Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 27.02.2001, Az.: 4 A 13/00
Großelternpflege; Jugendhilfe; Kostenerstattung; Zuständigkeitswechsel
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 27.02.2001
- Aktenzeichen
- 4 A 13/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2001, 39296
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 33 SGB 8
- § 39 SGB 8
- § 86c SGB 8
- § 89c SGB 8
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von dem Beklagten die Erstattung von Jugendhilfeaufwendungen, die sie im Rahmen von Hilfe zur Erziehung in Bezug auf das Kind S. D. geleistet hat.
S. D. wurde am 19. Mai 1993 als Kind der Eheleute S. und R. D. , die seinerzeit im Bereich der Klägerin ansässig waren, geboren. Auseinandersetzungen der Eltern führten dazu, dass S. von ihrer Mutter am 30. Mai 1993 bei ihrer Schwiegermutter E. G. untergebracht wurde. Nach nahezu zwei Wochen wurde S. vorübergehend in den elterlichen Haushalt zurückgeholt, wohnt aber seit dem 29. Juni 1993 in der Familie ihrer Großmutter im Bereich des Beklagten.
Bereits im Juni 1993 entstand zwischen S.s Eltern Streit um das Sorgerecht für die gemeinsame Tochter. S.s Vater befürchtete, dass seine Ehefrau, die kanadische Staatsangehörige ist, S. mit nach Kanada nehmen würde. Das Aufenthaltsbestimmungsrecht für S. wurde schließlich durch Beschluss des Amtsgerichts B. vom 28. Juni 1993 auf das Jugendamt der Klägerin übertragen. Am 29. Juni 1993 verständigten sich S.s Eltern unter Mitwirkung des Jugendamtes der Klägerin, dass S. wieder in den Haushalt ihrer Großmutter väterlicherseits gebracht würde. S.s Mutter kehrte kurz darauf nach Kanada zurück.
Am 30. Juni 1993 führte das Jugendamt der Klägerin einen Hausbesuch bei der Familie G. durch, u. a. zu einem Hilfeplanungsgespräch für eine Vollzeitpflege. Nach Auseinandersetzungen zwischen S.s Vater und seiner Mutter war dieser jedoch im August 1993 nicht mehr bereit, einen schriftlichen Antrag auf Hilfe zur Erziehung zu unterzeichnen; er beabsichtigte, S. bei sich aufzunehmen und sie tagsüber von einer Tagesmutter betreuen zu lassen. Auch äußerte er wenig später die Absicht, S. mit nach Kanada zu nehmen. Das Jugendamt der Klägerin entschied, S. bei der Familie G. zu lassen.
Mit Bescheid vom 30. November 1994 nahm die Klägerin rückwirkend vom 29. Juni 1993 die Leistung von Pflegegeld für S. bei ihrer Pflegemutter E. G. auf und teilte dies mit Bescheid vom 1. Dezember 1994 auch ihrem Vater S. D. mit.
Mit Beschluss des Amtsgerichts H. vom 24. Mai 1995 wurde S.s Mutter das Sorgerecht für ihr Kind entzogen.
Am 3. Juli 1995 und 9. August 1995 nahm das Jugendamt der Klägerin Kontakt zum Jugendamt des Beklagten auf, um dieses von dem Wechsel der Zuständigkeit für den Hilfefall S. D. in Kenntnis zu setzen bedingt durch das nunmehr bestehende alleinige Sorgerecht des im Bereich des Beklagten ansässigen Kindesvaters und bat um Übernahme des Hilfefalls in die dortige Zuständigkeit. Weiter beanspruchte es Kostenerstattung für die weiterhin von der Klägerin zu erbringenden Jugendhilfeleistungen.
Unter dem 29. August 1995 beantragte das Jugendamt der Klägerin bei dem zuständigen Amtsgericht, das Aufenthaltsbestimmungsrecht für S. auf das Jugendamt des Beklagten zu übertragen. Dem Antrag wurde durch Beschluss des Amtsgerichts H. vom 20. März 1996 entsprochen.
