Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 17.04.2012, Az.: 3 A 389/10

Äquivalenzgrundsatz; Frontmetermaßstab; Gleichheitsgrundsatz; Straßenreinigungsgebühr

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
17.04.2012
Aktenzeichen
3 A 389/10
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2012, 44403
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Die einheitliche Erhebung einer Straßenreinigungsgebühr für Sommer- und Winterdienst kann gegen den Gleichbehandlungs- und den Äquivalenzgrundsatz verstoßen, wenn sich der Gebührensatz ausschließlich nach der Häufigkeit des Sommerdienstes richtet.

2. Zur Anwendbarkeit des Frontmetermaßstabes auf atypische Grundstückszuschnitte.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen ihre Nachveranlagung zu Straßenreinigungsgebühren für die Jahre 2006 bis 2010 für das Grundstück "G. 3A". Mit Bescheid der Beklagten vom 19.11.2010 wurde sie für dieses Grundstück zu Straßenreinigungsgebühren für die Jahre 2006 bis 2009 in Höhe von jeweils 79,56 € sowie für das laufende Kalenderjahr 2010 in Höhe von 76,84 €, insgesamt zu einem Leistungsgebot in Höhe von 395,08 €, herangezogen.

Am 20.12.2010 hat die Klägerin Klage erhoben, zu deren Begründung sie im Wesentlichen ausführt, das Grundstück liege mit einer Frontlänge von 4,20 Metern an der G. und verbreitere sich im hinteren Bereich auf mehr als 20 Meter. Bisher sei die Klägerin für die Jahre 2006 bis 2010 nur für die anliegende Grundstücksgrenze veranlagt worden. Infolge einer entsprechenden rückwirkenden Satzungsänderung erhebe die Beklagte die Straßenreinigungsgebühr nunmehr rückwirkend auch für die gesamte Grundstücksseite, die der Erschließungsanlage zugewandt sei, mit einer Seitenlänge von 21,20 Metern. Die Kalkulationen der Gebührensätze dürften überhöht sein, weil die Beklagte in der Vergangenheit nur die jeweils im Vorjahr veranlagen Frontlängen einbezogen und damit die Kostenträgermenge zu niedrig angesetzt habe. Dies sei in einer Vielzahl von Fällen geschehen. Dem Rat sei nicht offengelegt worden, wie die Beklagte die Kostenträgermengen der jeweiligen Kalkulationszeiträume ermittelt habe; insoweit fehle es an einer Ratsentscheidung über eine Kalkulationsgrundlage. Ebenso seien die Kriterien für die Einstufung der Straßen - auch unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen zu reinigenden Verkehrsflächen - in die Reinigungsklassen, Gewichtungsfaktoren und die Berücksichtigung der Verkehrsbedeutung nicht erkennbar. Auch die „Ergebnisrichtigkeit“ könne nicht nachgeprüft werden. Es sei nicht zu erkennen, ob die Beklagte bei der Festlegung des Öffentlichkeitsanteils nach der Verkehrsbedeutung der Straßen differenziert habe. Die Bildung einheitlicher Gebührensätze für Sommer- und Winterdienst sei unzulässig, weil die gebildeten Reinigungsklassen nur die Häufigkeit der Reinigung im Sommerdienst abbilden würden, dies aber nicht deckungsgleich mit den Prioritäten des Winterdienstes sei. Ungleichheiten würden dadurch entstehen, dass vielfach in Straßen mit gleicher Reinigungsklasse des Sommerdienstes unterschiedliche Prioritäten des Winterdienstes festgelegt worden seien, die Gebührenpflichtigen also bei demselben Gebührensatz unterschiedliche Winterdienstleistungen erhielten. § 2 Abs. 1 Satz 3 NKAG könne auf derartige Kalkulationsfehler nicht angewandt werden.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid über Grundbesitzabgaben der Beklagten vom 19.11.2010        - Kassenzeichen 12978.1100019299 -  aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verteidigt den angegriffenen Bescheid und trägt vor, sie habe ihre Straßenreinigungsgebührensatzung mit Wirkung vom 01.01.2005 derart geändert, dass für so genannte Pfeifenstielgrundstücke auch nicht an die Straße grenzende, ihr aber zugewandte Grundstücksseiten in die Gebührenberechnung aufgenommen worden sein. Aufgrund der zeitaufwändigen Durchsicht der Flurkarten seien die hinzu kommenden Grenzlängen erst nach und nach erfasst worden. 2007 bis 2009 seien Nachveranlagungen für 57 Grundstücke mit einer Kostenträgermenge von 1.647,2 Reinigungsmetern, 2008 bis 2010 Nachveranlagungen für 115 Grundstücke mit 2.474,3 Reinigungsmetern durchgeführt worden. Bei einer prognostizierten Kostenträgermenge zwischen 620.000 und 630.000 Reinigungsmetern betrage der gerügte Fehler zwischen 0,1 und 0,4 %. Die Nachveranlagungen hätten bei den Kalkulationen nicht berücksichtigt werden können, da sie zu dem jeweiligen Kalkulationszeitpunkt nicht bekannt gewesen seien. Einer Differenzierung nach der Verkehrsbedeutung der Straßen bedürfe es nicht, denn der Frontmetermaßstab genüge den Anforderungen an einen Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Durch den Öffentlichkeitsanteil sei die Inanspruchnahme durch den Durchgangsverkehr mit abgegolten.

