Landgericht Verden
Beschl. v. 24.08.2010, Az.: 1 T 122/10

Bibliographie

Gericht
LG Verden
Datum
24.08.2010
Aktenzeichen
1 T 122/10
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 47875
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
AG - 17.08.2010 - AZ: 4 XVII 298/08

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Betroffenen vom 17. August 2010 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Verden vom 17. August 2010 wird zurückgewiesen.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I.

1

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Amtsgericht die Unterbringung der Betroffenen in einer geschlossenen Einrichtung bis längstens 27. September 2010 gerichtlich genehmigt. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Betroffenen, mit der sie die Aufhebung des Beschlusses begehrt.

II.

2

1. Die zulässige sofortige Beschwerde ist unbegründet, weil es weiterhin zum Wohle der Betroffenen erforderlich ist, dass sie vorläufig in einer geschlossenen Einrichtung untergebracht bleibt (§§ 1906 Abs.1 BGB, 331 FamFG).

3

Die Unterbringung ist zur Durchführung einer Heilbehandlung notwendig. Diese kann ohne Unterbringung der Betreuten nicht durchgeführt werden. Die Notwendigkeit der Unterbringung vermag die Betreute nicht zu erkennen (§ 1906 Abs.1 Nr.2 BGB).

4

a) Dies ergibt sich aus der fachärztlichen Stellungnahme der Oberärztin XX und des Stationsarztes XX vom Diakoniekrankenhaus Rotenburg vom 19. August 2010. Danach steht fest, dass bei der Betroffenen eine Exazerbation einer paranoiden Schizophrenie vorliegt. Nach den Ausführungen der behandelnden Ärzte stehen ein systematisierter Wahn mit ausgeprägtem Verfolgungswahn und Bedrohungserleben sowie ein sehr gereiztes und verbal aggressives Auftreten im Vordergrund. Die Betroffene fühle sich bedroht und beobachtet. Ihr Denken sei eingeengt auf ihre Wahnthemen, sprunghaft und ungeordnet. Die Konzentration und Auffassung seien erheblich gestört. Die Betroffene könne Zusammenhänge derzeit in Folge der Denkstörung nicht erkennen. Die Kritik- und Urteilsfähigkeit seien erheblich eingeschränkt. Ihr Verhalten werde ausschließlich durch Wahninhalte gesteuert. Aus ärztlicher Sicht sei eine Heilbehandlung aufgrund der schwerwiegenden Verschlechterung der Symptome zwingend notwendig.

5

b) Die Kammer schließt sich der Einschätzung der behandelnden Ärzte aufgrund eigener kritischer Würdigung an. Die Betroffene ist psychisch krank und bedarf der Heilbehandlung. Diese kann nicht ohne Unterbringung erfolgen. Der Betroffenen fehlt gegenwärtig krankheitsbedingt die Einsicht in die Notwendigkeit der Heilbehandlung. Es ist daher zu befürchten, dass sich die Betroffene ohne Unterbringung voraussichtlich der Behandlung entziehen würde. Nur im hochstrukturierten Rahmen des Krankenhauses wird die Betroffene derzeit in der Lage sein, die notwendigen Medikamente verlässlich zu nehmen. Allein auf diesem Wege können weitere Gesundheitsschäden von ihr abgewendet und Therapieerfolge erzielt werden. Deshalb ist die weitere Unterbringung zulässig, wenn die Behandlung alsbald begonnen wird. Hiervon geht die Kammer in diesem Fall aus. Sollte eine Medikation gegen den Willen der Betroffenen hingegen nicht erfolgen, wäre die weitere Unterbringung unzulässig, weil eine Heilbehandlung nicht erfolgt und damit der Unterbringungszweck entfiele (BGH FamRZ 2010, 202,203). In diesem Fall liefe die Unterbringung auf eine bloße Verwahrung der Betroffenen hinaus.