Mit Schreiben vom 5. September 1995 bat das Jugendamt der Klägerin das Jugendamt des Beklagten erneut, die weitere Betreuung des Jugendhilfefalls zu übernehmen. Die Jugendämter der Beteiligten kamen daraufhin überein, ein "Übergabegespräch" unter Beteiligung der Pflegemutter und des Kindesvaters zu führen, das am 26. Oktober 1995 stattfand. In einem Aktenvermerk in den von der Klägerin vorgelegten Vorgängen ist dazu festgehalten, dass Hilfe zur Erziehung und Dauerpflege "weiterlaufen" werde. In den bei-gezogenen Vorgängen des Beklagten ist ein Aktenvermerk zu dem Gespräch vom 26. Oktober 1995 nicht enthalten.
Wiederholt mahnte das Jugendamt der Klägerin unter Geltendmachung eines Kostenerstattungsanspruchs eine Übernahme der Jugendhilfeangelegenheit bei dem Beklagten an. Dieser erteilte unter dem 29. Mai 1996 die Zwischennachricht, dass sich der Antrag auf Übernahme des Jugendhilfefalls noch in der Bearbeitung befinde und eine Entscheidung noch ausstehe.
Mit Schreiben vom 9. Juli 1996 lehnte der Beklagte schließlich die Erstattung der von der Klägerin für die Vollzeitpflege aufgewandten Jugendhilfekosten ab und führte aus, dass eine Hilfe bei den Großeltern nicht dem Kindeswohl zuträglich sei, weil die Pflegemutter sich nicht so verhalte, wie man es von ihr im Rahmen der Hilfe zur Erziehung erwarten müsste. Frau G. sei aufgrund ihrer Einschätzung und ihres Verhältnisses ihrem Sohn gegenüber nicht in der Lage, den sorgeberechtigten Vater in die Entscheidungen für das Kind einzubeziehen und ihn weitestgehendst an der Erziehungs- und Lebenssituation des Kindes zu beteiligen. Es könne nicht argumentiert werden, dass das Kind außerhalb des Elternhauses lebe, folglich auch die Voraussetzungen für eine Hilfe zur Erziehung durch Vollzeitpflege bejaht werden könnten. Es wäre sinnvoll gewesen, Hilfe zur Erziehung durch andere Personen als durch die Großeltern zu gewähren.
Die Klägerin stellte daraufhin mit an die Großmutter E. G. gerichtetem Bescheid vom 1. August 1996 die Leistung von Hilfe zur Erziehung für S. mit Wirkung ab 1. August 1996 ein und forderte das für den Monat August 1996 bereits geleistete Pflegegeld in Höhe von 974,00 DM zurück. Sie führte aus, sie müsse nach einer Mitteilung des Beklagten davon ausgehen, dass Frau G. Kontakte zum Kindesvater nicht im erforderlichen Umfang zulasse. Da hierdurch für S. die Möglichkeit einer späteren Rückkehr in den Haushalt ihres Vaters verschlechtert werde, sei die Unterbringung von S. in dem Haushalt von Frau G. keine im gesetzlichen Sinne geeignete Hilfe zur Erziehung mehr. Dieser Bescheid wurde von Frau G. mit dem Widerspruch angegriffen, über den bislang offenbar nicht entschieden wurde.
Am 7. Januar 2000 hat die Klägerin Klage erhoben.
