Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 11.11.2019, Az.: 6 A 612/17

Abfall vom Glauben; Apostasie; Apostat; Christ; Christentum; Irak; Islam; Konvertit; Kurdische Autonomieregion; Kurdistan

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
11.11.2019
Aktenzeichen
6 A 612/17
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2019, 69839
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Feindseligkeiten gegenüber Personen, die vom Islam abfal-len und zum Christentum konvertieren, sind im Irak weitver-breitetet.
2. Einem Iraker kurdischer Volkszugehörigkeit kann wegen der Konversion vom Islam zum Christentum auf dem Gebiet der Kurdischen Autonomieregion religiöse Verfolgung drohen, insbesondere durch Angehörige der eigenen Familie oder des eigenen Stammes.

Tenor:

Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 27. Dezember 2016 wird aufgehoben, soweit er dem vorgenannten Verpflichtungsausspruch entgegensteht.

Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand:

Der Kläger, ein irakischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit, begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

Er reiste eigenen Angaben zufolge im April 2015 aus dem Irak aus und im Juli 2015 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er in einer Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge einen Asylantrag stellte. Ausweislich eines Vermerks des Bundesamts vom 2. September 2015 gab der Kläger, dessen irakischer Personalausweis ihn als Muslim auswies, bereits bei der Aktenanlage an, dass er im Irak zum christlichen Glauben konvertiert sei. Überdies bat er die zuständige Sachbearbeiterin erfolglos darum, ihn in den Akten des Bundesamts als Christ zu führen.

Zu seinen persönlichen Verhältnissen erklärte er im Rahmen seiner späteren Anhörung im Dezember 2015 beim Bundesamt, er stamme aus der Stadt Sulaimaniyya in der gleichnamigen Provinz in der Kurdischen Autonomieregion. Sein Vater sei bereits verstorben, seine Mutter lebe noch in Sulaimaniyya. Im Irak halte sich außerdem noch sein Bruder auf, der bei seiner Mutter lebe, ferner seine Schwester. Zu seinem Werdegang erklärte der Kläger, er habe die Grund- und Mittelschule sowie das Gymnasium besucht, letzteres jedoch ohne Abschluss. Seit Dezember 2004 habe er als Journalist sowie als Kameramann bei verschiedenen Sendern gearbeitet; bis zu seiner Ausreise sei er auch Mitglied des Journalistenverbandes in Kurdistan gewesen. Berichtet habe er u.a. über die Ereignisse in den Städten Kirkuk und Shingal.

Zu den Gründen seiner Ausreise erklärte der Kläger, er habe den Irak verlassen, weil sein strenggläubiger Onkel ihn wegen seines Wechsels zum christlichen Glauben mit dem Tode bedroht habe. Sein im Jahr 2011 verstorbener Vater, zu Lebzeiten Verwaltungsdirektor eines Krankenhauses und eine bekannte Persönlichkeit in Sulaimaniyya, sei nie religiös gewesen. Nach seinem Tod habe sein jüngerer Bruder, d.h. der Onkel des Klägers, die Rolle des Familienoberhaupts übernommen. Er selbst, so der Kläger, habe im Jahr 2013 begonnen, sich für das Christentum zu interessieren. Hintergrund sei gewesen, dass er im Rahmen seiner Tätigkeit als Journalist mit zwei christlichen Freunden eine Kirche besucht habe; hierbei habe er über geflüchtete Menschen berichtet, die in der Kirche Unterkunft gefunden hätten. Ansonsten habe er sich nicht getraut, als (ehemaliger) Muslim in die Kirche zu gehen. Menschen, die in Kurdistan zum Christentum konvertierten, könnten dies nicht öffentlich zeigen.

Weiter führte der Kläger aus, bereits mit seiner Geburt sei über ihn bestimmt worden, dass er Muslim sei. Der Islam sei ein Fremdkörper für ihn gewesen, wie ein Windows-Programm, das jemand auf einem Mac-Computer installiere. Er habe nie die Moschee besucht, nie gefastet und nie gebetet. Oft habe er seine berufliche Tätigkeit als Journalist als Vorwand dafür genutzt, um nicht in die Moschee gehen zu müssen. Nach dem Tod seines Vaters habe sein Onkel versucht, ihn dazu zwingen, religiöse Rituale zu verrichten. Er habe sich diesem Ansinnen jedoch verweigert, weshalb ihn sein Onkel oft massiv beschimpft und auch angespuckt habe. In den Augen seines Onkels sei er als Mensch wertlos gewesen.

Anhand der Berichterstattung in den Medien, so der Kläger, habe er zudem für sich erkannt, dass der Islam eine gewalttätige Religion sei, welche die Abkehr vom Glauben mit dem Tod bestrafe, wohingegen es im Christentum keine radikalen Menschen gebe. Als er noch Journalist gewesen sei, habe er auch Berichte über Gewalt in Religionen geschrieben und deshalb oftmals über soziale Netzwerke Drohungen aus Erbil oder Dohuk bekommen. Der Islam kenne keine Toleranz und lasse auch keine Diskussionen zu; zudem verpflichte er Frauen zum Tragen des Kopftuches sowie dazu, Kinder ab dem Alter von sieben Jahren mit in die Moschee zu nehmen, obwohl sie noch nichts von Religion verstünden. In islamischen Ländern herrsche nur Gewalt. Im Christentum gebe es hingegen Toleranz, Freiwilligkeit und Entwicklung. Die guten Taten der christlichen Menschen in seinem Umfeld hätten ihn dazu bewogen, diesen Glauben anzunehmen. Für andere Religionen habe er sich nie interessiert. In Buchhandlungen in Kurdistan habe er oft nach Büchern über das Christentum geschaut, aber keine gefunden. Er habe nicht den Mut gefunden, Verkäufer hiernach zu fragen, aus Angst, beschimpft zu werden. Ab und zu habe er christliche Filme schauen können. Jetzt sei er Christ und wolle sich nicht mehr als Muslim bezeichnen.

