Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 04.06.2007, Az.: 4 B 867/07
Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Widersprüche gegen erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigungen für den Bau und zum Betrieb von Windenergieanlagen; Verletzung von Nachbarrechten durch erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigungen; Widmung eines "Grünen Weges" für den öffentlichen Straßenverkehr
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 04.06.2007
- Aktenzeichen
- 4 B 867/07
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2007, 35399
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGOLDBG:2007:0604.4B867.07.0A
Rechtsgrundlagen
- § 80 Abs. 5 VwGO
- § 80a Abs. 3 VwGO
- § 4 BImSchG
- § 6 BImSchG
- § 10 BImSchG
- § 19 BImSchG
- § 35 Abs. 1 BauGB
- § 5 NBauO
- § 63 NStrG
Verfahrensgegenstand
Nachbarwiderspruch
In der Verwaltungsrechtssache
hat das Verwaltungsgericht Oldenburg - 4. Kammer -
am 04. Juni 2007
beschlossen:
Tenor:
Die aufschiebende Wirkung der Widersprüche der Antragstellerin gegen die der Beigeladenen erteilten immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen vom 21. März 2007 und 18. April 2007 wird wiederhergestellt.
Die Antragsgegnerin und die Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens jeweils zur Hälfte.
Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Der Streitwert wird auf 2.500,--EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Widersprüche gegen drei der Beigeladenen erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigungen für den Bau und zum Betrieb von insgesamt drei Windenergieanlagen. Unter dem 21. September 2006 beantragte die Beigeladene bei der Antragsgegnerin die Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb von drei Windenergieanlagen (2 x Typ Enercon E 70 E 4, 2,0 MW, Nabenhöhe 64 m und 1 x Typ Enercon E 82, 2,0 MW, Nabenhöhe 98,3 m (WEA 3)) auf verschiedenen Flurstücken der Gemarkung .... Unter dem 17. Januar 2007 wurden der Beigeladenen Genehmigungen für den vorzeitigen Baubeginn, die Errichtung der Wege und Fundamente der Windenergieanlagen Nr. 1 und 3 erteilt. Die sofortige Vollziehung wurde durch Bescheid vom 15. Februar 2007 durch die Antragsgegnerin angeordnet. Die Antragstellerin erhob mit Schreiben vom 1. Februar 2007 Widerspruch gegen die Genehmigungen vom 17. Januar 2007 und beantragte am 22. Februar 2007 bei Gericht die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Unter dem 21. März 2007 erteilte die Antragsgegnerin unter Anordnung der sofortigen Vollziehung der Beigeladenen die immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen für die Errichtung und den Betrieb der Windenergieanlagen Nr. 1 und 3 und unter dem 18. April 2007 die immissionsschutzrechtliche Genehmigung für den Bau und Betrieb der Windenergieanlage Nr. 2.
Zur Begründung des Eilantrages führt die Antragstellerin im Wesentlichen aus, die Anlagen sollten unmittelbar an der Gemeindegrenze errichtet werden. Auf ihrem Gebiet plane sie als Mitglied eines ... (Antragsteller im Verfahren 4 B 868/07) ein auf Logistikunternehmen ausgerichtetes Gewerbe- und Industriegebiet nördlich der Autobahnanschlussstelle ... und östlich der Autobahn .... Durch den Flächennutzungsplanaufstellungsbeschluss im März 2005, die Gründung des ... und Einholung eines Schallgutachtens sei die Planung weitgehend verfestigt. Durch die Errichtung der genehmigten Windenergieanlagen unmittelbar in der Nähe des geplanten Gebietes westlich der Bundesautobahn werde das nach dem Schallgutachten vorgesehene Schallkontingent für zusätzliche Emissionen zur Nachtzeit im nordwestlichen Bereich des geplanten Gebietes verbraucht, so dass ansiedlungswillige Industriebetriebe in dem geplanten Gebiet erhebliche Lärmminderungen in Kauf nehmen müssten. Deshalb werde durch die Erteilung der Genehmigungen gegen das Gebot der interkommunalen Abstimmung und Rücksichtnahme verstoßen und ihre Planungshoheit verletzt. Auch widerspreche die Errichtung der Windenergieanlagen dem Flächennutzungsplan der Antragsgegnerin, der an anderer Stelle eine Vorrangfläche ausweise. Weiterhin seien die Baugrundstücke nicht erschlossen, da die für die Zuwegung u.a. vorgesehenen Flurstücke ... und ... in ihrem Eigentum stünden und es sich nicht um eine in das Bestandsverzeichnis eingetragene öffentliche Straße oder Wegefläche handele.
