Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 23.06.2017, Az.: 2 Ss (Owi) 137/17
Vorsatz; Geschwindigkeitsüberschreitung; Geschwindigkeitsverstoß; einseitig; Beschilderung; Vorschriftszeichen; Verkehrszeichen; Herabsetzung; zulässige Höchstgeschwindigkeit
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 23.06.2017
- Aktenzeichen
- 2 Ss (Owi) 137/17
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2017, 54255
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 41 Abs 2 StVO
- § 49 Abs 3 Nr 4 StVO
- § 24 StVG
- § 25 Abs 1 StVG
- § 25 Abs 2a StVG
- § 3 Abs 4a BKatV
- § 4 Abs 2 BKatV
- Nr 11.1.6 BKatV
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Es kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass (ordnungsgemäß aufgestellte) Vorschriftszeichen, auch solche, durch die eine Herabsetzung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit erfolgt, i.d.R. wahrgenommen werden und ein fahrlässiges Übersehen die Ausnahme darstellt. Daher braucht die Möglichkeit, dass der Betroffene das Vorschriftszeichen übersehen hat, nur in Rechnung gestellt zu werden, wenn sich hierfür Anhaltspunkte ergeben (st. Rspr., vgl. BGH 4 StR 638/96 - juris; OLG Celle NZV 2014, 232 [OLG Celle 28.10.2013 - 322 SsRs 280/13]).
2. Der Regelvermutung steht der alleinige Umstand, dass die Herabsetzung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit durch ein einmalig und einseitig aufgestelltes Vorschriftszeichen begrenzt war, nicht von vornherein entgegen (Abweichung von OLG Brandenburg, Beschluss vom 20.02.2017, Az. (1) 53 Ss-OWi 56/17 (34/17). Anlass zur Prüfung des Vorliegens eines Ausnahmefalls besteht nur bei Hinzutreten weiterer Umstände, z.B. bei einer die Wahrnehmung des Verkehrsschildes bestreitenden Einlassung des Betroffenen oder bei festgestellten besonderen Witterungs- oder Straßenverhältnissen zum Vorfallszeitpunkt.
Tenor:
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Buxtehude vom 25.01.2017 wird nach Anhörung und teilweise auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft als unbegründet verworfen.
Der Betroffene hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 200 € verurteilt und gegen ihn ein Fahrverbot von 1 Monat angeordnet.
Nach den Feststellungen des Amtsgerichts befuhr der Betroffene am 27.05.2016 gegen 10.08 Uhr mit dem Lkw Daimler, amtl. Kennzeichen: xxx, mit einer zulässigen Gesamtmasse von mehr als 3,5 Tonnen die Landstraße L 140 in H. auf Höhe des Kilometers 23,43 in Fahrtrichtung S. statt mit der durch ein vor der Messstelle einseitig aufgestelltes Vorschriftszeichen auf 50 km/h begrenzten zulässigen Höchstgeschwindigkeit mit einer Geschwindigkeit nach Toleranzabzug von 77 km/h.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Er beanstandet in formeller Hinsicht die Verletzung der dem Amtsgericht obliegenden Amtsaufklärungspflicht sowie den Verstoß gegen das Gebot des fairen Verfahrens.
Im Rahmen der allgemein erhobenen Sachrüge beanstandet er, dass dem angefochtenen Urteil keine den Schuldspruch wegen vorsätzlicher Geschwindigkeitsüberschreitung statt - wie noch im zugrunde liegenden Bußgeldbescheid enthalten - nur fahrlässiger Tatbegehung tragenden Feststellungen zu entnehmen seien. Darüber hinaus sei die Beweiswürdigung des Amtsgerichts fehlerhaft, da das Amtsgericht zur Frage der Identifizierung des Betroffenen ein anthropologisches Sachverständigengutachten eingeholt, in den Gründen des angefochtenen Urteils jedoch ausgeführt habe, selbst den Betroffenen in der Hauptverhandlung als die Person identifziert zu haben, die auf dem Messfoto abgebildet sei, welches bei der dem Tatvorwurf gegen den Betroffenen zugrunde liegenden Geschwindigkeitsmessung angefertigt worden sei. Insoweit habe das Amtsgerichts nicht dargelegt, dass und auf welcher Grundlage es über die erforderliche Sachkunde zur Identifizierung von Personen anhand eines Messfotos verfüge.
II.
Der zulässigen Rechtsbeschwerde bleibt in der Sache der Erfolg versagt.
1. Eine Verletzung formellen Rechts ist nicht gegeben.
Die von der Rechtsbeschwerde erhobenen Verfahrensrügen greifen aus den auch gegenüber der Gegenerklärung des Verteidigers des Betroffenen vom 08.06.2017 zutreffenden Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Zuschrift vom 19.05.2017, denen der Senat beitritt, nicht durch. Insoweit verwirft der Senat die Rechtsbeschwerde auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet.
2. Das angefochtene Urteil hält der Überprüfung auch in sachlich-rechtlicher Hinsicht stand.
Die von der Rechtsbeschwerde mit der allgemeinen Sachrüge erhobenen Einwände sind unbegründet.
a) Die Feststellungen in dem angefochtenen Urteil tragen - anders als die Rechtsbeschwerde meint - den Schuldspruch wegen vorsätzlicher Geschwindigkeitsüberschreitung.
Auch gegen die Beweiswürdigung des Amtsgerichts ist rechtlich nichts zu erinnern.
aa) Dies gilt insbesondere für die Erwägungen des Amtsgerichts zur Identifizierung des Betroffenen als Führer des tatbetroffenen Lkw zum Zeitpunkt der dem Betroffenen zur Last gelegten Geschwindigkeitsüberschreitung. Insoweit wird ebenfalls auf die - auch unter Berücksichtigung der o.g. Gegenerklärung des Verteidigers des Betroffenen - zutreffenden Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Zuschrift vom 19.05.2017 verwiesen.
bb) Auch die Annahme der vorsätzlichen Tatbegehung, unterliegt unter Berücksichtigung der im angefochtenen Urteil mitgeteilten Umstände keinen Bedenken.
