Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 18.12.1996, Az.: 18 L 2761/95
Fortwirkung gekündigter unwirksamer Dienstvereinbarung; Regelung der Wege- und Umkleidezeiten der Beschäftigten; Verteilung der zeitlichen Lage der wöchentlichen Arbeitszeit; Beschränkung des Mitbestimmungsrechts
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 18.12.1996
- Aktenzeichen
- 18 L 2761/95
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1996, 18680
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:1996:1218.18L2761.95.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Lüneburg - 06.03.1995 - AZ: 9 A 5/94
- nachfolgend
- BVerwG - 01.04.1997 - AZ: BVerwG 6 PB 5.97
Rechtsgrundlagen
- § 15 Abs. 7 BAT
- § 81 Abs. 1 S. 1 NPersVG
- § 75 Abs. 1 Nr. 1 NPersVG
Verfahrensgegenstand
Wirksamkeit einer Dienstvereinbarung
Redaktioneller Leitsatz
Eine Dienstvereinbarung, die die Frage regelt, inwieweit Wege- und Umkleidezeiten der Beschäftigten Arbeitszeit i.S.d. § 15 Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) sind und an welchem Ort die Arbeitszeit dieser Beschäftigten beginnt, wird nicht von dem - auf die Verteilung der zeitlichen Lage der durch Gesetz oder Tarifvertrag bestimmten wöchentlichen Arbeitszeit beschränkten - Mitbestimmungsrecht des § 75 Abs. 1 Nr. 1 Personalvertretungsgesetz für das Land Niedersachsen (NPersVG) erfasst und ist damit unwirksam.
Der 18. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts
- Fachsenat für Landespersonalvertretungssachen -
hat am 18. Dezember 1996
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Dembowski,
den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Uffhausen und
die Richterin am Verwaltungsgericht Wendlandt-Stratmann sowie
die ehrenamtlichen Richter Bruns und Hattendorf
ohne mündliche Anhörung
beschlossen:
Tenor:
Auf die Beschwerde des Beteiligten wird der Beschluß des Verwaltungsgerichts Lüneburg - Fachkammer für Personalvertretungssachen - vom 6. März 1995 geändert.
Der Antrag des Antragstellers wird abgelehnt.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Der Antragsteller erstrebt die Feststellung, daß eine vom Beteiligten gekündigte Dienstvereinbarung über Wege- und Umkleidezeiten bis zum Abschluß einer neuen Vereinbarung nachwirke.
Aufgrund der damaligen Rechtsprechung des BAG zum Begriff der Arbeitsstelle i.S.d. § 15 Abs. 7 BAT schlossen der Antragsteller und der Beteiligte am 12. September 1989 eine Dienstvereinbarung, wonach Wege- und Umkleidezeiten der im Städtischen ... beschäftigten Angestellten, die unter den BAT fallen, Arbeitszeit i. S. des § 15 BAT sind. Ferner wurde in § 2 der Dienstvereinbarung bestimmt, daß die dienstplanmäßige Arbeitszeit mit dem Durchschreiten des dem Arbeitsplatz nächstliegenden Einganges der jeweiligen Pflegestation beginnt. Gemäß ergänzender Vereinbarung vom 19. November 1990 werden die Wege- und Umkleidezeiten für das Personal im Pflege- und Funktionsdienst einmal wöchentlich zusammenhängend durch Freizeitgewährung ausgeglichen, wobei jeder Arbeitstag mit zehn Minuten zu berücksichtigen ist. § 3 Satz 1 der Dienstvereinbarung enthält die Möglichkeit der Kündigung der Vereinbarung mit einer Frist von drei Monaten zum Ende des Kalendervierteljahres. Nach § 3 Satz 3 wirkt die Dienstvereinbarung im Falle der Kündigung nach, bis sie durch eine neue ersetzt wird.
Mit dem 66. Änderungs-TV zum BAT vom 24. April 1991 wurde der Begriff der Arbeitsstelle in Satz 2 der Protokollnotiz zu § 15 Abs. 7 BAT neu gefaßt. Danach umfaßt er "z. B. den Verwaltungs-/Betriebsbereich in dem Gebäude/Gebäudeteil, in dem der Angestellte arbeitet". Nach § 2 Abs. 2 des 66. Änderungs-TV wird eine am 15. März 1991 bestehende örtliche/bezirkliche Regelung, die auf der bisherigen Rechtsprechung des BAG zu § 15 Abs. 7 BAT beruht und zusätzliche Geldleistungen oder zusätzliche Freizeit vorsieht, durch die Neufassung des Satzes 2 der Protokollnotiz zu § 15 Abs. 7 BAT nicht berührt.