Eine Widmung der Flächen für den öffentlichen Verkehr sei nicht erfolgt. Gegenüber dem Flurstück ... werde zudem der erforderliche Grenzabstand durch die südliche Windenergieanlage Nr. 1 nicht eingehalten.
Die Antragsgegnerin entgegnet, dass die Genehmigungen im Zusammenhang mit einem Vergleich vom 4. August 2006 zur Beendigung mehrerer Klageverfahren auf Erteilung von Genehmigungen für Windenergieanlagen in ihrem Stadtgebiet erteilt worden seien. Die Kammer habe durch Urteile vom 29. September 2005 -4 A 17/04 u. 4 A 20/04 -festgestellt, dass in dem Bereich 4 Windenergieanlagen ohne förmliche Planung errichtet werden könnten. Die Einwendungen der Antragstellerin seien im Rahmen des Genehmigungsverfahrens berücksichtigt und abgewogen worden. Die Planung für das interkommunale Gewerbegebiet sei über einen Planaufstellungsbeschluss nicht hinausgekommen. Die Erschließung sei über die Straße "...." hinreichend gesichert. Dabei handele es sich seit unvordenklicher Zeit um eine öffentliche Straße. Im Rahmen des Baus der ... sei diese Straße durch die Bundesrepublik Deutschland ausgebaut worden und anschließend an die Antragsgegnerin und an die Antragstellerin übergeben worden.
Seitdem werde die Straße durch die Anlieger für die Bewirtschaftung der landwirtschaftlichen Flächen genutzt. Wenn die Antragstellerin nunmehr die Zugänglichkeit durch die Errichtung einer Schranke beeinträchtige, widerspreche dieses dem Planfeststellungsbeschluss für die ... vom 20. August 1975. Im Liegenschaftskataster und im Grundbuch sei die Wegefläche jeweils als "Straße" bezeichnet. Der Antragstellerin werde durch die Genehmigungen der Windenergieanlagen keine Erschließungspflicht aufgedrängt. Auch die früher für die Straßenfläche zuständige Landesbehörde gehe davon aus, dass es sich um eine öffentliche Straße handele.
Dementsprechend sei die Eigentumsübertragung der Flurstücke ... und ... auf die Antragstellerin nach § 6 FernStrG und § 12 Abs. 1 NStrG am 11. Januar 2007 erfolgt. Der Abstand zum Flurstück ... werde durch die Windenergieanlage Nr. 1 zwar nicht eingehalten. Insoweit greife jedoch die Regelung des § 9 NBauO ein, da der Fortbestand der Straße gesichert sei. Für die an die Straße angrenzenden Flurstücke ... lägen Zustimmungen der Eigentümer nach § 13 Abs. 1 Nr. 7 a NBauO vor.
Die Beigeladene unterstützt das Vorbringen der Antragsgegnerin und führt ergänzend aus, der Antrag sei unzulässig. Soweit die Antragstellerin sich auf eine Verletzung des interkommunalen Abstimmungsgebotes nach § 2 Abs. 2 BauGB stütze, umfasse diese Regelung nur den Fall der Bauleitplanung. Schallschutzansprüche von Nachbarn bestünden nur, wenn auf genehmigte Vorhaben Rücksicht zu nehmen sei oder durch eine verbindliche Planung Festsetzungen für Nutzungen erfolgt seien, die Schutzansprüche nach der TA Lärm hätten. Die Antragstellerin sei nicht Eigentümerin der für das interkommunale Gewerbe- und Industriegebiet vorgesehenen Flächen. Das bisher nicht verbindlich bauleitgeplante Industriegebiet würde ohnehin keinen Schallschutzanspruch auslösen.