Zur Begründung trägt sie vor: Sie habe unverzüglich nach Erhalt der Entscheidung des Amtsgerichts H. zur Entziehung des Sorgerechts der Mutter von S. die Übernahme der Leistung der Erziehungshilfe in die Zuständigkeit des Beklagten beantragt und gleichzeitig Kostenerstattung für bis zur Übernahme noch zu leistender Erziehungshilfe geltend gemacht. Bei einem Gespräch am 26. Oktober 1995 bei ihrem zuständigen Mitarbeiter im Jugendamt sei von den Vertretern des Beklagten mitgeteilt worden, dass die Angelegenheit auch in dem Zuständigkeitsbereich des Beklagten als Erziehungshilfe und nicht als "Verwandtenpflege" behandelt werden würde. Weiter sei seinerzeit vereinbart worden, dass die sozialpädagogische Betreuung des Pflegeverhältnisses mit sofortiger Wirkung durch den Beklagten geleistet werden und der formale Wechsel der gesamten - auch der finanziellen - Zuständigkeit unverzüglich erfolgen solle. Trotz zahlreicher Erinnerungen habe der Beklagte eine Entscheidung über die finanzielle Ausgestaltung der Hilfe erst mit Schreiben vom 9. Juli 1996, mit dem er die Kostenerstattung der Erziehungshilfe abgelehnt habe, getroffen. Ursprünglich sei die Voraussetzung der Erforderlichkeit der Erziehungshilfe gegeben gewesen. Dies habe sich auch über den Leistungszeitraum hin nicht geändert. Die Erforderlichkeit der Vollzeitpflege sei kontinuierlich überprüft worden und habe für S. fortbestanden. Die Vollzeitpflege bei Frau G. sei auch über den gesamten im Kostenerstattungsanspruch geltend gemachten Zeitraum die geeignete Erziehungshilfe gewesen. Das Kind habe eine starke Bindung zu Frau G. aufgenommen und es sei ihm in der kontinuierlichen Betreuung offenbar gut gegangen. Gelegentliche Streitigkeiten, die sich zwischen Frau G. und ihrem Sohn ergeben hätten, hätten sich auf die Organisation der Besuchszeiten bezogen. Eine generelle Ablehnung der Besuchsregelung von Seiten der Frau G. ihrem Sohn gegenüber habe nicht vorgelegen. Schließlich sei auch den Verfahrenserfordernissen, wie der Erstellung eines Hilfeplans unter Mitwirkung der Betroffenen, Genüge getan worden. Die ganze Zeit über, während der S. sich bei Frau G. befunden habe, hätten im Übrigen keine ernsthaften Alternativen zu der Vollzeitpflege bei Frau G. bestanden. Dies zeige sich auch daran, dass der Beklagte, als ihm das Aufenthaltsbestimmungsrecht für S. übertragen worden sei, das Kind weiter in der Obhut von Frau G. belassen habe. Nachdem der Beklagte dann mitgeteilt gehabt habe, dass er Frau G. als Pflegeperson nicht für geeignet halte, habe sie, die Klägerin, unverzüglich die Leistung von Hilfe zur Erziehung eingestellt. Hervorzuheben sei, dass die Übergabe der sozialpädagogischen Zuständigkeit bereits im Oktober 1995 erfolgt gewesen sei, die Übernahme der finanziellen Leistung jederzeit erwartet und nur von Seiten des Beklagten hinausgezögert worden sei. Das Ausbleiben der weiteren Überprüfung des Hilfefalls seitens ihres Jugendamtes während insgesamt acht Monaten seit Zuständigkeitswechsel sei Folge der Verzögerung der Übernahme des Hilfefalls durch den Beklagten und diesem zuzurechnen.
Der Beklagte habe Pflegegeld für die Zeit vom 25. bis 31. Mai 1995 (873,00 DM : 30 Tage x 7 Tage) in Höhe von 203,70 DM, Pflegegeld von August bis Dezember 1995 (5 Monate x 873,00 DM) in Höhe von 4.365,00 DM, Pflegegeld von Januar bis August 1996 (8 Monate x 974,00 DM) in Höhe von 7.792,00 DM und eine Weihnachtsbeilhilfe für 1995 in Höhe von 61,00 DM, insgesamt 12.421,70 DM zu zahlen. Zusätzlich habe der Beklagte ein Drittel der Kosten gemäß § 89 c Abs. 2 SGB VIII in Höhe von 4.140,57 DM zu tragen.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, ihr einen Betrag von 16.562,27 DM zu leisten.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er tritt dem Begehren unter Bezugnahme auf sein an die Klägerin gerichtetes ablehnendes Schreiben entgegen und fügt hinzu, dass S.s Vater einen Antrag auf Erziehungshilfe nicht habe unterschreiben wollen und damit zum Ausdruck gebracht habe, Hilfe zur Erziehung nicht erhalten zu wollen. Auch ein Hilfeplan, der einen Anspruch auf Hilfe zur Erziehung hätten begründen können, sei nicht erstellt worden.
In der mündlichen Verhandlung hat der Beklagte gegenüber der Klageforderung die Einrede der Verjährung erhoben.
