Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 27.02.2001, Az.: 4 A 167/98
Großelternpflege; Hilfe zur Erziehung; Jugendhilfe; Kostenerstattung
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 27.02.2001
- Aktenzeichen
- 4 A 167/98
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2001, 40211
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 105 SGB 10
- § 33 SGB 8
- § 39 SGB 8
- § 86c SGB 8
- § 89c SGB 8
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Erstattung von Jugendhilfeleistungen, die sie für A. B erbrachte.
A. B ist im Jahr 1982 geboren. Sie ist nichteheliche Tochter der Frau C., die für A. allein sorgeberechtigt war. A. wurde bis zu ihrem sechsten Lebensjahr intensiv von ihren Großeltern, Herrn und Frau D. betreut. Danach lebte sie im Haushalt ihrer Mutter und ihres Stiefvaters in F. , Landkreis Hannover. Von August 1993 an besuchte sie die Orientierungsstufe F. . Dort fiel sie durch Leistungsausfälle, geringe Anstrengungs- und Leistungsbereitschaft, Unkonzentriertheit und mangelnde Versorgung auf. Häufig klagte sie über Bauchschmerzen, so dass von der Schule ein Arztbesuch veranlasst wurde, bei dem sich herausstellte, dass keine organischen Ursachen in Frage kamen. Im Februar sprachen zwei Klassenkameradinnen von A. im Kreisjugendamt Hannover vor. Sie berichteten über A. s Probleme und dass diese den Wunsch habe, bei ihrem Großvater zu leben. Das Jugendamt nahm daraufhin telefonisch Kontakt mit der Vertrauenslehrerin der Schule auf, die erklärte, die Situation und die häuslichen Probleme seien ihr bekannt. Sie riet von einer Intervention durch das Jugendamt ab, um A. durch eine mögliche Reaktion der Eltern nicht noch mehr zu belasten. In der Folgezeit nahm die Beratungslehrerin Kontakt mit den Großeltern A. s auf. Diese teilten ihr im April 1994 mit, dass die familiäre Situation äußerst schwierig sei und dass A. vor sexuellem Missbrauch durch ihren Stiefvater geschützt werden müsse. Im Mai 1994 wurde in einem Gespräch zwischen der Beratungslehrerin, A. , sowie ihrer Mutter und ihren Großeltern vereinbart, dass A. bei den Großeltern aufgenommen werden solle. Mit Schreiben vom 21. Juli 1994 beantragte A. s Mutter, ihr Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege zu gewähren. Im Juli und im August 1994 kam es dann zu Gesprächen des Jugendamtes mit A. und ihren Großeltern. Weiter wurden bei den Großeltern sowie bei A. s Mutter und ihrem Stiefvater Hausbesuche durchgeführt. Am 9. August 1994 entschied das Kreisjugendamt des Landkreises Hannover, dass eine Unterbringung A. s bei ihren Großeltern erfolgen solle. Mit Bescheid vom 12. August 1994 bewilligte der Landkreis Hannover A. s Mutter die beantragte Hilfe mit Wirkung vom 12. Juli 1994 an. Er zahlte daraufhin an A. s Großeltern monatlich laufende Unterhaltsleistungen sowie Erziehungsgeld in Höhe von zunächst insgesamt 1.127,- DM und zuletzt insgesamt 1.259,- DM monatlich. Seit dieser Zeit wohnte A. für nahezu vier Jahre bei ihren Großeltern in F. Landkreis Hannover.
Am 15. August 1994 zog A. s Mutter in den Zuständigkeitsbereich der Klägerin, nach G. Mit Schreiben vom 23. September 1994 erkannte die Klägerin gegenüber dem Landkreis Hannover ihre örtliche Zuständigkeit an. Vom 31. Oktober 1994 an entrichtete sie das Pflegegeld an die Pflegeltern, die dem Landkreis Hannover in der Zeit vom 15. August 1994 bis zum 31. Oktober 1994 entstandenen Aufwendungen erstattete sie.
