Landgericht Verden
Beschl. v. 24.06.2010, Az.: 1 T 76/10
Bibliographie
- Gericht
- LG Verden
- Datum
- 24.06.2010
- Aktenzeichen
- 1 T 76/10
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2010, 40588
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGVERDN:2010:0624.1T76.10.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Walsrode - 05.05.2010 - AZ: 6 XVII 4716
Fundstelle
- BtPrax 2010, 242-243
Tenor:
Unter Aufhebung des Beschlusses des Amtsgerichts Walsrode vom 5. Mai 2010 wird das Verfahren an das Amtsgericht Walsrode zur Fortsetzung des Verfahrens und zur erneuten Entscheidung über die Abhilfe zurückverwiesen.
Gründe
I.
Der Beschwerdeführer hat am 14. Dezember 2009 beim Amtsgericht Walsrode die Einrichtung einer Betreuung für die Betroffene, seine Mutter, angeregt. Nach Einholung eines psychiatrischen Gutachtens hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 1. April 2010 die Einrichtung einer Betreuung abgelehnt. Gegen diesen Beschluss hat der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 3. Mai 2010 Beschwerde eingelegt. Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und das Verfahren der Beschwerdekammer vorgelegt.
Der Beschluss des Amtsgerichts, der Beschwerde nicht abzuhelfen und das Beschwerdeverfahren der Beschwerdekammer des Landgerichts vorzulegen, war aufzuheben.
1.
Eine Aufhebung war zum einen deshalb veranlasst, weil die Verfahrensweise des Amtsgerichts nicht den an ein Abhilfeverfahren zu stellenden Mindestanforderungen genügt.
Die gem. § 68 Abs. 1 S. 1 FamFG vorgeschriebene Entscheidung über die Abhilfe hat grundsätzlich durch Beschluss zu erfolgen, der mit Gründen zu versehen (§ 38 Abs. 3 S. 1 FamFG) und den Beteiligten bekannt zu geben ist (§ 41 FamFG; OLG München, 31 Wx 13/10, 31 Wx 013/10 m.w.N., zitiert nach Juris). Ein Aktenvermerk mit Übersendungsverfügung genügt in der Regel nicht. Die Anforderungen an die Begründungsintensität hängen naturgemäß vom Einzelfall ab. Wird die Beschwerde nicht begründet, oder enthält die Beschwerdebegründung keine wesentlich neuen Gesichtspunkte, auf die nicht schon in der Ausgangsentscheidung eingegangen wurde, so kann eine kurze Begründung oder auch nur Bezugnahme auf die angefochtene Entscheidung durchaus ausreichen. Anders verhält es sich bei (grundsätzlich zulässigem) neuem wesentlichem Vorbringen des Beschwerdeführers, oder wenn das wesentliche Vorbringen zwar nicht neu ist, aber die Ausgangsentscheidung die tragende Argumentation des Beschwerdeführers nicht behandelt hat. Ein Eingehen auf alle Ausführungen ist hier wie auch sonst in gerichtlichen Entscheidungen nicht erforderlich. Der Nichtabhilfebeschluss in Verbindung mit dem Ausgangsbeschluss muss aber jedenfalls erkennen lassen, dass der Erstrichter das wesentliche Beschwerdevorbringen beachtet und seiner Pflicht zur Prüfung und Selbstkontrolle im Abhilfeverfahren nachgekommen ist (OLG München, a.a.O.).
Diesen Anforderungen genügt die Verfahrensweise des Amtsgerichts nicht. Die Nichtabhilfe beschränkt sich auf den Satz, dass nicht abgeholfen werde. Sie ist nicht in Beschlussform gefasst und dem Beschwerdeführer auch nicht bekanntgegeben. Eine Auseinandersetzung mit dem Beschwerdevorbringen fehlt völlig. Der Beschwerdeführer legt dar, warum aus seiner Sicht trotz der Feststellungen des Sachverständigen die Einrichtung einer Betreuung erforderlich ist. Insbesondere führt er aus, dass die Betroffene nach eigenen Angaben dem Sachverständigen etwas vorgespielt haben soll. Darüber hinaus berichtet er von ungewöhnlichen Verhaltensweisen der Betroffenen. Darauf geht das Amtsgericht nicht ein.
Weist das Nichtabhilfeverfahren schwere Mängel auf, so kann das Beschwerdegericht, gegebenenfalls unter Aufhebung der getroffenen Nichtabhilfe- bzw. Vorlageverfügung, die Sache an das Erstgericht zur erneuten Durchführung des Abhilfeverfahrens zurückgeben (vgl. München, a.a.O. m.w.N.).
2.
Eine Aufhebung der Nichtabhilfeentscheidung des Amtsgerichts war darüber hinaus auch unter einem anderen Gesichtspunkt veranlasst.
Gemäß § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG steht das Recht der Beschwerde gegen eine von Amts wegen ergangene Entscheidung des Betreuungsgerichts den nahen Angehörigen des Betroffenen in dessen Interesse zu, wenn sie im ersten Rechtszug beteiligt worden sind.
Da der beschwerdeführende Sohn der Betroffenen im ersten Rechtszug von dem Amtsgericht nicht an dem Verfahren beteiligt worden ist, würde ihm nach dem Wortlaut des § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG kein Beschwerderecht zustehen.
