Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 18.11.2019, Az.: 6 A 4557/17

bestimmte soziale Gruppe; Homosexualität; homosexuell; Irak; Miliz; PMF-Miliz

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
18.11.2019
Aktenzeichen
6 A 4557/17
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2019, 69862
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Homosexuelle bilden im Irak eine bestimmte soziale Gruppe im Sinne von § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG.
2. Homosexuellen droht im Irak grundsätzlich Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure wie durch staatliche Organe in Gestalt von PMF-Milizen.

Tenor:

Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 13. Mai 2017 wird aufgehoben, soweit er dem vorgenannten Verpflichtungsausspruch entgegensteht.

Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand:

Der im Jahr 1981 geborene Kläger, ein irakischer Staatsangehöriger arabischer Volks- und schiitischer Glaubenszugehörigkeit, begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

Er reiste eigenen Angaben zufolge schätzungsweise im Dezember 2015 aus dem Irak aus und im Januar 2016 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er in einer Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge einen Asylan-trag stellte.

Zu seinen persönlichen Verhältnissen erklärte er im Rahmen seiner späteren Anhörung im Oktober 2016 beim Bundesamt, er stamme aus Sabaa Al Bour im Kreis Bagdad. Seine Eltern habe er nie kennengelernt. Sein deutlich älterer Bruder habe ihn großgezogen, bis er 18 Jahre alt geworden sei. Zu seinem Werdegang gab der Kläger an, er habe keine Schule besucht, sondern in Bagdad in diversen Restaurants gearbeitet.

Zu den Gründen seiner Ausreise gab der Kläger an, im Irak gebe es keine Sicherheit und Freiheit. Außerdem habe er unter den Konflikten zwischen Sunniten und Schiiten gelitten. Einen Tag vor seiner Ausreise seien Mitglieder einer schiitischen Miliz zu ihm gekommen und hätten ihm gesagt, dass er für sie am Krieg gegen den IS teilnehmen solle. Er habe von ihnen eine Waffe und Dienstkleidung bekommen, jedoch noch am gleichen Tag unter dem Vorwand eines dringenden Arztbesuches die Kaserne verlassen und sei nie zurückgekehrt.

Mit Bescheid vom 13. Mai 2017 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1) sowie auf Anerkennung als Asylberechtigter ab (Nr. 2) und erkannte dem Kläger auch den subsidiären Schutzstatus nicht zu (Nr. 3). Zudem stellte es fest, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen (Nr. 4) und drohte die Abschiebung des Klägers in den Irak an (Nr. 4). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) befristete es auf dreißig Monate ab dem Tag der Abschiebung (Nr. 5). Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, der Vortrag des Klägers sei als nicht glaubhaft zu werten.

Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 29. Mai 2017 Klage erhoben. Zur Begründung bezieht er sich zunächst auf das beim Bundesamt Vorgebrachte. Ergänzend trägt er vor, er befürchte, im Irak als Homosexueller verfolgt zu werden. Seine Aussage vor dem Bundesamt, dass Sicherheit für ihn nur in Deutschland gegeben sei, habe sich auf die Probleme Homosexueller im Irak bezogen. Sozialarbeiter seiner Flüchtlingsunterkunft hätten ihn zuerst auf seine sexuelle Präferenz angesprochen, doch habe er dies zunächst abgestritten. Erst später habe er sich öffnen können. Zu seinem Schutz habe man einen Umzug aus seiner damaligen Flüchtlingsunterkunft organisiert. Im Irak habe er in Bagdad zu seiner eigenen Sicherheit wegen der Gerüchte um seine Homosexualität mehrfach die Arbeitsstellen bei den verschiedenen Restaurants wechseln müssen.

Das Gericht hat den Rechtsstreit durch Beschluss vom 10. Oktober 2019 auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen. In der mündlichen Verhandlung am 18. November 2019 hat der Einzelrichter Beweis erhoben durch Vernehmung von Frau D., Herrn C. und Herrn E. als Zeugen.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 13. Mai 2017 zu verpflichten,

1. dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,

2. hilfsweise, ihm den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen,

3. hilfsweise, festzustellen, dass in seiner Person Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.

Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage, über die der Berichterstatter gemäß § 76 Abs. 1 Asylgesetz (AsylG) anstelle der Kammer als Einzelrichter entscheidet, hat Erfolg. Sie ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Der Einzelrichter ist dabei nicht daran gehindert, auf Basis der mündlichen Verhandlung vom 18. November 2019 über die Klage zu entscheiden, obgleich kein Vertreter der Beklagten erschienen ist. Das Gericht hat die Beteiligten nämlich mit der Ladung darauf hingewiesen, dass auch in ihrer Abwesenheit mündlich verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).

