Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 18.11.2019, Az.: 4 A 4215/18
Faktisches Dorfgebiet; Gebietserhaltungsanspruch; Gebietsprägungserhaltungsanspruch; Rücksichtnahmegebot
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 18.11.2019
- Aktenzeichen
- 4 A 4215/18
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2019, 69929
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 30 BauGB
- § 34 Abs 1 BauGB
- § 34 Abs 2 BauGB
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Zu einem Abwehrsanspruch eines Tomaten anbauenden Landwirts im faktischen Dorfgebiet gegen eine heranrückende Wohnbebauung
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung.
Mit Bescheid vom 16.03.2017 genehmigte die Beklagte der Beigeladenen die Errichtung einer Wohnanlage mit 15 Wohneinheiten, 19 Garagen, einem Stellplatz und einer Technikzentrale. Das Vorhaben enthält 4 Reihenhauszeilen mit 15 Reihenhäusern sowie den Umbau eines bestehenden Wohnhauses. Zum südwestlich angrenzenden Grundstück der Klägerin sieht die Baugenehmigung eine 15,50 m lange Lärmschutzwand und eine geschlossene Garagenzeile vor.
Die Klägerin betreibt südwestlich des Bauvorhabens einen gartenbaulichen Betrieb mit Gewächshäusern zum Tomatenanbau. Von dem Betrieb geht Lärm durch den dreimal die Woche stattfindenden Auslieferungsverkehr auf der Südwestseite des Grundstücks, die Luftheizgeräte für die Gewächshäuser und Kühlmaschinen aus.
Das – mittlerweile errichtete – Vorhaben tritt an die Stelle einer bis zum Oktober 2016 existierenden Hofanlage (E. 33) sowie einem dem Wohnen umgewidmeten alten Wohnhaus der F..
Die Grundstücke liegen im Bereich des 2010 in Kraft getretenen einfachen Bebauungsplans Nr. G. „H. E. – Stadtteil I.“, der u. a. für die betroffenen Grundstücke die Textliche Festsetzung trifft, dass Einzelhandelsbetriebe ausgeschlossen sind, der Verkauf an Endverbraucher ausnahmsweise zulässig ist, wenn er seiner Art nach in einem eindeutigen Zusammenhang mit der Produktion steht und sich nach seinem Umfang eindeutig unterordnet (§ 9 Abs. 2 a BauGB). Das Baugebiet umfasst die (teils ehemaligen) H. E. 31, 33 und 34.
Die Beteiligten gehen davon aus, dass das Baugebiet ein faktisches Dorfgebiet ist.
Die Klägerin erhob am 01.02.2018 Widerspruch gegen die (ihr nicht zugestellte) Baugenehmigung, den die Beklagte mit Bescheid vom 14.05.2018 zurückwies. Die Beklagte stützt sich darauf, dass das Vorhaben der Beigeladenen nicht unzulässig sei, weil es Immissionen seitens des Betriebes der Klägerin ausgesetzt werde. Neben der Lärmschutzwand sei auf dem Grundstück des Klägers eine geschlossene Grenzbebauung angeordnet, so dass die Wohnbebauung auch in diesem Bereich geschützt sei. Die neu errichteten Wohngebäude würden keinen höheren Immissionen ausgesetzt als die Wohnbebauung am J. Weg.
