Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 02.02.2009, Az.: L 1 KR 192/08 ER

Voraussetzungen für eine Anspruch auf Versorgung mit einem Hilfsmittel nach § 33 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V); Radnabenantrieb für einen Faltrollstuhl als Gerät für die speziellen Bedürfnisse kranker oder behinderter Menschen; Prüfung sämtlicher Tatbestandsmerkmale des § 33 SGB V bei der Beantragung einer Ersatzbeschaffung

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
02.02.2009
Aktenzeichen
L 1 KR 192/08 ER
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2009, 17957
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2009:0202.L1KR192.08ER.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hannover - 21.05.2008 - AZ: S 44 KR 589/07

Tenor:

Der Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 21. Mai 2008 wird geändert.

Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, die Antragstellerin für den von ihr genutzten Aktivrollstuhl mit einem E-Fix-Antrieb zu versorgen. Die Verpflichtung gilt vorläufig und bis zum Abschluss des vor dem Sozialgericht Hannover zwischen den Beteiligten anhängigen Hauptsache-Verfahrens unter dem Az S 44 KR 589/07.

Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antrags- und des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

Gründe

1

I.

Die Antragstellerin (Ast) begehrt von der Antragsgegnerin (Ag) im Wege einstweiligen Rechtsschutzes für den ihr von der Ag vor mehreren Jahren gestellten Faltrollstuhl (= Aktivrollstuhl) - nach einem entsprechenden technischen Defekt - die Ersatzbeschaffung des elektrischen Radnabenantriebs ("E-Fix"), den die Ag - ebenfalls vor mehreren Jahren - der Ast für den Faltrollstuhl gestellt hatte.

2

Die im Jahre 1974 geborene Ast, die bei der Ag gesetzlich krankenversichert ist, leidet an einer sog. Friedreichschen Ataxie. Dabei handelt es sich um eine Kleinhirn-Rückenmark-Erkrankung mit Störung der Bewegungsabläufe, Störung der Oberflächen- und Tiefensensibilität, dem Entstehen eines Nistagmus, einer Sprachstörung sowie einer Spastik. Der Verlauf der Erkrankung ist stets progredient, so auch bei der Ast, die seit dem Jahre 1992 rollstuhlpflichtig ist und seit dem Jahre 2003 sich nicht mehr stabil sitzend halten kann. Die Ast ist seit dem Jahre 1999 in die Pflegestufe II, seit 2001 in die Pflegestufe III eingestuft.

3

Von der Ag wurde die Ast (außer mit weiteren Hilfsmitteln) im März 2002 mit einem Elek-trorollstuhl (E-Rollstuhl) (Versorgungspauschale für 5 Jahre), im März 2004 mit einem Aktivrollstuhl (Faltrollstuhl) sowie - vorliegend maßgeblich - im Juni 2006 mit einem E-Fix (ebenfalls Versorgungspauschale für fünf Jahre) ausgestattet (Bl. 25 der Verwaltungsakte).

4

Der E-Fix, der zum Zeitpunkt der Versorgung (Juni 2006) bereits 15 Jahre alt war, wurde schnell störanfällig und musste häufig durch den Lieferanten (Sanitätshaus) repariert werden. Im Jahre 2007 vermochte der Lieferant keine Ersatzteile mehr für den Motor zu liefern.

5

Auf den im Jahre 2007 gestellten Antrag der Ast auf Kostenübernahme für einen neuen E-Fix für den vorhandenen Faltrollstuhl ermittelte die Ag zum Sachverhalt (Beiziehung eines Kostenvoranschlages; Einholung einer Stellungnahme der Hilfsmittelberatung; Einholung einer Stellungnahme des Lieferanten; Beiziehung von MDK-Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit der Ast) und erließ den Bescheid vom 15. Juni 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Dezember 2007, mit dem sie zwar die Verlängerung der Versorgung mit dem E-Rollstuhl bewilligte, jedoch die Übernahme eines neuen E-Fix ablehnte. Zur Begründung führte die Ag im einzelnen aus, dass die Versorgung mit einem E-Rollstuhl für den Innen- und Außenbereich ausreichend sei. Dass die Ag in der Vergangenheit die Kosten auch für den E-Fix übernommen habe, könne zu keiner anderen Entscheidung führen, da Ansprüche aus früherem - eventuell fehlerhaftem - Verwaltungshandeln nicht hergeleitet werden könnten.