Mit Schreiben vom 31. August 1993 teilte der Beteiligte dem Antragsteller mit, daß die Krankenkassen aufgrund der Tarifänderung nicht mehr bereit seien, die Kosten für die gewährten Wege- und Umkleidezeiten zu erstatten. Übergangsweise würden die Krankenkäsen lediglich noch für 1994 eine Wege- und Umkleidezeit von fünf Minuten pro Beschäftigten und Tag anerkennen. Denn durch die Änderung des BAT sei der Begriff der Arbeitsstelle neu definiert und enger gefaßt worden. Die Arbeitsstelle, an der nach § 15 Abs. 7 BAT die Arbeitszeit beginne und ende, sei hiernach erst mit dem Betreten der jeweiligen Station erreicht. Er werde daher die bisherige Regelung gegenüber den Angestellten des Städtischen ... mit der Maßgabe widerrufen, daß die abzugeltenden Wege- und Umkleidezeiten für das Jahr 1994 auf fünf Minuten gekürzt würden und ab 1995 eine Abgeltung nicht mehr erfolge. Die Dienstvereinbarung stehe dem nicht entgegen, da sie von Anfang an unwirksam gewesen sei. Der Ort des Arbeitszeitbeginns und Arbeitszeitendes sei ausschließlich in § 15 Abs. 7 BAT geregelt. Eine Öffnungsklausel, die abweichende Regelungen durch Dienstvereinbarung zulasse, enthalte der BAT nicht. Trotz der eindeutigen Rechtslage kündige er jedoch vorsorglich die Dienstvereinbarung zum 31. Dezember 1993.
Der Antragsteller trat dem mit Schreiben vom 18. November 1993 entgegen. Die Dienstvereinbarung sei wirksam gewesen, nunmehr jedoch zum 31. Dezember 1993 gekündigt. Nach § 3 der Dienstvereinbarung wirke sie nach, bis sie durch eine neue Regelung ersetzt sei.
Entsprechend dem Schreiben des Beteiligten vom 31. August 1993 wurden den Beschäftigten des Städtischen ... für das Jahr 1994 nur noch fünf Minuten an Wege- und Umkleidezeiten angerechnet. Seit 1995 erfolgt insoweit eine Abgeltung nicht mehr. Die Arbeitszeit beginnt nunmehr mit Betreten der jeweiligen Station in Dienstkleidung. Die Dienstkleidung wird dem Pflegepersonal unentgeltlich zur Verfügung gestellt und durch das ... gereinigt. Sie ist vom Pflegepersonal vor Dienstbeginn anzulegen. Die Zeit für das Anlegen der Dienstkleidung sowie den Weg zwischen dem Umkleidezimmer und der Station, auf der die Beschäftigten arbeiten, wird ebenfalls nicht mehr als Arbeitszeit berücksichtigt. Dies gilt auch für die Beschäftigten, deren Umkleideräume sich in einem anderen Gebäude als dem befinden, in dem ihre Station liegt.
Der Antragsteller hat am 28. Juli 1994 das personalvertretungsrechtliche Beschlußverfahren eingeleitet und die Auffassung vertreten, daß die abgeschlossene Dienstvereinbarung eine Regelung i. S. des § 2 Abs. 2 des 66. Änderungs-TV zum BAT darstelle und deshalb von der Änderung des BAT nicht berührt werde.
Der Antragsteller hat beantragt,
festzustellen, daß die Dienstvereinbarung "Wege- und Umkleidezeiten im Pflegedienst" vom 12. September 1989, geändert am 19. November 1990, nicht unwirksam ist, und bis zur Neuvereinbarung nachwirkt.
