Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 16.06.2017, Az.: 2 AR (Ausl) 31/17
Zulässigkeit der Auslieferung eines Verfolgten nach Lettland zum Zwecke der Vollstreckung einer Strafe im halboffenen Vollzug
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 16.06.2017
- Aktenzeichen
- 2 AR (Ausl) 31/17
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2017, 19894
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- IRG § 2
- IRG § 73
- MRK Art. 3
Amtlicher Leitsatz
1. Die im lettischen Recht vorgesehene Anordnung einer Polizeikontrolle und die anschließende Umwandlung in eine Freiheitsstrafe aufgrund schuldhafter Weisungsverstöße des Verfolgten stellen eine auslieferungsfähige sonstige Sanktion im Sinne von § 2 IRG dar.
2. Die Auslieferung eines Verfolgten nach Lettland ist jedenfalls zum Zwecke der Strafvollstreckung im halboffenen Vollzug grundsätzlich zulässig, da aufgrund erfolgter Renovierungsmaßnahmen in den lettischen Haftanstalten und angesichts zurückgehender Belegungszahlen sowie der mittlerweile garantierten sonstigen Versorgung eine konkrete Gefahr menschenrechtswidriger Haftbedingungen nicht mehr besteht.
Tenor:
Die Auslieferung des Verfolgten an die lettischen Justizbehörden zur Vollstreckung der in dem Europäischen Haftbefehl der Generalstaatsanwaltschaft Lettland vom 06. März 2017 (Az.: S-100-2017-02240) bezeichneten freiheitsentziehenden Sanktion ist zulässig.
Der Auslieferungshaftbefehl des Senats vom 30. März 2017 bleibt aufrechterhalten. Die Auslieferungshaft hat fortzudauern.
Gründe
I.
Die lettischen Justizbehörden betreiben auf der Grundlage eines Europäischen Haftbefehls der Generalstaatsanwaltschaft Lettland vom 06. März 2017 (Az.: S-100-2017-02240) die Auslieferung des Verfolgten zum Zwecke der Strafvollstreckung.
Ausweislich des europäischen Haftbefehls vom 06. März 2017 wurde der Verfolgte durch Urteil des Gerichts der Vorstadt L. der Stadt R. vom 19. Juni 2014 wegen Raubes in 2 Fällen rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten nebst einer Polizeikontrolle von zwei Jahren verurteilt. Durch Beschluss des Gerichtskollegiums in Strafsachen des Bezirksgerichts R. vom 25. September 2015 wurde aus dieser Strafe unter Einbeziehung weiterer Verurteilungen eine Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 3 Monaten gebildet; ferner wurde die bereits durch Urteil vom 19. Juni 2014 verhängte 2-jährige Polizeikontrolle aufrechterhalten. Die Freiheitsstrafe hat der Verfolgte bereits vollständig verbüßt. Nach seiner Haftentlassung wurde die verhängte 2-jährige Polizeikontrolle dahingehend konkretisiert, dass dem Verfolgten Auflagen und Weisungen auferlegt wurden, gegen die er zahlreiche Male verstieß, so dass durch Beschluss des Bezirksgerichts R. vom 28. November 2016 die gegen den Verfolgten verhängte Zeit der Polizeikontrolle durch eine Freiheitsstrafe von 8 Monaten und 15 Tagen ersetzt wurde, die noch vollständig zu verbüßen ist.
Die der Verurteilung vom 19. Juni 2014 zugrunde liegenden Tatgeschehen werden in dem Europäischen Haftbefehl vom 6. März 2017 wie folgt beschrieben:
1. Am 09. Dezember 2009 um 08:30 Uhr suchte der Verfolgte ein Geschäft der Firma "D." in der K. Str. in R. auf und forderte unter Vorhalt einer Gaspistole Geld von der Verkäuferin; dabei erbeutete er 100 LVL.
2. Ebenfalls am 09. Dezember 2009 um 17:35 Uhr begab er sich in das Geschäft "M. J." der Firma "F. in der G. Straße in R. und forderte erneut unter Vorhalt einer Gaspistole Geld von dem Verkäufer. Als der Verkäufer Widerstand leistete, feuerte der Verfolgte zwei Schüsse mit der Gaspistole auf den Geschädigten ab und riss eine Lederjacke vom Ständer, mit der er flüchtete.