6

Gegen die ablehnenden Entscheidungen der Ag ging und geht die Ast in prozessual zweierlei Weise vor:

7

Zum Einen verfolgt sie ihr Begehren vor dem Sozialgericht (SG) Hannover im dortigen Hauptsacheverfahren S 44 KR 589/07 weiter, in dem bislang eine Entscheidung nicht ergangen ist.

8

Zum Zweiten hat sie unter dem 14. März 2008 - ebenfalls vor dem SG Hannover - den zu diesem Verfahren führenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt und zur Begründung im einzelnen geltend gemacht: Der ihr zur Verfügung gestellte E-Rollstuhl könne von ihr aufgrund ihrer Erkrankung nicht problemlos verwendet werden und habe schon zu etlichen Unfällen im Außenbereich sowie zu fehlender Beweglichkeit im Innenbereich geführt. Dem hingegen sei der Faltrollstuhl mit ausgestattetem E-Fix von ihr gut zu steuern, werde von ihr sowohl im Innen- als auch im Außenbereich verwendet und diene zudem therapeutischen Maßnahmen im Sinne eines speziellen Rollstuhltrainings, das bereits zu einer Verbesserung der Grifffestigkeit, der Zielmotorik der Hände sowie der leichteren Transportfähigkeit (aus dem Rollstuhl auf Bodenmatten oder auf eine höher gelegene Behandlungsebene) geführt habe. Seit dem Defekt des E-Fix Anfang 2007 seien diese therapeutischen Möglichkeiten verschlossen. Es bestehe daher die konkrete Gefahr, dass sich der Gesundheitszustand der Ast wieder verschlechtere und die Progredienz des Leidens zunehme. Die Ast sei dann ausschließlich auf die Hilfe Dritter angewiesen, wo hingegen sie mit dem E-Fix noch selbständig die Wohnung verlassen und die nahe gelegene therapeutische Einrichtung aufsuchen könne. - Zur Glaubhaftmachung hat die Ast u.a. medizinische Unterlagen vorgelegt.

9

Das SG hat den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes mit Beschluss vom 21. Mai 2008 abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, dass bereits ein Anordnungsgrund fehle, weshalb es auf das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs nicht ankomme. Das Fehlen des Anordnungsgrundes ergebe sich aus dem prozessualen Verhalten der Ast. Denn da nach deren eigenem Vortrag der E-Fix bereits seit März 2007 defekt sei, sie die Neuversorgung jedoch erst im Mai 2007 beantragt, gegen den ablehnenden Bescheid erst einen Monat später Widerspruch eingelegt und erst 3 Monate nach Erlass des Widerspruchsbescheides und Klagerhebung Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt habe, sei eine Eilbedürftigkeit nicht erkennbar.