Im Februar 1996 stellte die Klägerin fest, dass A. s Mutter bereits am 30. November 1994 in den Zuständigkeitsbereich des Beklagten gezogen war. Mit Schreiben vom 21. Februar 1996, bat sie diesen um Anerkennung seiner örtlichen Zuständigkeit und um Kostenerstattung. Gleichzeitig verpflichtete sich die Klägerin, die Jugendhilfemaßnahme weiter zu gewähren, bis der Beklagte seine Zuständigkeit anerkannt habe. Mit Schreiben vom 23. April 1996, das am 26. April 1996 einging, lehnte der Beklagte den Antrag ab. Im vorliegenden Fall komme die Gewährung von Jugendhilfe nicht in Frage. Die Aufnahme A. s sei nicht vom Jugendamt veranlasst worden. Bereits durch diese Maßnahme sei aber die dokumentierte Mangelsituation in der Erziehung behoben worden. Erzieherische Defizite, die zu einer Hilfe zur Erziehung führen könnten, hätten von diesem Zeitpunkt an nicht mehr vorgelegen. Finanzielle Aufwendungen, die A. s Großeltern durch die Aufnahme ihrer Enkeltochter entstanden seien, hätten durch Sozialhilfeleistungen abgedeckt werden können. Mit Schreiben vom 28. Oktober 1997 wandte sich die Klägerin erneut an den Beklagten. Der Beklagte lehnte die Übernahme des Hilfefalles und eine Kostenerstattung wiederum ab und verwies darauf, dass gemäß § 86 Abs. 6 SGB VIII seit dem 12. Juli 1996 der Landkreis Hannover für die Hilfegewährung zuständig gewesen sei, weil A. nunmehr zwei Jahre bei der Pflegeperson lebe und ihr Verbleib dort auf Dauer zu erwarten sei. Einen möglichen Kostenerstattungsanspruch könne nur der zuständige örtliche Träger der Jugendhilfe geltend machen.
Zum Ablauf des März 1998 stellte die Klägerin die Hilfe ein, weil A. von diesem Zeitpunkt an wieder bei ihrer Mutter lebte.
Am 12. Oktober 1998 hat die Klägerin Klage erhoben, mit der sie ursprünglich die Erstattung der Aufwendungen in Höhe von 32.147,21 DM begehrt hat, die sie für A. in dem Zeitraum vom 30. November 1994 bis zum 31. März 1998 erbracht hatte. Mittlerweile macht sie nur noch die vom 1. Februar 1995 bis zum 11. Juli 1996 gezahlten Leistungen in Höhe von 12.160,06 DM geltend. Die weitergehende Klage hat sie zurückgenommen.
Zur Begründung der Klage führt sie im Wesentlichen aus:
Sie könne die Kostenerstattung in dem Zeitraum vom 1. Februar 1995 bis zum 11. Juli 1996 auf der Grundlage des § 89 c Abs. 1 SGB VIII fordern. Entgegen der Auffassung des Beklagten habe sie Jugendhilfeleistungen im Sinne der §§ 27, 33 SGB VIII erbracht, die erforderlich gewesen seien. Sowohl das Jugendamt des Landkreises Hannover, als auch ihr eigenes Jugendamt seien bei Beginn der Unterbringung A. s in das Verfahren einbezogen worden. Das Jugendamt Hannover habe wegen der erzieherischen Mängel die Aufnahme bei den Pflegeeltern veranlasst und damit Hilfe zur Erziehung nach §§ 27, 33 SGB VIII geleistet. Den Gesprächsvermerken vom 28. Juli 1994, vom 1. August 1994 und vom 5. August 1994 lasse sich ersehen, dass das Jugendamt in Hannover den entscheidenden Kausalbeitrag für die Legitimation des Aufenthalts A. s bei den Pflegeltern geschaffen habe. Dies folge auch aus dem Hilfeplan des Jugendamtes Hannover vom 9. August 1994 und dessen Fortschreibung vom 19. März 1996, durch ihr eigenes Jugendamt mit der ergänzenden Stellungnahme vom 12. September 1996. Es sei eingegriffen worden, weil eine dem Wohl A. s entsprechende Erziehung bei ihrer Mutter nicht gewährleistet gewesen sei. Es sei zu sexuellem Missbrauch durch den Stiefvater gekommen, A. sei auch häufig sich selbst überlassen gewesen. Es