Zur weiteren Sachdarstellung wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beteiligten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Forderung der Klägerin ist in Höhe von 9.090,67 DM begründet und im Übrigen unbegründet.
Anspruchsgrundlage ist § 89 c i. V. m. § 86 c SGB VIII, wobei für den Umfang der Kostenerstattung § 89 f SGB VIII maßgeblich ist.
Nach § 89 c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII sind Jugendhilfekosten, die ein örtlicher Träger im Rahmen seiner Verpflichtung nach § 86 c SGB VIII aufgewendet hat, von dem örtlichen Träger zu erstatten, der nach dem Wechsel der örtlichen Zuständigkeit zuständig geworden ist.
Die örtliche Zuständigkeit für das Erbringen von Leistungen der Jugendhilfe ist im Einzelnen in § 86 SGB VIII geregelt. Danach ist die Klägerin anfangs gemäß § 86 Abs. 1 SGB VIII zuständige Trägerin der Jugendhilfe gewesen, weil die für S. gemeinsam sorgeberechtigten Eltern ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bereich der Klägerin gehabt haben (vgl. § 86 Abs. 1 SGB VIII). An dieser Zuständigkeit der Klägerin hat sich auch dadurch noch nichts geändert, dass S.s Mutter kurz nach dem 29. Juni 1993, dem Beginn der Jugendhilfeleistungen durch die Klägerin, in ihre kanadische Heimat zurückgekehrt ist, weil zu dieser Zeit noch beide Eltern gemeinsam das Sorgerecht für S. zugestanden hat (vgl. § 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII). Nachdem aber S.s Vater aufgrund des Beschlusses des Amtsgerichts H. vom 24. Mai 1995 der allein personensorgeberechtigte Elternteil geworden war, ist für die örtliche Zuständigkeit maßgeblich auf dessen gewöhnlichen Aufenthaltsort abzustellen gewesen, der inzwischen in den Bereich des Beklagten verlegt war (vgl. § 86 Abs. 5 Satz 1 SGB VIII).
Im Übrigen ist in Betracht zu ziehen, den Beklagten mit Ablauf des 28. Juni 1995 auch nach § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII als zuständigen Träger der Jugendhilfe anzusehen. Denn seinerzeit hat S. zwei Jahre bei ihrer Pflegemutter gelebt gehabt und ihr Verbleib dort auf Dauer hat erwartet werden können. Da die Familie G. im Bereich des Beklagten ansässig (gewesen) ist, könnte der Beklagte bereits seinerzeit der für deren gewöhnlichen Aufenthalt örtlich zuständige Träger der Jugendhilfe geworden sein.
Bei einem Wechsel der örtlichen Zuständigkeit bleibt nach § 86 c SGB VIII der bisher zu-ständige örtliche Träger solange zur Gewährung der Leistung verpflichtet, bis der nunmehr zuständige örtliche Träger die Leistung fortsetzt.
Danach hat die Klägerin die von ihr vor dem Übergang der Zuständigkeit auf den Beklagten erbrachten Jugendhilfeleistungen zunächst fortsetzen müssen. Dies ist Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege gemäß § 33 SGB VIII gewesen mit den damit einhergehenden Leistungspflichten nach § 39 SGB VIII, zu denen die Zahlung von Pflegegeld gehört, das den notwendigen Unterhalt des Kindes und die Kosten der Erziehung umfasst. Um die Kontinuität der Hilfe entsprechend der gesetzlichen Vorgabe zu gewährleisten, hat die Klägerin also trotz des Zuständigkeitswechsels auf den Beklagten im Mai 1995 die bis dahin von ihr erbrachten Hilfeleistungen fortsetzen müssen.
Problematisch ist allerdings, wie lange diese Verpflichtung zur Fortsetzung der Leistung von Seiten der Klägerin gedauert hat. Denn am 26. Oktober 1995 hat zwischen den Beteiligten ein sogenanntes Übergabegespräch stattgefunden, nachdem der Hilfefall hinsichtlich seines sozialpädagogischen Aspektes - worüber die Beteiligten einig sind - von dem Beklagten übernommen worden ist.