10

Gegen den ihr am 5. Juni 2008 zugestellten Beschluss richtet sich die am 26. Juni 2008 eingelegte Beschwerde der Ast, mit der sie ergänzend geltend macht, dass der Einsatz des E-Fix insbesondere auch aus therapeutischen Gründen erforderlich sei, um die Progredienz der Friedreichschen Ataxie zu verzögern. Daneben könne die Ast den E-Fix in der Wohnung besser lenken als den Elektrorollstuhl, weil der Aktivrollstuhl kleiner und wendiger und der Joy-stick des E-Fix direkter lenke und damit leichter zu bedienen sei. Auch seien die Kosten für eine Ersatzbeschaffung eines E-Fix niedrig, weil das gesamte Zubehör dafür der Ast noch zur Verfügung stehe. Vor allem aber verfüge die Agin über einen Vorrat an E-Fix-Motoren, aus dem das jeweils liefernde Sanitätshaus abfordere und verwende. Die Kosten der Versorgung im Wege eines solchen "Wiedereinsatzes" beliefen sich auf ca. 1.600 - 2.300 Euro. Nur im Fall eines ausgehenden Vorrats sei eine Neuversorgung nötig, was Kosten i.H.v. ca. 5.700 Euro verursache. Allerdings habe die Agin - soweit bekannt - bisher stets im Wege des Wiedereinsatzes versorgt. Der Anordnungsgrund folge aus der durch die nicht rechtzeitige Gestellung des E-Fix folgenden Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Ast, die nach medizinischer Auskunft zu einem späteren Zeitpunkt (etwa: nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens) möglicherweise nicht rückgängig gemacht werden könne. Die im Verlaufe des Ausgangs-, Widerspruchs- und einstweiligen Rechtsschutz-Verfahrens aufgetretenen Zeitbedarfe der Antragstellerin dürften nicht als Verzögerungen bewertet werden, da die gesetzlichen Fristen eingehalten worden, jedoch aufgrund der fehlenden Ausstattung mit dem E-Fix massive Beschwerlichkeiten in der Mobilität der Ast aufgetreten seien. Zur Glaubhaftmachung legt die Ast weitere Unterlagen vor, darunter auch medizinische Stellungnahmen behandelnder Therapeuten. Die Stellungnahmen datieren sämtlichst aus der Zeit bis Sommer 2007.

11

Die Ag verteidigt die angefochtenen Bescheide als zutreffend und bezieht sich zur Begründung ergänzend auf den Beschluss des SG. Daneben macht die Ag geltend, der im Verwaltungsverfahren eingeschaltete Hilfsmittelberater habe bestätigt, dass die Ast in ihrer Wohnung sehr wohl den Elektrorollstuhl verwenden könne. Da die Ast den Joy-stick des E-Fix-Rollstuhls benutzen könne, sei dies auch mit dem Joy-stick des Elektrorollstuhls möglich. Daneben habe der Lieferant des E-Fix im Verwaltungsverfahren erklärt, dass der Rollstuhl sehr häufig habe repariert werden müssen, weil er entgegen der tatsächlichen Nutzung durch die Ast nicht für einen überwiegenden Einsatz im Außenbereich ausgelegt sei. Vor allem aber bestehe kein Anspruch auf die zusätzliche Ausstattung mit einem E-Fix, weil die Ast bereits einen Elektrorollstuhl gestellt bekommen habe, mit dem sie den unmittelbar um ihre Wohnung gelegenen Nahbereich erreichen könne. Ein über dieses Grundbedürfnis hinausgehender Anspruch stehe gesetzlich Krankenversicherten nicht zu.

12

Die Ast erwidert, dass der E-Fix nach den Hersteller-Angaben gerade auch für den Einsatz im Außenbereich vorgesehen und zugelassen sei. Die vielen Reparaturen am bisherigen Gerät seien deshalb erforderlich geworden, weil der Motor zur Zeit der Versorgung der Ast bereits 15 Jahre alt gewesen sei. Entgegen der Darstellung der Ag könne die Ast den Joy-stick des Elektrorollstuhls nicht benutzen, weshalb ihr der unmittelbare Freiraum in der Umgebung ihrer Wohnung durch den Elektrorollstuhl gerade nicht eröffnet werde. Darüber hinaus benötige die Ast zur Aufrechterhaltung ihrer Selbstständigkeit und ihrer psychischen Gesundheit einen Therapiehund, der ihr auch für November 2008 zugesagt worden sei, den sie jedoch habe ablehnen müssen, da sie ohne den E-Fix das Haus nicht selbstständig mit dem Hund verlassen könne. - Zur Glaubhaftmachung ihres Begehrens legt die Ast Unterlagen vom Leistungserbringer sowie vom Hersteller einschließlich eines TÜV-Zertifikats vor.