Am 25.6.2018 hat die Klägerin Klage erhoben. Der für das Gebiet östlich des J. Wegs geltende Bebauungsplan Nr. K. leide an einem Ewigkeitsfehler und sei funktionslos geworden. Tatsächlich sei dort Wohnbebauung festzustellen. In den schwerpunktmäßig durch landwirtschaftliche Betriebstätigkeit geprägten Bereich des Bebauungsplans Nr. G. dringe die Wohnbebauung ein. Die Klägerin habe einen Anspruch auf Erhalt des faktisch gegliederten Dorfgebietes unter Ausschluss von Wohngebäuden. Selbst wenn man von einem idealtypischen Dorfgebiet ausgehe, führe die Wohnbebauung zu einer Verfälschung des dorfgebietstypischen Mischungsverhältnisses mit einem Planungsbedarf. Dies werde dadurch deutlich, dass der Betrieb der Klägerin erst jetzt auf Wohnnutzung in der Nachbarschaft Rücksicht zu nehmen habe. Die Wohnbebauung dürfe nicht dazu führen, dass die mit dem Betrieb der Klägerin einhergehenden Emissionen mit Rücksicht auf Wohngrundstücke zu reduzieren seien. Vielmehr müsse ein Dorfgebiet auch abstrakte Entwicklungsmöglichkeiten der landwirtschaftlichen Betriebe dienen.
Die Klägerin beantragt,
die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 16.03.2017 für den Neubau einer Wohnanlage mit 15 Wohneinheiten auf den Flurstücken L., M. /N., O. der Flur P. P. der Gemarkung I., E. 31a – 31c, J. Weg 5, 7, 9, 11, 13, 15, 17, 19, 21, 23 und 25 (=E 61.3 P 00698/18) und gegen den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 14.05.2018 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
denn das Bauvorhaben sei in einem (faktischen) Dorfgebiet zulässig und halte sich im Rahmen der Hauptnutzungsarten des Dorfgebiets. Das Vorhaben widerspreche nicht der Eigenart des Dorfgebiets. Zu unzumutbaren Emissionen habe der Kläger nichts vorgetragen.
Die Beigeladene beantragt ebenfalls,
die Klage abzuweisen.
Der Gebietserhaltungsanspruch der Klägerin sei durch ihr Vorhaben nicht verletzt. Dies sei auch nicht rücksichtslos. Der Anlieferverkehr finde auf einer dem Vorhaben abgewandten Seite statt. Zur Bewältigung der Lärmkonflikte aus dem Betrieb der Treibhäuser habe die Beigeladene eine Lärmschutzwand errichtet. In ihren Entwicklungsmöglichkeiten sei die Klägerin ohnehin schon durch die Wohnnutzungen E. 36 – 40 und 21/21a beschränkt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Das Vorhaben wahrt den Anspruch der Klägerin auf Gebietserhaltung (1.) und -prägung (2.) sowie die Grenzen des nachbarschaftlichen Rücksichtnahmegebots (3.).
1. Zwar kann sich die Klägerin als Eigentümerin eines Grundstücks in einem faktischen Dorfgebiet (a.) jedenfalls im Regelfall gegen eine auch schleichende Änderung der Gebietsart wehren (BVerwG, Urteil vom 23.8.1996 – 4 C 13/94 –, BVerwGE 101, 365), doch ändert sich das Gebiet nicht dadurch, dass die Beklagte das Vorhaben der Beigeladenen zulässt (b.).
a. Das Grundstück der Klägerin und das Vorhaben der Beigeladenen liegen zwar innerhalb des Bebauungsplanes Nr. G. der Beklagten, so dass sich die Zulassung einer Bebauung an § 30 BauGB orientiert. Da der Plan jedoch nicht alle Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 BauGB erfüllt (einfacher Bebauungsplan), z. B. keine Festsetzungen über die Art und das Maß der baulichen Nutzung enthält, richtet sich wegen § 30 Abs. 3 BauGB die Zulässigkeit von Vorhaben im Übrigen nach § 34 BauGB.
Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist in diesen Gebieten ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Eine Beurteilung nach der Art der baulichen Nutzung aufgrund von § 34 Abs. 1 BauGB entfällt gemäß § 34 Abs. 2 BauGB, wenn die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete entspricht, die in der auf Grund des § 9a BauGB erlassenen Verordnung (Baunutzungsverordnung - BauNVO -) bezeichnet sind. Dann ist die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein danach zu beurteilen, ob es nach der Verordnung in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre (§ 34 Abs. 2 Halbsatz 1 BauGB).
