Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 01.11.2019, Az.: 4 A 3639/18

Abstandsgebot; Baumaßnahme; Sozialabstand; Wohnfrieden

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
01.11.2019
Aktenzeichen
4 A 3639/18
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2019, 69894
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Befreiung von Grenzabstandsvorschriften wegen Beeinträchtigung des Wohnfriedens (Fenster in Giebelwand).

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil gegen ihn vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt für die Errichtung eines Eckfensters die Zulassung einer bauordnungsrechtlichen Abweichung.

Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks A-Straße, Gemarkung A-Stadt, Flur E., Flurstück F., welches mit einer Doppelhaushälfte bebaut ist. Dieses Grundstück grenzt westlich an das Grundstück der Beigeladenen, Grundstück E. 3, Gemarkung A-Stadt, Flur E., Flurstück G., welches ebenfalls mit einem Wohnhaus bebaut ist. Die Grundstücke liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. F., in welchem für das reine Wohngebiet die offene Bauweise festgesetzt ist.

Der Grenzabstand des Wohnhauses des Klägers zur westlichen Grundstücksgrenze beträgt 3,00 m. Der damalige Eigentümer des Grundstückes der Beigeladenen stimmte im Mai 1967 schriftlich einer Erweiterung des Gebäudes des Klägers auf einen Grenzabstand von 3 m zu. Nach den seinerzeitigen Bauvorlagen erhielt der westliche Giebel des Gebäudes des Klägers damit Fenster lediglich zum Treppenhaus hin.

Im Hinblick auf den Verstoß gegen die Grenzabstandsvorschriften beantragte der Kläger am 30.08.2017 für die Errichtung eines Eckfensters im 1. Obergeschoss auf der westlichen Giebelwand seines Wohnhauses die Zulassung einer Abweichung gemäß § 66 Abs. 1 NBauO.

In die westliche Giebelwand des Wohnhauses des Klägers sind mehrere kleinere Fenster eingelassen, die der Belichtung des Treppenhauses dienen. Im westlichen Eckbereichs des Wohnhauses des Klägers befindet sich in Erdgeschosshöhe eine erhöhte, leicht zurückversetzte Terrasse, welche den notwendigen Grenzabstand einhält. Auf der rückwärtigen Seite des Wohnhauses befinden sich daneben noch ein Balkon für das erste Obergeschoss und ein Austritt im Dachgeschoss. Von all diesen Punkten kann Einblick in die nähere Umgebung genommen werden.

Der Kläger begehrt den Einbau eines 2,76 m breiten und 2,30 m hohen Eckfensters in der grenznahen westlichen Giebelwand. Der Bezugspunkt zur Bemessung des erforderlichen Grenzabstandes liegt bei 7,21 m Höhe, dies ergibt rechnerisch einen notwendigen Mindestgrenzabstand von 3,60 m, der um 60 cm unterschritten werden soll.

Der Kläger begründete seinen Abweichungsantrag damit, dass das geplante zusätzliche Eckfenster die Belichtung des dahinterliegenden Aufenthaltsraumes entscheidend verbessern würde. Nach der Ansicht des Klägers seien nachbarliche Belange nicht betroffen, da der Einbau des Fensters insbesondere keine negativen Auswirkungen auf die Belichtung und Besonnung des Nachbargrundstücks habe.

Dem Einbau des Eckfensters stimmte die Beigeladene nicht zu.

Die Beklagte lehnte den Abweichungsantrag des Klägers mit Bescheid vom 22.11.2017 ab, da der Einbau des Eckfensters unter Berücksichtigung des Zwecks der Grenzabstandsvorschriften und unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belangen mit diesen nicht vereinbar sei. Durch das Eckfenster entstünde erstmals eine frontale Fensteröffnung eines Aufenthaltsraumes zum Grundstück der Beigeladenen hin. Der Aufenthaltsraum, der durch das geplante Fenster zusätzlich belichtet werden solle, sei zudem bereits mit vorhandenen Fenstern ausreichend belichtet und belüftet.