Der Senat hat am 30. März 2017 die förmliche Auslieferungshaft gegen den Verfolgten angeordnet und am 29. Mai 2017 die Fortdauer der Auslieferungshaft beschlossen.
Der Verfolgte wurde am 29. März 2017 in der Bundesrepublik Deutschland vorläufig festgenommen und hat sich im Rahmen seiner Anhörung vor dem Amtsgericht Winsen (Luhe) am 30. März 2017 mit einer vereinfachten Auslieferung nach § 41 Abs. 1 IRG nicht einverstanden erklärt. Er hat angegeben, sich seit fast einem Jahr in Deutschland aufzuhalten, ohne dass er soziale Bindungen in Deutschland vorweisen könne. Er sei derzeit arbeitslos und wohne vorübergehend bei einem Bekannten in H.
Die Generalstaatsanwaltschaft Celle hat als zuständige Bewilligungsbehörde mit Entschließung nach § 79 Abs. 2 Satz 1 IRG vom 30. März 2017 erklärt, dass sie nicht beabsichtige, Bewilligungshindernisse geltend zu machen. Diese Entschließung ist dem Verfolgten in lettischer Übersetzung am 13. April 2017 mit Gelegenheit zur Stellungnahme binnen einer Woche zugestellt worden.
Der Verfolgte hat hierauf zunächst nicht reagiert, nunmehr aber mit Schreiben seines Beistands vom 13. Juni 2017 ausgeführt, dass ihm die Haftbedingungen in Lettland aus einer früheren Inhaftierung bekannt seien. Diese seien weiterhin menschenrechtswidrig, da einem Gefangenen keinesfalls 4 m2 als Haftraum zur Verfügung stünden. Vielmehr habe er mit weiteren 5 Gefangenen eine Zelle mit einer Größe von 12-15 m2 bewohnt. Da auch nicht sicher sei, in welcher Haftanstalt der Verfolgte die Strafe verbüßen müsse, beantragt er, den Haftbefehl aufzuheben und den Antrag der Generalstaatsanwaltschaft, die Auslieferung für zulässig zu erklären, zurückzuweisen.
Die Generalstaatsanwaltschaft Celle hat gemäß § 29 Abs. 1 IRG beantragt, die Auslieferung für zulässig zu erklären und Haftfortdauer anzuordnen.
II.
Den Anträgen der Generalstaatsanwaltschaft war zu entsprechen.
1. Die Auslieferung des Verfolgten an die lettischen Justizbehörden ist zulässig.
a) Der Europäische Haftbefehl liegt in deutscher Übersetzung vor und enthält alle nach § 83a Abs. 1 IRG erforderlichen Angaben.
b) Die Auslieferungsfähigkeit der Straftaten ist gegeben.
Die Tatgeschehen, die der Verurteilung vom 19. Juni 2014 zu Grunde liegen, sind sowohl nach deutschem Recht (§§ 249, 250, 53 StGB) als auch nach lettischem Recht (Art. 176 Abs. 1 lettisches Strafgesetzbuch) strafbar, wobei beide Taten nach lettischem Recht im Höchstmaß mit mehr als 12 Monaten Freiheitsstrafe bedroht sind. Beiderseitige Strafbarkeit liegt damit vor.
Der Verfolgte wurde für die Tat im Hoheitsgebiet des ersuchenden Staates zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden, deren Maß vier Monate übersteigt (§ 81 Nr. 2 IRG). Anhaltspunkte dafür, dass Vollstreckungsverjährung eingetreten sein könnte, sind nicht ersichtlich.
c) Die Grundsätze der Gegenseitigkeit und der Spezialität werden durch die von EU-Staaten zu vollziehende innerstaatliche Transformation des insoweit bindenden RB-EuHB (vgl. Art. 27 RB-EuHB) gewährleistet. Einer besonderen Zusicherung des ersuchenden Staates bedarf es daher nicht (vgl. Böse, in: Grützner/Pötz/Kreß, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, § 82 IRG Rn. 2, 18; Hackner, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Aufl. 2012, § 82 IRG Rn. 2, 5).
d) Gründe, die der Auslieferung nach den Bestimmungen des IRG entgegenstehen, sind nicht ersichtlich.
aa) Der Verfolgte besitzt nicht die deutsche Staatsangehörigkeit.
bb) Das Urteil gegen den Verfolgten vom 19. Juni 2014 ist nicht in seiner Abwesenheit ergangen. Lediglich der spätere Gerichtsbeschluss vom 28. November 2016, in dem die gegen den Verfolgten verhängte Zeit der Polizeikontrolle wegen diverser Weisungsverstöße durch eine Freiheitsstrafe von 8 Monaten und 15 Tagen ersetzt wurde, ist in Abwesenheit des Verfolgten ergangen. Dies ist jedoch unerheblich.