1.

Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Der Bescheid des Bundesamtes vom 13. Mai 2017, mit dem dieses Begehren abgelehnt worden ist, verletzt den Kläger in seinen Rechten und ist aufzuheben, soweit er dem vorgenannten Anspruch entgegensteht (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO).

Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, grundsätzlich die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. § 3 Abs. 1 AsylG bestimmt dazu, dass ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560) ist, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Diese Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sind in der Person des Klägers erfüllt.

Eine „begründete Furcht“ vor Verfolgung liegt vor, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich drohen, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit (BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 – 10 C 23.12, BVerwGE 146, 67, Rn. 19). Der danach maßgebliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände die dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Entscheidend ist, ob aus Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Schutzsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in das Herkunftsland als unzumutbar erscheint. Zu begutachten ist hierbei die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe bei einer hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr des Schutzsuchenden in seinen Heimatstaat (BVerwG, Urteil vom 06.03.1990 - 9 C 14.89 -, juris). Dabei entspricht die zunächst zum nationalen Recht entwickelte Rechtsdogmatik zur Frage der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ auch dem neueren europäischen Recht (BVerwG, Urteil vom 01.06.2011 - 10 C 25.10, BVerwGE 140, 22; Nds. OVG, Urteil vom 27.06.2017 – 2 LB 91/17, BeckRS 2017, 118678, Rn. 29).

Auf Basis dieses rechtlichen Maßstabs ist das Gericht im vorliegenden Fall zu der Überzeugung gelangt, dass dem Kläger im Falle seiner Rückkehr in den Irak aus individuellen, an seine Person anknüpfenden Gründen Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG droht, d.h. wegen der Zugehörigkeit zur bestimmten sozialen Gruppe homosexueller Männer. Die für die Verfolgung des Klägers sprechenden Umstände haben bei einer zusammenfassenden Bewertung größeres Gewicht als die dagegensprechenden Umstände.

Nach § 3b Abs. 1 Nr. 4 HS 1 AsylG gilt eine Gruppe insbesondere dann als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten (lit. a), und die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird (lit. b). Diese Voraussetzungen sind in Bezug auf Homosexuelle im Irak erfüllt (so bereits: VG Hannover, Urteil vom 24.01.2019 – 6 A 4325/17, n.v., S. 6 ff.; ebenso: VG Hamburg, Urteil vom 24.09.2018 – 8 A 7823/16, juris LS 1, Rn. 32; VG Göttingen, Urteil vom 12.06.2019 – 2 A 272/17, https://www.asyl.net/rsdb/m27572/, S. 6 ff.; Urteil vom 08.11.2018 – 2 A 292/17, juris LS 1, Rn. 30; VG Regensburg, Urteil vom 12.10.2018 – RO 13 K 17.32681, juris; VG Berlin, Urteil vom 05.06.2018 – 25 K 327.17 A, juris Rn. 18 – 22; VG Ansbach, Urt. v. 31.01.2018 – AN 10 K 17.31735, juris Rn. 26 f.).

Auch wenn weiterhin ungeklärt ist, ob bzw. unter welchen Rahmenbedingungen die sexuelle Präferenz eines Menschen ein bereits angeborenes bzw. genetisch veranlagtes Merkmal darstellt (Spektrum, Artikel vom 1. Juli 1994, „Homosexualität: biologische Faktoren“; Planet Wissen, Artikel vom 21.08.2018, „Warum schwul? Warum lesbisch?), handelt es sich bei ihr jedenfalls um einen (gemeinsamen) Hintergrund, welcher nicht verändert werden kann. Ausweislich der dem Gericht vorliegenden Erkenntnismittel weisen Homosexuelle im gesamten Irak zudem eine deutlich abgegrenzte Identität auf, derentwegen sie die irakische Gesellschaft nicht nur als andersartig betrachtet, sondern darüber hinaus sogar als gesellschaftliche Fremdkörper.

