Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 12.06.2002, Az.: 2 W 53/02
Entscheidung durch den originären Einzelrichter in einem Beschwerdeverfahren hinsichtlich der Gewährung von Prozesskostenhilfe; Übertragung eines Rechtsstreits durch den Einzelrichter auf den Senat; Grundsatz der Gleichbehandlung der nicht bedürftigen Partei mit der bedürftigen Partei
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 12.06.2002
- Aktenzeichen
- 2 W 53/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 28115
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2002:0612.2W53.02.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Lüneburg - AZ: 8 O 29/02
Rechtsgrundlagen
- § 568 S. 1, 2 ZPO
- § 526 BGB
- § 522 ZPO
- § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO
Fundstellen
- JurBüro 2002, 613
- KGReport Berlin 2002, 71
- MDR 2002, 1145-1146 (Volltext mit red. LS)
- NJW 2002, 2329-2330 (Volltext mit red. LS)
- OLGR Düsseldorf 2002, 71
- OLGR Frankfurt 2002, 71
- OLGR Hamm 2002, 71
- OLGR Köln 2002, 71
- OLGReport Gerichtsort 2002, 203-204
- OLGReport Gerichtsort 2002, 71
Redaktioneller Leitsatz
Im Verfahren über die Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe mangels hinreichender Erfolgsaussicht ist der originäre Einzelrichter nicht schon deshalb zur Übertragung der Sache auf den Senat in voller Besetzung verpflichtet, weil die Entscheidung über die Beschwerde auch die Entscheidung in der Hauptsache beeinflussen kann.
In der Beschwerdesache
hat der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
durch
den Richter am Oberlandesgericht R. als Einzelrichter
am 12. Juni 2002
auf die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Prozesskostenhilfe für sämtliche Beklagte versagenden Beschluss des Einzelrichters der 8. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg
vom 8. Mai 2002
beschlossen:
Tenor:
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Das Landgericht hat bei der erneuten Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag der Beklagten von seinen in dem angefochtenen Beschluss ausgeführten Bedenken gegen die Erfolgsaussichten der Klageverteidigung abzusehen.
Gründe
Die gemäß § 127 Abs. 2 Satz 2 und 3 ZPO zulässige sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.
1.
Das Beschwerdegericht hat über die vorliegende Beschwerde gemäß § 568 Satz 1 und 2 ZPO durch den Einzelrichter als gesetzlichen Richter zu entscheiden, weil die angefochtene Entscheidung von einem Einzelrichter erlassen wurde und die in § 568 Satz 2 ZPO aufgestellten Voraussetzungen für eine Übertragung des Rechtsstreits durch den Einzelrichter auf den Senat nicht vorliegen. Die Rechtssache hat nämlich weder grundsätzliche Bedeutung noch weist der Rechtsstreit besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf.
Entgegen der Auffassung des OLG Köln (NJW 2002, 1436) hat der Einzelrichter des Beschwerdegerichts die Sache nicht schon dann regelmäßig an den Senat zu übertragen, wenn die Beschwerde gegen eine Prozesskostenhilfeentscheidung die Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung betrifft, sofern die Beurteilung der Erfolgsaussicht nicht unzweifelhaft ist. Der Gesetzgeber hat die Zuständigkeit des originären Einzelrichters im Beschwerdeverfahren gerade nicht auf die Entscheidung in eindeutigen Fällen beschränkt, sondern die Übertragung der Sache durch den Einzelrichter auf den Senat in seiner im Gerichtsverfassungsgesetz vorgeschriebenen Besetzung von der Prüfung abhängig gemacht, ob die Sache grundsätzliche Bedeutung oder besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist. Unter den gleichen Voraussetzungen kann das Berufungsgericht gemäß § 526 BGB von der Möglichkeit Gebrauch machen, den Rechtsstreit einem seiner Mitglieder als Einzelrichter zur Entscheidung zu übertragen. Die Auffassung des OLG Köln, besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art i. S. von § 568 Satz 2 Nr. 1 ZPO seien auch dann zu bejahen, wenn die Entscheidung über eine Prozesskostenhilfe-Beschwerde die Entscheidung in der Hauptsache beeinflussen könne, beruht auf einem Zirkelschluss, weil sie den Einzelrichter von der nach dem Gesetz gebotenen Prüfung entbindet, ob die Sache besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist. Überdies kann jede Entscheidung über eine Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe die Entscheidung in der Hauptsache beeinflussen, weil das Gericht des ersten Rechtszuges sich im Falle der Zurückweisung der Beschwerde in seiner rechtlichen