juni 2022 (Bl. 226 ff. d. A.) Bezug genommen.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung

  1. 1.

    die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger einen in das Ermessen des Gerichts zu stellenden Schadensersatz in Höhe von mindestens 15 % des Kaufpreises des Fahrzeugs (34.150 €), mindestens somit 5.122,50 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

  2. 2.

    die Beklagte zu verurteilen, den Kläger von den Kosten des außergerichtlichen Vorgehens in Höhe von 1.501,19 € freizustellen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung und die von den Parteien zur Akte gereichten Schriftsätze verwiesen.

II.

Die Berufung des Klägers ist unzulässig, weil sie den Maßstäben des § 520 Abs. 3 S. 2 ZPO nicht mehr genügt.

1. Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben; nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO muss sie konkrete Anhaltspunkte bezeichnen, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten.

Besondere formale Anforderungen bestehen für die Berufungsbegründung zwar nicht; auch ist es für die Zulässigkeit der Berufung ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind. Die Berufungsbegründung muss aber auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein. Es reicht nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen erster Instanz zu verweisen. Insbesondere muss die Berufung im Einzelnen erkennen lassen, aus welchen tatsächlichen und rechtlichen Gründen der Berufungskläger das angefochtene Urteil für unrichtig hält. Dafür hat der Berufungskläger diejenigen Punkte rechtlicher Art darzulegen, die er als unzutreffend ansieht, und dazu die Gründe anzugeben, aus denen er die Fehlerhaftigkeit jener Punkte und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung herleitet (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 2. April 2019 - XI ZR 466/17, juris Rn. 13; Beschluss vom 7. Oktober 2021 - III ZB 50/20, juris Rn. 11; Beschluss vom 15. März 2022 - VIII ZB 43/21, juris Rn. 11).

2. Diesen Vorgaben genügt die hiesige Berufungsbegründung nicht, da eine ausreichende Auseinandersetzung mit den konkreten Urteilsgründen fehlt.

Das Landgericht stützt die Klageabweisung ausschließlich darauf, dass es außer Stande sei festzustellen, in welcher Höhe dem Kläger ein ersatzfähiger Schaden entstanden sei, weil der Kläger weder den angeforderten Kostenvorschuss für die beabsichtigte Einholung eines Sachverständigengutachtens eingezahlt noch ausreichende Anhaltspunkte dargelegt habe, anhand derer das Landgericht sein Schätzungsermessen im Rahmen des § 287 ZPO habe ausüben können.

Mit dieser Begründung setzt sich der Kläger zum Teil überhaupt nicht - was die Frage der Nichtzahlung des Kostenvorschusses für ein Sachverständigengutachten betrifft - bzw. nur unzureichend - was die Beanstandungen zum fehlenden Vorbringen einer Schätzgrundlage angeht - auseinander; stattdessen geht er umfangreich auf die Voraussetzungen einer Fahrlässigkeitshaftung nach § 823 Abs. BGB i. V. m. Bestimmungen der EG-FGV bzw. anderen Schutzgesetzen und den der Beklagten vermeintlich anzulastenden Verschuldensmaßstab ein sowie führt ohne konkreten Bezug zum vorliegenden Fall zu den unionsrechtlichen Vorgaben für einen Schadensersatzanspruch nach Maßgabe der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-100/21 aus, obwohl sich die angefochtene Entscheidung zu keinem dieser Gesichtspunkte verhält.

Damit mangelt es der Berufungsbegründung an einer Darlegung, warum das erstinstanzliche Urteil aus Sicht des Klägers rechts- und/oder verfahrensfehlerhaft ergangen ist. Hierzu hätte der Kläger vortragen müssen, warum die vom Erstgericht detailliert aufgeführten Erwägungen, dass ihm unter Berücksichtigung des Klägervortrags eine Feststellung der Schadenshöhe - gleich, ob durch Einholung eines Sachverständigengutachtens oder aber im Wege der Schätzung nach § 287 ZPO nicht möglich sei - unzutreffend seien. Hieran fehlt es im Streitfall jedoch.

Zwar behauptet der Kläger in seiner Berufungsbegründung pauschal, ausreichende Anhaltspunkte für eine Schätzung der Schadenshöhe nach § 287 ZPO vorgetragen zu haben und verweist in diesem Zusammenhang auf das Sachverständigengutachten Paris und die Entscheidung des OLG Düsseldorf im Rechtsstreit zum Aktenzeichen 13 U 84/19. Hierbei handelt es sich jedoch lediglich um die Wiederholung seines erstinstanzlichen Vortrags, den das Landgericht als Schätzgrundlage gerade als ungeeignet erachtet und dies in seiner Entscheidung auch ausführlich dargelegt hat. So geht der Kläger weder darauf ein, dass es nach den Feststellungen des Landgerichts an der Vorlage dieses Sachverständigengutachtens Paris, auf das der Kläger sich für die Höhe der Wertminderungsanspruche stützen will, gerade fehlt, noch setzt sich der Kläger mit der Begründung des Landgerichts auseinander, dass Gegenstand des Gutachtens ein mit dem Klägerfahrzeug in keiner Weise vergleichbares Fahrzeug war oder das Urteil des OLG Düsseldorf vom 12. Dezember 2019 an sich - weil es lediglich auf die "gut begründeten Ausführungen des Landgerichts" verweist - gar keine belastbaren Anhaltspunkte für die Bemessung der Wertminderung liefern kann.

Dabei spielt keine Rolle, dass nach der Rechtsauffassung des BGH einem durch unzulässige Abschalteinrichtungen geschädigten Fahrzeugerwerber auch ohne Abklärung durch Sachverständigengutachten ein Schadensersatz in Höhe von mindestens 5 % und höchstens 15 % des gezahlten Kaufpreises zu gewähren ist (BGH, Pressemitteilung Nr. 100/23 zu den Urteilen vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, VIa ZR 533/21 und VIa ZR 1031/22). Denn zum einen folgt hieraus nicht, dass eine Schadensschätzung nach § 287 ZPO künftig auch ohne die Darlegung geeigneter Anknüpfungstatsachen möglich sein soll. Zum anderen - und dies ist vor allem entscheidend - geht es vorliegend nicht um die Frage, ob die vom Kläger vorgetragenen Tatsachen für eine Schadensschätzung tatsächlich ausreichend waren, sondern lediglich darum, ob der Kläger als Berufungsführer ausreichend Gründe dafür aufgezeigt hat, aus denen er die Fehlerhaftigkeit der landgerichtlichen Argumentation und ihre Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung herleiten will. Eben hieran mangelt es indes.

Da die Berufungsbegründungsfrist mittlerweile abgelaufen ist, besteht für den Kläger auch keine Möglichkeit, den insoweit erforderlichen Vortrag nachzuholen und damit die Zulässigkeit der Berufung nachträglich herbeizuführen.

Vor diesem Hintergrund sollte der Kläger erwägen, seine Berufung zurückzunehmen.