Die in dem Beschluss getroffene Entscheidung ist vergleichbar mit dem Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung wegen eines Weisungsverstoßes in Deutschland und stellt eine im lettischen Recht normierte, sonstige Sanktion im Sinne von § 2 IRG dar. Nach dem dem Senat vorliegenden Beschluss vom 28. November 2016 beruht die Umwandlung der Polizeikontrolle in eine Freiheitsstrafe auf Art. 644 Abs. 1 des lettischen Strafprozessgesetzes. Danach darf der zuständige Richter in den Fällen, in denen eine Polizeikontrolle im Ausgangsverfahren im Urteil angeordnet worden war und die betroffene Person die ihr auferlegten Bedingungen böswillig verletzt hat, die Zeit der nicht verbüßten zusätzlichen Strafe - der Polizeikontrolle - durch eine Freiheitsstrafe ersetzen. Damit ist gegen den Verfolgten eine sich unmittelbar aus dem nationalen Gesetz ergebende Sanktion verhängt worden, die bei schuldhaften Weisungsverstößen nach einem im lettischen Strafgesetzbuch bestimmten Maßstab per Gerichtsbeschluss in eine Freiheitsstrafe umgewandelt werden kann, worüber der Verfolgte bei Anordnung der Polizeikontrolle auch belehrt worden ist. Diese Sanktionierung ist mit einem Bewährungswiderruf nach deutschem Recht vergleichbar. Der Umstand, dass der Widerruf einer zunächst zur Bewährung ausgesetzten Vollstreckung der Strafe nicht in Anwesenheit des Verurteilten erfolgt ist, verletzt nicht das Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs und stellt kein Auslieferungshindernis nach § 83 Abs. 1 Nr. 3 IRG dar (OLG Celle, NStZ-RR 2012, 260, [OLG Celle 14.03.2012 - 1 Ausl 4/12] OLG Karlsruhe, Beschluss vom 14. März 2016 - 1 AK 109/15 -, juris). Vorliegend ist der Verfolgte ausweislich der Beschlussgründe zudem per Einschreiben zum Termin im Umwandlungsverfahren geladen worden und unentschuldigt nicht erschienen.
e) Der beantragten Zulässigkeitserklärung steht auch nicht das Rechtshilfeverbot des § 73 IRG entgegen. Nach dieser Vorschrift ist die Leistung von Rechtshilfe im Auslieferungsverkehr mit Mitgliedstaaten der Europäischen Union unzulässig, wenn ihre Erledigung zu den in Art. 6 des Vertrages über die Europäische Union (EUV) enthaltenen Grundsätzen im Widerspruch stünde. Darin erkennt die Union die Grundrechte, wie sie in der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben, als allgemeine Grundsätze und damit als Teil des Unionsrechts an (Art. 6 Abs. 3 EUV). Nach Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe unterworfen werden. Dazu gehört auch das Verbot menschenunwürdiger Behandlung in der Haft.
Vorliegend ist jedoch sichergestellt, dass die Haftbedingungen, die der Verfolgte im Falle seiner Auslieferung an Lettland im dortigen Strafvollzug zu erwarten hat, den in Art. 3 EMRK verankerten menschenrechtlichen Mindestanforderungen genügen.