Der Rechtsstreit ist nach Anhörung der Beteiligten auf den Einzelrichter übertragen worden. Wegen der Einzelheiten des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und begründet. Der Bescheid über Grundbesitzabgaben der Beklagten vom 19.11.2010 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten,  § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Die streitbefangene Nachveranlagung findet bereits keine rechtliche Grundlage bei einer zutreffenden Anwendung des Satzungsrechts der Beklagten, wenn dessen Anwendbarkeit infolge der Vereinbarkeit mit dem höherrangigen Recht zunächst unterstellt wird. Gemäß § 8 Abs. 1 der Ortssatzung und Gebührenordnung für die Straßenreinigung vom 14.12.1973 in der Fassung des 19. Nachtrages vom 23.12.2009 – SRGS – ist die auf volle 10 cm abgerundete Straßenfrontlänge ein Element der Bemessungsgrundlage der Gebühren; beim klägerischen Grundstück sind dies unstreitig 4,20 Meter. Im Gegensatz zu der offenbar von der Beklagten vertretenen Auffassung ist § 8 Abs. 3 SRGS vorliegend jedoch nicht anwendbar. Denn es müsste sich um ein Grundstück handeln, das „nicht mit der gesamten der Straße zugewandten Grundstücksseite an die Straße“ angrenzt. Das klägerische Grundstück liegt an der Nordwestecke der G.; die Ostgrenze der ca. 4,2 m breiten Grundstückszufahrt entspricht der nordwestlichen Grenze der Verkehrsfläche; Zusätzlich verläuft aber auch noch eine spitzwinklige Erweiterung der öffentlichen Verkehrsfläche entlang der Südgrenze des klägerischen Grundstücks ca. 8 m weit nach Nordwesten, so dass das Anliegergrundstück auch hieran angrenzt. Die Masse der klägerischen Grundstücksfläche – wie auch der Grundstücksgrenzen – liegt nördlich der nördlichen Grenze der G.. Gleichgültig, wie „Grundstücksbreiten“ im Sinne des § 8 Abs. 3 und 4 S. 1 und 2 SRGS zu definieren wären, sind die Grundstücksflächen nördlich der Einfahrt nicht mehr der Straße i.S.d. § 8 Abs. 3 SRGS „zugewandt“; mangels einer Regelung im Satzungsrecht der Beklagten (vgl. Driehaus-Lichtenfeld, Kommunalabgabenrecht, Stand: 09/11, § 6 Rn 762a) kann dieses Merkmal von einer Grenze bzw. Breitenlinie jedenfalls nur erfüllt werden, wenn sie in einem Winkel von weniger als 45 Grad zur Straßengrenze verläuft (vgl. Driehaus-Brüning, aaO., § 6 Rn 475 und 479). Abgesehen davon, dass in Bezug auf die G. § 8 SRGS keinen Anhaltspunkt gibt, welche der in nahezu alle Himmelsrichtungen verlaufenden Grenzen der öffentlichen Verkehrsflächen maßgeblich sein soll, stehen die Grenzen des klägerischen Grundstücks - mit Ausnahme der 4,20 Meter Anliegergrenze - sämtlich in größeren Winkeln als 45 Grad zu denjenigen der Verkehrsflächen. Von der unzweifelhaft höchst kompliziert zu regelnden Möglichkeit, Grundstücksgrenzen oder -breiten, die bei Stichstraßen nicht mehr einer Straßengrenze „zugewandt“ sind, beispielsweise durch eine fiktive Verlängerung abstrakt bestimmter Grenzlinien in die Gebührenberechnung einzubeziehen, hat die Beklagte keinen Gebrauch gemacht.