Beurteilung der Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung des Beschwerdeführers bestärkt sieht und im Falle des Erfolges der Beschwerde die Auffassung des Beschwerdegerichts seiner weiteren Beurteilung zu Grunde zu legen hat. Die Auffassung des OLG Köln ist darüber hinaus inkonsequent, weil sie die Übertragung der Entscheidung über Beschwerden gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe auf den Senat in voller Besetzung dann nicht für erforderlich hält, wenn die Beurteilung der Erfolgsaussichten der Beschwerde unzweifelhaft ist. Die von dem OLG Köln hervorgehobene Gefahr widersprüchlicher Beurteilung durch den Einzelrichter des Beschwerdegerichts einerseits und den Senat in seiner nach dem Gerichtsverfassungsgesetz vorgeschriebenen Besetzung in einem etwaigen späteren Berufungsverfahren andererseits lässt sich nämlich selbst in den Fällen nicht gänzlich ausschließen, in denen auch nach der Auffassung des OLG Köln eine Entscheidung des Einzelrichters über Beschwerden gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug zulässig sein soll. Auch in eindeutigen Fällen ist nämlich nicht gewährleistet, dass in einem späteren Berufungsverfahren schon deshalb der Einzelrichter entscheidet, weil über die Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe im ersten Rechtszug das Beschwerdegericht durch den Einzelrichter entschieden hat. Vielmehr ist der Senat in seiner vollen Besetzung ohnehin für die Prüfung zuständig, ob eine Zurückweisung der Berufung durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 ZPO in Betracht kommt. Außerdem muss der Senat in einem Berufungsverfahren von der Möglichkeit der Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter gemäß § 526 Abs. 1 ZPO auch in einfach gelagerten Fällen keinen Gebrauch machen. Die Beurteilung, ob die Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung unzweifelhaft erscheinen, muss aber nicht notwendig im Berufungsverfahren durch den Senat in voller Besetzung ebenso beurteilt werden wie durch den Einzelrichter im vorangegangenen Prozesskostenhilfebeschwerdeverfahren, zumal das von dem OLG Köln verwendete Abgrenzungskriterium einer unzweifelhaften Beurteilung der Erfolgsaussichten wesentlich unbestimmter ist als die in § 568 Satz 2 ZPO genannten Tatbestandsvoraussetzungen. Außerdem kann die tatsächliche und rechtliche Grundlage, auf der über die Berufung zu befinden ist, sich gegenüber der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung über die Prozesskostenhilfe wesentlich geändert haben. Auch aus verfassungsrechtlichen Gründen ist es insbesondere im Hinblick auf den Grundsatz der Gleichbehandlung der nicht bedürftigen Partei mit der bedürftigen Partei und die notwendige weit gehende Chancengleichheit bei der Rechtswahrnehmung nicht geboten, den Einzelrichter im Prozesskostenhilfebeschwerdeverfahren schon deshalb zu einer Übertragung der Sache auf den Senat für verpflichtet zu halten, weil der Senat in seiner vollen Besetzung über eine im Beschwerdeverfahren noch gar nicht absehbare etwaige Berufung entscheiden könnte. Vielmehr ist dem Anliegen, die Chancengleichheit zwischen der bedürftigen und der nicht bedürftigen Partei zu wahren, durch die Regelung in § 568 Satz 2 ZPO hinreichend Rechnung getragen worden, dass der Einzelrichter Sachen, die besondere Schwierigkeiten in tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweisen, auf den Senat in seiner nach dem Gerichtsverfassungsgesetz vorgeschriebenen Besetzung zu übertragen hat. Gerade in diesen Fällen besteht nämlich eine nicht nur geringe Wahrscheinlichkeit unterschiedlicher Beurteilungen durch den Einzelrichter einerseits und den Spruchkörper in voller Besetzung andererseits. In den verbleibenden Fällen ist dagegen die Gefahr einer Beeinträchtigung der Chancengleichheit für die bedürftige Partei lediglich als gering zu veranschlagen, so dass es gerechtfertigt erscheint, dem mit der Einführung des originären Einzelrichters im Beschwerdeverfahren gemäß § 568 Satz 1 ZPO verbundenen gesetzgeberischen Anliegen der Vorzug zu geben ist, die effektive Nutzung der personellen Ressourcen der Justiz zu verbessern.
Die Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 574 I Nr. 2 ZPO ist wegen der zuvor erörterten rechtlichen Problematik ausgeschlossen, weil gemäß § 568
Satz 3 ZPO ein Rechtsmittel nicht auf die unterlassene Übertragung der Sache durch den Einzelrichter auf den Senat in voller Besetzung gestützt werden kann (vgl. Zöller-Gummer, ZPO, 23. Aufl. § 574 Rdnr. 9).