6

Die Unterbringung ist unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsprinzips auch erforderlich. Dies gilt auch im Hinblick darauf, dass die Freiheitsentziehung mit einer Zwangsbehandlung der Betroffenen verbunden sein wird, da diese gegenwärtig jede Medikation ablehnt. Die Erzwingung medizinischer Maßnahmen gegen den Widerstand des Betroffenen ist im Rahmen einer vom Gericht genehmigten freiheitsentziehenden Unterbringung grundsätzlich zulässig (BGH MDR 2008, 628). § 1906 Abs.1 Nr.2 BGB ermöglicht die Zwangsbehandlung einwilligungsunfähiger Betroffener gegen deren natürlichen Willen während der - gerichtlich genehmigten - stationären Unterbringung (BGH NJW 2006, 1277 [BGH 01.02.2006 - XII ZB 236/05] m.w.N.). In diesem Fall hat allerdings eine sehr strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung zu erfolgen, die über die bei einer zivilrechtlichen Unterbringung sowieso schon anzustellende Prüfung der Verhältnismäßigkeit hinausgeht. Bei der Prüfung, ob eine - insbesondere längerfristige - Behandlung eines untergebrachten Betroffenen unter Zwang dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit noch entspricht, sind an die Gewichtigkeit des ohne Behandlung drohenden Gesundheitsschadens, aber auch an die Heilungs- und Besserungsprognose strengere Anforderungen zu stellen. Dies legt gerade bei der Behandlung psychischer Erkrankungen eine besonders kritische Prüfung des therapeutischen Nutzens einer nur unter Zwang durchgeführten Medikation nahe (BGH, a.a.O.m.w.N.).

7

Unter Beachtung dieser Grundsätze erachtet die Kammer die Unterbringung der Betroffenen auch im Hinblick auf die damit verbundene Zwangsmedikation der Betroffenen als verhältnismäßig.

8

Bei Abwägung der Heilungs- und Besserungsprognose und des ohne Behandlung drohenden Gesundheitsschadens mit dem mit der Zwangsbehandlung verbundenen Eingriff und dessen Folgen für die Betroffene ist eine Zwangsbehandlung gerechtfertigt. Zwar bedeutet die Zwangsmedikation für die Betroffene grundsätzlich einen erheblichen Eingriff in ihre persönliche Freiheit und ihre körperliche Unversehrtheit, der über die mit einer Unterbringung sowieso bereits verbundene Einschränkung weit hinausgeht. Andererseits droht der Betroffenen unbehandelt eine weitere Chronifizierung der Symptomatik verbunden mit einer erheblichen Beeinträchtigung der Lebensqualität. Die Betroffene wirkt nach den Ausführungen der behandelnden Ärzte durch das Bedrohungserleben äußerst gequält. Sie steht somit offensichtlich unter einem hohen Leidensdruck. Ohne Behandlung wird diese Situation andauern.

9

Bei einer weiteren Behandlung besteht hingegen eine sehr positive Besserungsprognose. Aufgrund der Erfahrungen in der Vergangenheit hinsichtlich des Krankheitsverlaufs der Betroffenen ist zu erwarten, dass durch die weitere Behandlung eine Besserung der Erkrankung zu erzielen ist, so dass die Betroffene in der Lage sein wird, im Rahmen ihrer Möglichkeiten wieder selbstbestimmt zu leben. Bereits im Jahr 2009 hatte eine konsequente neuroleptische Behandlung nach den Angaben der Ärzte zu einem Rückgang der Affektstörung und der formalen Denkstörungen geführt. Die Wahndynamik hatte deutlich abgenommen. Sie war in der Lage, eine Tagesstruktur aufrecht zu erhalten und ihre Urteils- und Kritikfähigkeit waren deutlich gebessert. Die Betroffene war im Kontakt erheblich gebessert und das Bedrohungserleben war deutlich rückläufig. Das Wahnsystem war in den Hintergrund getreten. Die Betroffene war steuerungsfähig und hatte eine erheblich höhere Lebensqualität. Aufgrund der Ausführungen der Ärzte bestehen berechtigte Anhaltspunkte für die Erwartung, dass dies auch im Anschluss an den gegenwärtigen Klinikaufenthalt wieder so sein wird.