Im Übrigen dürfen gemäß § 2 Abs. 1 NKAG Benutzungsgebühren nur aufgrund einer Satzung erhoben werden, die u. a. den Maßstab und Satz der Gebühr regelt. Der Gebührenmaßstab muss es jedem einzelnen Einrichtungsbenutzer ermöglichen, bei Anwendung des Gebührensatzes die konkrete Höhe der einzelnen Gebühr zu errechnen. Das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot (Art. 20 GG) fordert, dass die Festlegung von Gebührenmaßstab und Gebührensatz hinreichend bestimmt ist. Der Gebührenpflichtige muss dem Wortlaut der Gebührensatzung zweifelsfrei entnehmen können, welcher Maßstab gelten soll, auf welche Weise die Gebühr berechnet wird und wie hoch die auf ihn entfallende Gebühr sein wird. Unvollständig und in der Folge unwirksam ist eine Gebührensatzung, die den Maßstab oder Elemente des Maßstabs nicht für jeden Anwendungsfall (hier z.B. asymmetrisch geschnittene Grundstücke, Grundstücke am Ende einer Stichstraße) kon-kret festlegt, sondern insoweit nur eine von der Verwaltung auszufüllende Rahmenregelung oder teilweise Regelung enthält (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 19.08.2008 - 9 LA 406/06 -, juris, Rn 14 m.w.N.). Schwierigkeiten bei der Formulierung des Gebührenmaßstabes, die sich aus besonderen Grundstückszuschnitten ergeben, könnte die Beklagte leicht ausräumen, indem sie sich des (ggf. für Sonderfälle modifizierten) Quadratwurzelmaßstabes bedienen würde.

Davon abgesehen, liegt der streitigen Nachveranlagung keine rechtmäßige Kalkulation der Gebührensätze zu Grunde. Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung verletzt die einheitliche Erhebung einer Gebühr für den Sommer- und Winterdienst den Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) und den Äquivalenzgrundsatz des § 5 Abs. 3 Sätze 1 und 2 NKAG.

Der Gleichbehandlungsgrundsatz verlangt bei der Gebührenbemessung für die Benutzung einer öffentlichen Einrichtung, dass im Wesentlichen gleiche Leistungen des Einrichtungsträgers auch mit vergleichbaren Gebühren belegt werden. Hierauf zielt auch § 5 Abs. 3 Satz 1 NKAG, wonach die Bemessung der Gebühren nach Art und Umfang der Inanspruchnahme der Einrichtung erfolgt. Dieses landesgesetzliche Äquivalenzprinzip schreibt also vor, dass die Gebühr nach einem Maßstab zu bemessen ist, der im Wesentlichen an der von der Einrichtung erbrachten Leistung ausgerichtet sein muss (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 27.06.2011 - 9 LB 168/09 -, juris, Rn 27, m.w.N.; ebenso Bay. VGH, Urteil vom 22.09.2011 - 4 N 10.315 -, juris, Rn 22). Das Äquivalenzprinzip ist verletzt, wenn das Ausgleichsverhältnis zwischen Gebühr und Wert der Leistung „gröblich“ gestört ist. Da bei einer Gebührenerhebung mittels eines Wahrscheinlichkeitsmaßstabs - hier nach Frontmetern - lediglich eine generalisierende und pauschalierende Bemessung der Abgabe nach der Leistung stattfindet, kann bei Benutzungsgebühren nicht jede behördliche Minder- oder Schlechtleistung, ebenfalls nicht jeder Unterschied zwischen Leistung und Gegenleistung, einen Anspruch auf Gebührenermäßigung oder den Wegfall der Gebühr nach sich ziehen. Vielmehr muss - um für die Höhe des Gebührenanspruchs erheblich zu sein - eine Störung des Austauschverhältnisses von (nach Art, Dauer und/oder Umfang) gewissem Gewicht vorliegen (Nds. OVG, Beschluss vom 13.01.2010 - 9 LA 205/08 -, juris, Rn 5, m.w.N.). Das Äquivalenzprinzip und der allgemeine Gleichheitssatz fordern nicht, die Benutzungsgebühr nach dem Maß der Kostenverursachung durch einzelne Benutzer oder Benutzergruppen zu bemessen. Für die Bestimmung des Gebührenmaßstabes ist grundsätzlich unerheblich, welche Kosten dem Träger der Einrichtung durch den einzelnen Benutzungsfall entstehen. Die Bemessung der Gebühr ist grundsätzlich nicht kosten-, sondern leistungsbezogen vorzunehmen. Allerdings verstieße es gegen Art. 3 Abs. 1 GG, wenn Gebühren völlig unabhängig von den Kosten der gebührenpflichtigen Leistung festgesetzt werden dürften (Nds. OVG, Beschluss vom 29.10.2003 - 9 LA 269/03 -, juris, Rn 10 m.w.N.).

