Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 19.07.2023, Az.: 7 U 469/22
Rechte des Käufers eines vom sog. Diesel-Abgasskandal betroffenen Pkw; Beginn der Verjährung von Schadensersatzansprüchen; Voraussetzungen eines Anspruchs gemäß § 852 BGB
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 19.07.2023
- Aktenzeichen
- 7 U 469/22
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2023, 33063
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Stade - 06.09.2022 - AZ: 4 O 75/22
Rechtsgrundlagen
- § 826 BGB
- § 31 BGB
- § 195 BGB
- § 199 Abs. 1 S. 2 BGB
- § 852 S. 1 BGB
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Die Verjährung von Schadensersatzansprüchen aufgrund des sog. Diesel-Abgasskandal hat spätestens mit Ablauf des Jahres 2016 begonnen und ist somit mit Ablauf des Jahres 2019 abgelaufen.
- 2.
Der Restschadensersatzanspruch gemäß § 852 S. 1 BGB setzt voraus, dass der Hersteller des Fahrzeugs den Kaufpreis von dem Erwerber erlangt hat. Daran fehlt es, wenn das Fahrzeug nicht unmittelbar für diesen beim Hersteller bestellt wurde, sondern etwa als sog. "Showroom-Fahrzeug" des Händlers, das Absatzrisiko zum Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses also den Hersteller schon nicht mehr traf.
In dem Rechtsstreit
pp.
hat der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 29. Juni 2023 durch den Richter am Oberlandesgericht ... als Einzelrichter für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der Einzelrichterin der 4. Zivilkammer des Landgerichts Stade vom 06.09.2022 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
- 2.
Das angefochtene landgerichtliche Urteil sowie das vorliegende Berufungsurteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
- 3.
Streitwert für das Berufungsverfahren: 24.464,37 €.
Gründe
I.
Die Klägerin begehrt die Kaufpreiserstattung gegen Herausgabe und Übereignung ihres PKW, weil dieser vom sog. Diesel-Abgasskandal betroffen ist.
Die Klägerin erwarb beim Autohaus S. in S. gemäß Rechnung vom 03.04.2013, die den 10.12.2012 als Kaufvertrags-Datum ausweist (Anlagenhefter Klägerin), einen Neuwagen Audi Q3 mit dem vom Diesel-Abgasskandal betroffenen Motor EA 189. Mit ihrer am 29.04.2022 erhobenen Klage begehrt sie von der beklagten Fahrzeugherstellerin die Erstattung des um eine Nutzungsvergütung geminderten Kaufpreises, Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs.
Die Beklagte hat demgegenüber die Einrede der Verjährung erhoben und ihre Passivlegitimation im Hinblick darauf bestritten, dass der Motor EA 189 nicht von ihr, sondern von der VW AG entwickelt und hergestellt worden ist. Von der Manipulationssoftware habe sie keine Kenntnis gehabt.
Das Landgericht ist davon ausgegangen, die Klägerin habe die Kenntnis und damit die Passivlegitimation der Beklagten nicht hinreichend dargetan. Auch greife die Verjährungseinrede durch. Es hat die Klage daher abgewiesen. Insoweit wird, auch wegen der in erster Instanz getroffenen Feststellungen sowie der von den Parteien gestellten Anträge, auf das angefochtene Urteil Bezug genommen (Bl. 176 ff. d. A.).
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt. Die Klägerin wiederholt und vertieft ihren Vortrag dazu, dass Entscheidungsträger der Beklagten in die Entscheidung zur Softwaremanipulation des VW-Motors EA 189 eingebunden gewesen seien und diesen Motor daher mit dem Bewusstsein in ihre Fahrzeuge eingebaut habe, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung implementiert ist, die dazu führt, dass die Emissionsgrenzwerte nur auf dem NEFZ-Prüfstand eingehalten werden, worüber das KBA im Rahmen des Typengenehmigungsverfahrens im Sinne des § 826 BGB arglistig getäuscht worden ist. Entgegen der Auffassung des Landgerichts sei der daraus resultierende Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte auch noch nicht verjährt, weil die genauen Umstände der Manipulation bis heute nicht geklärt seien und die Klägerin ihren Schadensersatzanspruch ohne anwaltliche Beratung nicht habe erkennen können (vgl. S. 23 ff. d. BB; Bl. 232 ff. d. A.). Schließlich greife nach höchstrichterlicher Rechtsprechung zumindest ein Restschadensersatzanspruch nach § 852 BGB ein, weil die Beklagte infolge des streitgegenständlichen Erwerbs des Fahrzeugs mindestens 26.622,00 € erlangt habe (85 % des Händlervertragspreises).