Dieses Ergebnis ist nach Überzeugung der Kammer unbillig und mit dem Sinn und Zweck des Gesetzes nicht in Einklang zu bringen. Nach der Gesetzesbegründung soll das Erfordernis der Beteiligung in der ersten Instanz dazu dienen, altruistische Beschwerden solcher Angehöriger zu vermeiden, die am Verfahren erster Instanz kein Interesse gezeigt haben (BT-Drucksache 16/6308, S. 271). Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer hingegen sehr deutlich Interesse gezeigt; auf seine Anregung hin ist das Betreuungsverfahren eingeleitet worden. Entgegen § 7 Abs. 4 S. 2 FamFG ist er auch nicht vom Amtsgericht darüber belehrt worden, dass er seine Hinzuziehung als Beteiligter gem. § 7 Abs. 3 FamFG beantragen kann. Ein solches Antragserfordernis erschließt sich dem juristischen Laien auch nicht ohne weiteres, insbesondere wenn das Verfahren auf seine Anregung hin in Gang gesetzt worden ist.
Eine wortgetreue Auslegung des Gesetzes widerspricht jedenfalls dann, wenn - wie im vorliegenden Fall - die bislang unterbliebene Hinzuziehung nicht von dem betreffenden Angehörigen zu vertreten ist, dem verfassungsrechtlich garantierten Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs. 1 GG; vgl. LG Saarbrücken, Beschl. v. 22.02.2010 - 5 T 87/10, zitiert nach juris). In einem Fall wie dem vorliegenden ist deshalb § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG dahingehend verfassungsgemäß auszulegen, dass die Beschwerde eines nahen Angehörigen eines Betroffenen, der ohne sein Verschulden von dem Amtsgericht nicht an dem Verfahren beteiligt worden ist, gleichzeitig einen Antrag auf Beteiligung an dem Betreuungsverfahren beinhaltet (LG Saarbrücken, a.a.O.).
Über diesen von dem Beschwerdeführer inzidenter gestellten Antrag auf Beteiligung an dem Verfahren (vergleiche dazu §§ 7, 279 FamFG)) hat das erstinstanzliche Gericht im Rahmen eines Zwischenverfahrens gemäß § 7 Abs. 5 FamFG durch Beschluss zu entscheiden. Erst dann kann festgestellt werden, ob die Beschwerde gegen die Versagung der Einrichtung einer Betreuung zulässig ist.
Für das weitere Verfahren weist die Kammer auf folgendes hin:
Das Amtsgericht hat zunächst über die Beteiligung des beschwerdeführenden Sohnes der Betroffenen an diesem Verfahren zu entscheiden. Dabei wird das Amtsgericht zu berücksichtigen haben, dass der Beschwerdeführer als Sohn der Betroffenen zu den in § 274 Abs. 4 Nr. 1 FamFG genannten Optionsbeteiligten gehört. Sie werden durch Maßnahmen des Betreuungsgerichts jedenfalls nicht unbedingt in eigenen Rechten betroffen, so dass ihre Beteiligung nicht nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 FamFG zwingend ist. Allerdings kann ihre Hinzuziehung dann geboten sein, wenn sie ein schützenswertes Interesse haben. Dabei hat das Betreuungsgericht zu beachten, dass eine Beteiligung dieses Personenkreises zu Beteiligungsrechten und Pflichten führt, die den subjektiven Interessen des Betroffenen zuwiderlaufen könne. Auch wenn der Betroffene weder die Beteiligung dieser Personen noch deren Anhörung als Beteiligte nach § 279 Abs. 1 FamFG verhindern kann, sind seine Interessen an einer Nichtbeteiligung gleichwohl zu berücksichtigen, etwa dann, wenn der Schutz seiner Intimsphäre Vorrang vor der Beteiligung dieser Personen hat oder andere gewichtige Gründe vorliegen, da es sich um eine altruistische Beteiligung handelt und vermieden werden soll, dass Angehörige ohne ein Betroffensein in eigenen Rechten auch dann Einfluss auf das Verfahren nehmen können, wenn dies den Interessen des Betroffenen zuwiderläuft. Das Interesse des Betroffenen ist aus seiner Sicht zu beurteilen (Jurgeleit-Bucic , 1 O 137/09, Betreuungsrecht, 2. Aufl., § 274 FamFG Rn. 22 m.w.N.). Das Betreuungsgericht muss dem Antrag eines Angehörigen nicht zwingend entsprechen. Es hat zu prüfen, ob eine Beteiligung im wohlverstandenen Interesse des Betroffenen sachgerecht und verfahrensfördernd ist (Jurgeleit-Bucic, a.a.O. Rn. 26). Bei der Hinzuziehung von Angehörigen ist eine Beteiligung umso weniger angezeigt, je weiter der Angehörige sich vom Betroffenen entfernt hat. Ausschlaggebend ist dabei nicht nur die verwandtschaftliche Beziehung, sondern die tatsächliche Ausprägung der persönlichen Bindung (Jurgeleit-Bucic, a.a.O. Rn. 22). Widerspricht der Betroffene der Beteiligung mit nachvollziehbaren Gründen, ist, falls nicht schwerwiegende Gründe gleichwohl eine Hinzuziehung angeraten sein lassen, von einer Beteiligung abzusehen (Jurgeleit-Bucic, a.a.O. Rn. 26).
Lehnt das Amtsgericht eine Beteiligung des Beschwerdeführers ab, so steht diesem hiergegen das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde zu (§ 7 Abs. 5 S. 2 FamFG). Sie muss binnen einer Notfrist von zwei Wochen eingelegt werden (§ 7 Abs. 5 S. 2 FamFG, 567, 569 Abs. 1 S. 1 ZPO).
Wenn rechtskräftig über die Beteiligung des Beschwerdeführers entschieden ist, wird das Amtsgericht erneut über eine Abhilfe bezüglich der Beschwerde gegen die Ablehnung der Betreuerbestellung zu entscheiden haben.