Landgericht Verden
Beschl. v. 18.03.2010, Az.: 1 T 36/10

Anfechtbarkeit; angeordnete Vorführung; Anhörungsversuch; Anordnung; Belehrung; Beschwerde; Betreuer; Betreuungsbedürftigkeit; Feststellung; Kontaktaufnahme; Mitteilung; persönliche Anhörung; persönliche Kontaktaufnahme; Rechtsfehler; Rechtsfehlerhaftigkeit; schriftliche Anhörung; Schutzzweck; Unzulässigkeit; Verfahrenspflegerbestellung; Vorführung; Vorführungsanordnung; Vormundschaftsgericht; Willkür; willkürliche Vorführungsanordnung; Zulässigkeit

Bibliographie

Gericht
LG Verden
Datum
18.03.2010
Aktenzeichen
1 T 36/10
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 47861
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
AG - 14.12.2009 - AZ: 14 XVII 301/07

Tenor:

Auf die Beschwerde der Betreuungsbehörde vom 26. Januar 2010 wird der Beschluss des Amtsgerichts Syke vom 14. Dezember 2009 aufgehoben.

Gründe

I.

1

Die Beschwerde ist zulässig.

2

1. Sie ist insbesondere statthaft. Zwar ist die nach §§ 283 Abs.1, 322 FamFG angeordnete Vorführung gem. § 58 Abs.1 FamFG grundsätzlich nicht anfechtbar, weil es sich hierbei nicht um eine Endentscheidung handelt (Bork/Jacoby/Schwab, FamFG, § 283 Rn.6), allerdings ist eine Beschwerde ausnahmsweise dann zulässig, wenn die Anordnung objektiv willkürlich, d.h. in so krassem Maße rechtsfehlerhaft ist, dass sie unter Berücksichtigung des Schutzzwecks von Art. 3 Abs.1 und 103 Abs.1 GG nicht mehr verständlich erscheint. Dies hat der Bundesgerichtshof unter Geltung des FGG entschieden (BGHZ 171, 326). Die hierbei aufgestellten Grundsätze gelten auch hinsichtlich des nunmehr gültigen FamFG fort.

3

Ein solch krasser Fall eines Rechtsfehlers liegt grundsätzlich vor, wenn das Vormundschaftsgericht die psychiatrische Untersuchung eines Betroffenen anordnet, ohne diesen vorher persönlich gehört oder sonst Feststellungen, die die Annahme der Betreuungsbedürftigkeit rechtsfertigen könnten, getroffen zu haben (BGH a.a.O.). So verhält es sich hier.

4

Das Betreuungsgericht hat die Vorführung zur Untersuchung auf Antrag des Betreuers angeordnet, ohne vorher die Betroffene persönlich anzuhören. Das Betreuungsgericht durfte trotz der Mitteilungen des Betreuers nicht zwangsläufig davon ausgehen, dass die Betroffene zu einer Anhörung im Gericht nicht erschienen wäre oder bei einem Anhörungsversuch vor Ort die Wohnungstür nicht geöffnet hätte. Sofern eine persönliche Kontaktaufnahme zur Betroffenen tatsächlich gescheitert wäre, hätte jedenfalls eine schriftliche Anhörung erfolgen müssen, bei der der Betroffenen im Anschluss an eine Belehrung über die Folgen ihres Verhaltens Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wird (vgl. Keidel/Budde, FamFG, 16. Aufl., § 283 Rn.3).

5

Im Übrigen hätte - jedenfalls bei dauerhaft verweigerter Kontaktaufnahme - auch Veranlassung bestanden, einen Verfahrenspfleger zu bestellen, um die Rechte der Betroffenen ausreichend zu wahren.

6

Darüber hinaus darf eine Vorführungsanordnung nicht etwa bereits auf Vorrat zusammen mit der Beweisanordnung getroffen werden, sondern im Rahmen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nur dann, wenn mehrere Bemühungen des Sachverständigen zur Kontaktaufnahme mit dem Betroffenen fehlgeschlagen sind (Keidel, a.a.O.). Hier ist die Vorführung angeordnet worden, bevor eine Kontaktaufnahme seitens eines Sachverständigen überhaupt versucht worden ist.

7

Auch aus dem Polizeireport vom 17. November 2009 ergibt sich nicht die Notwendigkeit zur sofortigen Anordnung der Vorführung unter Missachtung der Rechte der Betroffenen. Den Ausführungen des Polizeibeamten ist lediglich zu entnehmen, dass die Betroffene psychisch erkrankt ist. Das ist allerdings bereits bekannt und hat zur Einrichtung der Betreuung geführt. Anhaltspunkte für einen sofortigen Handlungsbedarf sind dem Report hingegen nicht zu entnehmen. Vielmehr machte die Wohnung einen sehr gepflegten Eindruck und der Beamte hat offensichtlich auch bei der Betroffenen selbst keine körperliche Verwahrlosung festgestellt, da anzunehmen ist, dass er dies sonst vermerkt hätte.

8

Bereits die mit der Anordnung verbundene Verpflichtung des Betroffenen, sich zur Feststellung seiner etwaigen Betreuungsbedürftigkeit - und das heißt: zur etwaigen Feststellung einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung (§ 1896 Abs.1 S.1 BGB) - psychiatrisch untersuchen zu lassen, stellt für sich genommen einen schwerwiegenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen dar. Das ergibt sich nicht nur aus den erheblichen Unannehmlichkeiten, die mit einer solchen Untersuchung unmittelbar einhergehen können, sondern insbesondere aus der möglichen Außenwirkung, die eine solche Anordnung bei Bekanntwerden im Umfeld des Betroffenen mit sich bringen und seine soziale Stellung nachdrücklich gefährden kann. Ist mit der Anordnung der Begutachtung auch eine Vorführung, greift die Entscheidung auch in das verfassungsrechtlich geschützte Grundrecht der Freiheit (Art. 2 Abs.2 GG) ein (BGH a.a.O. m.w.N.). Dem hat das Betreuungsgericht hier nicht ausreichend Rechnung getragen. Die angefochtene Entscheidung stellt sich daher als objektiv willkürlich dar, so dass eine Beschwerde hier statthaft ist.

9

2. Die Betreuungsbehörde ist gem. § § 59 Abs.1 FamFG auch beschwerdeberechtigt, da sie in ihren eigenen Rechten verletzt ist, denn die Anordnung der Vorführung betrifft die Betreuungsbehörde in der Wahrnehmung der ihr im öffentlichen Interesse übertragenen Aufgaben, d.h. in ihrer Amtsführung.

II.

10

Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Die mit Beschluss vom 14. Dezember 2009 getroffene Anordnung, die Betroffene zur Vorbereitung eines Gutachtens zu untersuchen und sie zur Untersuchung vorzuführen, war offenkundig rechtswidrig und deshalb auszuheben. Insoweit wird auf die Ausführungen unter Ziffer I.1 des Beschlusses Bezug genommen.

III.

11

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.