13

Der Senat hat im vorbereitenden Verfahren die Ast darauf aufmerksam gemacht, dass die bislang vorliegenden, aus der Zeit bis Sommer 2007 datierenden medizinischen Unterlagen zur Beurteilung der für den Senat maßgeblichen Sach- und Rechtlage ab Ergehen dieser Entscheidung veraltet seien. Deshalb seien die ladungsfähigen Anschriften der a k t u e l l betreuenden Ärzte/innen und Pflegeeinrichtungen einzureichen, um entsprechende Ermittlungen führen zu können. Daraufhin hat die ASt aktuelle Stellungnahmen der sie behandelnden Ärzte und Betreuer von September bis Dezember 2008 vorgelegt. Sodann hat der Senat Befundunterlagen eingeholt von dem Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. F. (vom 27. August 2008) sowie von Prof. Dr. G., Physiotherapie-Praxis (vom 18. September 2008) und das neurologische Gutachten des Prof. Dr. H., Direktor der Neurologischen Klinik mit Klinischer Neurophysiologie der Medizinischen Hochschule Hannover, nach ambulanter Untersuchung der Ast veranlasst (Gutachten vom 28. November 2008). Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Befundberichte und das Gutachten Bezug genommen.

14

Schließlich hat der Senat bei der Ag eine unstreitige Beilegung des ER-Verfahrens dahingehend angeregt, dass die Ast bis zu einer etwaig notwendig werdenden Entscheidung in dem Hauptsache-Verfahren vorläufig mit einem gebrauchten E-Fix versorgt werde, wie es der Sachverständige Prof. Dr. H. in seinem Gutachten angeregt hat. Die Ag hat eine unstreitige Beilegung in diesem Sinne abgelehnt. Die ASt hat erklärt, bei (vorläufiger) Versorgung mit dem E-Fix den derzeit benutzten Elektro-Rollstuhl zurückgeben zu können.

15

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, auf die Gerichtsakte im Hauptsacheverfahren vor dem SG (S 44 KR 589/07) sowie auf die Verwaltungsakte Bezug genommen. Sie haben vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidung gewesen.

16

II.

Die Beschwerde der Ast ist gemäß §§ 172 ff. Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und zulässig, insbesondere nicht nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG ausgeschlossen, da im Hauptsacheverfahren die Berufung zulässig wäre, weil die Berufungssumme von 750,- EUR (deutlich) überschritten ist (Kostenvoranschlag des Lieferanten vom 11. Juni 2007: Mehr als 4.000,- EUR für die E-Fix - Neuanschaffung).

17

Rechtsgrundlage des Begehrens der Ast auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, und zwar zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (sog. Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt voraus, dass ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund bestehen. Der Anordnungsanspruch ist der materielle Anspruch, für den der vorläufige Rechtsschutz geltend gemacht wird; der Anordnungsgrund besteht in der Eilbedürftigkeit einer vorläufigen Regelung. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind vom ASt glaubhaft zu machen (§ 920 Abs.2 Zivilprozessordnung - ZPO -). Bei alledem findet in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein eine summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage statt (Nachweise bei: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.0., § 86 b Rdn. 16 c).

18

Nach diesen Voraussetzungen ist vorliegend ein Anspruch der Ast auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bis zum Abschluss des Hauptsache-Verfahrens gegeben.

19

Rechtsgrundlage der von der Ast beantragten Versorgung mit einem Hilfsmittel ist § 33 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Danach haben Versicherte Anspruch auf Versorgung u.a. mit orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um (1. Variante) den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, (2. Variante) einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder (3. Variante) eine Behinderung auszugleichen. Dabei dürfen die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sein. Die Leistungen nach § 33 SGB V müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Dies gilt auch für Mehrfachversorgungen und Ersatzbeschaffungen. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen, § 12 Abs. 1 SGB V.

20

Die Voraussetzungen des § 33 SGB V sind erfüllt. Dies ergibt sich aus dem unstreitigen Sachvortrag der Ast und aus den vom Senat erhobenen Beweisen:

21

Bei dem beantragten Radnabenantrieb für den Faltrollstuhl handelt es sich nicht um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, sondern um ein Gerät, das für die speziellen Bedürfnisse kranker oder behinderter Menschen entwickelt oder hergestellt worden ist (vgl. nur BSG SozR 3-2500, § 33 Nr. 33, S. 196 f.). Das Hilfsmittel ist auch nicht durch eine Rechtsverordnung nach § 34 Abs. 4 SGB V von der Leistungspflicht der Krankenkassen ausgenommen. Dies ist unter den Beteiligten auch unstreitig.