II.
Der zulässige Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat Erfolg. Der nach § 80 a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO zu beurteilende Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Widersprüche der Antragstellerin gegen die Genehmigungsbescheide der Antragsgegnerin vom 21. März 2007 und vom 18. April 2007 ist zulässig und begründet.
Die vom Gericht zu treffende Entscheidung orientiert sich grundsätzlich an dem Ergebnis einer umfassenden Abwägung der sich gegenüberstehenden Interessen an einer sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes einerseits und der vorläufigen Aussetzung der Vollziehung andererseits.
Im Rahmen dieser Abwägung sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache maßgebend, wenn sie in der einen oder anderen Richtung offensichtlich sind. Der Erfolg eines Drittwiderspruches und damit auch eines Antrages nach § 80 a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO setzt dabei nicht allein die objektive Rechtswidrigkeit der erteilten immissionsschutzrechtlichen Genehmigung voraus. Erforderlich ist vielmehr, dass die Genehmigung gerade gegen solche Rechtsvorschriften verstößt, denen nach ihrer Schutzfunktion zumindest auch nachbarschützende Wirkung beizumessen ist. Unter Zugrundelegung dieser rechtlichen Maßstäbe geht die Abwägung zu Ungunsten der Beigeladenen aus, weil die erteilten immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen Nachbarrechte der Antragstellerin verletzen.
Rechtsgrundlage für die streitigen immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen sind die §§ 4, 6, 10 und 19 BImSchG i.V.m. § 1 der 4. BImSchVO sowie der Ziff. 1.6 Sp. 2 der Anlage zur 4. Bundesimmissionsschutzverordnung. Danach ist einem Antragsteller eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung (nur dann) zu erteilen, wenn sichergestellt ist, dass u.a. die bauordnungs- und bauplanungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind ( § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG).
Die immissionsschutzrechtliche Genehmigung entfaltet nach § 13 BImSchG auch im Hinblick auf die baurechtlichen Voraussetzungen eine "Konzentrationswirkung".
Vorliegend fehlt es an einer ausreichenden Erschließung der Vorhabengrundstücke nach §§ 35 Abs. 1 BauGB, 5 NBauO. Nach diesen Regelungen muss das Baugrundstück so an einer mit Kraftfahrzeugen befahrbaren öffentlichen Verkehrsfläche liegen oder einen solchen Zugang zu ihr haben, dass der von der baulichen Anlage ausgehende Zu- und Abgangsverkehr und der für den Brandschutz erforderliche Einsatz jeder Zeit ordnungsgemäß und ungehindert möglich sind. Ist das Baugrundstück nur über Flächen zugänglich, die nicht dem öffentlichen Verkehr gewidmet sind, so muss ihre Benutzung für diesen Zweck durch Baulast oder Miteigentum gesichert sein. Vorliegend ist die Erschließung der Baugrundstücke über den "..." und damit u.a. über die Flurstücke ... vorgesehen, die im Eigentum der Antragstellerin stehen. Bei dem "..." handelt es sich nicht um eine in das Straßenbestandsverzeichnis nach § 63 NStrG eingetragene Gemeindestraße oder sonstige öffentliche Straße. Ausgebaut wurde die Straße nach Angaben der Beteiligten im Zusammenhang mit dem Bau der ... Ende der 70er Jahre auf der Grundlage des Planfeststellungsbeschlusses vom 20. August 1975. Eine Eintragung in das Straßenbestandsverzeichnis erfolgte nicht. Nach § 63 Abs. 2 NStrG waren Bestandsverzeichnisse für die Gemeindestraßen und sonstigen öffentlichen Straßen von den Gemeinden bis zum 31. Dezember 1983 anzulegen. Gemeindestraßen und sonstige Straßen, die im Bestandsverzeichnis nicht mehr als solche ausgewiesen sind, gelten als aufgehoben und eingezogen (§ 63 Abs. 5 NStrG). Selbst wenn somit für den "Grünen Weg" in dem Planfeststellungsbeschluss aus dem Jahre 1975 eine Widmung als öffentliche Straße für die Erschließung der anliegenden Flurstücke zu sehen sein sollte, wäre diese infolge der Nichtaufnahme in das Bestandsverzeichnis nach § 63 Abs. 5 S. 2 NStrG aufgehoben und die Straße als eingezogen anzusehen. Nach dem 31. Dezember 1983 ist unstreitig auch keine Widmung des "Grünen Weges" für den öffentlichen Straßenverkehr erfolgt. Abgesehen von Bundesfern-, Landes- und Kreisstraßen können im Gemeindegebiet nur noch die Straßen und Wege Öffentlichkeitscharakter haben -mit dem 31. Dezember 1983 als Stichtag -, die im Bestandsverzeichnis enthalten sind (Wendrich, NStrG, 4. Aufl., § 63 Rdziff. 4). Da auch kein Miteigentum besteht und keine Baulast zu Gunsten der Beigeladenen eingetragen wurde, ist die Erschließung nicht gesichert.