Unaufgefordert teilte der Kläger dem Anhörenden außerdem mit, es habe ihn sehr traurig gemacht, dass das Bundesamt bei der Aktenanlage im September 2015 trotz seines ausdrücklichen vorherigen Hinweises auf seine neue Religion festgehalten habe, dass er Muslim sei. Bereits im Aufnahmelager in Friedland habe er die Kirche besucht, sich jedoch nicht getraut, sich zu „outen“, da er Angst vor den Muslimen im Lager gehabt habe. Nun fahre er regelmäßig nach E., um dort in die Kirche zu gehen, in der er mittlerweile auch getauft worden sei. Sein Cousin, der seit vielen Jahren in Deutschland lebe und ebenso wie seine Frau und seine Kinder Christ sei, habe ihn an diesem Tag begleitet. Er gehe jeden Sonntag in die Kirche, auch wenn er die Sprache noch nicht so gut verstehe. Zusätzlich besuche er einen Sprachkurs, um die Bibel lesen zu können.

Ausschlaggebend für seine Ausreise aus dem Irak, so der Kläger, sei ein Anruf seines Onkels gewesen. Sein Onkel sei an diesem Tag sehr streng mit ihm gewesen, obwohl er mit ihm zuvor nie über das Christentum gesprochen, sondern „das alles nur in sich getragen habe“. Sein Onkel habe ihn am Telefon vorgehalten, dass er ungläubig geworden sei. Dann habe er gesagt, dass er ihn töten würde. Warum sein Onkel ihn gerade an diesem Tag angerufen und all die Sachen gesagt habe, wisse er nicht. Nach Beendigung des Gesprächs habe er mit seiner Mutter telefoniert, aber sie habe nur geweint. Er habe ihr gesagt, dass er in die Türkei reisen wolle und sie es niemandem sagen solle. Wenn sein Onkel nicht gewesen wäre, so der Kläger, hätte er sein Zuhause nicht verlassen. Sein Onkel habe ihn dazu gezwungen, seine Mutter, seinen Bruder und seine Schwester zurückzulassen, obwohl er ein gutes Leben gehabt und der Älteste seiner Geschwister gewesen sei. Er habe sein Auto verkauft und sei die letzten drei Nächte vor seiner Ausreise nicht mehr zuhause gewesen. Dann sei er mit dem Flugzeug von Sulaimaniyya aus in die Türkei geflogen.

Im Falle einer Rückkehr in den Irak, so der Kläger abschließend, befürchte er, von seinem Onkel getötet zu werden. Sein Onkel würde ihn auch in anderen Gebieten der Autonomieregion finden, und seine gesamte Familie würde sich gegen ihn stellen.

Mit Bescheid vom 27. Dezember 2016, dem Kläger zugestellt am 3. Januar 2017, lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1) sowie auf Anerkennung als Asylberechtigter ab (Nr. 2) und erkannte dem Kläger auch den subsidiären Schutzstatus nicht zu (Nr. 3). Zudem stellte es fest, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen (Nr. 4) und drohte die Abschiebung des Klägers in den Irak an (Nr. 4). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) befristete es auf dreißig Monate ab dem Tag der Abschiebung (Nr. 5). Zur Begründung führte der mit dem Anhörenden nicht personenidentische Entscheider im Wesentlichen aus, der Kläger habe eine Konversion zum Christentum nicht glaubhaft gemacht. Gegen die Ernsthaftigkeit seines Glaubenswechsels spreche insbesondere, dass er bei der Aktenanlage beim Bundesamt im September 2015 noch angegeben habe, Muslim zu sein. Außerdem bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass er nicht in der Lage wäre, seinen Glauben auf dem Gebiet der Kurdischen Autonomieregion auszuleben. Die Bedrohungen durch seinen Onkel würden nicht die nötige Intensität erreichen, um Flüchtlingsschutz begründen zu können.

Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 12. Januar 2017 Klage erhoben. Zur Begründung wiederholt und vertieft er sein bisheriges Vorbringen. Er sei gläubiger Christ und nehme regelmäßig an den Gottesdiensten der Gemeinde F. teil. Im Falle seiner Rückkehr in den Irak drohe ihm Verfolgung durch Angehörige seiner strenggläubigen sunnitischen Familie, was sich auch daran zeige, dass er über soziale Netzwerke zahlreiche Drohungen und Beschimpfungen von (entfernten) Verwandten und sonstigen Dritten erhalten habe.

Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 16. September 2019 auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen. Dieser hat dem Kläger mit Beschluss vom 23. September 2019 Prozesskostenhilfe bewilligt.

Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung am 11. November 2019 Beweis erhoben durch Vernehmung des Pastors C. als Zeugen.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 27. Dezember 2016 zu verpflichten,

1. dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,

2. hilfsweise, ihm den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen,

3. hilfsweise, festzustellen, dass in seiner Person Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.

Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage, über die der Berichterstatter gemäß § 76 Abs. 1 Asylgesetz (AsylG) anstelle der Kammer als Einzelrichter entscheidet, hat Erfolg. Sie ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Der Einzelrichter ist dabei nicht daran gehindert, auf Basis der mündlichen Verhandlung vom 11. November 2019 über die Klage zu entscheiden, obgleich kein Vertreter der Beklagten erschienen ist. Das Gericht hat die Beteiligten nämlich mit der Ladung darauf hingewiesen, dass auch in ihrer Abwesenheit mündlich verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Der Bescheid des Bundesamtes vom 27. Dezember 2016, mit dem dieses Begehren abgelehnt worden ist, verletzt den Kläger in seinen Rechten und ist aufzuheben, soweit er dem vorgenannten Anspruch entgegensteht (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO).

1. Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, grundsätzlich die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. § 3 Abs. 1 AsylG bestimmt dazu, dass ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560) ist, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Diese Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sind in der Person des Klägers erfüllt.

Eine „begründete Furcht“ vor Verfolgung liegt vor, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich drohen, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit (BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 – 10 C 23.12, BVerwGE 146, 67, Rn. 19). Der danach maßgebliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände die dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Entscheidend ist, ob aus Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Schutzsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in das Herkunftsland als unzumutbar erscheint. Zu begutachten ist hierbei die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe bei einer hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr des Schutzsuchenden in seinen Heimatstaat (BVerwG, Urteil vom 06.03.1990 – 9 C 14.89, juris). Dabei entspricht die zunächst zum nationalen Recht entwickelte Rechtsdogmatik zur Frage der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ auch dem neueren europäischen Recht (BVerwG, Urteil vom 01.06.2011 – 10 C 25.10, BVerwGE 140, 22; Nds. OVG, Urteil vom 27.06.2017 – 2 LB 91/17, BeckRS 2017, 118678, Rn. 29).

Auf Basis dieses rechtlichen Maßstabs sowie der aus dem Inbegriff der mündlichen Verhandlung gewonnenen Erkenntnisse ist das Gericht im vorliegenden Fall zu der Überzeugung gelangt, dass dem Kläger im Falle seiner Rückkehr in den Irak aus individuellen, an seine Person anknüpfenden Gründen Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG droht, d.h. wegen seiner Religion. Die für die Verfolgung des Klägers sprechenden Umstände haben bei einer zusammenfassenden Bewertung größeres Gewicht als die dagegensprechenden Umstände.

Nach § 3b Abs. 1 Nr. 2 AsylG umfasst der Begriff der Religion insbesondere theistische Glaubensüberzeugungen sowie Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner, die sich auf eine entsprechende Überzeugung stützen. Damit sich ein Ausländer erfolgreich auf eine Verfolgungsgefährdung wegen einer Glaubenskonversion berufen kann, muss für das Gericht feststellbar sein, dass die (neue) religiöse Weltanschauung die religiöse Identität des Schutzsuchenden prägt, weil der Glaubenswechsel auf einer festen Überzeugung und einem ernst gemeinten religiösen Einstellungswandel beruht (VG Saarland, Urteil vom 12.03.2019 – 6 K 766/18, juris Rn. 25 f.; VG Hannover, Urteil vom 29.10.2018 – 6 A 5521/17, juris Rn. 23; VG Aachen, Urteil vom 28.05 2018 – 4 K 971/17.A, juris Rn. 40 f.; vgl. hierzu auch OVG NRW, Beschluss vom 27.04.2016 - 13 A 854/16.A, juris Rn. 8). Bei der Prüfung der inneren Tatsache, ob eine Person eine ausgeübte oder unterdrückte religiöse Betätigung für sich selbst als verpflichtend zur Wahrung ihrer Identität empfindet, ist zudem das Regelbeweismaß der vollen Überzeugung des Gerichts anzulegen; eine hinreichend substantiierte Darlegung, die einer Plausibilitätsprüfung genügt, ist nicht ausreichend (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25.08.2015 – 1 B 40/15; Urteil vom 20.02.2013 – 10 C 23/12, juris Rn. 30).

Als Verfolgungen im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten gemäß § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen (Nr. 1), oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen bestehen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Gemäß § 3a Abs. 3 AsylG muss des Weiteren zwischen den in § 3 Abs.1 Nr. 1, § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den in § 3a Abs. 1, Abs. 2 AsylG als Verfolgung eingestuften Handlungen (oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen) eine kausale Verknüpfung bestehen. Auf eine etwaige subjektive Motivation des Verfolgers kommt es dabei nicht entscheidend an (Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Auflage 2018, § 3a AsylG, Rn. 7). Maßgebend ist vielmehr die objektive Zielrichtung, die der Maßnahme unter den jeweiligen Umständen ihrem Charakter nach zukommt (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.1.2009 – 10 C 52.07, BVerwGE 133, 55, Rnr. 22, 24, Marx, AsylG, 2017, § 3a Rnr. 50 ff.; Nds. OVG, Urteil vom 27.06.2017 – 2 LB 91/17, BeckRS 2017, 118678). Für eine erkennbare objektive Zielrichtung der Maßnahme genügt es, wenn ein Verfolgungsgrund nach § 3b AsylG einen wesentlichen Faktor für die Verfolgungshandlung darstellt (Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Auflage 2018, § 3a AsylG, Rn. 7). Als Verfolgungen im Sinne des § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG gelten dabei gemäß § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen (Nr. 1), oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen bestehen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2).

Diesen rechtlichen Maßstab vorangeschickt, liegen im Falle des Klägers die Voraussetzungen einer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden religiösen Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 AsylG vor.

