Finanzgericht Niedersachsen
Beschl. v. 31.01.2012, Az.: 10 V 424/11

Veranlagung der Partnerin einer eingetragenen Lebenspartnerschaft zusammen mit ihrer Lebenspartnerin zur Einkommensteuer

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
31.01.2012
Aktenzeichen
10 V 424/11
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2012, 12530
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2012:0131.10V424.11.0A

Fundstelle

  • StBW 2012, 390

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Antragstellerin als Partnerin einer eingetragenen Lebenspartnerschaft zusammen mit ihrer Lebenspartnerin zur Einkommensteuer zu veranlagen ist.

2

Die Antragstellerin begründete mit ihrer Lebenspartnerin am 29. Dezember 2008 eine eingetragene Lebenspartnerschaft.

3

Sie beantragte im Veranlagungsverfahren für das Jahr 2008, mit ihrer Lebenspartnerin zusammen zur Einkommensteuer veranlagt zu werden.

4

Der Antragsgegner hob den ursprünglichen Einkommensteuerbescheid 2008 in Gestalt des Änderungsbescheides mit Bescheid vom ... nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) auf.

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Mit Einkommensteuerbescheid 2008 vom ... veranlagte der Antragsgegner die Antragstellerin erneut einzeln zur Einkommensteuer.

6

Auf ihren Einspruch und Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der festgesetzten Einkommensteuer nebst Solidaritätszuschlag und Zinsen setzte der Antragsgegner Zinsen zur Einkommensteuer in Höhe von 684 EUR von der Vollziehung aus und lehnte den Antrag im Übrigen ab.

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Mit ihrem gerichtlichen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung macht die Antragstellerin geltend, dass die Ungleichbehandlung von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft verfassungswidrig sei.

8

Die Antragstellerin beantragt,

die im Einkommensteuerbescheid 2008 vom ... festgesetzte Einkommensteuer in Höhe von .... auszusetzen.

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Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

10

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Einzelveranlagung seien nicht gegeben.

Entscheidungsgründe

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Der Antrag ist begründet.

12

Es bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Einzelveranlagung der Antragstellerin zur Einkommensteuer 2008.

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1. Die Aussetzung der Vollziehung soll gemäß § 69 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 zweiter Halbsatz FGO erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

14

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes bestehen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatsachen bewirken (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. Februar 1984 III B 40/83, BStBl II 1984, 454 und vom 30. Dezember 1996 I B 61/96, BStBl II 1997, 466). Die ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts können sich dabei auch aus einer behaupteten Verfassungswidrigkeit der zugrunde liegenden Norm ergeben. Denn der Bürger hat einen grundrechtlich verbürgten Anspruch darauf, nur auf Grund solcher Rechtsvorschriften zu Abgaben herangezogen zu werden, die formell und materiell der Verfassung gemäß sind (vgl. BVerfG-Entscheidungen vom 3.12.1958, 1 BvR 488/57, BVerfGE 9, 3, Neue Juristische Wochenschrift -NJW- 1959, 91, und vom 10.03.1998, 1 BvR 178/97, BVerfGE 97, 332, NJW 1998, 2128).

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Vorliegend hat die Antragstellerin nach dem Wortlaut der in Betracht kommenden einkommensteuerlichen Vorschriften keine Möglichkeit, eine Zusammenveranlagung zu erreichen. Ein Anspruch auf Zusammenveranlagung besteht nicht, weil der Gesetzgeber dieses Verfahren nach §§ 26, 26b des Einkommensteuergesetzes (EStG) ausdrücklich auf Ehegatten beschränkt hat (BFH-Urteile vom 26.01.2006, III R 51/05, BStBl II 2006, 515 und vom 20.07.2006, III R 8/04, BFH/NV 2006, 1966). Partner einer eingetragenen Lebenspartnerschaft sind vom Wortlaut der Vorschriften mithin nicht erfasst. Eine entsprechende Anwendung der Vorschriften ist mangels einer unbewussten Regelungslücke des Gesetzgebers gleichfalls nicht geboten (BFH-Urteil vom 26.01.2006, III R 51/05, BStBl II 2006, 515).