Konservative bzw. radikal-islamische Tendenzen erschweren die Entwicklung eines liberalsäkularen Lebensstils in Irak. Hiermit korrespondierend lehnen große Teile der irakischen Bevölkerung Homosexualität als unvereinbar mit Religion und Kultur ab. Es besteht ein hohes Risiko sozialer Ächtung bis hin zu Ehrenmorden (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Dezember 2018), 12. Januar 2019, S. 15; VG Berlin, Urteil vom 05.06.2018 – 25 K 327.17 A, juris Rn. 22). Nach einer Auskunft von Human Rights Watch aus dem Jahr 2018 sehen sich Personen mit LGBT-Hintergrund einem unermesslichen sozialen Druck ausgesetzt, ihre sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität nicht zu offenbaren (EASO, Country of Origin Information Report, Iraq: Targeting of Individuals, März 2019, S. 134). Selbst in der kurdischen Autonomieregion, die im Vergleich zum Zentralirak als liberaler bzw. fortschrittlicher gilt, stellt Homosexualität nach den Erkenntnissen von DIS/Landinfo aus dem Jahr 2018 ein Tabu dar und wird seitens der betroffenen Familie im Falle des öffentlichen Bekanntwerdens als schändlich und stigmatisierend angesehen (EASO, a.a.O., S. 135).

Es steht überdies zur Überzeugung des Einzelrichters fest, dass der Kläger der dargestellten bestimmten sozialen Gruppe unterfällt. In Bezug auf die Frage der sexuellen Orientierung eines Menschen ist dabei im Rahmen der gerichtlichen Sachverhaltsermittlung zu beachten, dass es sich um Umstände handelt, die in der Person selbst begründet liegen und hiermit korrespondierend einer Überprüfung, die außerhalb der Würdigung des Vortrags des jeweiligen Klägers liegt, nur schwer zugänglich sind. Tests zum Nachweis der Homosexualität sind aus Rücksicht auf das Persönlichkeitsrecht eines Klägers unzulässig (EuGH, Urteil vom 02.12.2014 – C 148/13, juris Rn. 65 f.; Urteil vom 25.01.2018 – C 473/16, juris Rn. 34 f.). Zudem ist es nicht zulässig, allein deswegen von einer mangelnden Glaubhaftmachung ausgehen, wenn ein Kläger seine behauptete sexuelle Ausrichtung nicht bei der ersten ihm gegebenen Gelegenheit zur Darlegung der Verfolgungsgründe geltend gemacht hat (EuGH, Urteil vom 02.12.2014, C-148/13, juris Rn. 70 f.; VG Ansbach, Urteil vom 31.01.2018 – AN 10 K 17.31735, juris Rn. 23).

Diesen rechtlichen Maßstab vorangestellt, ist das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger homosexuell ist. Die diesbezügliche Aussage des Klägers in der mündlichen Verhandlung zum Leben seiner sexuellen Identität im Irak und in Deutschland enthielt hinreichende Realkennzeichen, welche nach den Grundsätzen der psychologischen Aussageanalyse für die Wiedergabe real erlebter Geschehen sprechen. Er schilderte das Geschehen insbesondere im Kerngeschehen logisch konsistent, mit einem quantitativen Detailreichtum nebst Nennung ungewöhnlicher Details, im Zuge einer unstrukturierten Erzählweise nebst spontaner Ergänzungen sowie unter Angabe räumlich-zeitlicher Verknüpfungen nebst Schilderung der Motivations- und Gefühlslage der Beteiligten. Diesbezüglich wird im Einzelnen auf die ausführliche Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Für die Glaubhaftigkeit des klägerischen Vortrags spricht dabei aus Sicht des Einzelrichters insbesondere, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung zunächst nur sehr zurückhaltend von „einer Sache“ sprach, derentwegen er gesellschaftlich verfolgt werde, die ihm jedoch sehr unangenehm sei. Auf weitere Nachfrage des Gerichts gab er zur Konkretisierung seines Asylgesuchs zunächst allgemein umschreibend an, in Deutschland gebe es Sicherheit, Menschenrechte und Freiheit, wohingegen man im Irak nicht einfach auf die Straße gehen und „ein Mädchen oder einen Jungen kennenlernen“ könne. Erst auf zweimalige Versicherung des Einzelrichters, dass die beiden einzigen in der mündlichen Verhandlung anwesenden Zuhörer zwei dienstjüngere Richter seien, die sich die Verhandlung zu Ausbildungszwecken anschauen würden und dienstlich zur Verschwiegenheit verpflichtet seien, begann der Kläger, dem Gericht über seine sexuelle Orientierung und deren Ausleben im Irak und in Deutschland Auskunft zu geben, wobei es weiterhin eine erhebliche Zeit brauchte, bis er Vertrauen fasste und offener über sein Privatleben sprach. Selbst hierbei wandte er sich jedoch weiterhin körperlich vom Zuschauerbereich ab und dem Einzelrichter zu, wobei er auffallend leise sprach.