Es steht zur Überzeugung des Einzelrichters fest, dass der Kläger zum christlichen Glauben konvertiert ist, wobei dieser Glaubenswechsel auf einer festen Überzeugung und einem ernst gemeinten religiösen Einstellungswandel beruht. Diesbezüglich wird im Einzelnen auf die ausführliche Sitzungsniederschrift verwiesen. So hat der Kläger, der von seinem Pastor in die mündliche Verhandlung begleitet wurde, nicht nur sein fortdauerndes Engagement in seiner Kirchengemeinde nachgewiesen. Er hat vielmehr auch in prägnanter und überzeugender Form dargetan, aufgrund der langjährigen Konfrontation mit den im streng islamisch geprägten Irak bestehenden gesellschaftlichen Problemen ein immer stärkeres Interesse am christlichen Glauben entwickelt zu haben, auch aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit als Journalist sowie in Anbetracht der zahllosen Konflikte mit seinem streng religiösen, aber wenig gebildeten Onkel. Insbesondere durch seine enge Einbindung in die F. habe er nunmehr eine enge persönliche Gottesbindung entwickelt mit dem dauerhaften, ernsthaften Bedürfnis, ein zentral christlich geprägtes Leben zu führen. Auch bei der Erörterung verschiedener Gleichnisse und Themen der biblischen Verkündung wurde für den Einzelrichter deutlich, dass der Kläger eine über formalhafte Wendungen hinausgehende tiefe persönliche Beziehung zum christlichen Glauben entwickelt hat und nicht mehr bereit ist, auf dieses zentrale Element seines Lebens zu verzichten. Er sehe sich als stolzen Christen und wolle dies auch nach außen kundtun.

Der als Zeuge vernommene Pastor der F., welche als Gemeinde hohe Anforderungen an Taufinteressenten stellt und in einem mehrstufigen Verfahren von Glaubenskursen und Einzelgesprächen die Ernsthaftigkeit des Konversionsinteresses ergründet, hat überdies in der mündlichen Verhandlung glaubhaft geschildert, dass ihm gerade der Kläger bei der ersten Begegnung als lebhaft und aufrichtig am christlichen Glauben interessierter Mensch in Erinnerung geblieben sei. Im Gegensatz zu anderen Interessenten, die an die F. mit einem Taufwunsch heranträten, habe sich der Kläger als bereits getaufter Christ an die Gemeinde gewandt und seit drei Jahren kontinuierlich an den Gottesdiensten und den sonstigen Gemeindeaktivitäten teilgenommen. Dieses sei auch deshalb beachtlich, weil die Gottesdienste auf Deutsch und Arabisch abgehalten würden, so dass der Kläger auf Kurdisch sprechende Übersetzer aus der Gemeinde angewiesen sei. Diesbezüglich habe sich der Kläger ein enges Netzwerk aus Arabisch und Kurdisch sprechenden Freunden aus der Gemeinde aufgebaut, mit denen er auch Kontakt gehalten habe, als er aus beruflichen Gründen für einen Zeitraum von ca. acht Monate in eine andere Stadt habe gehen müssen. In ca. zehn Einzelgesprächen habe er dem Kläger biblische Themen und Gleichnisse erörtert, wobei ihn insbesondere sein Wissbegehren und seine weiterreichenden Nachfragen zur christlichen Symbolik und Lehre beeindruckt hätten. Auch gegenwärtig, so die glaubhafte Angabe des Zeugen, bringe sich der Kläger in die alltägliche Gemeindearbeit mit Hilfsbereitschaft ein.

Aufgrund dieser Konversion zum Christentum sowie seinem als innerlich verpflichtend erlebtem Wunsch, diesen Glauben im Alltag auch zu leben, droht dem Kläger im Fall seiner Rückkehr in die Kurdische Autonomieregion mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit religiöse Verfolgung durch Angehörige seiner Familie oder seines Stammes, d.h. gewaltsame Übergriffe im Sinne des § 3a Abs. 2 Nr. 1 AsylG (zur Verfolgungsgefahr von Personen, die im Irak vom muslimischen Glauben zum Christentum konvertieren, siehe: VG Dresden, Urteil vom 24.04.2019 – 13 K 3084/17.A, juris S. 8 ff.; für Kurdistan: VG Hannover, Urteil vom 12.02.2019 – 6 A 6690/16, S. 7 ff.; für den Zentralirak: VG Hannover, Urteil vom 27.02.2019 – 6 A 2216/17, juris S. 7 ff.; Urteil vom 25.06.2018 – 6 A 6610/17, juris Rn. 66 ff.; a.A. für Kurdistan: VG Magdeburg, Urteil vom 04.06.2019 – 4 A 591/17, juris Rn. 24 ff.; VG Leipzig, Urteil vom 03.12.2018 – 6 K 2171/16.A, juris Rn. 48 ff.).

Nach irakischem Recht besteht dabei keine ausdrückliche Strafandrohung für Menschen, die vom islamischen Glauben abfallen. Die Verfassung erklärt einerseits den Islam als die offizielle Religion und legt fest, dass kein Gesetz beschlossen werden darf, das den „bestehenden Vorschriften des Islam“ widerspricht, andererseits gewährt sie das Recht auf Religionsfreiheit für Muslime, Christen, Jesiden, und Saebäer/Mandäer (Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH), Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 20. Mai 2016 zu Irak: Gesetzliche Lage für die Abkehr vom Islam in der Autonomen Region Kurdistan, Schutzwille der Behörden, S. 1).

Das norwegische Herkunftsländerinformationszentrum Landinfo schreibt allerdings in einer Anfragebeantwortung zu Apostasie und Atheismus im Irak aus August 2018, es bestehe ein gesetzlicher Widerspruch zwischen den garantierten Rechten einerseits und dem Islam als Rahmen für die Gesetzgebung andererseits, der bei der Anwendung des Gesetzes Spielraum für unterschiedliche Auslegungen ermögliche. Auf der einen Seite sei es erlaubt, seinen Glauben frei zu wählen. Da andererseits Apostasie als unvereinbar mit dem islamischen Gesetz gelte, könne dies theoretisch eine Strafverfolgung nach sich ziehen. Apostasie und Konversion vom Islam zu einer anderen Religion würden daher als illegal und aus Sicht der islamischen Gesetze als strafbar eingestuft, sie seien jedoch nicht als Straftatbestände im Strafgesetzbuch angeführt. Hiermit korrespondierend sei der rechtliche Status von Apostaten und Konvertiten im Irak derzeit unklar. Gleichzeitig könnten die Richter das Gesetz frei nach religiösen Regeln interpretieren und in Ermangelung spezialgesetzlicher Regelungen auf islamische Regelungen zurückgreifen, da der Islam die Hauptquelle der Gesetzgebung sei (Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (ACCORD), Anfragebeantwortung zum Irak: Rechtliche Folgen bei Konversion eines Sunniten zu christlicher Gemeinschaft […] [a-11036], 26. Juli 2019).