Nach der Rechtsprechung des EuGH (EuGH, Urteil vom 05.04.2016 - C-404/15, C-659/15 PPU, NJW 2016, 1709) sind Europäische Haftbefehle gemäß Art. 1 Abs. 2 RbEuHB vom ersuchten Mitgliedstaat nach dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens prinzipiell zu vollstrecken. Lediglich ausnahmsweise kommt, um das dem RbEuHB zu Grunde liegende System der gegenseitigen Anerkennung und des freien Verkehrs strafrechtlicher justizieller Entscheidungen nicht zu konterkarieren, eine Ablehnung der Auslieferung in Betracht. Dies ist dann der Fall, wenn ein Verstoß gegen das - nicht nur in Art. 3 EMRK, sondern wortgleich auch in Art. 4 der EU-Grundrechtecharta aufgestellte - Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung droht. Bei der Prüfung, ob eine solche Gefahr besteht, ist nach dem vorgenannten Urteil des EuGH zweistufig vorzugehen. So ist zunächst zu klären, ob generell und abstrakt eine Gefahr menschenrechtswidriger Haftbedingungen im ersuchenden Staat besteht. Die Justizbehörden des ersuchten Staates haben zunächst zu prüfen, ob objektive, zuverlässige, genaue und gebührend aktualisierte Angaben für die Annahme systemischer oder allgemeiner, bestimmte Personengruppen oder bestimmte Haftanstalten betreffende Mängel der Haftbedingungen im ersuchenden Mitgliedstaat vorliegen. Diese Angaben können sich unter anderem aus Entscheidungen internationaler Gerichte (Urteile des EGMR), aus Entscheidungen von Gerichten des ersuchenden Staates oder aus Entscheidungen, Berichten oder anderen Schriftstücken von Organen des Europarates oder aus dem System der Vereinten Nationen ergeben. Erst wenn danach tatsächliche Anhaltspunkte für menschenrechtswidrige Haftbedingungen vorliegen, ist nach dem vorgenannten Urteil des EuGH auf einer zweiten Prüfungsstufe einzelfallbezogen zu klären, ob die Haftbedingungen, die der konkrete Verfolgte im Falle seiner Auslieferung im ersuchenden Staat zu erwarten hat, menschenrechtswidrig sind oder nicht. Insofern sind Erklärungen des ersuchenden Staates und Zusicherungen hinsichtlich der Haftbedingungen einzuholen. Kann nach dem Ergebnis dieses Konsultationsverfahrens letztlich das Vorliegen einer "echten Gefahr" menschenrechtswidriger Haftbedingungen im konkreten Einzelfall nicht ausgeschlossen werden, muss die Auslieferung abgelehnt werden (näher zu diesem vom EuGH vorgegebenen Prüfungsmaßstab Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 03.01.2017 - Ausl 81/16 -, juris; OLG Celle, Beschluss vom 02. März 2017, 1 AR (Ausl) 99/16; Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Beschluss vom 03. August 2016 - 1 Ausl A 14/15 -, juris).
Die vom EuGH als Voraussetzung für die Statthaftigkeit und zugleich für die Notwendigkeit des Eintritts in eine einzelfallbezogene Prüfung der Haftbedingungen im konkreten Auslieferungsfall verlangte allgemeine Besorgnis menschenrechtswidriger Haftbedingungen ist - worauf auch der Verfolgte über seinen Beistand zutreffend hinweist - zu bejahen. So ergeben sich aus den Urteilen des EGMR vom 28. Februar 2012 (CASE OF MELNĪTIS v. LATVIA, Application no. 30779/05) und vom 18. Dezember 2012 (CASE OF ČUPRAKOVS v. LATVIA, Application no. 8543/04) sowie aus den Berichten des CPT (Europäisches Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe) betreffend die Jahre 2011 und 2013 insbesondere Hinweise auf menschenunwürdige hygienische und sanitäre Bedingungen in den lettischen Vollzugsanstalten. In beiden Entscheidungen des EGMR hat dieser insbesondere kritisiert, dass Gefangene in lettischen Gefängnissen teilweise über Monate keine zur Basisausstattung zählenden Hygieneartikel zur Verfügung gestellt bekommen haben und dass die häufig in einem mit mehreren Gefangenen belegten Haftraum gelegenen Toiletten von dem Haftraum nicht ausreichend räumlich abgegrenzt waren. Darin hat der Gerichtshof einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK gesehen. Ferner hat er die sanitären und hygienischen Bedingungen in dem Gefängniskrankenhaus in R. für unzureichend erachtet. Auch das CPT hat in seinen Berichten auf Missstände in verschiedenen lettischen Gefängnissen hingewiesen, die das Komitee bei Besuchen in den Jahren 2011 und 2013 festgestellt hat. Darin wurde neben einer erheblichen