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des am 06.09.2022 verkündeten Urteils des Landgerichts Stade, AZ.: 4 O 75/22:
- 1.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 24.464,37 € zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 19. April 2022 abzüglich der weiter seit Klageerhebung angefallenen, vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung zu beziffernden Nutzungsentschädigung, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges Audi Q3 mit der Fahrzeugidentifikationsnummer ... zu zahlen.
- 2.
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des in 1 genannten Fahrzeuges in Annahmeverzug befindet.
- 3.
Die Beklagte wird verurteilt, an die VGH Versicherungen vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.375,88 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu erstatten.
- 4.
Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit in Höhe von 225,81 € erledigt ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie bestreitet weiterhin ein deliktisches Verhalten, da sie von der Manipulation des Motors EA 189 keine Kenntnis gehabt habe. Zudem sei ein etwaiger Schadensersatzanspruch verjährt und ein Restschadensersatzanspruch nicht gegeben. Das streitgegenständliche Fahrzeug sei zwar ein Neuwagen gewesen, jedoch schon zwei Wochen vor dem streitgegenständlichen Kaufvertragsabschluss von der Händlerin als "Showroom-Fahrzeug" bestellt worden. Mithin sei dieses einem "Lagerfahrzeug" gleichzusetzen, weil die Händlerin das Fahrzeug schon vor dem Kaufvertragsabschluss mit der Klägerin erworben und damit das Absatzrisiko getragen habe.
Wegen des zweitinstanzlichen Vorbringens beider Parteien wird auf die Berufungsbegründung vom 02.12.2022 (Bl. 210 ff. d. A.) sowie ihren weiteren Schriftsatz vom 09.06.2023 (Bl. 339 ff. d. A.), ferner auf die Berufungserwiderung der Beklagten vom 03.02.2023 (Bl. 257 ff. d. A.) und ihre weiteren Schriftsätze vom 07.06.2023 (Bl. 291 ff. d. A.) und vom 21.06.2023 Bezug genommen (Bl. 352 ff. d. A). Nach der mündlichen Verhandlung (29.06.2023) hat die Klägerin schließlich mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 06.07.2023 weiteren Vortrag gehalten (Bl. 394 ff. d. A.).
II.
Die zulässige Berufung der Klägerin bleibt in der Sache ohne Erfolg. Die Klägerin hat keinen durchsetzbaren Schadensersatzanspruch nach §§ 826, 31 BGB gegen die Beklagte. Denn gegenüber einem etwaigen Schadensersatzanspruch greift jedenfalls die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung durch.
1.
a) Die Frage, ob hinsichtlich des VW-Motors EA 189 wegen der sog. Umschaltlogik (und möglicherweise auch wegen eines unzulässigen Thermofensters) nicht nur bei der Volkswagen AG, sondern auch bei der Beklagten eine auf arglistige Täuschung im Sinne von § 826 BGB des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) und damit letztlich auch der Fahrzeugerwerber gerichtete Strategieentscheidung getroffen wurde oder für die Beklagte handelnde Personen an der von der Volkswagen AG getroffenen Entscheidung zumindest beteiligt waren, kann dahinstehen. Zwar kommt ein sittenwidriges Vorgehen der Beklagten auch dann in Betracht, wenn die für sie handelnden Personen wussten, dass die von der Muttergesellschaft Volkswagen AG gelieferten Motoren mit einer auf arglistige Täuschung des KBA abzielenden Prüfstandserkennungssoftware ausgestattet waren, und die von der Beklagten hergestellten Fahrzeuge in Kenntnis dieses Umstandes mit diesem Motor versahen und in den Verkehr brachten (vgl. BGH, Urteil vom 08. März 2021 - VI ZR 505/19 -, BeckRS 2021, 6243 Rn. 20). Jedoch greift gegenüber einem etwaigen Schadensersatzanspruch nach §§ 826, 31 BGB jedenfalls die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung durch. Dasselbe gilt für einen etwaigen Anspruch auf Ersatz des sog. Differenzschadens nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV, der wegen eines schuldhaften (zumindest fahrlässigen) Verstoßes gegen die die EU-Abgasvorschriften (neben dem Anspruch aus § 826 BGB) in Betracht kommen könnte (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21 -, juris).
