Landessozialgericht Niedersachsen
Urt. v. 27.04.1989, Az.: L 4 Kr 118/88

Anspruch eines Krebspatienten auf Erstattung der ihm durch die Einfrierung seines Spermas in einer Depotbank entstandenen Kosten durch seine Krankenversicherung; Begrenzung des Anspruchs eines Patienten auf die zur Heilung oder Linderung nach den Regeln der ärztlichen Kunst zweckmäßigen und ausreichenden Leistung; Unbeachtlichkeit der Anlage eines Spermadepots für die Heilung oder Linderung der sich aus der Hodenkrebserkrankung ergebenden Beschwerden

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen
Datum
27.04.1989
Aktenzeichen
L 4 Kr 118/88
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1989, 20819
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:1989:0427.L4KR118.88.0A

Fundstelle

  • NJW 1990, 2344 (Volltext mit red. LS)

Der 4. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen in Celle hat
ohne mündliche Verhandlung am 27. April 1989
durch
den Vorsitzenden Richter am Landessozialgericht L...,
den Richter am Landessozialgericht S...,
den Richter am Landessozialgericht R... sowie
die ehrenamtlichen Richter G... und R...
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der 1964 geborene, nicht verheiratete Kläger verlangt von der Beklagten, die Kosten für das Einfrieren von Sperma in einer Depotbank zu übernehmen. Er mußte sich wegen eines Hodenkarzinoms einer Strahlenbehandlung unterziehen. Da er fürchtete, unfruchtbar zu werden, ließ er im Januar 1988 ein Spermadepot anlegen. Die behandelnden Frauenärzte Dres k ... und P ... stellten eine Rechnung über 600, -- DM aus, die Fa M ... G ... verlangte für das erste Jahr eine Verwahrungsgebühr von 460,-- DM. Der Kläger macht die Erstattung dieser Beträge geltend.

2

Die Beklagte lehnte dies mit Bescheid vom 19. Februar 1988 ab, da es sich um keine Leistung der Krankenversicherung handele. Seinen hiergegen eingelegten Widerspruch begründete der Kläger damit, daß seine Fortpflanzungsfähigkeit nur durch die Anlage eines Depots sicherzustellen sei. Wenn nach der Rechtsprechung des BGH schon eine extrakorporale Befruchtung eine erstattungspflichtige Heilbehandlung sei, treffe das erst recht auf seinen Fall zu. Die Anlage eines Depots sei auch als Ausstattung mit einem Körperersatzstück anzusehen, durch die eine fehlende Funktion punktuell überbrückt werde. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 03. Mai 1988).

3

Hiergegen hat der Kläger bei dem Sozialgericht (SG) O ... klage erhoben. Dieses hat die klage durch Urteil vom 28. September 1988 abgewiesen. Es sei nicht Aufgabe der Krankenversicherung, für den Fall Vorsorge zu treffen, daß sich bei dem Kläger irgendwann in der Zukunft einmal ein Kinderwunsch einstellen sollte. Das SG hat die Berufung zugelassen.

4

Zur Begründung seiner hiergegen eingelegten Berufung hat der Kläger noch vorgetragen, sein Personenstand könne sich in allernächster Zeit ändern. Die zeitliche Nähe eines Kinderwunsches sei kein sachgerechtes Kriterium für die Leistungspflicht der Beklagten.

5

Der Kläger beantragt sinngemäß,

  1. 1.

    das Urteil des Sozialgerichts O ... vom 28. September 1988 und den Bescheid der Beklagten vom 19. Februar 1988 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Mai 1988 aufzuheben,

  2. 2.

    die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.060,-- DM zu zahlen.

Gründe

6

Der Senat hat gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden.

7

Die Berufung ist zulässig, weil das SG sie zugelassen hat (§§ 144, 150 Nr. 1 SGG). Sie ist jedoch nicht begründet. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Erstattung der von ihm geltend gemachten Kosten gegen die Beklagte zu, da das Gesetz die Ubernahme dieser Kosten durch einen Krankenversicherungsträger nicht vorsieht.