lasse sich auch einer internen Stellungnahme ihres Jugendamtes vom 19. Mai (gemeint Juni) 1998 ersehen, dass Hilfe zur Erziehung in Form von Vollzeitpflege erforderlich gewesen sei. Hilfe zur Erziehung in einer anderen Familie umfasse auch Verwandtenpflegestellen. Die Großeltern A. s hätten die Erstattung der Aufwendungen des therapeutischen zusätzlichen Bedarfs beantragt und seien nicht bereit gewesen, den Bedarf aus eigenen Mitteln zu bestreiten. Sie, die Klägerin, habe am 18. Dezember 2000 telefonisch mit ihnen Rücksprache genommen. A. s Großeltern hätten mitgeteilt, dass ihr gemeinsames Nettoeinkommen in der fraglichen Zeit ca. 2.000,- DM betragen habe. Zunächst hätten sie 600,- DM Miete gezahlt. Um A. aufnehmen zu können, hätten sie, worauf auch das Jugendamt hingewiesen habe, eine größere Wohnung anmieten müssen, für die 1.300,- DM Miete zu entrichten gewesen sei. In Anbetracht dieser Kosten seien sie nicht bereit gewesen, ihre Enkelin unentgeltlich zu pflegen.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an sie 12.160,06 DM zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Für die Zeit bis zum 11. Juli 1996 bestehe kein Kostenerstattungsanspruch, weil die geleistete Hilfe nicht dem Gesetz entsprochen habe. Aus den von der Klägerin vorgelegten Vermerken ergebe sich, dass das Kreisjugendamt in Hannover an dem Wechsel A. s in den Haushalt der Großeltern nicht mitgewirkt habe. Der Tatbestand der §§ 27, 33 und 39 SGB VIII sei nicht bereits dann erfüllt, wenn nahe Verwandte sich bereit fänden, ein Kind in Obhut zu nehmen. Voraussetzung sei vielmehr, dass das Jugendamt die Notwendigkeit und Geeignetheit der Hilfe zur Erziehung festgestellt und demnach die Hilfe angeordnet habe. Diesem Verfahren könnten Großeltern nicht durch eigene Entscheidungen vorgreifen. Es ergebe sich hier auch nicht, dass die Großeltern A. s zu unentgeltlicher Pflege nicht bereit gewesen seien. Selbst wenn ein Sozialarbeiter bei der Inpflegenahme Hilfestellung leiste, handele es sich nicht bereits um die Gewährung von Hilfe zur Erziehung. Bei der Jugendhilfe gehe es um erzieherische und sozialpädagogische Leistungen, die Leistungen nach § 39 SGB VIII seien Annexleistungen zu der eigentlichen Hilfe zur Erziehung. Es fehle auch an der von § 36 SGB VIII vorgesehenen regelmäßigen Hilfeplanung. Den Plänen vom 9. August 1994 und vom 19. März 1996 lasse sich entnehmen, dass es nur zu sporadischen Kontakten gekommen sei. Auch sei die personensorgeberechtigte Mutter nicht beteiligt worden. Die fehlende Hilfeplanung für den Zeitraum von fast 1 1/2 Jahren zeige, dass keine erzieherischen Probleme aufgetreten seien, die einen Anspruch auf Hilfe zur Erziehung hätten begründen können. Im Übrigen wäre der Klägerin spätestens im Frühjahr 1995 bekannt geworden, dass der Wohnsitz der Mutter verlegt wurde, wenn sie die vorgeschriebene Hilfeplanung regelmäßig durchgeführt hätte.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die im Gerichtsverfahren gewechselten Schriftsätze und auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Klägerin und des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Das Verfahren ist gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen, soweit die Klägerin die Klage zurückgenommen hat. Im Übrigen ist die Klage zulässig und begründet.
Die Klägerin kann von dem Beklagten die Erstattung der Jugendhilfeleistungen verlangen, die sie in dem Zeitraum vom 1. Februar 1995 bis zum 11. Juli 1996 aufgewendet hat.