Ein vom Islam abkehrender Religionswechsel wird überdies rechtlich nicht anerkannt. Das Zivilgesetz sieht einen einfachen Prozess für die Konversion eines Nicht-Muslims zum Islam vor. Die Konversion eines Muslims zu einer anderen Religion ist jedoch gesetzlich verboten (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Irak, Gesamtaktualisierung am 20.11.2018, letzte Kurzinformation eingefügt am 9.4.2019, S. 59; Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH), Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 20. Mai 2016 zu Irak: Gesetzliche Lage für die Abkehr vom Islam in der Autonomen Region Kurdistan, Schutzwille der Behörden, S. 1). Einem Artikel der irakischen Nachrichtenwebsite Hathalyoum aus Februar 2017 zufolge gab ein Richter im Bereich Personenstandsrecht an, die Gerichte wiesen Anträge auf Änderung der muslimischen Religionszugehörigkeit zu einer anderen Religion mit der Begründung zurück, dies sei rechtlich nicht zulässig und der Antragsteller sei ein Abtrünniger (Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (AC-CORD), Anfragebeantwortung zum Irak: Rechtliche Folgen bei Konversion eines Sunniten zu christlicher Gemeinschaft […] [a-11036], 26. Juli 2019). Mit Verabschiedung eines Gesetzes zum neuen Personalausweis im November 2015 nahm das irakische Parlament (abermals) einen religiöse Minderheiten diskriminierenden Passus auf. Artikel 26 des Gesetzes besagt, dass Kinder eines zum Islam konvertierenden Elternteils automatisch auch als zum Islam konvertiert geführt werden. Es wird berichtet, dass das Gesetz faktisch zu Zwangskonvertierungen führt, indem Kinder mit nur einem muslimischen Elternteil (selbst Kinder, die infolge von Vergewaltigung geboren wurden) als Muslime anzuführen sind. Christliche Konvertiten berichten überdies, dass sie dem Zwang unterliegen, ihr Kind als Muslim zu registrieren oder das Kind undokumentiert zu lassen, was die Berechtigung auf staatliche Leistungen beeinträchtigt (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Irak, Gesamtaktualisierung am 20.11.2018, letzte Kurzinformation eingefügt am 9.4.2019, S. 60). Auch wenn dies für sich betrachtet (wohl) noch nicht die Intensität einer Diskriminierung im Sinne des § 3a Abs. 2 Nr. 2 AsylG errreicht, verdeutlicht sich anhand dieser Quellen, dass die irakische Gesellschaft vom islamischen Glauben Abgefallenen, insbesondere Konvertiten zum Christentum, mit Vorbehalten begegnet, diesen Schritt nicht offiziell anerkennen möchte und die Betroffenen im Lebensalltag benachteiligt (hierzu auch: ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: Rechtliche Folgen bei Konversion eines Sunniten zu christlicher Gemeinschaft […] [a-11036], 26. Juli 2019).

Mit dieser Feststellung korrespondierend sind Feindseligkeiten gegenüber Konvertiten oder Atheisten im Irak ausweislich der dem Gericht vorliegenden Erkenntnismittel weit verbreitet (bzgl. Atheisten im Zentralirak siehe: VG Hannover, Urteil vom 26.02.2018 – 6 A 5109/16, juris Rn. 48 ff.; Urteil vom 29.10.2018 – 6 A 5521/17, juris Rn. 27 ff.; bezüglich Kurdistan: VG Hannover, Urteil vom 25.06.2018 – 6 A 3984/17, juris Rn. 31 ff.; Urteil vom 13.02.2019 – 6 A 1763/17, juris S. 8 ff.; a.A. etwa: VG Berlin, Urteil vom 16.04.2019 – 25 K 234.17 A, juris Rn. 25 ff.). Gefahren gehen zum Teil durch Mitarbeiter staatlicher Behörden aus, vor allem aber durch private Dritte, insbesondere religiöse Milizen, welche die im Irak bestehenden Strafgesetze zu Lasten von Atheisten oder Konvertiten auslegen (ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: Bagdad: Berichte über Verfolgungshandlungen gegen Atheisten und gegen Personen, die sich in der Öffentlichkeit islamkritisch zeigen [a-10329-1], 18. September 2017, S. 5 der Druckversion).

Iraks Muslime sind, wie dargestellt, nach wie vor der Scharia untergeordnet, d.h. dem islamischen Recht, welches Apostasie bzw. den Abfall vom islamischen Glauben verbietet. Menschen, die den islamischen Glauben ablegen wollen, sind auf dieser Basis oft ernsthafter Verfolgung durch die Gesellschaft ausgesetzt, oftmals durch Familienangehörige oder Bekannte, die bis hin zu tödlicher Gewalt reichen kann (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Irak, Gesamtaktualisierung am 24.08.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 23.11.2017, S. 126; ACCORD), Anfragebeantwortung zum Irak: Rechtliche Folgen bei Konversion eines Sunniten zu christlicher Gemeinschaft […] [a-11036], 26. Juli 2019).