Der Beteiligte hat beantragt,
den Antrag abzulehnen,
und seine Auffassung vertieft, daß die Dienstvereinbarung von Anfang an nichtig gewesen sei. Die Regelung über die Wege- und Umkleidezeiten sei sowohl nach § 81 Abs. 1 Satz 1 als auch Satz 2 Nds. PersVG a.F. unzulässig gewesen. Die mit der Tarifänderung vereinbarte Übergangsvorschrift des § 2 Abs. 2 enthalte einen Bestandsschutz für nichtige Dienstvereinbarungen nicht. Jedenfalls sei die Dienstvereinbarung mit der ausgesprochenen Kündigung außer Kraft getreten. Ihre Nachwirkung sei ausgeschlossen, da durch die neue Abgrenzung des Begriffs der Arbeitsstelle in der Protokollerklärung zu § 15 Abs. 7 BAT Wege- und Umkleidezeiten vor dem Erreichen der Stationen nicht mehr auf die Arbeitszeit anzurechnen seien. Diese tarifvertragliche Regelung könne durch eine neue Dienstvereinbarung nicht geändert werden.
Mit Beschluß vom 6. März 1995 hat das Verwaltungsgericht dem Antrag des Antragstellers stattgegeben, im wesentlichen aus folgenden Gründen: Die Dienstvereinbarung sei wirksam gewesen. Die in ihr getroffenen Regelungen hätten dem Mitbestimmungstatbestand des § 75 Abs. 1 Nr. 1 Nds.PersVG a.F. unterlegen. Bei verständiger Würdigung habe § 1 lediglich die bestehende Rechtslage wiedergegeben und die übereinstimmenden Rechtsauffassungen der Parteien zum Ausdruck bringen sollen, daß im Einklang mit der (damaligen) Rechtsprechung des BAG zum Begriff der Arbeitsstelle die Arbeitszeit der Beschäftigten bereits mit Betreten des Grundstücks des Städtischen ... beginne und demgemäß auch die auf dem Grundstück anfallende Wege- und Umkleidezeit Arbeitszeit i. S. des § 15 Abs. 7 BAT sei. Durch § 1 der Dienstvereinbarung sei insbesondere nicht die Wegezeit zum Erreichen der Arbeitsstelle in die Arbeitszeit einbezogen oder der Begriff der Arbeitsstelle abweichend von der bisherigen Fassung der Protokollnotiz zu § 15 Abs. 7 BAT definiert worden. Auch die Regelung des § 2 der Dienstvereinbarung habe mit § 75 Abs. 1 Nr. 1 und § 81 Abs. 1 Nds.PersVG a.F. im Einklang gestanden. Die Dienstvereinbarung sei auch nicht mit Inkrafttreten des 66. Änderungs-TV zum BAT gegenstandslos oder unwirksam geworden. Denn durch die Tarifänderung sei nur der Begriff der Arbeitsstelle enger gefaßt worden. Die Dauer der täglichen Arbeitszeit und der Ort, an dem die dienstplanmäßige Arbeitszeit beginne, seien weiterhin tarifvertraglich nicht geregelt. Ebensowenig sei durch Tarifvertrag bestimmt, wie solche Wege- und Umkleidezeiten bei der täglichen Arbeitsdauer berücksichtigt werden, die nach Neufassung des Begriffs der Arbeitsstelle weiterhin Arbeitszeit i. S. des § 15 Abs. 7 BAT seien. Durch das Schreiben des Beteiligten vom 31. August 1993 sei die Dienstvereinbarung zwar wirksam gekündigt worden. Gemäß § 3 Satz 3 wirke sie jedoch nach, bis sie durch eine neue ersetzt werde. Die Nachwirkung sei durch die Tarifvertragsänderung nicht ausgeschlossen. Nach wie vor sei der Abschluß einer neuen Dienstvereinbarung, nunmehr nach § 78 i.V.m. § 66 Nr. 1 Nds. PersVG n.F., insbesondere auch über eine pauschale Abgeltung der in die Arbeitszeit fallenden Umkleide- und Wegezeit möglich.
Gegen den ihm am 31. März 1995 zugestellten Beschluß richtet sich die am 25. April 1995 eingelegte Beschwerde des Beteiligten, mit der er sein erstinstanzliches Vorbringen vertieft und insbesondere geltend macht: Der Auffassung des Verwaltungsgerichts, eine Dienstvereinbarung sei immer dann zulässig und nachwirkend, wenn sie tariflichen Regelungen nicht widerspreche, könne nicht gefolgt werden. Die Wirksamkeit der Dienstvereinbarung beurteile sich vielmehr ausschließlich nach § 81 Nds.PersVG a.F. und sei danach hier zu verneinen.