Es scheidet aber aus, die Übernahme eines Hilfefalls in zwei Teile, den sozialpädagogischen und den wirtschaftlichen, aufzuspalten. Es mag zwar sein, dass Jugendhilfeträger sich anlässlich eines Zuständigkeitswechsels darüber verständigen, dass die sozialpädagogische Betreuung sofort unmittelbar vor Ort übernommen wird, dies befreit den zuvor örtlich zuständig gewesenen Jugendhilfeträger aber rechtlich nicht von seiner Leistungsverpflichtung nach § 86 c SGB VIII, diese endet vielmehr erst dann, wenn der neu zuständig gewordene Jugendhilfeträger die Betreuung des Jugendhilfefalls insgesamt in seine Zuständigkeit übernommen hat, also ggf. auch wirtschaftliche Jugendhilfeleistungen als Annex zur Vollzeitpflege erbringt.
Es bleibt dem neu zuständig gewordenen Jugendhilfeträger unbenommen, nach eigener Bewertung des Hilfefalles, eine andere Art der Hilfe zu gewähren oder auch Hilfeleistungen ganz einzustellen. Eine solche Entscheidung setzt notwendig aber die vollständige Übernahme des Hilfefalles in die eigene Zuständigkeit voraus und erforderte nicht zuletzt unter Mitteilung des Zuständigkeitswechsels den Erlass eines ablehnenden Bescheides dem/den Hilfesuchenden und den sonst Betroffenen (z. B. Pflegeperson) gegenüber, vor allem um diesen die Gelegenheit zu geben, sich rechtzeitig auf die veränderte Situation einzustellen.
Der Beklagte hat der Klägerin gegenüber erst mit Schreiben vom 9. Juli 1996 zu erkennen gegeben, dass er die Voraussetzungen für die Gewährung von Vollzeitpflege mit der Annexleistung nach § 89 SGB VIII nicht für gegeben angesehen hat. Erst zu diesem Zeitpunkt ist die Klägerin, die mehrmals eine Entscheidung des Beklagten angemahnt gehabt hat, einerseits von ihrer fortdauernden Leistungsverpflichtung nach § 86 c SGB VIII befreit worden und hat andererseits auch keine Berechtigung mehr gehabt, Leistungen weiterhin, d. h. über den Monat Juli 1996 hinaus, zu gewähren.
Nach § 89 c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII sind von dem Beklagten mithin grundsätzlich die Kosten zu erstatten, die die Klägerin bis dahin nach § 39 SGB VIII für Pflegegeldleistungen erbracht hat; der auf den Monat August 1996 entfallende Teil der Klageforderung ist damit nicht zuzusprechen.
Nach § 89 f SGB VIII sind die im Übrigen aufgewendeten Kosten zu erstatten, soweit die Erfüllung der Aufgaben den Vorschriften des Sozialgesetzbuches Achtes Buch entspricht.
Die Kostenerstattung wird durch diese Vorschrift auf die Leistung materiell rechtmäßig geleisteter Jugendhilfe beschränkt. Der Beklagte meint zu Unrecht, dass die Voraussetzungen für die gewährte Vollzeitpflege (§ 33 SGB VIII) nicht vorgelegen hätten. Soweit der Beklagte rügt, dass S.s Vater den formularmäßigen Hilfeantrag nicht unterzeich-net habe, verkennt er, dass die Einhaltung der Schriftform nicht vorgeschrieben ist (vgl. Schellhorn, Sozialgesetzbuch Achtes Buch, Kommentar, 2000, § 5 Rdnr. 13). Vor Beginn der Jugendhilfeleistungen haben sich vielmehr beide Elternteile S.s mit dem Begehren, Hilfeleistungen in Form der Vollzeitpflege für S. bei ihrer Großmutter E. G. zu erhalten, an das Jugendamt der Klägerin gewandt gehabt. Da kurze Zeit darauf das Aufenthaltsbestimmungsrecht nicht mehr bei S.s Eltern gelegen hat, sondern auf das Jugendamt der Klägerin übertragen gewesen ist und der zuständige Amtspfleger S. in der Pflegestelle belassen hat, wäre die Zurücknahme des bereits gestellten Jugendhilfeantrags durch die Eltern darüber hinaus als rechtsmissbräuchlich anzusehen gewesen (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 26.3.1997, Nds. Rpfl. 1997, 186 ff.).