Nach Erkenntnissen des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) und der christlichen Hilfsorganisation Open Doors führt eine öffentliche Konversion zum Christentum im Irak wahrscheinlich zu Ausgrenzung und/oder Gewalt durch die Gemeinschaft, die Familie des Betroffenen oder seinen Stamm (zum Stammesbegriff: VG Hannover, Urteil vom 11.06.2018 – 6 A 7435/16, juris Rn. 43; Jabar, Der Stamm im Staat, 18. Juli 2003, S. 11), ferner durch islamistische bewaffnete Gruppen. Konvertiten würden ihre Konversion in Anbetracht der ihnen gegenüber weit verbreiteten Feindseligkeit geheim halten, zumal Familien und Stämme die Konversion eines ihrer Mitglieder wahrscheinlich als Verletzung ihrer kollektiven „Ehre“ ansähen. Sie würden riskieren, ihre Erbschaftsrechte zu verlieren sowie das Recht auf und die Mittel für eine Eheschließung. Es wird weitergehend angeführt, dass im September 2018 ein Konvertit zum Christentum von seinem Schwiegervater getötet worden sei, nachdem dieser von seiner Konversion Kenntnis erlangt habe (ACCORD), Anfragebeantwortung zum Irak: Rechtliche Folgen bei Konversion eines Sunniten zu christlicher Gemeinschaft […] [a-11036], 26. Juli 2019).

Nach einer Auskunft des EASO aus Juli 2017 geht man im Irak davon aus, dass eine Person in eine Religion hineingeboren werde und diese bis zu seinem Tod behalte. Nicht nur im Islam, sondern auch in anderen Religionsgemeinschaften im Irak werde der Abfall vom Glauben nicht nur als Beleidigung empfunden, sondern auch als unnatürlich angesehen (ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: Rechtliche Folgen bei Konversion eines Sunniten zu christlicher Gemeinschaft […] [a-11036], 26. Juli 2019). Im Islam ist dieses dem Umstand geschuldet, dass es keine Trennung zwischen Staats- und Glaubensgemeinschaft gibt. Der Muslim ist hiernach qua definitionem nicht nur Mitglied der Gemeinschaft der Gläubigen, sondern als solcher auch Mitglied der dieser Gemeinschaft entsprechenden „Staatsbevölkerung“, welche in dem von ihr dominierten Gebiet zugleich die Staatsgewalt innehat. Dies folgt aus den geschichtlichen Anfängen des Islams, in denen mit der Ausbreitung der Religion automatisch auch die territorial-staatspolitische Ausbreitung einherging. Seinem Wesen und seiner geschichtlichen Herkunft nach ist der strafbare Abfall vom Islam daher gleichbedeutend mit politischem Hochverrat (ausführlich zu diesem Begriffsverständnis: German Institute of Global and Area Studies (GIGA), Institut für Nahost-Studien, Stellungnahme vom 2. April 2007 an das Verwaltungsgericht Aachen im Verfahren 4 K 605/05.A, S. 1 ff.). Je nachdem, wer für sich in Anspruch nimmt, das Recht der Scharia auf einen Konvertiten anzuwenden, etwa religiöse Fundamentalisten, kann dabei bereits der „reine Religionsabfall“ ausreichen, um gewaltsame Übergriffe nach sich zu ziehen. Nach weitverbreiteter Auffassung zu ahndende Tabubrüche sind jedenfalls Handlungen, welche eine Stoßrichtung gegen die Gemeinschaft der Gläubigen des Islam entfalten und diese verkleinern. Dies betrifft insbesondere vom Islam abgefallene Personen, die missionarische Tätigkeiten entfalten oder solche, die sich aus religiös motivierten Gründen gegen die Glaubens-/Staatsgemeinschaft wenden (GIGA, a.a.O., S. 4-6).

Die dargestellten Risiken betreffen ausweislich der dem Gericht vorliegenden Erkenntnismittel auch Personen, die auf dem Gebiet der Kurdischen Autonomieregion vom Islam abfallen und sich dem Christentum zuwenden oder sich islamkritisch äußern. So beschreibt beispielsweise das US Department of State (USDOS) in seinem Bericht zur Religionsfreiheit vom Juni 2019 (Berichtszeitraum 2018), dass es in der Autonomen Region Kurdistan etwa 2.000 registrierte Mitglieder evangelikaler Kirchen gebe, während eine unbekannte Anzahl, zumeist vom Islam zum Christentum Konvertierte, ihre Religion im Geheimen ausüben würden (ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: Rechtliche Folgen bei Konversion eines Sunniten zu christlicher Gemeinschaft […] [a-11036], 26. Juli 2019).

Der Umstand, dass die Kurdische Autonomieregierung die Rechte religiöser Minderheiten generell besser schützt als die Zentralregierung des Irak und es keine Hinweise auf eine flächendeckende staatliche Diskriminierung von Christen gibt, führt nach Auffassung des Einzelrichters zu keinem anderen Ergebnis (a.A.: VG Magdeburg, Urteil vom 04.06.2019 – 4 A 591/17, juris Rn. 25 f.; vgl. auch: BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Irak, Gesamtaktualisierung am 20.11.2018, letzte Kurzinformation eingefügt am 09.04.2019, S. 70). Zum einen berichten Yeziden sowie christliche Führer in Einzelfällen von Belästigungen und Misshandlungen durch kurdische Sicherheitskräfte (BFA, a.a.O., S. 61). Ebenso existieren Berichte über die Diskriminierung von Minderheiten (Turkmenen, Arabern, Jesiden, Shabak und Christen) durch Behörden der Kurdischen Autonomieregierung in den sogenannten umstrittenen Gebieten (BFA, a.a.O., S. 64), also denjenigen Arealen der Provinzen Ninawa, Kirkuk, Salah ad Din und Diyala, die formal außerhalb des kurdischen Hoheitsgebiets liegen, bezüglich derer die Kurdische Autonomieregierung jedoch de facto in Teilen die Verwaltungshoheit beansprucht (vgl. Europäisches Zentrum für Kurdische Studien, Gutachten in der Verwaltungsstreitsache M 4 K 08.50049, 25. Juli 2008, S. 2 ff.). Zum anderen ist entscheidend in Ansatz zu bringen, dass sich die dargelegte (positive) Erkenntnismittellage auf Personen bezieht, die kraft Geburt zum Christentum gehören. In Anbetracht der dargestellten außerordentlich negativen Konnotation eines Abfalls vom Islam besteht hierin ein entscheidender Unterschied zur Lage derjenigen Personen, die vom Islam zum Christentum konvertieren.