Der Kläger erhob gegen diesen Ablehnungsbescheid am 19.12.2017 Widerspruch und vertiefte sein Vorbringen aus der Antragsstellung. Der Einbau des Eckfensters verbessere das Erscheinungsbild der Fassade gestalterisch und schaffe eine zusätzliche Transparenz und Leichtigkeit. Nachbarliche Belange seien nicht betroffen. Der Einbau des Eckfensters ermögliche keine zusätzliche Einsichtnahme auf das Nachbargrundstück, denn dies sei durch Bewuchs weitestgehend ausgeschlossen. Zudem befinde sich im westlichen Eckbereich des Gebäudes des Klägers bereits eine erhöhte Terrasse, von der eine vollständige Einsichtnahme auf das Nachbargrundstück möglich sei. Der Kläger vertritt die Auffassung, dass ihm einen Rechtsanspruch auf eine Abweichungsverfügung zustünde, da ihm nach § 13 Abs. 1 Ziffer 1 a.F. NBauO eine Ausnahme hätte erteilt werden müssen und sich daher das Ermessen der Behörde, ihm eine Abweichung zu gestatten, zu einem Rechtsanspruch hin verdichte.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 16.05.2018 zurück. Zweck der Abstandsregelung sei unter anderem der Schutz der nachbarlichen Privatsphäre. Dieses Schutzziel könne mit der begehrten Abweichung nicht erreicht werden. Es bestehe ein Unterschied zwischen dem begehrten Eckfenster und den bereits vorhandenen Fenstern auf der Giebelfassade darin, dass diese das Treppenhaus belichteten und das Treppenhaus grundsätzlich nur kurzzeitig von Personen betreten werde. Zudem ist die Beklagte der Ansicht, dass auch keine Vergleichbarkeit mit der Eckterrasse des Klägers gegeben sei. Diese werde im Gegensatz zu einem Aufenthaltsraum nur temporär genutzt und biete daher nicht eine ganzjährige Einsichtsmöglichkeit wie die Fensteröffnung eines Aufenthaltsraumes. Zudem halte die Eckterrasse die Grenzabstände ein. Die Beklagte meint, dass für die Entscheidung über den Antrag auf Abweichung von den Grenzabstandsvorschriften alleine die aktuelle Fassung der NBauO maßgeblich sei und der Tatbestand des § 13 a.F NBauO nicht übertragbar sei.

Dem Kläger wurde der Widerspruchsbescheid am 24.05.2018 zugestellt, nachdem er unter dem 23.05.2018 eine Untätigkeitsklage erhoben hatte, welche am 25.05.2018 bei Gericht einging.

Der Kläger wiederholt sein Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren. Er meint ergänzend, dass die Zustimmungserklärung der Voreigentümer zu der Grenzunterschreitung aus dem Jahr 1976 vorhabenunabhängig sei und auch das geplante Fenster mit umfasse.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verpflichten, unter Aufhebung der Ablehnungsentscheidung vom 22.11.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.05.2018 den Antrag des Klägers auf Erteilung einer baurechtlichen Abweichung im Sinne des § 66 NBauO zur Errichtung eines Eckfensters zu genehmigen,

hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, über den Antrag des Klägers vom 30.08.2017 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist die Beklagte auf den Inhalt des Ablehnungs- und Widerspruchsbescheids. Ergänzend legt die Beklagte die Auffassung dar, dass die Zustimmungserklärung aus dem Jahr 1976 keine Generalzustimmung für weitere künftige Bauvorhaben sei. Eine erneute Abweichung der Abstandsvorschriften bedürfe daher einer neuen Zustimmung, welche nicht vorliege. Zudem würde die Zulassung des Fensters die Bebaubarkeit des Nachbargrundstückes einschränken.

Die Beigeladene beantragt,

die Klage abzuweisen,

und macht sich den Vortrag der Beklagten zu eigen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Die Klage auf Verpflichtung der Beklagten, die begehrte Abweichung von den Abstandsvorschriften des § 5 NBauO zur Errichtung eines Eckfensters zuzulassen, hilfsweise die Beklagte zu verpflichten über diesen Antrag unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden, ist unbegründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Abweichung von den Regelungen des Grenzabstandsrechts nach § 66 Abs. 1 S. 1 NBauO i.V.m. § 5 Abs. 2 NBauO. Die Ablehnung der begehrten Abweichung erfolgte rechtmäßig.

Das von dem Kläger begehrte Vorhaben stellt eine baugenehmigungspflichtige Maßnahme im Sinne des § 59 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 13 NBauO dar.