22

Entgegen dem vordergründigen Eindruck handelt es sich bei dem E-Fix nicht um eine Mehrfachversorgung (E-Rollstuhl und E-Fix zum Faltrollstuhl), da hierunter nur typengleiche Hilfsmittel zu verstehen sind, also etwa die Ausstattung eines Versicherten mit mehreren E-Rollstühlen. Vorliegend ist die Versicherte jedoch mit einem E-Rollstuhl und einem Faltrollstuhl = Aktivrollstuhl ausgestattet, dem zwar ein Elektro-Radnabenantrieb zugeschaltet werden kann/soll, der jedoch auch zur manuellen Fortbewegung dient und damit der Kräftigung des Muskelaufbaus dienen kann. Letzteres ist beim reinen E-Rollstuhl nicht der Fall (zur Mehrfachausstattung nach Abschnitt III. Nr. 21 S. 2 der Hilfsmittel-Richtlinien vgl. nur: BSG, Urteil vom 16. September 2004, B 3 KR 2/04; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26. Juli 2005, L 11 KR 729/05; Wagner in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung -Pflegeversicherung, Kommentar, § 33 SGB V, Rdn. 32).

23

#Die von der Versicherten begehrte Versorgung mit einem neuen E-Fix stellt jedoch eine sog. Ersatzbeschaffung eines Hilfsmittels dar. Dabei wird ein bereits bewilligtes Hilfsmittel - etwa infolge eines Defekts - austauschbedürftig. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) müssen anlässlich der Beantragung einer Ersatzbeschaffung sämtliche Tatbestandsmerkmale des § 33 SGB V ebenso geprüft und erfüllt sein wie bei der Erstausstattung. Etwas anderes kommt nur dann in Betracht, wenn die Krankenkasse einen Versorgungsanspruch bezüglich eines bestimmten Hilfsmittels auf Dauer anerkannt hat (BSG, Urteil vom 20. November 1996, 3 RK 5/96 = BSGE 79, 261, 263; BSG, Urteil vom 24. Mai 2006, B 3 KR 12/05 R, Rdn. 17; LSG Nds.-Bremen , Urteil vom 26. Juni 2008, L 1 KR 339/05). - Vorliegend sind die Voraussetzungen der Ausstattung mit einem E-Fix im Wege der Ersatzbeschaffung wie bei einer Erstausstattung zu prüfen. Dem steht nicht entgegen, dass die Ag die Versorgung der Ast mit dem E-Fix im Juni 2006 im Wege einer "Versorgungspauschale für fünf Jahre" (bis 2011; Bl. 25 der VA) bewilligt hat. Denn bei der Versorgungspauschale handelt es sich ausschließlich um eine (interne) Abrechnungsmodalität zwischen der Ag als gesetzlicher Krankenkasse einerseits und dem Hilfsmittellieferanten andererseits (Firma I. -J., vgl. insbesondere deren Schreiben vom 23. Juli 2007, Bl. 16, 17 der VA). Die Versorgungspauschale hat daher allein den Kostenumfang zwischen Ag und Hilfsmittellieferant (für die Zeitdauer von fünf Jahren) zum Gegenstand, nicht aber - im Verhältnis zwischen Krankenkasse und Mitglied - eine Regelung im Sinne eines Verwaltungsakts oder auch nur eine Zusicherung im Sinne des § 34 Zehntes Buch Sozialgesetz - SGB X - gegenüber der Ast als Versicherter.

24

Auch die übrigen Voraussetzungen des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V sind erfüllt.