Soweit sie die Leistungen bis zum 26. April 1996 erbracht hat, folgt der Anspruch der Klägerin aus § 89 c Abs. 1 SGB VIII. Die Vorschrift ist für die bis 31. Dezember 1995 gezahlten Leistungen anhand des SGB VIII in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. Mai 1993 (BGBl. I, 637) - SGB VIII 1993 - zu beurteilen und für die Folgezeit nach der Fassung der Bekanntmachung vom 15. März 1996 (BGBl. I, 477) - SGB VIII 1996 -; sie hat allerdings in beiden Fassungen den gleichen Wortlaut.
Nach § 89 c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII sind Kosten, die ein örtlicher Träger im Rahmen seiner Verpflichtung nach § 86 c SGB VIII aufgewendet hat, von dem örtlichen Träger zu erstatten, der nach dem Wechsel der Zuständigkeit zuständig geworden ist. § 86 c Satz 1 SGB VIII (1993 und 1996) regelt die Fortdauer der Leistungsverpflichtung bei einem Zuständigkeitswechsel. Wechselt die örtliche Zuständigkeit, so bleibt der bisher zuständige örtliche Träger solange zur Gewährung der Leistung verpflichtet, bis der nunmehr zuständige örtliche Träger die Leistung fortsetzt. Der örtliche Träger, der von den Umständen Kenntnis erhält, die den Wechsel der Zuständigkeit begründen, hat den anderen davon unverzüglich zu unterrichten (§ 86 c Satz 2 SGB VIII).
Im vorliegenden Fall bestimmte sich die örtliche Zuständigkeit des Jugendhilfeträgers nach dem gewöhnlichen Aufenthalt der allein sorgeberechtigten Mutter A. s (§ 86 Abs. 2 Satz 1 SBG VIII). Mit ihrem Umzug in den Zuständigkeitsbereich des Beklagten am 30. November 1994 war mithin der Beklagte für die Jugendhilfeleistungen örtlich zuständig. Der Umstand, dass die Klägerin erst im Februar 1996 von dem Umzug der Mutter A. s und damit von dem Wechsel der örtlichen Zuständigkeit erfahren hat, steht dabei einem Kostenerstattungsanspruch nach § 89 c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII nicht entgegen. Ein Anspruch auf Kostenerstattung nach § 89 c SGB VIII besteht auch dann, wenn der ursprünglich zuständige Träger die Leistungen in Unkenntnis des Zuständigkeitswechsels fortsetzt; denn auch dann folgt aus § 86 c Satz 1 SGB VIII seine Leistungsverpflichtung, so dass er die Jugendhilfeleistungen im Rahmen seiner Verpflichtung nach der genannten Vorschrift erbracht hat (vgl. Wiesner in Wiesner/Mörsberger/Oberloskamp/Struck, SGB VIII, 2. Aufl. 2000, § 86 c Rn. 2; Schellhorn, in Schellhorn [Hrsg] SGB VIII/ KJHG, § 86 c Rn. 7, 8; a.A. Stähr, in Hauck, SGB VIII 2. Band K § 89 c Rn. 6). Dafür spricht bereits ein Vergleich mit § 2 Abs. 3 SGB X. Die Regelung des § 86 c Satz 1 SGB VIII ist nämlich § 2 Abs. 3 Satz 1 SGB X nachgebildet, der ebenfalls die Kontinuität der Leistungsgewährung im Falle eines Zuständigkeitswechsels sicherstellen soll (Nds. OVG, Beschl. v. 5.12.1994 - 4 M 4924/94 - ). In einem derartigen Fall muss die bisher zuständige Behörde Leistungen noch solange erbringen, bis sie von der nunmehr zuständigen Behörde fortgesetzt werden. Dabei folgt dann aus § 2 Abs. 3 Satz 2 SGB X ein Erstattungsanspruch der weiter leistenden Behörde, ohne dass es nach dem Wortlaut auf die Kenntnis des Zuständigkeitswechsels ankommt. Auch stellt § 89 c SGB VIII anders als § 105 SGB X nicht darauf ab, ob dem Jugendhilfeträger seine Leistungsverpflichtung bekannt war.