Danach bedürfen Baumaßnahmen der Genehmigung durch die Bauaufsichtsbehörde. Baumaßnahmen sind unter anderem die Änderung einer baulichen Anlage oder eines Teils einer baulichen Anlage. Eine Änderung umfasst jedes Umbauen, Vergrößern und Verkleinern einer baulichen Anlage, ferner das Anbringen oder Einbauen von Teilen und jede sonstige Änderung des äußeren Bildes (Mann in Große-Suchsdorf, NBauO, 9. Auflage 2013, § 2 Rn. 148.). Eine Änderung liegt hier im Einbau eines großen Eckfensters auf der westlichen Giebelwand. Dadurch verändert sich die bisherige Außenwand. Somit wird die Genehmigungsfrage neu aufgeworfen, also auch die Frage nach der Abstandsfläche.

Hierfür kann der Kläger nicht auf die Zustimmungserklärung der Voreigentümer aus dem Jahr 1967 (Bauschein Nr. H.) zurückgreifen. Sie bezieht sich ausdrücklich auf den damaligen Plan und die damals erfolgte Grenzabstandsunterschreitung mit Befensterung des Treppenhauses. Die nun begehrte Änderung der Fassade wirft hingegen die Frage nach der Abstandsfläche neu auf. Eine Abstandsflächenbaulast liegt nicht vor.

Das Bauvorhaben ist mit den Anforderungen des § 5 NBauO nicht vereinbar, so dass es der Zulassung einer Abweichung bedarf. Es hält den notwendigen Grenzabstand gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 NBauO nicht ein, dieser wird um 60 cm unterschritten.

Gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 NBauO kann die Bauaufsichtsbehörde Abweichungen von Anforderungen dieses Gesetzes und aufgrund dieses Gesetzes erlassener Vorschriften zulassen, wenn diese unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderung und unter Würdigung der öffentlich-​rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen, insbesondere den Anforderungen nach § 3 Abs. 1 NBauO vereinbar sind.

Die Kammer folgt in ständiger Rechtsprechung nicht der Auffassung, wonach die Erteilung einer Abweichung - als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal - noch eine atypische bauliche Situation voraussetzt (so aber Stiel, in: Große-Suchsdorf, Niedersächsische Bauordnung, 9. Auflage 2013, § 66 Rn. 14 ff.; BeckOK BauordnungsR Nds/Fricke NBauO § 66 Rn. 19; SächsOVG, Beschluss vom 14. Mai 2013 – 1 B 369/12 –, Rn. 6, juris; HessVGH, Urteil vom 09.06.2001 – 9 UE 1809/97 –, Rn. 43, juris), die nur bei Vorhandensein topografischer oder anderer Besonderheiten des Baugrundstücks zu bejahen wäre. Im Gesetz findet sich kein Anhaltspunkt für diese Auffassung (VG Hannover, Urteil vom 18.08.2016 – 4 A 344/15 –, Rn. 261 - 27, juris):

„Hätte der Gesetzgeber regeln wollen, dass die Erteilung einer Abweichung nur bei einem atypischen Sachverhalt in Betracht kommt, hätte er dieses etwa durch eine Aufnahme des Tatbestandsmerkmals „im Einzelfall“ tun können. Dieses Tatbestandsmerkmal, das sich in § 31 Abs. 2 BauGB a.F. fand, hat der Bundesgesetzgeber gestrichen, um klarzustellen, dass eine „Atypik“, wie sie bis dahin von den Gerichten verlangt werde, nicht mehr vorliegen müsse. Der Wortlaut des § 66 Abs. 1 Satz 1 NBauO legt daher nahe, dass es einer atypischen Situation nicht bedarf. Dem Einwand der mangelnden Bestimmtheit, mit dem die Notwendigkeit dieses ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals begründet wird (vgl. Stiel, a.a.O., Rn. 14), kann entgegen gehalten werden, dass die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine atypische bauliche Situation angenommen werden kann, nicht weniger unbestimmt ist. Wenn der Gesetzgeber das Erfordernis der Atypik sogar in dem sensiblen Bereich des § 31 Abs. 2 BauGB streicht, der es der Bauaufsichtsbehörde ermöglicht, sich über die Rechtsetzungsbefugnis der Gemeinde als Trägerin der Planungshoheit hinwegzusetzen, kann dieses Erfordernis nicht in eine Norm hineingelesen werden, die Abweichungen lediglich von Normen der gleichen Rechtsetzungsebene erlaubt. Art. 20 Abs. 3 GG rechtfertigt die Atypik als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal daher nicht.“