Die von der Klägerin gewährte Vollzeitpflege ist auch nicht etwa deshalb rechtswidrig, weil Hilfe zur Erziehung nicht für eine Unterbringung und Betreuung eines Kindes durch seine Großmutter gewährt werden kann. Soweit eine Großmutter ihr Enkelkind nicht in Erfüllung ihrer zivilrechtlichen Unterhaltspflicht betreut und auch nicht zur unentgeltlichen Pflege bereit ist, ist wirtschaftliche Jugendhilfe auch bei (durch das Jugendamt veranlasster) Unterbringung eines Kindes bei seinen Großeltern zu gewähren (vgl. z. B. OVG Lüneburg, Urteil vom 28.10.1998 - 4 L 3289/98 -). S.s Großmutter, E. G. , ist zwar gegenüber ihrer Enkelin grundsätzlich unterhaltspflichtig gewesen (§§ 1601, 1602, 1615 a BGB), weil die vorrangig verpflichteten Eltern (§ 1606 Abs. 2, 1607 Abs. 1 BGB) ganz offensichtlich nicht leistungsfähig gewesen sind. Aber die Großmutter ist Hausfrau (gewesen) und hat über eigene Einkünfte nicht verfügt; sie hat ihrerseits (nur) einen Unterhaltsanspruch gegenüber ihrem Ehemann, der nicht zugleich S.s Großvater ist, gehabt. Sie ist deshalb finanziell bereits nicht in der Lage gewesen, den notwendigen Unterhalt S.s sicherzustellen. Außerdem ist sie nicht bereit gewesen, die Erziehungsleistung unentgeltlich zu erbringen (wie durch ihre Bekundungen im Erörterungstermin am 16.7.1997 in dem wegen der Weitergewährung von Jugendhilfeleistungen gegen den Beklagten geführten Eilverfahren - 4 B 118/96 - deutlich geworden ist).
Es kann weiter nicht ernsthaft in Zweifel gezogen werden, dass die Großmutter in dem hier interessierenden Zeitraum von Ende Mai 1995 bis Ende Juli 1996 nicht die erforderliche Eignung als Pflegeperson besessen hätte. Es steht außer Frage, dass S. sich gut entwickelt hat und ein Wechsel der Bezugsperson für S., die seinerzeit erst zwei bis drei Jahre alt gewesen ist, nach Möglichkeit zu vermeiden gewesen ist. Dies hat auch der zuständige Amtspfleger bei dem Beklagten ganz offensichtlich so gesehen, als er nämlich von seinem Aufenthaltsbestimmungsrecht für S. in der Weise Gebrauch gemacht hat, S. bei ihrer Großmutter zu belassen (wo sie noch heute lebt).
Schließlich fehlt es auch nicht an einer Hilfeplanung im Sinne des § 36 SGB VIII. Aus den beigezogenen Vorgängen der Klägerin ergibt sich, dass die Hilfemaßnahme fortlaufend von der Klägerin sozialpädagogisch begleitet worden ist, wobei die Intensität der Betreuung sich nach den jeweils anstehenden Problemen gerichtet hat. Dass die Klägerin spätestens nach dem 26. Oktober 1996, dem Tag des "Übergabegesprächs" mit dem Beklagten, die Hilfeplanung nicht weiter betrieben hat, ist ihr nicht anzulasten, weil der Beklagte ihr erklärt gehabt hatte, die sozialpädagogische Betreuung vor Ort zu leisten. Ob und in welchem Umfang dies tatsächlich geschehen ist, ist den beigezogenen Verwaltungsvorgängen des Beklagten nicht im Einzelnen zu entnehmen, im Übrigen aber hier auch unerheblich.
Der nach alledem bestehende Erstattungsanspruch der Klägerin für die Jugendhilfeaufwendungen für die Vollzeitpflege S.s in der Zeit vom 25. Mai 1995 bis Juli 1996 ist allerdings zum Teil einredebehaftet. Der Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung die Einrede der Verjährung erhoben, die hinsichtlich der im Jahr 1995 erbrachten Jugendhilfeleistungen begründet ist.