Die Regelung des § 89 c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII bietet allerdings keine Anspruchsgrundlage für das Begehren der Klägerin, soweit sie die Erstattung der ab dem 27. April 1996 gewährten Leistungen begehrt. Von diesem Zeitpunkt an hat sie die Kosten nicht mehr im Rahmen ihrer Verpflichtung nach § 86 c SGB VIII aufgewendet. Nach dem Sinn und Zweck des § 86 c Satz 1 SGB VIII endet die Leistungspflicht des bisher zuständigen Jugendhilfeträgers nämlich dann, wenn der zuständig gewordene örtliche Träger die Weitergewährung der Hilfe aus materiell-rechtlichen Gründen ablehnt ( NdsOVG, Beschl. v. 12.11.1996 - 12 M 6157/96 -, Wiesner in Wiesner/Mörsberger/Oberloskamp/Struck, SGB VIII, 2. Aufl. 2000, § 86 c Rn. 5). Die Regelung des § 86 c Satz 1 SGB VIII soll allein dem Umstand Rechnung tragen, dass der neue Träger nach einem Zuständigkeitswechsel gegebenenfalls nicht sofort in der Lage ist, die Leistung fortzusetzen. Der Sinn und die Bedeutung der Vorschrift sind darauf beschränkt, die Kontinuität der Leistung zu gewährleisten (NdsOVG, Beschl. v. 5.12.1994 - 4 M 4924/94 -). Lehnt der "neue" Jugendhilfeträger die Leistung endgültig ab, etwa weil er der Auffassung ist, dass die Voraussetzungen für eine Leistungsgewährung nicht vorliegen, begründet § 86 c Satz 1 SGB VIII keine fortdauernde Leistungspflicht des Jugendhilfeträgers, der bisher örtlich zuständig war. Vielmehr muss sich der Hilfesuchende dann mit dem nunmehr zuständigen örtlichen Träger auseinandersetzen. Hier hat der Beklagte in seinem Schreiben vom 23. April 1996, das bei der Klägerin am 26. April 1996 einging, die Anerkennung seiner Zuständigkeit mit der materiell rechtlichen Erwägung abgelehnt, Jugendhilfe sei nicht zu gewähren gewesen und auch nicht zu gewähren, weil die erzieherische Mangelsituation bereits durch die nicht vom Jugendamt veranlasste Aufnahme A. s in den Haushalt ihrer Großeltern behoben worden sei. Damit endete mit Eingang des Schreibens am 26. April 1996 bei der Klägerin deren Leistungsverpflichtung nach § 86 c Satz 1 SGB VIII.
Soweit es den danach folgenden Zeitraum bis zum 11. Juli 1996 betrifft, ist im SGB VIII eine andere Rechtsgrundlage für das Begehren der Klägerin nicht ersichtlich. Insbesondere scheidet auch ein Anspruch nach § 89 c Abs. 1 Satz 2 SGB VIII aus. Nach dieser Vorschrift sind Kosten, die ein örtlicher Träger im Rahmen seiner Verpflichtung nach § 86 d SGB VIII aufgewendet hat, von dem örtlichen Träger zu erstatten, dessen Zuständigkeit durch den gewöhnlichen Aufenthalt nach §§ 86, 86 a und 86 b begründet wird. Die Klägerin war nicht nach § 86 d SGB VIII zur Leistung verpflichtet; denn diese Vorschrift begründet in den hierin genannten Fällen die Leistungspflicht des Jugendhilfeträgers, in dessen Bereich sich das Kind tatsächlich aufhält; das war hier der Landkreis Hannover.