Die Erhebung einer einheitlichen Gebühr für Sommer- und Winterdienst verstößt gegen die genannten Grundsätze, wenn nach den Einsatzplänen der Gemeinde eine Winterwartung planmäßig lediglich in „Prioritätsstraßen“ erfolgt, „Nebenstraßen“ aber nur bei extremen und andauernden winterlichen Witterungslagen in den Genuss des Winterdienstes kommen. Unterschiedlichen Leistungen muss durch eine differenzierte Gebührenstruktur Rechnung getragen werden. Lediglich wenn aufgrund besonderer Verhältnisse in einer Gemeinde für alle von der öffentlichen Einrichtung gereinigten Straßen ein gleichwertiger Winterdienst geplant und nach den vorhandenen Kapazitäten auch möglich ist, kann eine einheitliche Gebühr erhoben werden. Unschädlich ist, wenn Hauptverkehrsstraßen eher als Nebenstraßen geräumt werden; eine einigermaßen gleichmäßige Versorgung aller Straßen muss aber beabsichtigt und regelmäßig auch erreicht werden. Erfolgt ein Winterdienst auch in Straßen, deren Reinigung den Anliegern übertragen ist (vgl. § 1 Abs. 3 der Verordnung über Art, Umfang und Häufigkeit der Straßenreinigung in der Stadt E. vom 05.07.1985 i.d.F. des 16. Nachtrags vom 19.12.2011 – SRVO -), müssen getrennte Gebühren erhoben werden (Driehaus-Brüning, aaO., Rn 471f m.w.N.; Driehaus-Lichtenfeld, aaO., Rn 764).

Gemessen an diesen Grundsätzen, sind einheitliche Gebührensätze für den Sommer- und Winterdienst bei der Beklagten mit dem Gleichbehandlungs- und Äquivalenzgrundsatz nicht mehr vereinbar. Gemäß §§ 3 Abs. 1, 5 Abs. 2 SRGS hat die Beklagte die Gebührensätze für den Sommer- und Winterdienst ausschließlich nach der Reinigungshäufigkeit im Sommerdienst festgelegt. Die Verkehrsflächen hat die Beklagte den vier gebildeten Reinigungsklassen nach dem Grad der zu erwartenden Verschmutzung unter besonderer Berücksichtigung der von Besuchern stark frequentierten Straßen, Wege und Plätze zugeordnet. Der Gebührensatz beträgt für die Reinigungsklasse I bei einmal wöchentlicher Reinigung 4,68 Euro. Die Reinigungsklassen II bis IV benutzen die Anzahl der wöchentlichen Reinigungen als Multiplikator des Gebührensatzes der Reinigungsklasse I; der dreimalige wöchentliche Sommerdienst der Reinigungsklasse III beispielsweise kostet 3 x 4,68 € = 14,04 € jährlich je Maßstabseinheit (lft. Meter Frontlänge, vgl. § 8 SRGS). Der Winterdienst ist dagegen in drei Prioritätsklassen eingeteilt; die Zuordnung der Straßen zu einer der drei Klassen richtet sich zu einen nach der Verkehrsbedeutung, zum anderen aber auch nach den Anforderungen der Verkehrssicherungspflicht aufgrund besonderer Gefahrenpunkte (Steigungen, Einmündungen, Kreuzungen, Fußgängerüberwege, Bushaltestellen etc). Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung dauert ein vollständiger Durchlauf des Winterdienstes in allen Straßen der Beklagten etwa anderthalb Tage.