25

Nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V erste Variante sind nur solche Gegenstände bewilligungsfähig, die aufgrund ihrer Hilfsmitteleigenschaft spezifisch im Rahmen der ärztlich verantworteten Krankenbehandlung eingesetzt werden, um zu ihrem Erfolg beizutragen. Darunter sind alle sächlichen Mittel zu verstehen, die der Krankenbehandlung dienen (BT-Drucksache 11/2237, S. 174; LSG Nds.-Bremen , Urteil vom 24. April 2008, L 1 KR 51/07). Nach der zweiten Variante des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V kommt die Bewilligung eines Hilfsmittels in Betracht, das im Einzelfall erforderlich ist, um einer drohenden Behinderung vorzubeugen. Und nach der dritten Variante des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V besteht ein Anspruch auf das begehrte Hilfsmittel, wenn es im Einzelfall erforderlich ist, um das Gebot eines möglichst weitgehenden Behinderungsausgleichs zu erfüllen. Gegenstand des Behinderungsausgleichs sind zunächst solche Hilfsmittel, die auf den Ausgleich der Behinderung selbst gerichtet sind, also dem unmittelbaren Ersatz der ausgefallenen Funktionen dienen. Der Zweck des Behinderungsausgleichs erfasst aber auch solche Hilfsmittel, die die direkten oder indirekten Folgen einer Behinderung ausgleichen. Ein Hilfsmittel ist deshalb dann zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein Grundbedürfnis betrifft. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG gehören zu den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens das Gehen, Stehen, Greifen, Sehen, Hören, die Nahrungsaufnahme, das Ausscheiden, die (elementare) Körperpflege, das selbständige Wohnen sowie das Erschließen eines körperlichen Freiraums im Nahbereich der Wohnung und das Bedürfnis, bei Krankheit oder Behinderung Ärzte und Therapeuten aufzusuchen. Zum Grundbedürfnis des Erschließens eines geistigen Freiraums gehört u.a. die Aufnahme von Informationen, die Kommunikation mit anderen Menschen sowie das Erlernen eines lebensnotwendigen Grundwissens bzw. eines Schulwissens (Nachweise zur umfassenden Rechtsprechung des BSG bei: LSG Nds.-Bremen , Urteil vom 24. April 2008, L 1 KR 51/07).

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Zwar haben Versicherte bei alledem keinen Anspruch auf die optimale Hilfsmittelversorgung, es ist jedoch ein wesentliches Ziel der Hilfsmittelversorgung, dass behinderte Menschen nach Möglichkeit von der Hilfe anderer Menschen unabhängig, zumindest aber deutlich weniger abhängig werden (vgl. BSG, Urteil vom 24. Mai 2006 B 3 KR 12/05 R Rdnr. 20). Nach der Rechtsprechung des BSG ist es die spezielle Pflicht der Krankenkassen, behinderten Menschen durch eine angemessene Hilfsmittelversorgung eine möglichst selbständige Lebensführung zu erhalten und ihnen zu ermöglichen, ein selbst bestimmtes Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht (vgl BSG, Urteil vom 15. November 2007 B 3 P 9/06 R -Einmalservietten). Darüber hinaus hat das BSG in seinem Urteil vom 24. Mai 2006 B 3 KR 12/05 R speziell auf § 4 Abs. 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) hingewiesen, wonach Versicherte im Rahmen der GKV ein Recht auf die notwendigen Maßnahmen zum Schutz, zur Erhaltung, zur Besserung und zur Wiederherstellung der Gesundheit und Leistungsfähigkeit haben. Darüber hinaus ist § 33 SGB I zu beachten, worin es heißt: "Ist der Inhalt von Rechten und Pflichten nach Art oder Umfang nicht im Einzelnen bestimmt, sind bei ihrer Ausgestaltung die persönlichen Verhältnisse des Berechtigten oder Verpflichteten, sein Bedarf und seine Leistungsfähigkeit sowie die örtlichen Verhältnisse zu berücksichtigen, soweit Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen. Dabei soll den Wünschen des Berechtigten oder Verpflichteten entsprochen werden, soweit sie angemessen sind". An diese Regelung knüpft auch das "Wunsch- und Wahlrecht" behinderter Menschen bei der Rehabilitation und Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft an, das in § 9 Abs. 1 Neuntes Sozialgesetzbuch (SGB IX) niedergelegt ist. Aus § 4 Abs. 1 Nr. 4 SGB IX ergibt sich, dass die notwendigen Sozialleistungen die persönliche Entwicklung ganzheitlich zu fördern und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sowie eine möglichst selbständige und selbst bestimmte Lebensführung zu ermöglichen und zu erleichtern haben. Nach § 9 Abs. 3 SGB IX sollen die Leistungen den Leistungsberechtigten möglichst viel Raum zu eigenverantwortlicher Gestaltung ihrer Lebensumstände lassen und ihre Selbstbestimmung fördern (so schon: LSG Niedersachsen, Urteil vom 24. April 2008, L 1 KR 51/07 zum sog. Rollstuhl-bike).