Entsprechend dem Vortrag der Beteiligten entspricht das Baugebiet einem Dorfgebiet gem. § 5 BauNVO, da bei Inkrafttreten des Planes ausschließlich drei landwirtschaftliche Betriebsstellen von dem Plan erfasst waren.
b. Die Zulassung des Vorhabens der Beigeladenen ändert das Baugebiet nicht. Dorfgebiete dienen nach § 5 Abs. 1 Satz 1 BauNVO der Unterbringung der Wirtschaftsstellen land- und forstwirtschaftlicher Betriebe, dem Wohnen und der Unterbringung von nicht wesentlich störenden Gewerbebetrieben sowie der Versorgung der Bevölkerung dienenden Handwerksbetrieben.
Ein nach § 5 BauNVO einzuschätzendes Dorfgebiet muss keine hohe Dichte oder gar ein Übergewicht an landwirtschaftlichen Wirtschaftsstellen aufweisen (Nds. OVG, Urteil vom 19.1.1995 – 1 L 166/90 –, juris Rn. 11), so dass das Vorhaben der Beigeladenen das „Mischungsverhältnis“ im Baugebiet nicht ändern kann. Beim Dorfgebiet gemäß § 5 BauNVO handelt es sich um ein "ländliches Mischgebiet" (vgl. BVerwG, Beschluss vom 4.12.1995 - 4 B 258.95 -, juris Rn. 6; Urteil vom 6.6.2019 – 4 C 10/18 –, juris Rn. 21), dessen Charakter grundsätzlich nicht von einem bestimmten prozentualen Mischverhältnis der zulässigen Nutzungsarten abhängt. Eine - sich jedenfalls in gewissen Grenzen haltende - Zunahme der Wohnbebauung in einem Dorfgebiet führt für sich gesehen noch nicht zu einer – rechtlich erheblichen - Änderung des Gebietscharakters im Sinne der Baunutzungsverordnung. Das gilt insbesondere dann, wenn noch viele landwirtschaftliche Betriebe vorhanden sind, die der näheren Umgebung ein dörfliches Gepräge geben (BVerwG, Beschluss vom 19.1.1996 – 4 B 7/96 –, juris Rn. 5). Dies gilt, solange die landwirtschaftliche Nutzung nicht völlig verschwindet und auch eine Wiederaufnahme ausgeschlossen erscheint (BverwG, Urteil vom 23.4.2009 – 4 CN 5/07 –, juris Rn. 10).
Die Einstufung schließt den Betrieb der Klägerin ein, wie er sich derzeit tatsächlich darstellt. Sie betreibt einen landwirtschaftlichen Betrieb in Form der Treibhausproduktion von Tomaten. Nach § 201 BauGB ist Landwirtschaft im Sinne dieses Gesetzbuchs ist insbesondere u. a. die gartenbauliche Erzeugung. Seit dem BauGB 1987 erfasst der Begriff der gartenbaulichen Erzeugung auch die bodenunabhängige Erzeugung von Pflanzen (EZBK/Söfker, 134. EL August 2019, BauGB § 201 Rn. 19). Dies gilt auch für eine Treibhausgärtnerei, wenn die Treibhäuser überwiegend dazu dienen, Umwelteinflüsse von sonst üblicher (offener) Bodenbepflanzung abzuschirmen, ohne die Art der Bodennutzung zu prägen (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.1.1984 - 4 C 72/80 –, NVwZ 1985, 183).
Selbst wenn, worauf der Vortrag der Klägerin hindeutet, auch die Wohnhausbebauung außerhalb des Plangebietes an dem J. Weg (und der E.) zur Charakterisierung des Baugebiets heranzuziehen wäre, nähme dies dem Grundstück der Klägerin nicht ihre Lage in einem Dorfgebiet.