Der Kläger hat in diesem Zusammenhang glaubhaft geschildert, dass er im Irak immer in Restaurants gearbeitet und im Jahr 2014 eine starke Beziehung zu einem damals 17jährigen Jungen mit dem Namen G. entwickelt habe, welche bis zu seiner Ausreise andauerte. G. habe ihn als eine Art Beschützer angesehen, habe immer neben ihm gesessen und habe nur bei ihm schlafen können, wobei sie zusammen nackt im Bett gelegen hätten. Er, der Kläger, denke, dass seine eigenen Freunde vermutet hätten, dass er unter Umständen homosexuell sei, weil er nie die Mädchen habe kennenlernen wollen, welche sie ihm vorzustellen versucht hätten. In Bezug auf G. seien sich seine Freunde vergleichsweise sicher gewesen, dass dieser homosexuell sei, und hätten ihm – dem Kläger – gesagt, dass er bestimmt Probleme mit G. s Vater bekommen würde, wenn er auf seine Avancen eingehe. Auch die Besitzer und Betreiber der Restaurants hätten ihn, den Kläger, argwöhnisch beobachtet, sich untereinander ausgetauscht und über ihn das Gerücht verbreitet, dass er sich Jungs suche. In einzelnen Fällen sei ihm auch gekündigt worden. Wegen der Gerüchte und der damit einhergehenden Gefahren körperlicher Übergriffe habe er oft die Arbeitsstelle wechseln müssen, wobei G. ihm immer gefolgt sei. Dieser sei nach der Arbeit oft zu ihm gekommen bzw. habe den Wohnungsschlüssel genommen, während er, der Kläger, auf der Arbeit gewesen sei und habe dann nach der Arbeit auf ihn gewartet. Zuhause seien sie dann beide in Gegenwart des Anderen jeweils nackt gewesen.

In Bezug auf das Ausleben seiner sexuellen Identität in Deutschland hat der Kläger zudem nach einigem Zögern geschildert, dass er in einem bekannten Hannoveraner Viertel mit Nachtclubs wöchentlich in gemischten Discotheken feiern gehen würde, wobei er dort auch Sex mit anderen Männern habe. Gleichzeitig habe er wegen der Vorfälle im Irak immer noch Angst und leide unter Schlafstörungen, so dass er beispielsweise nachts immer die Tür abschließe, um sich in Sicherheit zu fühlen.

Auch die drei in der mündlichen Verhandlung vernommenen Zeugen, d.h. zwei für den Kläger zuständige regionale bzw. kommunale Integrationsbeauftragte sowie ein Migrationssozialarbeiter, haben glaubhaft geschildert, wie sehr sich der Kläger in seinem Wesen und seinem Auftreten im Alltag von anderen arabischstämmigen Bewohner seiner jeweiligen Flüchtlingsunterkunft unterscheide und welches Konfliktpotential sich hieraus bereits ergeben habe.

Diesbezüglich hat etwa die Zeugin D. glaubhaft angegeben, Mitbewohner seiner Wohngemeinschaft hätten sich bei ihr über den Kläger beschwert mit dem Hinweis, dieser laufe zuhause zu freizügig bekleidet umher und suche auffälligen Augenkontakt. Nachdem sie ihn zur Rede gestellt habe, habe er zunächst alles abgestritten. Auf ihren offensiven Vorhalt: „Die denken, Du bist homosexuell.“, habe er dann jedoch grinsen müssen, die Aussage allerdings weiterhin weder bejaht noch verneint. Sie habe sich dann mit dem Zeugen C. in Verbindung gesetzt, um zum Schutz des Klägers eine andere Unterkunft zu organisieren, weil die anderen Mitbewohner ihr gegenüber mit körperlichen Übergriffen auf den Kläger gedroht hätten. Auch in der neuen Unterkunft sei der Kläger jedoch wieder bei seinen Mitbewohnern angeeckt, allerdings mit einer Ausnahme: Mit einem anderen, zwischenzeitlich allerdings umverteilten Asylbewerber, der ihr gegenüber offen über seine Homosexualität habe sprechen können, habe sich der Kläger auffallend gut verstanden, obwohl er selbst eher ein Einzelgänger sei.

Des Weiteren hat auch der Zeuge C. glaubhaft geschildert, dass es sehr lange gedauert habe, bis sich der Kläger ihm gegenüber geöffnet habe. Da er selbst aus Marokko stamme, habe er bei den ersten Gesprächen mit dem Kläger den Eindruck gehabt, dass da noch etwas Anderes im Hintergrund sei, also etwas, was in arabischen Gesellschaften ein Tabuthema sei. Nach seinem Vorhalt, dass er ihm, dem Kläger, nur bei völliger Offenheit helfen könne, habe der Kläger ihn immer häufiger in der Sprechstunde aufgesucht und sich irgendwann ihm gegenüber auch offenbart, dies allerdings unter vorheriger Einholung der Zusicherung, niemandem etwas zu sagen. Sodan habe er ihm auch von den Problemen im Irak erzählt, d.h. von den häufigen Restaurantwechseln.