Insoweit bestätigte das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht die Auffassung der Kammer (Urteil vom 27.06.2018 – 1 LC 183/16 –, Rn. 63 - 66, juris) und kommt zu dem Ergebnis, dass bei dem Ermessen nach § 66 Abs. 1 Satz 1 NBauO alle Belange „zugleich im Tatbestand und im Ermessen“ zu behandeln seien:

„Das könnte für eine einheitliche Ermessensvorschrift sprechen. Das würde auch § 66 Abs. 2 NBauO erklären. Denn die dort begründete Pflicht, den Abweichungsantrag zu begründen, soll der Bauaufsichtsbehörde ermöglichen, Umfang und Gewicht der Vorhabeninteressen vollständig zu erfassen und bei der Entscheidung nach Absatz 1 der Vorschrift in der Gegenüberstellung mit den öffentlichen Belangen und Nachbarinteressen umfassend zu würdigen. Selbst wenn § 66 NBauO neuer Fassung nicht als einheitliche Ermessensvorschrift/-entscheidung ausgestaltet ist, besagt der nachstehend unterstrichene Passus,

Absatz 1 Satz 1 legt den Grundsatz fest, dass die Bauaufsichtsbehörde Abweichungen von bauordnungsrechtlichen Anforderungen zulassen kann, wenn sie unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderung mit den öffentlichen Belangen, insbesondere den nachbarlichen Belangen vereinbar sind; damit werden zugleich die in die bei der Ermessungsentscheidung vorzunehmende Abwägung einzustellenden Gesichtspunkte bezeichnet.

dass die auf „Tatbestandsebene“ zu behandelnden Gesichtspunkte damit nicht „verbraucht“ sind und auf der Rechtsfolgen-/Ermessensseite nicht mehr eingespeist werden dürfen. Es kann vielmehr durchaus so sein, dass ein bestimmter öffentlicher Belang – nach der Gesetzesbegründung sind die in § 3 Abs. 1 bis 3 NBauO enthaltenen dabei mit besonderer Durchsetzungskraft ausgestattet – im konkreten Fall ein solches Gewicht entfalten, dass eine Abweichung schon deshalb ausscheidet. Ist das im Einzelfall noch nicht der Fall, kommt es für das Entscheidungsergebnis auf eine im Rahmen der Ermessensausübung vorzunehmende Abwägung der konkurrierenden Interessen an. Dabei sind die öffentlichen und nachbarlichen Belange, welche auf Tatbestandsseite das Abweichungsbegehren noch nicht haben zu Fall bringen können, neuerlich einzuspeisen. Hierbei kann es dazu kommen, dass die nachbarlichen oder öffentlichen Interessen an uneingeschränkter Einhaltung des öffentlichen Baurechts zwar nicht mit bemerkenswertem Gewicht ausstaffiert sind, den Abweichungsinteressen aber ein noch geringeres Gewicht zukommt und der Abweichungsantrag daher auf der Ermessensebene abgelehnt werden darf.“

Einen Anspruch auf Zulassung der Abweichung hätte der Kläger nur bei einer Ermessensreduzierung auf null. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor, weil die von der Beklagten angestellten Ermessenserwägungen, der bauordnungsrechtliche Zustand, der im Falle einer zugelassenen Abweichung entstünde, sei gemessen an den Schutzzielen der Abstandsvorschriften nicht mit den nachbarlichen Belangen vereinbar, nicht zu beanstanden ist.