Eine Verurteilung wegen Vorsatz setzt voraus, dass der Betroffene die Geschwindigkeitsbegrenzung wahrgenommen und deren Überschreitung zumindest billigend in Kauf genommen hat.
(1) Vorliegend war die außerorts zulässige Höchstgeschwindigkeit im Bereich der dem Tatvorwurf gegen den Betroffenen zugrunde liegenden Geschwindigkeitsmessung auf 50 km/h herabgesetzt. Dies war durch ein aus Sicht des Betroffenen vor der Messstelle einseitig aufgestelltes Vorschriftszeichen angezeigt worden. Tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass der Betroffene das Verkehrsschild nicht sehen konnte oder nicht gesehen hat, sind nicht ersichtlich. Nach der Rechtsprechung kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass (ordnungsgemäß aufgestellte) Vorschriftszeichen, auch solche, durch die eine Herabsetzung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit erfolgt, i.d.R. wahrgenommen werden und ein fahrlässiges Übersehen die Ausnahme darstellt. Daher braucht die Möglichkeit, dass der Betroffene das Vorschriftszeichen übersehen hat, nur in Rechnung gestellt zu werden, wenn sich hierfür Anhaltspunkte ergeben (vgl. BGH, 11. September 1997, 4 StR 638/96; OLG Celle NZV 2014, 232 [OLG Celle 28.10.2013 - 322 SsRs 280/13]). Entsprechende Anhaltspunkte hat weder der Betroffene vorgetragen noch ergeben sie sich aus den sonstigen in dem angefochtenen Urteil mitgeteilten Umständen. Dem steht nicht entgegen, dass die zulässige Höchstgeschwindigkeit hier nur durch ein einseitig aufgestelltes Vorschriftszeichen herabgesetzt war.
Der vom Oberlandesgericht Brandenburg in seiner von der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Zuschrift vom 19.05.2017 zitierten Entscheidung vom 20.02.2017, Az. (1) 53 SsOWi 56/17 (34/17) angestellten - die Entscheidung nicht tragenden - Erwägung, der Umstand eines lediglich einseitig aufgestellten Vorschriftszeichens spreche gegen die Regelvermutung der Wahrnehmung durch einen Betroffenen, vermag der Senat in ihrer Allgemeinheit nicht zu folgen. Dass die Regelvermutung ohne eine den Vorsatz bestreitende Einlassung des Betroffenen und ohne andere entgegen stehende Anhaltspunkte allein wegen des Umstands einer einmaligen und einseitigen Beschilderung entfallen soll, erschließt sich dem nicht. Dem stehen die von der Generalstaatsanwaltschaft zitierten früheren Entscheidungen des hiesigen Bußgeldsenats nicht entgegen. Der in der Entscheidung vom 26.01.2015 (Az. 322 SsBs 176/14) behandelte Sachverhalt ist mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar. Denn der dortige Betroffene hatte eingewendet, das maßgebende einseitig aufgestellte Vorschriftszeichen nicht gesehen zu haben, während der Betroffene im vorliegenden Verfahren keine Einlassung zur Frage seiner Wahrnehmungen abgegeben hat. In der weiteren Entscheidung vom 17.10.2011 (Az. 322 SsBs 338/11) hatte das Amtsgericht - anders als im vorliegenden Fall - keinerlei Feststellungen zur vorhandenen Beschilderung getroffen, was den Senat zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht veranlasste. In der Entscheidung vom 17.10.2011 (Az. 322 SsBs 338/11) hat der Senat sich mit der Frage der Voraussetzungen der Annahme einer vorsätzlichen Tatbegehung nicht befasst.
(2) Das Amtsgericht ist zudem rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass der Betroffene die Geschwindigkeitsüberschreitung erkannt und zumindest billigend in Kauf genommen hat.
Nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung, der sich auch der erkennende Senat angeschlossen hat, kann bei erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitungen in der Regel von vorsätzlicher Begehungsweise ausgegangen werden, wobei dies bei Überschreitungen ab ca. 40 % angenommen wird (vgl. Senatsbeschluss vom 28.02.2017, Az. 2 SsOwi 52/17 mwN).
Vorliegend hat der Betroffene die an der Messstelle zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 26 km/h, mithin um 52 % überschritten. Anhaltspunkte dafür, dass er diese massive Überschreitung nicht erkannt und zumindest billigend in Kauf genommen hat, hat er weder vorgetragen noch sind diese aus den sonstigen Umständen ersichtlich.
b) Auch der Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils einschließlich der vom Amtsgericht vorgenommenen Erhöhung des im Bußgeldkatalog vorgesehenen Regelsatzes für fahrlässige Geschwindigkeitsüberschreitungen in der Art des vorliegend vom Betroffenen begangenen Geschwindigkeitsverstoßes sowie des verhängten Fahrerverbots weist keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen auf.
3. Der Beschwerdeführer wird darauf hingewiesen, dass er sich nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG strafbar macht, wenn er nach Ablieferung des Führerscheins oder vier Monate nach Eintritt der Rechtskraft dieser Entscheidung, also nach dem 23.10.2017, ein Kraftfahrzeug führt, dass die Fahrverbotsfrist aber erst vom Tage der Ablieferung des Führerscheins bei der Vollstreckungsbehörde (Staatsanwaltschaft Stade) an gerechnet wird (§ 25 Abs. 5 Satz 1 StVG).