Schließlich hat auch der Zeuge E. glaubhaft dargetan, er habe sich in seiner Funktion als Migrationssozialarbeiter wegen der Beschwerden der Mitbewohner mit dem Kläger in Unterstützung eines Dolmetschers unterhalten und ihn vorsichtig darauf angesprochen, ob er auch Beziehungen mit Männern habe. Der Kläger habe sich ihm diesbezüglich nach einiger Zeit öffnen können, dies nochmals deutlich besser als gegenüber einer weiblichen Kollegin. So habe der Kläger ihm erzählt, dass er bereits im Irak männliche Freunde bzw. Sexualpartner gehabt habe, das heißt auch einen festen Freund. Als er den Kläger darauf angesprochen habe, dass er laut dem Anhörungsprotokoll des Bundesamts mehrmals die Arbeit gewechselt habe, sei der Kläger auf diesen Vorhalt hin sehr gesprächig geworden und habe unmittelbar und spontan von sich aus erzählt, er habe seine Arbeitgeber immer wieder wechseln müssen, wenn der Verdacht aufgekommen sei, dass er homosexuell sei. Andernfalls hätte er Verfolgungen befürchten müssen.

Im Falle einer Rückkehr in den Irak drohen dem Kläger aufgrund seiner Homosexualität überdies mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen in Gestalt gewaltsamer Übergriffe (§ 3a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 HS 1 AsylG) durch private Dritte sowie staatliche Organe in Gestalt von PMF-Milizen.

Zwar lässt sich eine Verfolgung Homosexueller im Irak nicht bereits gemäß § 3a Abs. 2 Nr. 2 AsylG unter dem Gesichtspunkt einer Strafbarkeit einvernehmlich durchgeführter homosexueller Handlungen begründen. Das irakische Strafgesetzbuch stellt im gegenseitigen Einvernehmen durchgeführte homosexuelle Handlungen zwischen erwachsenen Personen nicht mehr unter Strafe (vgl. Auswärtiges Amt (AA), Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Dezember 2018), 12. Januar 2019, S. 15). Zudem hat die irakische Regierung bisher Regelungen des Moral- oder Sexualstrafrechts nicht systematisch mit dem Ziel interpretiert, einvernehmlich durchgeführte homosexuelle Handlungen zu bestrafen oder zu kriminalisieren. Allerdings haben Behörden diesbezüglich in Einzelfällen bereits auf Strafvorschriften über die Erregung öffentlichen Ärgernisses oder Prostitution zurückgegriffen (EASO, Country of Origin Information Report, Iraq: Targeting of Individuals, März 2019, S. 133). Zudem sehen sich sexuelle Minderheiten im Irak sowohl einer Verfolgung durch private Dritte als auch durch staatliche Organe in Gestalt (insbesondere schiitischer) PMF-Milizen ausgesetzt. Nach einem Bericht eines Sonderberichterstatters der Vereinten Nationen (UN Special Rapporteur on extrajudicial, summary or arbitrary executions in Iraq) aus Juni 2018 wird im Irak in traditionellen und sozialen Medien zur Gewalt gegen Männer und Jungen auf der Basis ihrer tatsächlichen oder der ihnen zugeschriebenen sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität zur Gewalt aufgerufen, ebenso gegen Aktivisten oder Organisationen, welche für die Rechte von Personen mit LGBT-Hintergrund eintreten (EASO, Country of Origin Information Report, Iraq: Targeting of Individuals, März 2019, S. 78). Lokale Quellen berichten zudem, dass Milizen „Tötungslisten“ verfasst und als Angehörige sexueller Minderheiten wahrgenommene Männer hingerichtet hätten (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Irak, 20. November 2018 (letzte Kurzinformation eingefügt am 9. April 2019), S. 91). Neben der Mahdi-Armee, welche im Jahr 2009 in Bagdad innerhalb mehrerer Monate hunderte (vermeintlich) homosexuelle Männer entführte, folterte oder ermordete, ist es insbesondere die schiitische Miliz Asa’ib Ahl al-Haqq (AAH, siehe zu dieser Gruppierung ausführlich: VG Hannover, Urteil vom 10.12.2018 – 6 A 6837/16, juris Rn. 36-39), welcher zahlreiche Gewalttaten homophober und transphober Natur zugeschrieben werden. Auch im Jahr 2017 kam es Berichten zufolge zu Tötungen schwuler Männer durch AAH (BFA, a.a.O., S. 91; EASO, Country of Origin Information Report, Iraq: Targeting of Individuals, März 2019, S. 133 f.). Nach Schätzung einer irakischen Nichtregierungsorganisation, welche die Situation der homosexuellen Community im Irak beobachtet, seien über 220 Homosexuelle im Irak im Jahr 2017 getötet worden und ca. 96 Prozent der irakischen Homosexuellen Opfer verbaler oder körperlicher Gewalt geworden (EASO, a.a.O., S. 134). Der IS veröffentlichte zudem Videos über Hinrichtungen von Personen, die wegen homosexueller Aktivitäten angeklagt waren, einschließlich durch Steinigungen und das Werfen aus/von Gebäuden (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Irak, 20. November 2018 (letzte Kurzinformation eingefügt am 9. April 2019), S. 134).