Der Beteiligte beantragt,
den angefochtenen Beschluß zu ändern und den Antrag des Antragsteilers abzulehnen.
Der Antragsteller beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er verteidigt den angefochtenen Beschluß.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
II.
Die zulässige Beschwerde, über die gemäß § 83 Abs. 2 Nds. PersVG i.V.m. §§ 83 Abs. 4 Satz 3, 87 Abs. 2 Satz 1 ArbGG ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann, ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag des Antragstellers zu Unrecht stattgegeben. Die in Rede stehende Dienstvereinbarung war von Anfang an unwirksam und konnte deshalb auch eine Nachwirkung nicht entfalten, so daß der Antrag des Antragstellers abzulehnen ist.
Zutreffend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, daß eine Dienstvereinbarung gemäß § 81 Abs. 1 Satz 1 a.F. Nds. PersVG nur über die in § 75 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 7 des Gesetzes genannten Fragen abgeschlossen werden konnte, im konkreten Fall des § 75 Abs. 1 Nr. 1 a.F. Nds.PersVG also nur über Dauer, Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit. Ebenfalls zu Recht hat das Verwaltungsgericht angenommen, daß von diesem Mitbestimmungstatbestand nicht erfaßt wurden Regelungen darüber, welche Tätigkeiten der Beschäftigten als Erfüllung der Arbeitspflicht zu gelten haben, sowie über die Arbeitsdauer und den Ort, wo die Arbeitszeit beginnt und endet. Diesen zutreffenden Ausgangspunkt hat das Verwaltungsgericht dann aber verlassen und sich auf die Darlegung beschränkt, daß der Inhalt der Dienstvereinbarung in Einklang mit dem damaligen Tarifrecht und der Rechtsprechung des BAG gestanden habe. Dieser Vorrang des (Gesetzes und) Tarifvertrages sowie der Tarifüblichkeit gemäß § 81 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 a.F. Nds.PersVG stellte indessen nur eine zusätzliche gesetzliche Einschränkung für die Zulässigkeit von Dienstvereinbarungen dar (vgl. Sellmann in Dembowski/Ladwig/Sellmann, Nds.PersVG a.F., § 81 Rn. 7 ff. m.N.). Sie berührte nicht die Grundvoraussetzung des § 81 Abs. 1 Satz 1 a. F. Nds.PersVG, daß es sich bei dem Gegenstand der Dienstvereinbarung um einen der dort abschließend aufgeführten Mitbestimmungstatbestände handeln mußte (vgl. Sellmann, a.a.O. Rn. 1, 4 f.). Diese Grundvoraussetzung war hier - wie auch das Verwaltungsgericht gesehen hat - aber nicht erfüllt, weil die in der Dienstvereinbarung geregelte Frage, inwieweit Wege- und Umkleidezeiten der Beschäftigten Arbeitszeit i. S. des § 15 BAT sind und an welchem Ort auf dem Krankenhausgelände die Arbeitszeit dieser Beschäftigten beginnt, nicht von dem - auf die Verteilung der zeitlichen Lage der durch Gesetz oder Tarifvertrag bestimmten wöchentlichen Arbeitszeit beschränkten - Mitbestimmungsrecht des § 75 Abs. 1 Nr. 1 a.F. Nds.PersVG erfaßt wurde (vgl. Dembowski, a.a.O., § 75 Rn. 11 f. m.N.; VGH Bad-Württ., Beschluß vom 23.11.1993 - PL 15 S 3020/92 - VBl.BW 1994, LS. 182 m.N.). Die Dienstvereinbarung war deshalb von Anfang an unwirksam, weil sie von der gesetzlichen Ermächtigung des § 81 Abs. 1 a.F. Nds.PersVG nicht gedeckt war. Schön deshalb konnte sie nach ihrer vorsorglichen Kündigung durch den Beteiligten eine Nachwirkung nicht entfalten; ob eine Nachwirkung von Dienst Vereinbarungen gemäß § 81 a. F. Nds. PersVG allgemein ausgeschlossen war (so Sellmann, a.a.O., Rn. 43), kann danach offen bleiben.
Auf die Beschwerde war danach unter Änderung des angefochtenen Beschlusses der Antrag des Antragstellers abzulehnen.
Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen dafür nicht gegeben sind.
Dr. Uffhausen,
Wendlandt-Stratmann,
Bruns,
Hattendorf