Maßgeblicher Zweck der Abstandsvorschriften ist es, allgemeine Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse zu verwirklichen, indem sie eine ausreichende Belüftung, Besonnung und Tageslichtbeleuchtung der Gebäude gewährleisten. Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht zweifelt daran, ob die niedersächsische Vorschrift darüber hinaus auch so etwas wie einen Sozial-, d. h. einen dem Wohnfrieden dienenden Abstand gewähren soll (Nds. OVG, Beschluss vom 08.05.2018 – 1 ME 55/18 –, Rn. 24, juris). Die Abstandsregelung hat zwar nicht den Zweck, fremde Einsicht in Wohnhäuser und Grundstücke zu verhindern, denn Grundstückseigentümer können bei einer offenen Bauweise nicht erwarten, dass von Nachbargrundstücken keine Einsicht genommen werden kann (Nds. OVG Lüneburg, Beschluss vom 08.05.2018, a. a. O.), doch sie erschöpft sich nicht in dem Anliegen, die Belüftung, Besonnung und Tageslichtbeleuchtung zu gewährleisten. Die Gesetzesbegründung zur Neufassung der NBauO führt zu § 5 führt zwar aus, dass Schutzziel die Ausleuchtung der Aufenthaltsräume mit Tageslicht im fensternahen Bereich sei und die Abstandsvorschriften nunmehr allein bauordnungsrechtliche Zielsetzungen erfüllten (LT-Drs. 16/3195, S. 71 f.). Dies schließt jedoch gleichzeitig nicht aus, dadurch auch die nötige Distanz im Sinne eines Sozialabstandes für den Wohnfrieden zu schützen. Denn einerseits können unter den Begriff der bauordnungsrechtlichen Zielsetzung auch Gesichtspunkte des Wohnfriedens (Sozialabstand) gehören. Andererseits wird in der Gesetzesbegründung zur Neufassung der NBauO im Rahmen des § 7 Abs. 4 NBauO explizit festgestellt, dass die Regelung über die Fensteröffnungen zwischen Gebäuden dem Wohnfrieden dient (LT-Drs. 16/3195, S. 74). Nach § 7 Abs. 4 NBauO müssen Fenster zweier auf demselben Grundstück stehender Gebäude einen Abstand von mindestens 6 m einhalten. Wenn hinter dieser Regelung der Schutz des Wohnfriedens steht, kann es keinen Unterschied machen, wenn sich Fenster/Gebäude auf angrenzenden Grundstücken gegenüberstehen, dies tangiert den Wohnfrieden in gleicher Weise wie bei Gebäuden auf demselben Grundstück. Die Abstandsvorschriften sollen auch die Freiräume sicherstellen, die für ein störungsfreies Wohnen und einen angemessenen Schutz der Privatsphäre erforderlich sind, um die nötige Distanz im Sinne eines Sozialabstandes für den Wohnfrieden zu schaffen (vgl. Breyer in: Große-Suchsdorf, NBauO, § 5 Rn. 22; Boeddinghaus, BauR 2004, 763; Oberverwaltungsgericht des Saarlandes, Urteil vom 28.11.2000 – 2 R 2/00 –, Rn. 32, juris; so auch noch Nds. OVG, Urteil vom 10.11.2009 – 1 LC 236/05 –, Rn. 51, juris).

Vorliegend sind durch den Einbau eines großen Eckfensters die nachbarlichen Belange in Form des Schutzes der Privatsphäre betroffen. Das mit den Maßen von 2,76 m * 2,30 m überdurchschnittlich große Eckfenster schafft erstmals eine frontale dauerhafte Einsichtsmöglichkeit von einem hochgelegenen Aufenthaltsraum auf das Grundstück und den gesamten Gartenbereich der Beigeladenen. Ob die Einsichtnahme tatsächlich durch das Eckfenster möglich wäre oder derzeit überwiegend durch Bewuchs ausscheidet, ist unerheblich. Schließlich ist die Blickdichte des Bewuchses von den Jahreszeiten abhängig und setzt die Absicht der Beigeladenen voraus, diesen im Interesse des Klägers zu erhalten. Der Bewuchs kann sich jederzeit ändern und wegfallen. Die begehrte Baumaßnahme des Klägers zwänge die Beigeladene faktisch, dauerhaft eine Begrünung an der Grundstücksgrenze in derselben Höhe aufrecht erhalten zu müssen. Eine solche Verpflichtung ist der Beigeladenen nicht zuzumuten. Das beabsichtigte Eckfenster berührt daher zum jetzigen Zeitpunkt unmittelbar die Privatsphäre der Beigeladenen.