10

c) Die Kammer weist klarstellend darauf hin, dass aus der Genehmigung der Unterbringung noch nicht automatisch das Recht zur Zwangsmedikation folgt. Das Betreuungsgericht muss die Behandlung gegen den Willen des Betroffenen vielmehr in dem Beschluss ausdrücklich ansprechen und die von dem Betreuten zu duldende Behandlung dabei möglichst präzise angegeben (vgl. LG Aachen, 3 T 211/06, zitiert nach juris; LG Kleve FamRZ 2009, 1245). Enthält der Unterbringungsbeschluss - wie hier - keinerlei Ausführungen zum Inhalt, Gegenstand und Ausmaß der von dem Betreuten zu duldenden Behandlung und insbesondere nicht zur Frage einer zwangsweisen Durchführung der Behandlung, so ist der Unterbringungsbeschluss keine ausreichende Rechtsgrundlage für eine Zwangsbehandlung der Betroffenen. Vielmehr bedarf es eines Antrages des Betreuers an das Betreuungsgericht auf Genehmigung der Zwangsbehandlung. Das Betreuungsgericht hat dann unter Berücksichtigung der Ausführungen des Bundesgerichtshofs in seiner Entscheidung vom 1. Februar 2006 (BGH NJW 2006, 1277 [BGH 01.02.2006 - XII ZB 236/05]) über die Genehmigung der beantragten Zwangsbehandlung zu entscheiden.

11

Die Kammer verkennt nicht, dass sich die Frage einer Zwangsbehandlung in der Unterbringungssituation zumeist anfangs noch nicht stellen wird. Es dürfte regelmäßig noch nicht abzusehen sein, ob der Betreute die notwendigen Medikamente nicht freiwillig nehmen wird. Im Unterbringungsbeschluss sind daher in diesen Fällen auch noch keine Ausführungen zur Zulässigkeit einer eventuellen Zwangsbehandlung erforderlich. Entsteht aber später im Verlauf der Unterbringung das Bedürfnis für eine Zwangsmedikation, so bedarf es hierfür eines entsprechenden Antrages des Betreuers und der Genehmigung durch das Betreuungsgericht. Nur so ist sicherzustellen, dass die Vorgaben des Bundesgerichtshofs an die Zulässigkeit der Zwangsbehandlung - insbesondere die strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung - eingehalten werden. Der Bundesgerichtshof hat den Betreuungsgerichten aufgegeben, in der Genehmigung einer Unterbringung nach § 1906 Abs.1 Nr. 2 BGB die von dem Betreuten zu duldende Behandlung so präzise wie möglich anzugeben, weil sich nur aus diesen Angaben der Unterbringungszweck sowie Inhalt, Gegenstand und Ausmaß der von dem Betreuten zu duldenden Behandlung hinreichend konkret und bestimmbar ergeben; dazu gehören bei einer Behandlung durch Verabfolgung von Medikamenten in der Regel auch die möglichst genaue Angabe des Arzneimittels oder des Wirkstoffes und deren (Höchst-) Dosierung sowie Verabreichungshäufigkeit (BGH a.a.O.). Enthält der Unterbringungsbeschluss diese Angaben, so bedarf der spätere Vollzug der von dem Betreuer genehmigten Zwangsmaßnahme keiner weiteren gerichtlichen Genehmigung (BGH, a.a.O.). Enthält der Unterbringungsbeschluss hingegen noch keinerlei Angaben hierzu, so ist für eine im Verlauf der Unterbringung notwendig werdende Zwangsbehandlung eine entsprechende gerichtliche Prüfung und Genehmigung erforderlich. Anderenfalls würde die Zulässigkeit der Zwangsbehandlung stets nur in den Fällen geprüft werden, in denen ein Bedarf für eine Zwangsbehandlung bereits in der Unterbringungssituation vorliegt. In diesen Fällen kommt eine Unterbringung nur in Betracht, wenn eine Zwangsbehandlung zulässig ist. Stellt sich allerdings erst im Verlauf der Unterbringung der Bedarf für eine Zwangsbehandlung ein, so kann hinsichtlich Prüfungsumfang und -kompetenz nichts anderes gelten.

12

d) Von einer persönlichen Anhörung der Betroffenen hat die Kammer gem. § 68 Abs.3 S.2 FamFG ausnahmsweise abgesehen. Die Betroffene ist am 17. August 2010 vom Amtsgericht angehört worden. Der Richter hat hierüber einen sehr ausführlichen Aktenvermerk gefertigt, der es der Kammer ermöglicht, den Eindruck des Amtsrichters nachzuvollziehen. Zudem ist für die Betroffene ein Verfahrenspfleger bestellt worden, der keine Einwände gegen die Unterbringung erhoben hat. Von einer erneuten Anhörung der Betroffenen sind nach Überzeugung der Kammer keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten.

III.

13

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 128 b KostO, 81 Abs.1, 337 FamFG.