27

Im vorliegenden Fall der Ast ist der E-Fix nach allen sich in der Akte befindlichen Unterlagen der die Ast behandelnden Ärzte und Therapeuten erforderlich, um sich innerhalb der Wohnung leichter, vor allem aber, um sich ohne fremde Hilfe außerhalb der Wohnung begeben zu können, um die regelmäßigen Therapie-Termine wahrnehmen und die Alltagsgeschäfte in näherer Umgebung eigenständig wahrnehmen zu können:

28

Entgegen der (wiederholten) Darstellung der Ag ist der Aktivrollstuhl mit E-Fix gerade auch für den Gebrauch im Außenbereich geeignet. Er ist - was rechtlich maßgeblich ist - dafür zugelassen, entsprechend zertifiziert und von der Ag in der Vergangenheit der Ast auch vor diesem Hintergrund bewilligt worden. Zu Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat auf die Angaben des Herstellers bzw. Leistungserbringers einschließlich des vorgelegten TÜV-Zertifikats, die der Ag übersandt worden sind.

29

Wie sich aus den übereinstimmenden Darstellungen des Sachverständigen Prof. Dr. H. in seinem Gutachten, des verantwortlichen Leiters der die Ast behandelnden Therapiepraxis, Prof. Dr. G., des Hausarztes der Ast, Dr. F., sowie des die Ast betreuenden Pflegedienstes ergibt, kann die Ast den von der Ag zur Verfügung gestellten Elektrorollstuhl innerhalb der Wohnung nicht sachgerecht verwenden, ihn nur im Außenbereich einsetzen und muss anlässlich eines jeden Verlassens der Wohnung von im Regelfall zwei Pflegekräften vom Aktivrollstuhl, den sie im Wohnbereich gut verwenden kann, in den Elektrorollstuhl umgesetzt werden. Die unzulängliche Verwendbarkeit im Wohnungsbereich folgt aus der Größe des Elektrorollstuhls sowie einhergehend damit vor allem daraus, dass die Ast den Lenk-Mechanismus des Elektrorollstuhls nur unzureichend bedienen kann, denjenigen des Aktivrollstuhls mit E-.Fix aber wesentlich besser. Prof. Dr. H. hat hierzu in seinem Gutachten auf die neurologischen Befunde der paretischen Handmuskulatur sowie der deutlich eingeschränkten Feinmotorik der Ast hingewiesen.

30

Zwar wird die Ast mehrmals täglich von einem Pflegedienst versorgt, der bei den notwendigen Verrichtungen wie An- und Auskleiden, Toilettengang und Essen zur Verfügung steht. In den zeitlichen Zwischenräumen, in denen der Pflegedienst nicht mehr anwesend ist, ist die Ast aber auf sich gestellt und muss - ohne Versorgung mit einem E-Fix - bei notwendigem Verlassen der Wohnung vorher Termine mit Pflegekräften zum Umsetzen in den E-Rollstuhl vereinbaren, die bei möglicher durchgängiger Benutzung des Aktivrollstuhls (mit E-Fix-Versorgung) nicht nötig sind.

31

Das - ohne Versorgung mit einem E-Fix - notwendige Umsetzen muss auch in der therapeutischen Praxis von zwei Therapeuten vorgenommen werden. Prof. Dr. G. führt dazu insbesondere aus, dass es zu einem erheblichen Ausfall des genehmigten therapeutischen Umfangs gekommen ist, seit dem die Ast den E-Fix nicht mehr zur Verfügung hat, weil der organisatorische Aufwand der schwerstbehinderten Ast, insbesondere durch die Terminabsprachen mit zwei Pflegekräften zum Umsetzen in den Elektrorollstuhl, zu groß geworden sei.