Insoweit kann die Klägerin jedoch eine Kostenerstattung auf der Grundlage des § 105 Abs. 1 SGB X verlangen. Diese Regelung ist ergänzend anzuwenden, wenn - wie hier - ein örtlich unzuständiger Träger Jugendhilfe geleistet hat, ohne hierzu gemäß § 86 c SGB VIII oder nach § 86 d SGB VIII verpflichtet zu sein (BayVGH, Urt. v. 13.8.1999 - 12 B 97.2814 - NDV-RD 1999, 121; Wiesner, in Wiesner/Mörsberger/Oberloskamp/Struck, SGB VIII, 2. Aufl. 2000, vor § 89 Rn. 13; a.A. Stähr in Hauck, SGB VIII 2. Band K § 89 Rn. 8). Die Voraussetzungen für den Erstattungsanspruch nach § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB X sind erfüllt. Gemäß § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist der zuständige Leistungsträger erstattungspflichtig, wenn ein unzuständiger Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, ohne dass die Voraussetzungen des § 102 Abs. 1 SGB X vorliegen. Die Voraussetzungen des § 102 Abs. 1 SGB X liegen hier nicht vor; denn die Klägerin hat nicht aufgrund gesetzlicher Vorschriften vorläufig Sozialleistungen erbracht. Insbesondere hat sie nicht auf der Grundlage des § 43 Abs. 1 SGB I geleistet, weil diese Vorschrift hier nicht anwendbar ist. § 43 Abs. 1 SGB I erfasst zwar grundsätzlich auch Kompetenzkonflikte zwischen Leistungsträgern desselben Sozialleistungsbereichs (BVerwG, Urt. v. 19.11.1992 - 5 C 33.90 - BVerwGE 91, 177). Die Regelung gilt aber nicht, wenn der Konflikt zwischen örtlichen Trägern der Jugendhilfe wegen der örtlichen Zuständigkeit besteht, oder wenn der zuständige örtliche Träger - wie hier - nicht tätig wird; denn insoweit ist in § 86 d SGB VIII im Sinne des § 37 Satz 1 SGB I Abweichendes geregelt (BayVGH, Urt. v. 13.8.1999 - 12 B 97.2814 - NDV-RD 1999, 121 bei einem Konflikt über die örtliche Zuständigkeit). Wie bereits dargelegt, hat die Klägerin in dem hier fraglichen Zeitraum als örtlich unzuständige Trägerin der Jugendhilfe geleistet, denn nach dem Umzug der Mutter A. s in den Zuständigkeitsbereich des Beklagten, war dieser nach § 86 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII örtlich zuständig.
Der Grundsatz von Treu und Glauben steht hier einem Kostenerstattungsanspruch nicht entgegen. Allerdings ist anerkannt, dass keine Kostenerstattung auf der Grundlage des § 105 Abs. 1 SGB X beansprucht werden kann, wenn der unzuständige Leistungsträger in Kenntnis seiner Unzuständigkeit geleistet oder die Leistung unter eindeutiger Verletzung von Zuständigkeitsvorschriften erbracht hat (BSG, Urt. v. 17. Juli 1985 - 1 RA 11/84 - BSGE 58, 263; Schellhorn/Jirasek/Seipp, BSHG, 15. Aufl. § 103, Rn. 8; Schroeder-Printzen u.a., SGB X 3. Aufl. 1996 § 105 Rn. 10). So lag es hier aber nicht, weil sich die Klägerin nach § 86 c Satz 1 SGB VIII zur Leistung verpflichtet fühlte und damit keine Kenntnis von ihrer Unzuständigkeit hatte.
Weiter kann Kostenerstattung auf der Grundlage des § 105 Abs. 1 SGB X nur für eine (bis auf die Verletzung der örtlichen Zuständigkeit) rechtmäßige Leistung verlangt werden (Schroeder-Printzen, in Schroeder-Printzen/Engelmann/Schmalz/Wiesner/von Wulfen, SGB X 3. Aufl. § 105 Rn. 7). Auch diese Voraussetzung liegt hier vor.