Überbelegung der Hafträume insbesondere kritisiert, dass sowohl die hygienischen als auch die sanitären Standards nicht ausreichend seien. Es fehle neben einer räumlichen Trennung der Toiletten auch an einer ausreichenden Anzahl an Sanitäranlagen und die vorhandenen Duschen seien teilweise in einem desolaten hygienischen Zustand (Bericht vom 27. August 2013, Ziffer 59, 60, 62). Ferner fehle es teilweise an einer hinlänglichen Belüftung der Hafträume und es sei nicht immer ein ausreichender Einfall von Tageslicht vorhanden (Bericht vom 27. August 2013, Ziffer 58, 60). Schließlich sei auch die medizinische Versorgung nicht immer hinreichend, weshalb seitens des CPT eine gleichwertige medizinische Behandlung von inhaftierten und nicht-inhaftierten Personen gefordert wurde (Bericht vom 11. März 2014, Ziffer 45). Empfohlen wurde zudem, die ständige Präsenz von medizinischem Fachpersonal in den Haftanstalten zu erhöhen und Dokumentationspflichten nach einer erfolgten medizinischen Behandlung auszuweiten (Bericht vom 11. März 2014, S. 23). Daran schließt sich auch die Kritik des "Human Rights Report 2016 Lettland" an, wonach die Gesundheitsvorsorge in lettischen Gefängnissen weiterhin unzureichend und chronisch unterfinanziert ist und ein Mangel an medizinischem Fach-Personal besteht, da allein 10 % der Stellen insoweit unbesetzt seien (vgl. Country Reports on Human Rights Practices for 2016, United States Department of State - Bureau of Democracy, Human Rights and Labor).
Vor diesem Hintergrund ist die vom EuGH (EuGH, a.a.O) als Voraussetzung für die Statthaftigkeit und zugleich Notwendigkeit eines Eintritts in eine einzelfallbezogene Prüfung der Haftbedingungen verlangte allgemeine Besorgnis menschenrechtswidriger Haftbedingungen für Lettland (noch) zu bejahen (so auch Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Beschluss vom 03. August 2016 - 1 Ausl A 14/15 -, juris).
Mithin war vorliegend auf der zweiten Prüfungsstufe zu klären, welche Haftbedingungen der Verfolgte im Falle seiner Auslieferung konkret zu erwarten hat, und es waren diesbezügliche Erklärungen und Zusicherungen der lettischen Justiz einzuholen. Der Senat hat daher mit Datum vom 17. Mai 2017 der Generalstaatsanwaltschaft Celle einen Fragenkatalog übermittelt, den diese mit Schreiben vom 18. Mai 2017 an die lettischen Behörden weitergeleitet hat. Insbesondere hat der Senat um Mitteilung gebeten, in welcher Haftanstalt und in welcher Vollzugsform der Verfolgte die zu vollstreckende Freiheitsstrafe voraussichtlich wird verbüßen müssen und welche Größe der dem Verfolgten voraussichtlich zur Verfügung gestellte Haftraum haben wird. Ferner wurden die lettischen Behörden um Stellungnahme gebeten, ob sich die in den Urteilen des EGMR kritisierten Haftbedingungen mittlerweile signifikant verbessert haben.
Diese Anfrage hat die Generalstaatsanwaltschaft Riga am 02. Juni 2017 dahingehend beantwortet, dass der Verfolgte nach seiner Überstellung zunächst in das Zentralgefängnis der Stadt R. eingeliefert werde, bevor sodann binnen 10 Tagen eine Verlegung des Verfolgten in eine halboffene Strafanstalt erfolgen werde. Die konkrete Anstalt, in der der Verfolgte die Freiheitsstrafe zu verbüßen hat, wurde in dem Schreiben nicht benannt, da diese kurzfristig durch den Dienstleiter unter Berücksichtigung der Anzahl der freien Plätze bestimmt werde. Darüber hinaus ergibt sich aus dem Schreiben, dass jedem Gefangenen in der Republik Lettland eine Raumfläche von mindestens 4 m2 zur Verfügung gestellt wird und dass sämtliche Hafträume mit Sanitäranlagen ausgestattet worden sind, die vom restlichen Raum abgegrenzt sind oder sich in einem gesonderten Raum befinden. Bettwäsche und Handtücher werden demnach jedem Gefangenen kostenlos zur Verfügung gestellt und mindestens einmal wöchentlich gereinigt. Ferner erhalte jeder Strafgefangene einmal im Monat Waschmittel und Hygieneartikel kostenlos ausgehändigt. Schließlich entspreche die medizinische Behandlung der Gefangenen derjenigen Behandlung, die erkrankte Einwohner der Republik Lettland außerhalb des Vollzuges erhalten würden. Die erforderlichen medizinischen Untersuchungen und Behandlungen seien für den Gefangenen kostenfrei und würden aus der Staatskasse finanziert.