32

Zuletzt ist es - nach den Darlegungen im Gutachten des Prof. Dr. H. und der Stellungnahme der Gesellschaft für Integration vom 19. November 2008 - dazu gekommen, dass ein Therapiehund (Behindertenbegleithund) von der Ast abgelehnt werden musste, weil sie sich nicht spontan (ohne vorherige Terminsabsprache) mit dem Hund nach dessen Bedürfnis nach draußen begeben könne, etwa wenn der Hund den erforderlichen Auslauf brauche oder "Gassi gehen" müsse. Der Therapiehund sollte der Ast im Wohnbereich helfen, Gegenstände vom Boden aufzuheben oder aus anderen Räumen herbeizuholen.

33

Die Nicht-Verfügbarkeit eines Therapiehundes, vor allem aber die unzureichende Eigenständigkeit der Fortbewegung innerhalb und außerhalb der Wohnung verhindern es, dass die Ast eine möglichst selbstständige Lebensführung aufrecht erhalten kann. Hierauf haben namentlich der Sachverständige Prof. Dr. H. wie auch alle die Ast behandelnden Ärzte und Therapeuten hingewiesen. Der behandelnde Therapeut Prof. Dr. G. hat zudem darauf aufmerksam gemacht, dass aufgrund des immer wieder erforderlichen Umsetzens aus bzw. in den Elektrorollstuhl das therapeutische Vorgehen auch aus psychischen Gründen zunehmend schwieriger wäre. Der Sachverständige Prof. Dr. H. hält die Versorgung mit dem E-Fix auch generell aus psychischen Gründen für angeraten, und zwar (ebenfalls) aufgrund der damit bewirkten Verbesserung der Selbstständigkeit. Ergänzend macht er darauf aufmerksam, dass die überwiegende Nutzung des E-Fix-Rollstuhls durch die Ast vor dem Defekt den entsprechenden Nutzen eindrücklich belege.

34

Der erkennende Senat ist nach alledem zu der Überzeugung gekommen, dass die Versorgung der Ast mit dem E-Fix, wie sie von der Ag bereits früher vorgenommen worden ist, im Wege der Ersatzbeschaffung geboten ist.

35

Der Senat verkennt dabei keineswegs den von der Ag zu beachtenden Grundsatz der Wirtschaftlichkeit gem. § 12 SGB V. Dem Grundsatz wird jedoch auch durch eine zusprechende Entscheidung Rechnung getragen, weil die Versorgung - entsprechend der Aufgabe von Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes - nur vorläufig erfolgen soll und eine Vorwegnahme der Hauptsache damit nicht verbunden ist, weil ein E-Fix als Elektro-Antrieb nach dem Gebrauch bei der Ast auch von anderen Versicherten wiederverwendet werden kann, ebenso wie es die Ag bei der Ast selbst auch gehandhabt hat. - Dass diese Ersatzbeschaffungen im Fall von gebrauchten E-Fix-Motoren eine überschaubare Kostenbelastung für die Krankenkasse darstellen (nach den unwidersprochenen Angaben des Sachverständigen unter 2.000 Euro), ist nur ergänzend zu erwähnen. Darüber hinaus ist die Ast bereit, die Versorgung mit dem E-Fix den Elektrorollstuhl zurückzugeben.

36

Der zusprechenden Entscheidung steht schließlich auch nicht entgegen, dass das Erkrankungsbild der Ast nach allen vorliegenden ärztlichen Darstellungen deutlich progredient ist und die Versorgung mit dem E-Fix - so ausdrücklich der Sachverständige Prof. Dr. H. - "zeitnah wünschenswert" ist. Denn dieser Zeitnähe und fehlenden Endgültigkeit der Entscheidung, die nur im Hauptsacheverfahren getroffen werden kann (sofern die Ag auf dessen Durchführung besteht), wird durch die Vorläufigkeit der Entscheidung im ER-Verfahren gerade Rechnung getragen.

37

Aus der soeben begründeten Zeitnähe der ER-Entscheidung folgt auch der erforderlich Anordnungsgrund.

38

Die Beschwerde der Ast war daher erfolgreich.

39

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG.

40

Diese Entscheidung ist nicht mit der (weiteren) Beschwerde anfechtbar, § 177 SGG.