Denn wie das Landgericht bereits zutreffend festgestellt hat, sind der Klägerin aus dem streitgegenständlichen Fahrzeugerwerb möglicherweise zustehende Schadensersatzansprüche mit Ablauf des Jahres 2019 verjährt und damit nach § 214 BGB nicht mehr durchsetzbar; gleichermaßen begründet sich aus dem Aufspielen des Software-Updates auf das von der Klägerin erworbene Fahrzeug auch keine neue, den Vorwurf der Sittenwidrigkeit rechtfertigende schädigende Handlung, aus der sich unverjährte Schadensersatzansprüche zu ihren Gunsten ergeben könnten. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen im landgerichtlichen Urteil Bezug genommen (Ziffer I. 1. lit. e der Entscheidungsgründe; Bl. 179 unten bis 180 oben d. A.).
b) Zu der von der Klägerin mit Schriftsatz vom 09.06.2023 aufgeworfenen Frage des sog. Thermofensters ist ergänzend auszuführen, dass es, unabhängig davon, dass die Verwendung eines - unterstellt - unzulässigen Thermofensters ohne das Hinzutreten weiterer Umstände nicht ausreicht, um eine Haftung nach § 826 BGB zu begründen, nicht darauf ankommen kann, ob neben der sog. Umschaltlogik auch ursprünglich schon ein Thermofenster implementiert war. Denn nach gefestigter Rechtsprechung wird die Haftung nach § 826 BGB allein schon durch die Umschaltlogik ausgelöst, sodass es dahinstehen kann, ob kumulativ auch noch weitere unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut worden waren. Auch spielt es keine Rolle, ob durch das Software-Update nachträglich ein Thermofenster implementiert worden ist, weil eine hierin eventuell liegende (erneute) Täuschung nicht für die zuvor eingetretene Belastung mit dem "ungewollten Kaufvertrag" ursächlich wäre.
2. Greift somit die von der Beklagten erhobene Verjährungseinrede durch, verbliebe zugunsten der Klägerin allenfalls ein Restschadensersatzanspruch nach § 852 Satz 1 BGB. Ein solcher scheitert im Streitfall aber daran, dass weder dargetan noch sonst ersichtlich ist, dass die Beklagte durch den Neuwagenerwerb der Klägerin im Rechtssinne etwas erlangt hat. Zwar wird in den "Dieselfällen", auch nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung, regelmäßig angenommen, der beklagte Hersteller erlange beim Neuwagenkauf den vereinbarten Kaufpreis abzüglich einer (meist mit 15 % bemessenen) Händlermarge, sodass hier von einem durch die Beklagte erlangten Betrag von 26.622,00 € (85 % des Kaufpreises) auszugehen wäre. Dies gilt aber nur dann, wenn das Absatzrisiko zum Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses noch nicht beim Händler, sondern noch beim Hersteller gelegen, nämlich die Bestellung der Klagepartei beim Händler die Bestellung des Händlers bei der Beklagten ausgelöst hat (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 57/21 -, Rn. 14, juris; BGH, Urteil vom 21. März 2022 - VIa ZR 275/21 -, Leitsatz 2, juris; BGH, Urteil vom 10. Oktober 2022 - VIa ZR 184/22 -, Rn. 12, juris).
Im Streitfall fehlt es an dieser Voraussetzung. So hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 07.06.2023 - auf den die Klägerin zwar mit ihrem Schriftsatz vom 09.06.2023 erwidert (Bl. 339 ff. d. A.), insoweit aber keine Stellung genommen hat - unwidersprochen vorgetragen, der Händler, also das Autohaus S., habe das Fahrzeug bei ihr als sog. "Showroomfahrzeug" bereits am 23.11.2012 bestellt, während der Kaufvertrag zwischen der Klägerin und dem Autohaus S. unstreitig erst am 10.12.2012, also mehr als zwei Wochen später abgeschlossen worden ist. Erst am 01.02.2013 sei das Fahrzeug bei ihr, der Beklagten, dann der Klägerin zugeordnet worden (Bl. 293, 300 d. A.). Mithin ist davon auszugehen, dass das Autohaus S. das Auto als Ausstellungstück bereits erworben und sodann - noch vor der Auslieferung und Ausstellung in ihrem "Showroom" - an die Klägerin weiterveräußert hat. Danach lag das Absatzrisiko bei Kaufvertragsabschluss am 10.12.2012 aber nicht mehr bei der Beklagten, die somit durch diesen Kaufvertragsabschluss nichts mehr erlangen konnte.
3. Der Vortrag der Klägerin, den diese nach der mündlichen Verhandlung mit Schriftsatz vom 06.07.2023 gehalten hat (Bl. 394 ff. d. A.), befasst sich mit der Frage der Verjährung und des Restschadensersatzanspruchs nicht und ist daher nicht erheblich. Daneben wäre dieser Schriftsatz, soweit er neuen Tatsachenvortrag enthält, auch nach § 296a ZPO prozessual nicht berücksichtigungsfähig. Gründe für Wiedereröffnung der Verhandlung nach § 156 ZPO sind nicht gegeben.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 Satz 1, 2, § 711 ZPO.
Die Streitwertfestsetzung richtet sich nach § 3 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.