Dass eine Einsichtsmöglichkeit durch die bisherigen Fenster, die Terrasse, den Balkon im ersten Obergeschoss und dem Austritt im Dachgeschoss bereits gegeben ist, verpflichtet die Beigeladene nicht. Der Einbau des Eckfensters verstärkt die beeinträchtigende Wirkung. Die bisherigen Fensteröffnungen in der Giebelwand der Belichtung des Treppenhauses sind nicht vergleichbar. Ein Treppenhaus lädt üblicherweise nicht zum dauerhaften Verweilen ein und wird in der Regel nur kurzzeitig betreten, wodurch auch die Privatsphäre des Nachbarn durch Einsichtnahme nicht gravierend ausfällt. Auch die vom Kläger als Vergleich herangezogene Terrasse, Balkon und Austritt sind nicht mit dem Eckfenster vergleichbar. Zunächst sind sie nicht frontal nach Westen auf das Grundstück der Beigeladenen ausgerichtet und werden außerdem üblicherweise nicht ganzjährig benutzt. Zudem ermöglicht ein Eckfenster im ersten Obergeschoss eine bessere Einsichtnahme als eine erhöhte Terrasse; denn je höher das Fenster liegt, umso besser und weiter kann Einsicht genommen werden (Vogelperspektive). Entscheidend ist zudem, dass die Terrasse und der Balkon die Grenzabstände einhalten und damit nicht vergleichbar sind mit dem begehrten Eckfenster. Denn der Gesetzgeber mutet es den Anwohnern zu, im Rahmen der Grenzabstände fremde Einsichtnahme hinzunehmen und ggf. selbst Maßnahmen zum Schutz der Privatsphäre zu treffen.

Die Beigeladene und ihre nachbarlichen Belange sind auch schutzwürdig, denn sie hält die Grenzabstände ein.

Diese nachbarlichen Belangen stehen den Abweichungsgründen des Klägers gegenüber. Der Kläger begehrt den Einbau des Eckfensters zur Verbesserung der Belichtung des dahinterliegenden Wohnraumes. Der Wohnraum wird jedoch bereits ausreichend belichtet und belüftet. Das Eckfenster ist daher nicht notwendig. Zudem soll dadurch die Ansicht des Gebäudes verbessert werden. Diese Belange sind von geringerem Gewicht.

Die nachbarlichen Interessen genießen einen hohen Stellenwert. Die vom Kläger vorgetragenen Abweichungsgründe sind hingegen nicht von herausgehobener Bedeutung. Da auf der einen Seite nachbarliche Interessen betroffen sind, bedarf es auf der anderen Seite privater oder öffentlicher Belange, die von einigem Gewicht sind. Diese sind hier nicht gegeben.

Die von dem Kläger angesprochenen bisherigen Ausnahmetatbestände des § 13 NBauO a.F. können bei der Zulässigkeit einer Abweichung abwägungsrelevant sein und sind bei der Abwägung zu berücksichtigen. Sie führen im vorliegenden Fall aber zu keinem anderen Ergebnis. § 13 NBauO a.F. eröffnete die Möglichkeit in stark abgestufter Weise, von der Beachtung des Abstandsrechts abzuweichen, soweit damit bau- oder ortsgestalterische Zwecke verfolgt wurden. Der Kläger trägt vor, dass der Einbau des Eckfensters der gestalterischen Verbesserung diene. Das Gewicht der – zu Gunsten des Klägers unterstellten, vom Gericht aber nicht nachvollzogenen – gestalterischen Verbesserung muss in Beziehung gesetzt werden zu den Beeinträchtigungen der Belange, die durch den Grenzabstand geschützt werden (Nds. OVG, Beschluss vom 30.03.1999 – 1 M 897/99 –, Rn. 70, juris). Der vorliegende Einzelfall ergibt in der Abwägung, dass die vom Kläger gewünschte gestalterische Verbesserung von deutlich geringerem Gewicht ist als die betroffenen nachbarlichen Belange.

Die Beklagte übte ihr Ermessen rechtsfehlerfrei aus. Sie erkannte die aufgeführten Aspekte und wog sie ab. Die nachbarlichen Interessen haben ausreichendes Gewicht, dass die Beklagte im Rahmen der Ermessenserwägungen das Interesse des Klägers an einer optischen Aufwertung seines Grundstücks dahinter zurücktreten lassen durfte.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.