8

Nach §§ 182 Abs. 2, 368e Reichsversicherungsordnung (RVO) hat der Versicherte Anspruch auf die ärztliche Versorgung, die zur Heilung oder Linderung nach den Regeln der ärztlichen Kunst zweckmäßig und ausreichend ist; Leistungen, die für die Erzielung des Heilerfolges nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, kann der Versicherte nicht beanspruchen. Hieraus ergibt sich kein Anspruch des Klägers gegen die Beklagte. Zwar ist das bei dem Kläger festgestellte Hodenkarzinom eine behandlungsbedürftige Krankheit. Hierum geht es jedoch bei den geltend gemachten kosten nicht. Durch die Anlage eines Spermadepots wird diese Krankheit nicht behandelt und werden die sich aus der Krankheit ergebenden Beschwerden nicht gelindert. Für die Heilung des Hodenkarzinoms ist die Anlage eines Spermadepots nicht notwendig.

9

Ein Spermadepot stellt auch kein Hilfsmittel im Sinne der §§ 182 Abs. 1 Nr. 1 c, 182b RVO dar, das erforderlich wäre, um einer drohenden Behinderung vorzubeugen, den Erfolg der Heilbehandlung zu sichern oder eine körperliche Behinderung auszugleichen. Der Umstand, daß in § 182b RVO die Ausstattung mit Körperersatzstücken und orthopädischen Hilfsmitteln geregelt ist, zeigt, daß unter "anderen Hilfsmitteln" im Sinne dieser Vorschrift kein Spermadepot gemeint sein kann. Das wird auch deutlich, wenn man aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) die Gegenstände betrachtet, die im Rahmen des § 182b RVO erörtert worden sind wie z.B. WC-Automatik, Badeprothese, Krankenfahrstuhl, Krankenlifter, Blattwendegerät, Sportbrille, Kopfschreiber, Schreibtelefon, Optacon-Lesegerät, Klinkelleuchte, Baby-Rufanlage usw., vgl. BSG Urteil vom 12.10.1988 - 3/8 RK 36/87 S 7 -. Das Spermadepot stellt kein hiermit vergleichbares Hilfsmittel dar, es ist kein "Körperersatzstück" im weitesten Sinn. Selbst wenn man unterstellt, daß die Zeugungsfähigkeit des Klägers gefährdet ist und die Aufbewahrung des Sperma in einem Depot geeignet wäre, auch noch nach Jahren ein Kind zu zeugen, stellt das Depot kein Hilfsmittel im Sinne des § 182b RVO dar. Es handelt sich um eine medizinische Einrichtung, die von dieser Vorschrift nicht erfaßt wird und für die keine Leistungspflicht der Beklagten besteht. Die Notwendigkeit eines Hilfsmittels braucht deshalb im vorliegenden Rechtsstreit nicht weiter geprüft zu werden.

10

Die Kostenübernahme durch die Beklagte kommt auch nicht in Betracht, wenn man die Aufbewahrung des Sperma als Teil einer künstlichen Befruchtung ansieht. Bis zum 31. Dezember 1988 haben die Krankenkassen allenfalls die Kosten einer homologen Insemination (künstliche Befruchtung einer Frau mit dem Samen ihres Ehemannes) zu tragen gehabt (vgl. Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 182 Anm 3c bb S 269 - 1- ). Da der Kläger bis zum 31. Dezember 1988 nicht verheiratet gewesen ist, kommt ein Zusammenhang mit der homologen Insemination ohnehin nicht in Betracht, er wäre davon abgesehen als zu weitgehend auch zu verneinen. Nach § 27 Satz 5 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) in der Fassung des Gesundheitsreformgesetzes vom 20. Dezember 1988 (BGBl I S 2477) gehören ab 1. Januar 1989 Leistungen für eine künstliche Befruchtung nicht zur Krankenbehandlung, womit zweifelsfrei auch eine Erstattungspflicht der Beklagten für die vom Kläger geltend gemachten Kosten ausscheidet.

11

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

12

Es besteht kein gesetzlicher Grund (§ 160 Abs. 2 Nrn 1 und 2 SGG), die Revision zuzulassen.