Weiterhin greift auch die Regelung des § 63 Abs. 6 NStrG nicht zu Gunsten der Beigeladenen ein. Danach haben diejenigen, die nach den bisherigen Vorschriften oder aufgrund eines besonderen Titels des öffentlichen Rechts hierzu verpflichtet waren, den Weg weiter für den Interessentenverkehr offen zu halten und zu unterhalten, wenn Genossenschafts-, Feld-, Wanne- und Interessentenwege nicht als Gemeindestraßen in das Bestandsverzeichnis aufgenommen werden. Nach Ansicht der Kammer handelt es sich bei den genehmigten Vorhaben nicht um Maßnahmen, die dieser Regelung unterfallen. Dagegen spricht bereits, dass die Beigeladene nicht Eigentümerin der in Anspruch genommenen Flächen war und ist. Die Nutzung der Flächen für Windenergieanlagen geht über den allerdings langjährig durch die Antragstellerin geduldeten Anliegergebrauch, z.B. durch den für den Anlagenbau erforderlichen Schwerlastverkehr hinaus. Insoweit erweist sich aus Sicht der Kammer die Berufung der Antragstellerin auf ihre Eigentümerstellung auch nicht als "rechtsmissbräuchlich". Einen Vertrauensschutztatbestand zu Gunsten der Beigeladenen, wonach die Erschließung gesichert sei, hat die Antragstellerin nicht gesetzt.
Die Antragstellerin kann sich als Eigentümerin der betroffenen Flurstücke auch auf eine Rechtsbeeinträchtigung durch die Genehmigungen berufen. Der Nachbar kann nach der Rechtsprechung des BVerwG (Beschluss vom 11. Mai 1998 -4 B 47.98 -, BRS 60 Nr. 182) ein Abwehrrecht haben, wenn eine rechtswidrige Baugenehmigung dadurch in sein durch Art. 14 Abs. 1 GG geschütztes Eigentumsrecht eingreift, dass sie infolge Fehlens der Erschließung in Richtung auf die Duldung eines Notwegerechts nach § 917 Abs. 1 BGB eine unmittelbare Rechtsverschlechterung bewirkt.
So liegt der Fall hier. Die Antragstellerin könnte in einem etwaigen Verfahren der Beigeladenen auf Einräumung eines Notwegerechts für den Fall der Bestandskraft der Genehmigungen nicht mehr einwenden, dass es sich um eine nicht ordnungsgemäße Nutzung der Baugrundstücke handele.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154, 159 VwGO. Die Beigeladene war an den Kosten des Verfahrens zu beteiligen, da sie einen Antrag gestellt und sich damit einem Kostenrisiko ( § 154 Abs. 3 VwGO) ausgesetzt hat. Ihre außergerichtlichen Kosten waren nicht nach § 162 Abs. 3 VwGO für erstattungsfähig zu erklären. [...].
Streitwertbeschluss:
Der Streitwert wird auf 2.500,--EUR festgesetzt.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52, 53, 63 GKG und orientiert sich der Höhe nach am Regelstreitwert, der aufgrund der Vorläufigkeit der Entscheidung halbiert wurde.
Burzynska
Ahrens