Für die Verjährung eines Kostenerstattungsanspruchs nach dem Sozialgesetzbuch Achtes Buch findet mangels einer spezialgesetzlichen Regelung die allgemeine Regelung des § 113 SGB X Anwendung. Danach verjähren Erstattungs- und Rückerstattungsansprüche in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie entstanden sind. Für die Hemmung, die Unterbrechung und die Wirkung der Verjährung gelten die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches sinngemäß.
Maßgebend für den Beginn der Verjährungsfrist ist der Zeitpunkt, in dem über die Leistungen der Jugendhilfe entschieden wird und in dem tatsächliche Zahlungen geleistet werden, ohne Rücksicht darauf, für welchen Zeitraum sie bestimmt sind, in dem also bei dem hilfegewährenden Träger Aufwendungen tatsächlich anfallen (Schellhorn, a. a. O., § 89 f, Rdnr. 16).
Für die im Jahr 1995 erbrachten Leistungen beginnt die Verjährung mit Ablauf des Jahres 1999, also am 1. Januar 2000 und für die im Jahr 1996 erbrachten Leistungen beginnt die Verjährung mit Ablauf des Jahres 2000, also am 1. Januar 2001. Durch die Erhebung der Leistungsklage am 7. Januar 2000 ist die Verjährung für die 1996 erbrachten Leistungen unterbrochen worden (vgl. § 209 BGB). Für die 1995 erbrachten Leistungen ist die Erfüllung eines Unterbrechungstatbestandes (vgl. §§ 202 ff. BGB) nicht ersichtlich.
Der Klägerin ist daher nur ein Erstattungsanspruch für Leistungen, die zwischen Januar und Juli 1996 erbracht worden sind, zuzusprechen, dies sind 6.818,00 DM (7 Monate x 974,00 DM).
Dieser Betrag ist um einen Betrag in Höhe eines Drittels der Kosten, 2.272,67 DM gemäß § 89 c Abs. 2 SGB VIII zu erhöhen, die der Beklagte ebenfalls zu erstatten hat, so dass der zu erstattende Betrag insgesamt 9.090,67 DM beträgt.
Der zusätzliche Betrag nach § 89 c Abs. 2 SGB VIII steht dem örtlichen Träger (vgl. § 86 c SGB VIII) dann zu, wenn er die Jugendhilfekosten deshalb aufgewendet hat, weil der zu-ständige örtliche Träger pflichtwidrig gehandelt hat. Pflichtwidriges Handeln ist z. B. dann gegeben, wenn die Erbringung der Hilfe verzögert wird, obwohl eine Verpflichtung zum Handeln bestanden hat (vgl. Wiesner/Mörsberger/Oberloskamp/Struck, SGB VIII, Kommentar, 2. Aufl. 2000, § 89 c, Rdnr. 9; Hauck, SGB VIII, Kommentar, Stand: 1.8.2000, § 89 c, Rdnr. 9; Schellhorn, a. a. O., § 89 c, Rdnr. 10).
Das Verhalten des Beklagten bei der Übernahme des Hilfefalls von der Klägerin ist des-halb pflichtwidrig, weil für den Beklagten kein Zweifel daran bestanden hat, dass er ab Mai 1995 der zuständige Jugendhilfeträger gewesen ist und dennoch die Klägerin ohne anzu-erkennenden Grund hingehalten hat mit der Erklärung der Übernahme des Hilfefalls. Der Beklagte hat sogar auch dann noch eine Entscheidung hinausgezögert, welche Maßnahmen im Interesse S.s zu treffen gewesen sind, als ihm das Aufenthaltsbestimmungs-recht für S. übertragen worden war. Das Verhalten des Beklagten erweckt den Eindruck, als ob er gerade, weil er gewusst hat, dass die Klägerin weiterhin Pflegegeldleistungen für S.s Vollzeitpflege erbracht hat, einen Bedarf für schnelles eigenes Tätigwerden nicht gesehen hat. Einer solchen Lastenverschiebung soll aber durch § 89 c Abs. 2 SGB VIII entgegengewirkt werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 155 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 709 ZPO.