Entgegen der Auffassung des Beklagten hat die Klägerin tatsächlich Jugendhilfeleistungen auf der Grundlage der §§ 33, 39 SGB VIII erbracht. Ungeachtet des Umstandes, dass die Aufnahme A. s in den Haushalt ihrer Großeltern zunächst durch Vermittlung der Beratungslehrerin der Orientierungsstufe F. zustande kam, wurde im vorliegenden Fall durch den Landkreis Hannover und später durch die Klägerin tatsächlich Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege (§ 33 SGB VIII) geleistet. Werden Jugendliche im Haushalt von Verwandten untergebracht, so stellt dies zum einen eine erzieherische Hilfe des Jugendhilfeträgers dar, wenn das Jugendamt die Aufnahme des Jugendlichen in dem Verwandtenhaushalt wegen defizitärer Erziehung der Eltern veranlasst hat und die Erziehung und Entwicklung unter Kontrolle hält. Zum anderen wird Hilfe zur Erziehung auch dann erbracht, wenn die Erziehung der Verwandten defizitär ist und der Jugendhilfeträger eingreift, um einen bestehenden drohenden Mangel an Erziehung abzuwenden (vgl. z. Vorst.: BVerwG, Urt. v. 9.6.1983 - 5 C 12.82 - BVerwGE 67, 256; Urt. v. 27.11.1986 - 5 C 26.85 - FEVS 36, 94). Hier hat der Jugendhilfeträger, damals der Landkreis Hannover, die Unterbringung A. s in den Haushalt ihrer Großeltern veranlasst. Zwar kam es zum Umzug des Kindes zunächst durch Intervention der Beratungslehrerin. Dies kann aber nur als vorläufige Unterbringung verstanden werden. Denn die Beratungslehrerin hatte von Anfang an Kontakt zum Jugendamt und hat dieses unmittelbar nach A. s Umzug informiert. Daraufhin hat das Jugendamt die Initiative übernommen. Es hat nach Prüfung der familiären Verhältnisse und nach Gesprächen mit den Beteiligten die Entscheidung getroffen, dass A. bei ihren Großeltern verbleiben soll und auf den Antrag von A.s Mutter mit Bescheid vom 12. August 1994 die beantragte Hilfe mit Wirkung vom 12. Juli 1994 an gewährt. Die endgültige Unterbringung A. s bei ihren Großeltern ging damit auf das Kreisjugendamt des Landkreises Hannover zurück und ist folglich eine Hilfemaßnahme im Sinne der §§ 27, 33 SGB VIII.
Die tatsächlich erbrachte Hilfeleistung war auch rechtmäßig. A. s Mutter hatte nach §§ 27, 33 SGB VIII in dem maßgeblichen Zeitraum vom 30. November 1994 bis zum 31. März 1998 einen Anspruch auf Hilfe zur Erziehung nach §§ 27, 33 SGB VIII. Nach § 27 Abs. 1 SGB VIII hat ein Personensorgeberechtigter bei der Erziehung eines Kindes oder eines Jugendlichen Anspruch auf Hilfe (Hilfe zur Erziehung), wenn eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet und die Hilfe für seine Entwicklung geeignet und notwendig ist. Die aus den Akten ersichtlichen Probleme A. s und die familiäre Situation in dem Haushalt ihrer Mutter rechtfertigen den Schluss, dass dort schwerwiegende Mängel der Erziehung vorlagen. Insbesondere ist unstreitig, dass es in der Vergangenheit zu sexuellem Missbrauch von A. durch ihren Stiefvater gekommen war. Es ist auch nicht ersichtlich, dass sich diese Situation in dem hier fraglichen Zeitraum geändert hatte. Weiter ist nicht streitig, dass A. s Großeltern geeignet waren, eine dem Wohl des Kindes entsprechende Erziehung zu gewährleisten. Ein Anspruch auf Hilfe zur Erziehung ist dabei nicht allein deshalb ausgeschlossen, weil die Betreuung durch die Großeltern in deren Familie erfolgt. Allerdings gilt dies nur dann, wenn die Großeltern ihr Enkelkind nicht in Erfüllung ihrer Unterhaltspflicht betreuen und auch nicht zur unentgeltlichen Pflege bereit sind. Sind Eltern leistungsunfähig, haben die Großeltern, soweit sie ihrerseits unterhaltspflichtig sind, Unterhalt zu gewähren, den sie auch dadurch erbringen können, dass sie das Kind mit Einwilligung der Eltern zu sich nehmen und erziehen. Sie sind dazu zwar nicht verpflichtet, wenn sie dies aber tun, können sie dafür kein Entgelt verlangen, weil sie insoweit ihre Unterhaltspflicht natural erfüllen, für die sie sonst, übernähme sie ein Dritter, Barunterhalt leisten müssten. Soweit Großeltern ihre Unterhaltspflicht statt durch Barunterhalt durch naturale Betreuung erfüllen, ist eine dem Wohl des Kindes entsprechende Erziehung gewährleistet und öffentliche Jugendhilfe nicht erforderlich. Deckt ein Verwandter im Einvernehmen mit dem Personensorgeberechtigten den erzieherischen Bedarf des Kindes bzw. Jugendlichen unentgeltlich, scheitert ein Anspruch des Personensorgeberechtigten auf öffentliche Jugendhilfe am fehlenden Bedarf; Hilfe zur Erziehung ist nicht "notwendig" im Sinne von § 27 Abs. 1 SGB VIII (vgl. zum Vorst.: BVerwG, Urteile v. 15.12.1995 - 5 C 2.94 -, FEVS 47, 13; v. 12.9.1996 - 5 C 31.95 -, FEVS 47, 433; v. 4.9.1997 - 5 C 11.96 -, FEVS 48, 289; Nds. OVG, Urt. v. 28.10.1998 - 4 L 3289/98 - ).