Ungeachtet der im Vergleich zum Zentralirak weitergehenden säkularen Ausrichtung der Kurdischen Autonomieregion ist deren Gesellschaft nach wie vor sehr konservativ und erwartet, dass islamische Normen von allen respektiert werden. Ein Vertreter des Kurdistan Secular Center, einer Einrichtung, welche die Trennung von Staat und Religion propagiert, hob diesbezüglich in einem Telefoninterview im August 2016 hervor, die generelle öffentliche Haltung sei, dass man sich nicht gegen Religionen aussprechen dürfe (Immigration and Refugee Board (IRB) of Canada, Iraq: Information on the treatment of atheists and apostates by society and authorities in Erbil; state protection available (2013-September 2016), S. 1-3; Humanistischer Pressedienst (HPD), Artikel vom 19. Januar 2017, „Wagnis Atheismus im Irak“; VG Hannover, Urteil vom 29.10.2018 – 6 A 5521/17, juris Rn. 34 ff.).

Diese Erkenntnisse zum Risiko von zum Christentum konvertierenden Muslimen, Opfer gewaltsamer Übergriffe durch Stammesangehörige oder sonstige Dritte zu werden, finden ihre Entsprechung im vorliegenden Fall. Die diesbezügliche Aussage des Klägers in der mündlichen Verhandlung enthielt hinreichende Realkennzeichen, welche nach den Grundsätzen der psychologischen Aussageanalyse für die Wiedergabe eines real erlebten Geschehens sprechen. Er schilderte das Geschehen insbesondere im Kerngeschehen logisch konsistent, mit einem erheblichen quantitativen Detailreichtum nebst Nennung ungewöhnlicher Details und Komplikationen im Handlungsverlauf, im Zuge einer unstrukturierten Erzählweise nebst spontaner Ergänzungen sowie unter Angabe räumlich-zeitlicher Verknüpfungen nebst Schilderung unverstandener Handlungselemente sowie der Motivations- und Gefühlslage der Beteiligten.

Der Kläger hat hiernach insbesondere glaubhaft dargetan, wie er den Entschluss zur Ausreise gefasst habe, nachdem ihn sein Onkel väterlicherseits völlig außer sich auf der Arbeit angerufen und ihm vorgeworfen habe: „Du bist Kafir geworden! Du bist zum Christentum konvertiert! Du bist Ungläubiger! Ich werde dich töten!“ Er, d.h. der Kläger, habe überhaupt keine Zeit oder Gelegenheit gehabt, sich zu verteidigen, weil sein Onkel nur geschrien habe. Dann habe letzterer einfach aufgelegt. Aus Angst um sein Leben sei er nicht mehr nach Hause zurückgekehrt, sondern habe seine Mutter angerufen. Diese habe ihm erzählt, dass sein Onkel bereits bei ihr angerufen und nach seinem gegenwärtigen Aufenthaltsort gefragt habe, wobei er schlimme Schimpfworte verwendete. Seine Mutter sei traurig gewesen, weil sein Onkel ihr große Angst gemacht habe. Er, d.h. der Kläger, habe seiner Mutter deshalb gesagt, sie solle sich keine Sorgen machen, er werde das klären. Er habe sich damals noch nicht getraut, ihr alles zu erzählen, weil sie alt sei und Diabetes habe. Er habe ihr gesagt, dass er für zwei oder drei Tage nicht nach Hause kommen werde; dann sei er bei Freunden unterkommen.

Vor der Ausreise, so der Kläger, habe er seine Mutter nochmals angerufen und ihr gesagt, dass er in die Türkei reisen werde. Falls sein Handy ausgeschaltet sei, solle sie sich keine Sorgen machen; er werde sich melden. Er habe ihr dabei auch Bescheid gegeben, was das Problem mit seinem Onkel sei. Seine Mutter habe aber trotz allem zu ihm gehalten. Nachdem er nach Deutschland gereist und in E. nochmals bzw. offiziell zum Christentum konvertiert sei, habe er in seiner anfänglichen Euphorie seinen Status auf Facebook zudem auf „Christ“ geändert. Sein Facebook-Profil sei offen; dadurch hätten viele seiner Verwandten und auch Dritte diese Statusänderung sehen können. Er habe auch auf Facebook außerdem christliche Seiten „gelikt“ und kritisch über islamische Themen wie Gewalt in der religiösen Erziehung geschrieben. Deshalb hätten ihn Fremde und andere Verwandte scharf kritisiert und auch bedroht; mittlerweile habe ihn seine Familie verstoßen. Nur noch seine Mutter halte zu ihm. Zu ihr habe er in unregelmäßigen Abständen telefonischen Kontakt, wobei sie jedoch nur über alltägliche Dinge sprächen und das Thema der Konversion bewusst mieden. Diese Aussagen wertet der Einzelrichter nicht zuletzt deshalb als glaubhaft, weil der Kläger in der mündlichen Verhandlung mehrere Ausdrucke von Nachrichten in sozialen Netzwerken vorgelegt hat, in denen ihn entfernte Verwandte, darunter ein Cousin, sowie ihm unbekannte Dritte massiv bedrohten.