2. Die Klägerin kann sich auch nicht über § 34 Abs. 1 BauGB i.V. mit § 15 Abs. 1 BauNVO auf einen Anspruch auf Erhaltung der Gebietsprägung zu berufen.
Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO sind die in den §§ 2 bis 14 aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen. Hieraus mag ein Abwehranspruch gegen ein Vorhaben folgen, das im konkreten Baugebiet hinsichtlich der Nutzungsart an sich entweder allgemein oder ausnahmsweise zulässig ist, aber gleichwohl gebietsunverträglich ist, wenn es der allgemeinen Zweckbestimmung des maßgeblichen Baugebietstyps widerspricht. Dies kann der Fall sein, wenn es – bezogen auf den Gebietscharakter des Baugebietes, in dem es verwirklicht werden soll – aufgrund seiner typischen Nutzungsweise störend wirkt und deswegen gebietsunverträglich ist (BayVGH, Beschluss vom 4.11.2009 – 9 CS 09.2422 – juris Rn. 11 ff.; VG Neustadt a.d.W., Urteil vom 26.3.2019 – 5 K 1482/18.NW –, juris Rn. 39; andere bezweifeln den Anspruch an: vgl. OVG Schleswig-Holst., Beschluss vom 8.1.2018 – 1 MB 23/17 – juris Rn. 6 f.; offenlassend BayVGH, Beschluss vom 8.1.2019 – 9 CS 17.2482 –, juris Rn. 16).
Jedenfalls kann ein „Gebietsprägungserhaltungsanspruch“ aus § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO (i.V. mit § 34 Abs. 2 BauGB) – sei es als eigenständiger Anspruch, sei es als Bestandteil des Rücksichtnahmegebots (mit dann zu fordernder „fühlbarer“ Beeinträchtigung des Nachbarn) – von vornherein nur einschlägig sein, wenn das den Vorgaben gem. §§ 2 – 14 BauNVO (hier i.V. mit § 34 Abs. 2 BauGB) an sich entsprechende Bauvorhaben bei typisierender Betrachtung gleichwohl als gebietsunverträglich zu bewerten ist, weil es der allgemeinen Zweckbestimmung des Baugebiets widerspricht. Für ein von der Klägerin reklamiertes (nachbar-) rechtswidriges Umschlagen von Quantität in Qualität in diesem Sinne müsste das Bauvorhaben die Art der baulichen Nutzung derart erfassen oder berühren, dass bei typisierender Betrachtung im Ergebnis ein Widerspruch zur Eigenart des Baugebiets angenommen werden müsste (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.3.1995 – 4 C 3.94 –, juris Rn. 17). Da es sich bei § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO um eine Ausnahmevorschrift zur Art der baulichen Nutzung handelt, ist ein solcher Widerspruch zur Eigenart des Baugebiets aber nur unter strengen Voraussetzungen anzunehmen. Der Widerspruch der hinzukommenden baulichen Anlage oder deren Nutzung muss sich daher bei objektiver Betrachtungsweise offensichtlich aufdrängen. Dies ist schon deshalb ausgeschlossen, weil die Reihenbebauung der Beklagten schon von der Quantität die Gebietsprägung nicht verändert. Die Annahme der Klägerin, sie habe einen Anspruch darauf, dass in „ihrem“ Dorfgebiet festgeschrieben sei, dass dort nur landwirtschaftliche Betriebe zugelassen seien, lässt sich nicht auf rechtliche Grundlagen stellen. Ein Dorfgebiet dient immer dem Nebeneinander von landwirtschaftlichen Betrieben und Wohngrundstücken. Dass diese ein Ausmaß annehmen, dass ein Anhalt dafür besteht, dass das Baugebiet künftig nicht mehr landwirtschaftlichen Betrieben zur Verfügung steht, ist ausgeschlossen. Es ist nicht ersichtlich, wie eine zulässige Wohnnutzung aufgrund ihrer typischen Nutzungsweise bei einer typisierenden Betrachtungsweise störend wirken kann (vgl. BayVGH, Beschluss vom 15.10.2019 – 15 ZB 19.1221 –, juris, Rn. 8 - 12).