A. s Großeltern waren als in gerader Linie Verwandte gegenüber ihrer unterhaltsbedürftigen Enkelin grundsätzlich zum Unterhalt verpflichtet (§§ 1601, 1602, 1615 a BGB), weil die vorrangig verpflichteten Eltern (§ 1606 Abs. 2, § 1607 Abs. 1 BGB) unstreitig nicht leistungsfähig waren. Es war ihnen aber nach ihren Einkommensverhältnissen ebenfalls nicht möglich, Unterhalt zu gewähren. Nach den Angaben der Klägerin, die von dem Beklagten nicht in Frage gestellt werden, hatten sie in der hier fraglichen Zeit ein monatliches Nettoeinkommen von 2.000,- DM, dem - zu Beginn des Pflegeverhältnisses - Mietkosten in Höhe von 600,- DM gegenüber standen. Es kann mithin nicht angenommen werden, dass sie wirtschaftlich in der Lage waren, für den notwendigen Unterhalt A.s in Höhe des nach § 39 SGB VIII angesetzten monatlichen Pauschalbetrages von zunächst 1.127,- DM und später in Höhe von 1.259,- DM aufzukommen. Da Herr und Frau D. selbst wirtschaftlich nicht hinreichend leistungsfähig waren, ist nicht mehr zu prüfen, ob sie zur unentgeltlichen Betreuung ihrer Enkelin bereit waren. Eine den Anspruch auf Jugendhilfe nach §§ 27, 33 SGB VIII ausschließende Bereitschaft zur unentgeltlichen Pflege im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist nur dann anzunehmen, wenn die Großeltern nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen in der Lage sind, den notwendigen Unterhalt ihres Enkelkindes sicherzustellen, oder wenn sein Bedarf mit eigenen Mitteln oder von anderen, besonders von den Eltern, gedeckt wird (Nds.OVG, Urt. v. 28.10.1998 - 4 L 3289/98 -).
Zuletzt hat auch die erforderliche begleitende Kontrolle der Hilfe zur Erziehung stattgefunden, was sich aus der Fortschreibung der Hilfeplanung durch die Klägerin am 19. März 1996 entnehmen lässt. Die Begleitung war vom Umfang zwar gering, aber noch hinreichend, weil offensichtlich nach der Aufnahme A. s bei ihren Großeltern keine erzieherischen Probleme mehr auftraten.
Da nach allem die Hilfe nach § 33 SGB VIII zu Recht gewährt worden ist, sind auch die Unterhaltsleistungen nach § 39 SGB VIII rechtmäßig erbracht worden.
Die Klägerin kann mithin von dem Beklagten die Erstattung der Kosten für die an Frau C. in dem hier maßgebenden Zeitraum gewährten Jugendhilfeleistungen verlangen, wobei die Höhe der geltend gemachten Kosten von 12.160,06 DM zwischen den Beteiligten unstreitig ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 155 Abs. 2, 154 Abs. 1, VwGO, 188 Satz 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.