Diese Erkenntnismittellage findet ihre sachliche Entsprechung in den glaubhaften Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung. In diesem Zusammenhang kann das Gericht offenlassen, ob es den Vortrag des Klägers als glaubhaft bewertet, er sei von Angehörigen von G., darunter dessen Vater und einem Onkel, verfolgt und mit einer Schusswaffe bedroht worden, als er mit G. Händchen haltend durch eine Straße in Bagdad gelaufen sei. Hiergegen könnte sprechen, dass sich ein derartiges Verhalten in Bagdad in Anbetracht der dargestellten Erkenntnismittellage als waghalsig oder geradezu lebensmüde deuten ließe und insofern auch dem Wesen des Klägers widerspräche, der mit seiner sexuellen Orientierung äußerst zurückhaltend umgeht. Die Frage kann jedoch dahinstehen, weil dem Kläger bereits aus anderen Gründen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung durch private und staatliche Akteure droht. Zum einen hat der Kläger glaubhaft geschildert, dass er mehrfach seine Arbeitgeber habe wechseln müssen, weil er wegen der unter den Restaurantbesitzern verbreiteten Geschichten über seine homosexuelle Orientierung gefürchtet habe, angegriffen zu werden. Zum anderen hat er in der mündlichen Verhandlung glaubhaft dargetan, dass er als Person – also unabhängig von seiner sexuellen Orientierung – in den Fokus von AAH geraten sei, da diese Miliz versucht habe, ihn zwangsweise zu rekrutieren, wobei er jedoch noch am selben Tag unter Vortäuschung eines dringenden Arzttermins floh. Nachdem diese Miliz, welche Homosexuellen gegenüber äußerst feindlich eingestellt ist, bereits ein persönliches Interesse an dem Kläger gefasst hat, besteht die beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass es im Falle eines weiteren Kontakts zu gewaltsamen Übergriffen kommt, sobald die Angehörigen dieser Gruppierung von den in Bezug auf den Kläger verbreiteten Gerüchten erfahren oder aber, so wie seine arabischstämmigen Mitbewohner in Deutschland, aus seinem Auftreten oder Verhalten von sich aus Verdacht in Bezug auf seine sexuelle Orientierung schöpfen.

Die dem Kläger drohende Verfolgung ist zudem flüchtlingsrechtlich beachtlich im Sinne des § 3c AsylG. Hiernach kann die Verfolgung u.a. vom Staat (Nr. 1) oder auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen (Nr. 3), sofern der Staat oder die in Nummer 2 der Norm genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.

Soweit dem Kläger eine Verfolgung durch schiitische PMF-Milizen droht, insbesondere durch AAH, so handelt es sich bei diesen Gruppierungen um staatliche Organe im weiteren Sinne (VG Hannover, Urteil vom 12.11.2018 – 6 A 6923/16, juris LS, Rn. 41 ff.; a.A.: VG Göttingen, Urteil vom 08.11.2018 – 2 A 292/17, juris LS 3, Rn. 40). Zum einen ist es für die Zurechnung zur staatlichen Sphäre ausreichend, dass sich der Staat der betreffenden Personen oder Gruppierung zur Herrschaftsausübung bedient. Zum anderen ist eine asylrechtlich relevante Verantwortlichkeit des Staates für Verfolgungsmaßnahmen (privater) Dritter nicht nur in dem Fall anzunehmen, in dem diese Verfolgungsmaßnahmen auf Anregung des Staates zurückgehen oder doch dessen Unterstützung oder einvernehmliche Duldung genießen. Übergriffe sind vielmehr auch dann einem Staat zurechenbar, wenn der an sich schutzwillige Staat, wie das ungleiche Kräfteverhältnis der regulären irakischen Sicherheitskräfte zu den staatlich eingebundenen und finanzierten PMF-Milizen verdeutlicht, zur Verhinderung von Verfolgungsmaßnahmen prinzipiell und auf gewisse Dauer außerstande ist, weil er das Gesetz des Handelns an andere Kräfte verloren hat und seine staatlichen Sicherheits- und Ordnungsvorstellungen nicht mehr durchzusetzen vermag.