Obwohl danach offen bleibt, in welcher Haftanstalt der Verfolgte die Strafe im Falle seiner Auslieferung verbüßen muss, sieht der Senat aufgrund der ihm vorliegenden, umfangreicheren tatsächlichen Erkenntnisse keine konkrete Gefahr (mehr) für den Verfolgten, dass dieser im Falle seiner Auslieferung Haftbedingungen ausgesetzt würde, die im Widerspruch zu den in Art. 6 des Vertrages über die Europäische Union enthaltenen Grundsätzen stehen und die dem Auslieferungsersuchen entgegenstehen könnte.
Aufgrund der dargestellten erfolgten Maßnahmen sind die genannten Missstände in lettischen Haftanstalten nach Auffassung des Senates mittlerweile weitestgehend behoben. Zum einen ist die Gesamtanzahl der Strafgefangenen in Lettland seit dem Jahre 2012 (6.561 Gefangene) signifikant zurückgegangen und betrug im Jahre 2016 ausweislich des "Human Rights Report 2016 Lettland" durchschnittlich noch 4.301, so dass keine Hinweise mehr auf eine Überbelegung der Hafträume bestehen. Vor dem Hintergrund dieser allgemeinen Entwicklung der Gefangenenzahlen in Lettland besteht auch kein Anlass, die erteilte Zusicherung, wonach jedem Gefangenen eine Fläche von mindestens 4 m2 zur Verfügung steht, infrage zu stellen. Auch die Problematik der fehlenden sanitären Einrichtungen dürfte sich bereits durch die deutlich geringere Insassenzahl erheblich entspannt haben. Insgesamt haben sich die Haftbedingungen seit 2013 - wie von der Generalstaatsanwaltschaft Riga dargelegt - durchgreifend verbessert. So sind die Toiletten von dem restlichen Haftraum mittlerweile baulich getrennt und es werden notwendige Hygieneartikel wie Zahnpasta, Seife, Toilettenpapier und Waschmittel monatlich kostenfrei zur Verfügung gestellt. Bettwäsche und Handtücher werden wöchentlich gewechselt. Jede Zelle ist mit einem Waschbecken und einen (Trink-)Wasseranschluss ausgestattet. Zudem ist die medizinische Versorgung der Gefangenen mittlerweile derjenigen Behandlung gleichgestellt, die den übrigen Einwohner der Republik Lettland zuteil wird.
Soweit darüber hinaus die aktuellen Dokumentationspflichten im medizinischen Bereich sowie die Ausstattung der Gefängnisse mit medizinischem Fachpersonal nicht immer den Anforderungen des CPT entsprechen, mag eine entsprechende Verbesserung wünschenswert erscheinen. Jedoch liegen die verbliebenen Kritikpunkte nicht auf einem Niveau, das Anlass geben würde, eine Verletzung der in Art. 6 des Vertrages über die Europäische Union (EUV) enthaltenen Grundsätze in Betracht zu ziehen. Insoweit weist der Senat darauf hin, dass das CPT auch Empfehlungen für die Verbesserung der Gesundheitsfürsorge in der JVA C. ausgesprochen hat, ohne dass die dortigen Haftbedingungen gegen die nationalen oder europäischen Grundrechte verstoßen würden.