Ausweislich der seitens der Beklagten vorgelegten Unterlagen sowie der Erläuterungen in der mündlichen Verhandlung befinden sich in der ersten Priorität des Winterdienstes die mit I bis VI und XI, in der zweiten Priorität die mit VII bis X und in der dritten Priorität die mit R1 bis R 14 gekennzeichneten Verkehrsflächen des Straßenverzeichnisses (vgl. auch Schriftsatz der Beklagten vom 03.04.2012 im Verfahren 3 A 388/10). Während in der dritten Priorität nahezu alle Straßen (vgl. aber z.B. Maschmühlenweg: IV/VI/R9, 2x wöchentlich) auch nur einmal wöchentlich Sommerdienst erhalten, finden sich unter den Straßen, die im Winterdienst mit höchster Priorität bearbeitet werden, mit Ausnahme der seltenen Reinigungsklasse 3 alle Reinigungsklassen des Sommerdienstes, z.B.:

Verkehrsfläche

Sommerdienst

Winterdienst

Adolf-Sievert-Straße

1x    

II    

Brüder-Grimm-Allee

1x    

IV    

Berliner Straße

2x    

I       

Lutteranger

2x    

VI    

Nikolaikirchhof

6x    

XI    

Düstere Straße

6x    

XI    

Barfüßerstraße

6x    

X/XI   

Gleiches gilt für die Verkehrsflächen, die im Winterdienst mittlere Priorität genießen, z.B.:

Verkehrsfläche

Sommerdienst

Winterdienst

Brauweg

1x    

VIII   

Carl-Mahr-Straße

1x    

VIII   

Angerstraße

2x    

IX    

August-Spindler-Straße

2x    

VII     

Am Wochenmarkt

3x    

IX    

Friedrichstraße

3x/6x 

X       

Gotmarstraße

6x    

IX    

Zwar mag auch eine effektive Tourenplanung ein Grund für die Zusammenstellung der Prioritätenstufen des Winterdienstes sein; dies ändert aber nichts daran, dass die Anlieger mancher Straßen in den Genuss stets gefahrlos befahrbarer bzw. begehbarer Verkehrsflächen kommen, an denen ihre Grundstücke liegen, andere Anlieger dagegen den Winterdienst in ihrer Straße kaum jemals zu sehen bekommen. Dies wird besonders deutlich, wenn bedacht wird, dass erfahrungsgemäß zu Beginn und Ende des Winters Witterungsphasen dominieren, in denen Schneefall, Reif, Eisregen, Glätte oder Glättegefahr nur für jeweils wenige Stunden auftreten, sich jedoch durch einen nachfolgenden Temperaturanstieg wieder von allein erledigen. Angesichts der Dauer eines vollständigen Winterdienstdurchlaufs von 1,5 Tagen liegt auf der Hand, dass bei derartiger Witterung zwar immer die Verkehrsflächen der ersten und ggf. auch noch Teile der zweiten Priorität, nahezu niemals jedoch diejenigen der niedrigsten Prioritätsstufe Winterdienst erfahren.

Selbst bei lang andauernden Schnee- und Dauerfrostphasen ist die Qualität der durchgeführten Winterdienstarbeiten grob unterschiedlich. Während die Fahrbahnen und Radwege der Hauptdurchgangsstraßen unter Einsatz von Salz und Sole in kürzester Zeit wieder gefahrlos befahrbar gemacht werden und – wenn keine neuen Niederschläge fallen – innerhalb von zwei bis drei Tagen wieder schnee-/eisfrei und trocken sind, finden sich besonders in den reinen Wohnstraßen und im Innenstadtbereich innerhalb des Walls kaum vergleichbare Verkehrssituationen; vielmehr herrschen dort weitgehend geschlossene Schneedecken und verharschte Flächen vor, die allenfalls mit abstumpfenden Mitteln bestreut wurden. Auch wenn einleuchtende Gründe für den sparsamen Einsatz von Auftaumitteln sprechen mögen, kommt es für eine Vergleichbarkeit der Leistungen der öffentlichen Einrichtung hierauf nicht an, sondern allein auf die bestimmungsgemäße Nutzbarkeit der Straße.