3. Auch die von dem landwirtschaftlichen Betrieb der Klägerin ausgehenden Lärmemissionen auf das Vorhaben der Beigeladenen sind nach der Rechtsprechung zur Konfliktbewältigung bei heranrückender Wohnbebauung an einen genehmigten landwirtschaftlichen Betrieb zumutbar.
Welches Maß an Rücksichtnahme das im Tatbestandsmerkmal des Einfügens enthaltenes Rücksichtnahmegebot dem Bauinteressenten abverlangt, richtet sich nach dem in der Umgebung tatsächlich Vorhandenen nach Maßgabe des rechtlich Zulässigen. Nach § 34 Abs. 1 BauGB bildet die Eigenart der näheren Umgebung den für das Einfügen maßgeblichen Bezugsrahmen. Ihr städtebauliches Gepräge erhält diese Umgebung durch die tatsächlich vorhandene Bebauung bzw. tatsächlich ausgeübte Nutzung. Dies bestimmt auch den Inhalt des Rücksichtnahmegebots (BVerwG, Urteil vom 14.1.1993 – 4 C 19/90 –, juris Rn. 25).
Nachbarn wie der Klägerin steht über das in dem Begriff des „Einfügens“ in § 34 Abs. 1 BauGB verankerte Gebot der Rücksichtnahme ein Abwehrrecht nur für den Fall zu, dass sich das Vorhaben ihr gegenüber sich als rücksichtslos darstellt. Die hierbei vorzunehmende Interessenabwägung hat sich an dem Kriterium der Unzumutbarkeit in dem Sinne auszurichten, dass dem betroffenen Nachbarn die nachteiligen Auswirkungen des geplanten Vorhabens auf sein Grundstück billigerweise nicht mehr zugemutet werden können (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 13.3.1981 - 4 C 1/78 -, juris Rn. 33 m.w.N., BVerwG, Urteil vom 25.2.1977 - 4 C 22.75 -, BVerwGE 52, 122).
Zur näheren Bestimmung des Umfangs ist auf § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO zurückzugreifen, wonach die nach §§ 2 bis § 14 BauNVO zulässigen baulichen Anlagen im Einzelfall unzulässig sind, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind, § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 BauNVO, oder wenn sie solchen Belästigungen oder Störungen ausgesetzt werden, § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO.
§ 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO, der nicht nur auf die Eigenart des konkreten Baugebiets, sondern auch auf die Verhältnisse in seiner Umgebung abhebt, ist eine besondere Ausprägung des bauplanungsrechtlichen Gebots der Rücksichtnahme, das gewährleisten soll, Nutzungen, die geeignet sind, Spannungen und Störungen hervorzurufen, einander so zuzuordnen, dass ein Interessenausgleich möglich ist, der beiden Seiten gerecht wird. Welche Anforderungen sich daraus für die Zumutbarkeit im Einzelfall ergeben, beurteilt sich nach der tatsächlichen und rechtlichen Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit der konkret aufeinander treffenden Nutzungen. Ist die Grundstücksnutzung mit einer spezifischen gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme belastet, führt dies nicht nur zu Pflichten desjenigen, der Immissionen verursacht, sondern auch desjenigen, der sich den Wirkungen solcher Immissionen aussetzt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 29.10.2002 - 4 B 60.02 – juris Rn. 5 m.w.N.). So ist in Dorfgebieten auf die Belange landwirtschaftlicher Betriebe einschließlich ihrer Entwicklungsmöglichkeiten vorrangig Rücksicht zu nehmen (§ 5 Abs. 1 Satz 2 BauNVO) mit der Folge, dass das Wohnen vor landwirtschaftstypischen Störungen und Belästigungen wie Tiergeräuschen und -gerüchen oder Maschinenlärm weniger geschützt wird als in anderen Baugebieten (für tierhaltende Betriebe: BVerwG, Urteil vom 14.1.1993 – 4 C 19/90 –, juris Rn. 32). Andrerseits ist in einem Dorfgebiet die geplante Wohnanlage als sonstiges Wohngebäude i. S. des § 5 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO grundsätzlich allgemein zulässig.