Bei der notwendigen Gesamtbetrachtung der Haftbedingungen kommt der Senat daher zu dem Ergebnis, dass den Verfolgten im Falle seiner Auslieferung keine menschenrechtswidrigen Haftbedingungen erwarten und auch nicht zu befürchten steht, dass er einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sein wird. Der Senat ist insoweit der Auffassung, dass aufgrund der ihm vorliegenden Informationen mittlerweile von einer erheblichen und flächendeckenden Verbesserung der Haftbedingungen in Lettland ausgegangen werden kann, die das Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen in einem vergleichbaren Verfahren im August 2016 noch nicht für gegeben hielt.
f) Die Entschließung der Generalstaatsanwaltschaft, keine Bewilligungshindernisse nach § 83 b IRG geltend zu machen, hält der vom Senat nach § 79 Abs. 2 Satz 3 IRG vorzunehmenden Nachprüfung stand. Die Entscheidung beruht auf einer vollständig sowie zutreffend ermittelten Tatsachengrundlage und lässt Ermessensfehler nicht erkennen. Der Verfolgte hat keine Einwände gegen die Auslieferung vorgebracht und lediglich die Haftbedingungen in Lettland moniert.
Das Oberlandesgericht hat die Bewilligungsentscheidung lediglich dahingehend zu überprüfen, ob sie ermessensfehlerhaft getroffen wurde. Nach dem Willen des Gesetzgebers steht der Bewilligungsbehörde hierbei ein sehr weites Ermessen zu, das gerichtlich nur sehr eingeschränkt überprüft werden kann. Unter Berücksichtigung dieses weiten Ermessens ist erforderlich, dass die nach § 79 Abs. 2 Satz 2 IRG zu begründende Vorabentscheidung dem Oberlandesgericht die gebotene Überprüfung ermöglicht, ob die Bewilligungsbehörde die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 83b IRG zutreffend beurteilt hat und sich bei Vorliegen von Bewilligungshindernissen des ihr eingeräumten Ermessens unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände des Einzelfalls bewusst war. In die Ermessensabwägung dürfen keine die Entscheidung maßgeblich beeinflussenden unzulässigen Erwägungen eingestellt werden, die wesentlichen Gesichtspunkte müssen ausdrücklich bedacht und die in dem Bescheid aufgeführten und erkannten Gesichtspunkte müssen abwägend einander gegenüber gestellt werden (vgl. nur OLG Celle, Beschluss vom 18. März 2015 - 1 Ausl 6/15, StV 2016, 238; Hackner, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Aufl. 2012, § 79 IRG Rn. 10 m.w.N.; BT-Drucks. 16/1024 S. 11, 13). Diesen Anforderungen wird die getroffene Entschließung gerecht.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat berücksichtigt, dass der Verurteilte seit einem Jahr ständig in Deutschland aufhältig ist. Es ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden, dass die Generalstaatsanwaltschaft als Ergebnis der von ihr vorgenommenen Gesamtabwägung gleichwohl ein schutzwürdiges Interesse des Verfolgten an einer Strafvollstreckung in Deutschland (§ 83b Abs. 2 Nr. 2 IRG) verneint hat. Insofern hat die Generalstaatsanwaltschaft zu Recht berücksichtigt, dass der Verfolgte in Deutschland weder über einen festen Wohnsitz noch über eine Arbeitsstelle oder familiäre Bindungen verfügt und somit ein schutzwürdiges Interesse des Verfolgten, das gegen seine Auslieferung sprechen könnte, nicht ersichtlich ist.
2. Der Auslieferungshaftbefehl des Senats vom 30. März 2017 bleibt aufrechterhalten.
Es besteht weiterhin die Gefahr, dass der Verfolgte, käme er auf freien Fuß, sich dem Auslieferungsverfahren entziehen würde. Erkenntnisse über soziale Bindungen, die den aus der zu erwartenden Strafe resultierenden Fluchtanreiz beseitigen könnten, bestehen nicht. Nach wie vor sind weniger einschneidende Maßnahmen als ein Vollzug der Auslieferungshaft nicht geeignet, deren Zweck, nämlich das Durchführen der zulässigen Auslieferung, zu gewährleisten (§ 25 IRG).
Die Verhältnismäßigkeit der angeordneten Maßnahmen steht angesichts der Dauer der zu vollstreckenden freiheitsentziehenden Maßnahme von acht Monaten und 15 Tagen gleichfalls nicht in Frage.
III.
Der Senat wird gemäß § 26 Abs. 1 IRG eine erneute Haftprüfung durchführen, wenn sich der Verfolgte zwei weitere Monate in Auslieferungshaft befunden haben wird.