Unter diesen Umständen zahlt ein Anlieger der Fußgängerzone, der gemäß § 3 Abs. 2 SRVO eine mit 1,5 m um 50 % breitere Fläche als die Anlieger anderer Straßen (vgl. § 3 Abs. 2 SRVO) von Schnee und Eis freizuhalten und bei Glätte abzustreuen hat, bei einem Winterdienst, der sich im Wesentlichen auf die Freihaltung einer Fahrspur in der Mitte der Verkehrsfläche beschränkt, den sechsfachen Straßenreinigungsgebührensatz wie ein Anlieger der Brüder-Grimm-Allee, obwohl dort bei gleicher Winterdienstpriorität die gesamte Fahrbahn von Eis und Schnee befreit wird. Leistung und Gegenleistung liegen hier weit außerhalb eines äquivalenten Verhältnisses. Dasselbe gilt im Vergleich zu einem Anliegergrundstück einer reinen Wohnstraße der dritten Winterdienstkategorie. Dieses muss im Vergleich zur Brüder-Grimm-Allee nicht nur qualitativ deutlich zurückstehen, sondern wird auch viel seltener vom Winterdienst erfasst, weil sich sämtliche kurzzeitigen Gefahrenlagen längst erledigt haben, bevor Straßen der dritten Prioritätsstufe angefahren werden können; dennoch ist der Gebührensatz für beide Anliegergrundstücke derselbe. Auch der umgekehrte Fall, dass bei gleichartiger Winterdienstleistung infolge identischer Prioritätseinstufung die Anlieger zweier Straßen höchst unterschiedliche Straßenreinigungsgebühren zahlen, kommt gehäuft vor, wie der Vergleich zwischen Gotmarstraße (Multiplikator 6) und Brauweg (Multiplikator 1; vgl. Tabelle S. 7) zeigt. Dies könnte in warmen Wintern, in denen Witterungslagen mit Dauerfrost kaum vorkommen und daher der Sommerdienst auch in den Wintermonaten durchgeführt wird, noch hinzunehmen sein, führt aber zu einer nicht mehr akzeptablen Gleichbehandlung ungleicher Sachverhalte, wenn der Sommerdienst witterungsbedingt monatelang nicht durchgeführt wird. Infolge der Vielzahl vergleichbarer Fälle, in denen das Äquivalenzprinzip und der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht mehr gewahrt sind, ist die einheitliche Erhebung von Sommer- und Winterdienstgebühr in einem Gebührensatz nichtig.

Ohne dass es nach dem Vorstehenden noch darauf ankäme, dürfte der gemäß § 5 Abs. 3 Satz 2 SRGS auf 25 % festgelegte Anteil der Beklagten an den Kosten der öffentlichen Einrichtung zu niedrig festgesetzt sein. Im Gemeindeanteil von 25 % in Niedersachsen ist zum einen das Interesse der Allgemeinheit an der Straßenreinigung infolge des Durchgangsverkehrs enthalten, zum anderen auch die Kostenanteile für Kreuzungen, Einmündungen, Kreisverkehre, Plätze und Straßenabschnitte, die keine Grundstücke erschließen (Driehaus-Brüning, aaO., Rn 464 a.E.). Straßenreinigungskosten, die auf die gemeindeeigenen Grundstücke entfallen, dürfen im Gemeindeanteil ebenso wenig enthalten sein wie die Kostenanteile von Billigkeitserlassen (Driehaus-Lichtenfeld, aaO., § 6 Rn 744 m.w.N. und 764; vgl. aber § 5 Abs. 3 Nr. 3 SRGS), es sei denn, der 25-prozentige Gemeindeanteil würde angemessen erhöht (vgl. auch Hess. VGH, Urteil vom 11.05.2011 - 5 A 3081/09 -, juris, Rn 33ff).

Im Hinblick auf das weitere Vorbringen der Klägerin ist schließlich anzumerken, dass im Niedersächsischen Straßengesetz keine Verpflichtung vorgesehen ist, die Verkehrsbedeutung einer Straße im Hinblick auf die Anteile des Anliegerverkehrs bei der Gebührenbemessung zu berücksichtigen; lediglich in besonders gelagerten Einzelfällen kann das Ermessen der Gemeinde eingeschränkt sein, ob sie eine Differenzierung nach der Verkehrsbedeutung der Straßen vornehmen will (vgl. Driehaus-Brüning, Kommunalabgabenrecht, Stand: 09/11, § 6 Rn 457 m.w.N.).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.