Auf die Unzulässigkeit eines Vorhabens, das schädlichen Umwelteinwirkungen ausgesetzt ist, kann sich nach Maßgabe der in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zum Rücksichtnahmegebot auch der Landwirt berufen, von dessen vorhandenem Betrieb Emissionen ausgehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.2.1977, a.a.O.). § 5 Abs. 1 BauNVO gewährleistet im Dorfgebiet Standortsicherheit dadurch, dass landwirtschaftliche Betriebe ihre Vorrangstellung unabhängig davon, wie sich die Verhältnisse in ihrem Umfeld entwickeln, ungeschmälert genießen können. Dies schließt auch das Recht ein, z. B. eine heranrückende Wohnbebauung abzuwehren, die zu zusätzlichen Anforderungen aus Gründen des Immissionsschutzes führen könnte (st. Rspr., vgl. BVerwG, Urteil vom 14.3.1993, a.a.O.). Hierdurch gehen landwirtschaftliche Betriebe sicher, von der zukünftigen Entwicklung nicht dadurch abgeschnitten zu werden, dass sie sich mit Rücksicht auf etwaige in der Umgebung ausgeübte landwirtschaftsfremde Nutzungen Einschränkungen gefallen lassen müssen, die die betriebliche Entfaltung einengen oder auf Dauer gar in Frage stellen. Vom Schutz nicht mit umfasst sind dagegen Betriebserweiterungen und -umstellungen, die mit erhöhten, der Nachbarschaft nicht zumutbaren Immissionsbelastungen verbunden sind (so grundlegend BVerwG, Urteil vom 14.01.1993, a.a.O.), was hier indes nicht der Fall ist.
Das Interesse der Klägerin am Erhalt der von ihr behaupteten bestandsgeschützten Position gegen heranrückende Bebauung, die nach ihrem Vortrag der von ihr Tomatenanbau Konflikte auslöst, knüpft an das so verstandene Gebot der Rücksichtnahme an.
Allerdings kann das Gericht nicht erkennen, dass durch die Zulassung des Vorhabens der Beigeladenen mit unzumutbaren Beeinträchtigungen insbesondere durch Geräuscheinwirkungen für die Bewohner der geplanten Wohnanlage zu rechnen ist. Das Gericht sieht nicht die Gefahr, dass der Betrieb der Klägerin Einschränkungen unterworfen wird, wenn die Wohnanlage errichtet würde und Lärmemissionen des Betriebs ausgesetzt wäre, die den Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen im Sinne von § 3 Abs. 1 und 2, § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und § 22 Abs. 1 BImSchG erfüllen und die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen.
Die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung gibt ihr auf, eine Lärmschutzwand zum Grundstück der Klägerin zu errichten. Damit ist der Lärmkonflikt aus dem Treibhausbetrieb gelöst.