Für eine Einordnung der PMF-Milizen als staatliche Organisationen spricht nicht zuletzt, dass der (durch eine Koalitionsvereinbarung der politischen Flügel der mächtigsten PMF-Milizen ins Amt berufene) irakische Ministerpräsident Adil Abdul-Mahdi zu Beginn des Juli 2019 verkündete, dass alle PMF-Milizen nunmehr als untrennbarer Teil der regulären irakischen Streitkräfte operieren sollen, womit die Gruppierungen offiziellen staatlichen Schutz genießen, ohne dass hiermit effektive Einflussmöglichkeiten des irakischen Staates auf ihr Wirken einhergehen (Spiegel Online, Artikel vom 3. Juli 2019, „Teherans trojanisches Pferd“; Deutsche Welle, Artikel vom 2. Juli 2019, „Iraqi PM orders Iran-backed militias into army command“; The Defense Post, Artikel vom 3. Juli 2019, „Popular Mobilization Force reform in Iraq: Reintegration or consolidation of militia power?“; siehe hierzu: VG Hannover, Urteil vom 25.07.2019 – 6 A 2971/17, juris Rn. 39, 48).

Soweit dem Kläger im Übrigen Verfolgung durch Private droht, ist diese mangels effektiven staatlichen bzw. polizeilichen Rechtsschutzes nach § 3c Nr. 3 AsylG ebenfalls beachtlich. Nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes und des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl ist die irakische Polizei nämlich nicht in der Lage, landesweit den Schutz der Bürger zu gewährleisten. Personelle Unterbesetzung, mangelnde Ausbildung, mangelndes rechtsstaatliches Bewusstsein vor dem Hintergrund einer über Jahrzehnte gewachsenen Tradition von Unrecht und Korruption auf allen Ebenen sind hierfür die Hauptursachen (AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Dezember 2018), 12. Januar 2019, S. 8 f.; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Irak, 20. November 2018 (letzte Kurzinformation eingefügt am 9. April 2019), S. 39). Ohnehin existiert kein Polizeigesetz, womit die individuellen Befugnisse einzelner Polizisten zum (Nicht-)Handeln sehr weitgehend sind. Die Schwäche der irakischen Sicherheitskräfte hat es darüber hinaus vornehmlich schiitischen Milizen erlaubt – etwa den vom Iran unterstützten Badr-Brigaden, Asa’ib Ahl a-Haq und Kata’ib Hisbollah – Parallelstrukturen im Zentralirak und im Süden des Landes aufzubauen (AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Dezember 2018), 12. Januar 2019, S. 9). Nach Angaben örtlicher Vertrauenspersonen ist es vor allem in dicht besiedelten Gebieten wie Bagdad außerdem besonders schwierig, zufriedenstellende Polizeiarbeit zu leisten (Landinfo/Migrationsverket – Joint Norwegian-Swedish Fact Finding Mission to Iraq, Iraq: Rule of Law in the Security and Legal system, November 2013, S. 23).

Spezifisch in denjenigen Fällen, in welche konfessionelle Milizen in den letzten Jahren wiederholt Personen mit LGBT-Hintergrund oder Jugendliche aus der Emo-Subkultur bedroht, verfolgt oder getötet haben, ist eine polizeiliche Untersuchung in den wenigsten Fällen bekannt geworden. Die Polizei wird von den Betroffenen mitunter eher als Bedrohung denn als Schutzmacht empfunden. Staatliche Rückzugsorte für Personen mit LGBT-Hintergrund gibt es nicht, die Anzahl privater Schutz-Initiativen ist sehr beschränkt (AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Dezember 2018), 12. Januar 2019, S. 15).