2.
Die Beschwerde der Beklagten ist begründet, weil die Erfolgsaussichten ihrer Rechtsverteidigung nicht mit der in dem angefochtenen Beschluss ausgeführten Begründung verneint werden können.
Das Landgericht ist zwar mit zutreffenden Erwägungen davon ausgegangen, dass der Kaufvertrag der Parteien über die Einrichtung, das Inventar, den Warenbestand und die Betriebsmittel der Gaststätte L. F. in L. aufgrund der Regelung im schriftlichen Vertrag aufgelöst worden ist, nachdem die Beklagten als Käufer länger als einen Monat in Rückstand geraten und überdies vergeblich zur Zahlung aufgefordert worden waren. Gegenüber den vom Landgericht angenommenen Anspruch auf Entschädigung für die Nutzung des in der Zeit von September 2001 bis Januar 2002 überlassenen Gaststätteninventars in Höhe von 2.500 DM monatlich haben die Beklagten jedoch erheblich die Höhe des geltend gemachten monatlichen Betrages von 1.278,23 EUR, entsprechend 2.500 DM, bestritten. Für die Annahme des Landgerichts, ein Betrag der monatlichen Nutzungsentschädigung entspreche den im ursprünglichen schriftlichen Kaufvertrag vom 12. August 2000 für den nach der Erbringung der Anzahlung von 30.000 DM bei Übergabe in Bezug auf den restlichen Kaufpreis von 120.000 DM vereinbarten monatlichen Raten von 2.500 DM, ist nicht nachzuvollziehen. Insbesondere fehlt es insoweit an einer ausreichenden Schätzungsgrundlage i. S. von § 287 ZPO. Maßgeblich für die Höhe der Nutzungsentschädigung ist nämlich der objektive Mietwert, also die für die Nutzung des überlassenen Inventars und des Warenbestandes in einer eingerichteten Gaststätte in vergleichbarer Lage erzielbare Miete. Der Umstand, dass 80% des vorgesehenen Kaufpreises, mithin 120.000 DM in monatlichen Raten von 2.500 DM, beginnend einen Monat nach der Übergabe, also für 48 Monate, entrichtet werden sollten, lässt keinen Rückschluss auf die Höhe des von der Klägerin behaupteten und mit dem Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens unter Beweis gestellten Mietwertes zu. Der in Raten zu entrichtende Restkaufpreis stellt nämlich nicht nur die Gegenleistung für die Besitzüberlassung für die Dauer der Ratenzahlung dar, sondern für den vollen Eigentumserwerb, der unter Berücksichtigung des Erhaltungszustandes und der restlichen Lebensdauer der Kaufgegenstände den Beklagten im Falle der Erfüllung des Kaufvertrages die weitere Nutzung der Sachen auch nach der vollständigen Bezahlung des Kaufpreises ermöglicht hätte.
Außerdem hat das Landgericht sich nicht mit dem weiteren erheblichen Einwand der Beklagten auseinander gesetzt, dass durch die von dem Landgericht angenommene Auflösung des Kaufvertrages ein Rückgewährschuldverhältnis entstanden sei, aus dem sich eigene Ansprüche der Beklagten ergäben, mit denen die Aufrechnung erklärt werde. Mit der Auflösung des Kaufvertrages dürfte insbesondere dem Rechtsgrund für die von den Beklagten im September 2000 geleistete Anzahlung von 30.000 DM entfallen sein. Selbst unter Berücksichtigung der von der Klägerin Hilfsweise geltend gemachten Mietforderung von insgesamt 4.268,82 EUR für die Untervermietung von Gewerberäumen im Januar und Februar 2002, ist dieser Einwand nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand als erheblich anzusehen.
Für das weitere Verfahren ist vorsorglich darauf hinzuweisen, dass das Landgericht die Entscheidung über die Höhe der geltend gemachten Nutzungsentschädigung für das Inventar nicht mit Rücksicht auf die Höhe des Gesamtbetrages der zur Aufrechnung gestellten Gegenforderungen der Beklagten dahinstehen lassen kann, weil eine der Rechtskraft fähige Entscheidung über die zur Aufrechnung gestellten Forderungen der Beklagten aus dem Rückgewährschuldverhältnis die Feststellung erfordert, in welcher Höhe die Gegenforderung durch die Aufrechnung gegenüber dem Hauptanspruch und gegebenenfalls dem Hilfsanspruch der Klägerin verbraucht ist.