Die Klägerin kann sich nicht darauf berufen, zur Sicherung künftiger „abstrakter“ Entwicklungsplanungen hätte die Beigeladene auf ihren Betrieb Rücksicht zu nehmen. Zugunsten der Klägerin unterstellt das Gericht, dass die Klägerin beabsichtigt, was allerdings völlig unrealistisch ist, etwa vom Gemüseanbau zu einer lärm- und geruchsintensiven Tierhaltung zu wechseln. Doch (alles nach BVerwG, Urteil vom 14.1.1993, a.a.O. - juris Rn. 25) Aufschluss darüber, ob sich ein Vorhaben in die Eigenart der näheren Umgebung rücksichtsvoll einfügt, vermag allein die tatsächlich vorhandene Bebauung bzw. tatsächlich ausgeübte Nutzung zu geben; denn nur sie eignet sich als Maßstab für die Zulässigkeit neuer Vorhaben. Künftige Entwicklungen können nur insoweit berücksichtigt werden, als sie im vorhandenen baulichen Bestand bereits ihren Niederschlag gefunden haben. Landwirtschaftliche Betriebe nehmen in dieser Hinsicht keine Sonderstellung ein. Auch bei ihnen verbietet es sich, die bloße Möglichkeit künftiger Betriebserweiterungen oder -umstellungen bereits vollzogenen Änderungen gleichzustellen. Andernfalls würde die Anwendung des § 34 Abs. 1 BauGB mit Unsicherheiten belastet, die der Gesetzgeber mit der tatbestandlichen Anknüpfung an das tatsächlich Vorhandene gerade hat ausschließen wollen. Der Nachbar bekäme ein Mittel an die Hand, durch Absichtserklärungen Einfluss auf die Bebaubarkeit von Grundstücken in seiner Umgebung zu nehmen. Die Baugenehmigungsbehörde müsste, um Missbräuchen zu begegnen, der Frage der Ernsthaftigkeit und der konkreten Umsetzbarkeit der geäußerten Absichten nachgehen. Sie käme nicht umhin zu prüfen, in welchem Umfange dem Interesse, einen vorhandenen Betrieb künftig zu erweitern oder umzustellen, Rechnung zu tragen ist, und sich u.a. darüber schlüssig zu werden, ob eine angekündigte Erweiterung oder Umstellung berücksichtigungsfähig schon dann ist, wenn sie betriebswirtschaftlich sinnvoll erscheint, oder Beachtung erst dann verdient, wenn sie, etwa aus Gründen des Erhalts der Konkurrenzfähigkeit, geboten ist. Überlegungen dieser Art sprengen den Beurteilungsrahmen des § 34 Abs. 1 BauGB. Es ist im übrigen keine Seltenheit, dass selbst Vorhaben, die genehmigt worden sind, nicht verwirklicht werden. Bei Vorhaben, die noch nicht einmal zum Gegenstand eines konkreten Genehmigungsverfahrens gemacht worden sind, ist diese Gefahr noch ungleich größer. Ihnen gleichwohl zu Lasten eines Bauinteressenten Rechnung zu tragen, der das Maß an Rücksichtnahme aufbringt, das ihm die vorhandene Bebauung abnötigt, d.h., der den Nachbarn nicht dem Risiko aussetzt, mit immissionsschutzrechtlichen Auflagen überzogen zu werden, die aufgrund der bisherigen baulichen Verhältnisse nicht drohten, liefe darauf hinaus, § 34 Abs. 1 BauGB um prognostische und wertende Elemente anzureichern, die bei der Qualifizierung der Eigenart der näheren Umgebung nichts zu suchen haben. Es handelt sich um Erwägungen mit typisch planerischem Einschlag. Die Baugenehmigungsbehörde hat indes, wenn sie § 34 Abs. 1 BauGB anwendet, keine planerische Entscheidung zu treffen, die Einfluss auf künftige Entwicklungen nimmt oder künftige Ereignisse bereits vorwegnehmend berücksichtigt. Die planungsrechtliche Vorentscheidung hat der Gesetzgeber selbst getroffen. Danach sind unbebaute Grundstücke im Innenbereich tendenziell einer Bebauung zugänglich. Ihre Prägung als Bauland erhalten sie durch die Eigenart der näheren Umgebung. Die vorhandene Umgebungsbebauung bestimmt den Gebietscharakter und gibt als Planersatz auch den Maßstab für den Umfang der hinzukommenden baulichen Nutzung. Soll sich die Zulässigkeit neuer Vorhaben nach einem anderen Maßstab richten, muss die Gemeinde hierfür im Wege der Bauleitplanung die erforderlichen Grundlagen schaffen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1; § 162 Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.