Dem Kläger steht vor der weiterhin drohenden Verfolgungsgefahr auch kein interner Schutz im Sinne von § 3e Abs. 1 AsylG zur Verfügung. Die Kammer nimmt in ständiger Rechtsprechung an (s. etwa: VG Hannover, Urteil vom 12.11.2018 – 6 A 6923/16, juris Rn. 52 ff.), dass sich Flüchtlinge im Irak aufgrund der vorherrschenden humanitären Verhältnisse in aller Regel nicht dauerhaft in andere Landesteile begeben können. Auch der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen weist in einer Auskunft aus April 2018 darauf hin, dass interne Fluchtalternativen im Irak in Anbetracht der gegenwärtigen Sicherheitslage und humanitären Verhältnisse allenfalls in Ausnahmefällen gegeben seien (UNHCR, Auskunft vom 25. April 2018 gegenüber dem VG Sigmaringen zum Beweisbeschluss vom 19. Oktober 2017 – A 1 K 5641/16, S. 2; ebenso: Deutsche Orient-Stiftung, Auskunft vom 22. November 2017 gegenüber dem VG Sigmaringen zum Beweisbeschluss vom 19. Oktober 2017 – A 1 K 5641/16, S. 5 f.)

Anhaltspunkte für Ausschlussgründe gegenüber der Zuerkennung der Flüchtlingseigen-schaft nach § 3 Abs. 2, Abs. 3 AsylG sowie § 60 Abs. 8 S. 1 AufenthG bestehen nicht.

2.

Dem Kläger droht demgegenüber nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit, wegen seiner (isolierten) Weigerung, der PMF-Miliz AAH beizutreten, verfolgt zu werden. Zwar kann einem irakischen Staatsangehörigen muslimischer Glaubenszugehörigkeit nach Lage des Einzelfalls religiöse und/oder politische Verfolgung drohen, wenn er sich weigert, sich PMF-Milizen anzuschließen, wobei als Täter neben den Milizionären auch Angehörige der eigenen Familie bzw. des eigenen Stammes in Betracht kommen (VG Hannover, Urteil vom 07.08.2019 – 6 A 7646/16, juris LS 3 Rn. 45; zur Zwangsrekrutierung durch die Mahdi-Armee: VG Hannover, Urteil vom 11.6.2018 – 6 A 7435/16, juris Rn. 43 ff.; zur Zwangsrekrutierung durch Asa‘ib Ahl al-Haqq: Urteil vom 9.7.2018 – 6 A 7643/16, n.v., S. 13 ff.; für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes in diesem Fall: VG Braunschweig, Urteil vom 25. April 2017 – 2 A 406/16, n.v., S. 7 ff.; siehe auch: VG Göttingen, Urteil vom 22.03.2017 – 2 A 390/16, n.v., S. 3 ff.). Ausweislich der dem Gericht vorliegenden Erkenntnismittel lässt sich allerdings kein genereller Erfahrungssatz aufstellen, dass PMF-Milizen zwangsläufig mit Gewalt auf fehlgeschlagene Rekrutierungsversuche reagieren, zumal die Gruppierungen über zahlreiche Bewerber verfügen, sei es über herkömmliche Rekrutierungskampagnen (Social-Media-Auftritte etc.), sei es aufgrund des sozialen Drucks der örtlichen Gemeinschaften und Stämme (siehe hierzu: VG Hannover, Urteil vom 07.08.2019 – 6 A 7646/16, juris Rn. 46 m.w.N.). Eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit erfordert vor diesem Hintergrund das Hinzutreten weiterer, qualifizierender Umstände (VG Hannover, Urteil vom 07.08.2019 – 6 A 7646/16, juris LS 5, Rn. 46), sei es, dass eine Miliz ihr besonderes Augenmerk auf einzelne Personen gerichtet hat und diese etwa für ein Fehlverhalten in Gestalt einer öffentlichkeitswirksamen Ablehnung sanktionieren möchte (VG Hannover, Urteil vom 9.7.2018 – 6 A 7643/16, n.v., S. 13 ff.), sei es, weil Stammesführer einzelne Mitglieder bedrohen mit dem Ziel, diese mögen sich einer PMF-Miliz anschließen und Anschläge des IS gegen den eigenen Stamm rächen (VG Hannover, Urteil vom 11.6.2018 – 6 A 7435/16, juris Rn. 43 ff.). An derartigen qualifizierenden Umständen fehlt es indessen im vorliegenden Fall.

3.

Die im streitgegenständlichen Bescheid des Bundesamtes enthaltene Abschiebungsan-drohung ist hinsichtlich der Bezeichnung Irak als Zielstaat gemäß § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO aufzuheben. Der Kläger hat einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, was nach § 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AsylG der Bezeichnung des Staates Irak in der Abschiebungsandrohung entgegensteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.09.2007 – 10 C 8/07, BVerwGE 129, 251).

Die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 Auf-enthG ist mit der Aufhebung der Abschiebungsandrohung gegenstandslos geworden.

4.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 S. 1, S. 2 ZPO.