Die dem Kläger hiernach drohende Verfolgung ist auch flüchtlingsrechtlich beachtlich im Sinne des § 3c AsylG. Nach Nummer 3 der Norm kann die Verfolgung auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern der Staat oder die in Nummer 2 der Norm genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt, wie sich aus den dem Gericht vorliegenden Erkenntnisquellen zum Zugang zu effektiven Rechtsschutz in der kurdischen Autonomieregion ergibt (VG Hannover, Urteil vom 30.09.2019 – 6 A 5939/16, juris Rn. 33 f.).

Nach Erkenntnissen des britischen Innenministeriums erweist sich die Strafverfolgungspraxis in der kurdischen Autonomieregion grundsätzlich als effektiver im Vergleich zum Süd- bzw. Zentralirak, wobei das Niveau nochmals von Gebiet zu Gebiet variiere. Nach Angaben örtlicher Auskunftspersonen hätten die kurdischen Behörden das Potential, in den von ihnen kontrollierten Territorien sehr effektive Sicherheit zu gewährleisten. Sofern sie allerdings eine bestimmte Person nicht schützen wollten, könnten sie diese Entscheidung ebenfalls sehr effektiv durchsetzen. Hiermit korrespondierend hänge die Möglichkeit, staatlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen, davon ab, wer der Verfolger sei. Die Polizei und das Gerichtssystem seien anfällig gegenüber dem Einfluss politischer Akteure sowie bekannter Familien und Stämme. Dies könne zur Folge haben, dass beispielsweise ein Täter eines Ehrverbrechens trotz einer eindeutigen belastenden Beweislage freigesprochen werde (Home Office, Country Policy and Information Note Iraq: Kurdish ‘honour’ crimes, Version 1.0, August 2017, Rn. 8.5.1; ebenso: Danish Immigration Service, Honour Crimes against Men in Kurdistan Region of Iraq (KRI) and the Availability of Protection, März 2010, S. 9). Nach Aussage des Danish Immigration Service, die sich auf Erkenntnisse des Hohen Menschenrechtskommissars der Vereinten Nationen stützt, bringe die örtliche Bevölkerung den kurdischen Strafverfolgungsbehörden wenig Achtung entgegen. Trotz einiger ausgezeichneter Gesetze, die internationalen Standards entsprächen, reagierten die Gerichte oft nicht auf Rechtschutzgesuche. Der Zugang zu gerichtlichem Rechtsschutz sei abhängig von der ethnischen und religiösen Zugehörigkeit, dem jeweiligen Stamm, Beziehungen, Familie und Verwandten. Für den Einzelnen sei es sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich, selbst für seine Rechte einzutreten (Danish Refugee Council (DRC) and Danish Immigration Service (DIS), ‘The Kurdistan Region of Iraq (KRI) – Access, Possibility of Protection, Security and Humanitarian Situation – Report from fact finding mission to Erbil, the Kurdistan Region of Iraq (KRI) and Beirut, Lebanon, 26 September to 6 October 2015’, April 2016, S. 45). In Anbetracht der offenen Ablehnung, welche Konvertiten zum Christentum auf dem Gebiet der kurdischen Autonomieregion erleiden, gilt dieser (negative) Befund erst recht für den Kläger (vgl. hierzu auch VG Hannover, Urteil vom 29.10.2018 – 6 A 5521/17, juris Rn. 41 ff.).

Dem Kläger steht vor der drohenden Verfolgungsgefahr überdies kein interner Schutz im Sinne von § 3e Abs. 1 AsylG zur Verfügung. Die Kammer nimmt in ständiger Rechtsprechung an, dass sich Flüchtlinge im Irak aufgrund der vorherrschenden humanitären Verhältnisse in aller Regel nicht dauerhaft in andere Landesteile begeben können. Ein anderer Ort auf dem Gebiet der kurdischen Autonomieregion, die hiernach allein als innerstaatliche Fluchtalternative in Betracht kommt (vgl. VG Hannover, Urteil vom 07.08.2019 – 6 A 1240/17, juris Rn. 33 m.w.N.), scheidet unter Berücksichtigung der aus dem Inbegriff der mündlichen Verhandlung gewonnenen Erkenntnisse aus. Hierbei berücksichtigt das Gericht, dass der Kläger sich über seine religionskritischen Äußerungen im Internet deutlich exponiert hat, womit zahlreiche Mitglieder seines Stammes ein Interesse daran haben, seiner habhaft zu werden. Zudem werden nach Erkenntnissen des Europäischen Zentrums für Kurdische Studien Stammesverbindungen dafür eingesetzt, um Personen aufzuspüren, an denen wegen (vermeintlicher) Ehrverletzungen zu Lasten des Stammes Rache geübt werden soll, auch wenn es keinen Erfahrungssatz dahingehend gebe, dass sich sämtliche Stammesangehörige an einer Suche beteiligten (EZKS, Auskunft vom 14. Juli 2006 gegenüber dem VG Regensburg – RO 4K 05.30031, S. 2; VG Hannover, Urteil vom 19.12.2018 – 6 A 4443/18, juris Rn. 55).

Anhaltspunkte für Ausschlussgründe gegenüber der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 2, Abs. 3 AsylG sowie § 60 Abs. 8 S. 1 AufenthG liegen nicht vor.

2. Die im streitgegenständlichen Bescheid des Bundesamtes enthaltene Abschiebungsandrohung ist hinsichtlich der Bezeichnung Irak als Zielstaat gemäß § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO aufzuheben. Der Kläger hat einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, was nach § 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AsylG der Bezeichnung des Staates Irak in der Abschiebungsandrohung entgegensteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.09.2007 – 10 C 8/07 - BVerwGE 129, 251).

Die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG ist mit der Aufhebung der Abschiebungsandrohung gegenstandslos geworden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 S. 1, S. 2 ZPO.