16

Der Ausschluss der Antragstellerin als Partnerin einer eingetragenen Lebenspartnerschaft von der Anwendung der Regelungen über das Ehegattensplitting ist nach Auffassung des erkennenden Senats jedoch verfassungswidrig.

17

In Fällen, in denen der Gesetzgeber eine mit der sexuellen Orientierung von Personen zusammenhängende Differenzierung vornimmt, fordert das Bundesverfassungsgericht eine strenge Gleichheitsprüfung (vgl. dazu im einzelnen BVerfGE 124, 199, 220 f. [BVerfG 07.07.2009 - 1 BvR 1164/07] m.w.N.). Die Entscheidung des Einzelnen für eine Ehe oder eingetragene Lebenspartnerschaft ist kaum trennbar mit seiner sexuellen Orientierung verbunden (vgl. BVerfGE 124, 199, 221 [BVerfG 07.07.2009 - 1 BvR 1164/07]). Von Bestimmungen, die die Rechte und Pflichten eingetragener Lebenspartner regeln, werden typischerweise homosexuelle Menschen erfasst, und von solchen, die die Rechte und Pflichten von Ehegatten regeln, heterosexuelle Menschen (vgl. BVerfGE 124, 199, 222 [BVerfG 07.07.2009 - 1 BvR 1164/07]).

18

Da die Ungleichbehandlung von Ehegatten und eingetragenen Lebenspartnern im Einkommensteuerrecht in Anknüpfung an die sexuelle Orientierung erfolgt, bedarf es hinreichend gewichtiger Unterschiede zwischen diesen beiden Formen einer auf Dauer angelegten, rechtlich verfestigten Partnerschaft, um diese zu rechtfertigen (vgl. BVerfGE 124, 199, 222 [BVerfG 07.07.2009 - 1 BvR 1164/07]). Zwar stellt das Grundgesetz in Art. 6 Abs. 1 GG Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Damit garantiert die Verfassung nicht nur das Institut der Ehe, sondern gebietet als verbindliche Wertentscheidung für den gesamten Bereich des Ehe und Familie betreffenden privaten und öffentlichen Rechts einen besonderen Schutz durch die staatliche Ordnung (vgl. BVerfGE 6, 55,72 [BVerfG 17.01.1957 - 1 BvL 4/54]; 55, 114, 126; 105, 313, 346). Um dem Schutzauftrag Genüge zu tun, ist es insbesondere Aufgabe des Staates, alles zu unterlassen, was die Ehe beschädigt oder sonst beeinträchtigt, und sie durch geeignete Maßnahmen zu fördern (vgl. BVerfGE 6, 55, 76 [BVerfG 17.01.1957 - 1 BvL 4/54]; 28, 104, 113; 53, 224, 248; 76, 1, 41; 99, 216, 231 f.).

19

Wegen des verfassungsrechtlichen Schutzes der Ehe ist es dem Gesetzgeber grundsätzlich nicht verwehrt, sie gegenüber anderen Lebensformen zu begünstigen (vgl. BVerfGE 6, 55, 76 f. [BVerfG 17.01.1957 - 1 BvL 4/54]; 105, 313, 348). Geht jedoch die Förderung der Ehe mit einer Benachteiligung anderer Lebensformen einher, obgleich diese nach dem geregelten Lebenssachverhalt und den mit der Normierung verfolgten Zielen der Ehe vergleichbar sind, rechtfertigt die bloße Verweisung auf das Schutzgebot der Ehe eine solche Differenzierung nicht (vgl. BVerfGE 124, 199, 226 [BVerfG 07.07.2009 - 1 BvR 1164/07]).

20

Zwar hat der BFH in der Vergangenheit die steuerliche Ungleichbehandlung eingetragener Lebenspartnerschaften beim Veranlagungswahlrecht, wegen der Förderung von Ehe und Familie durch Art. 6 Abs. 1 GG für gerechtfertigt angesehen (BFH-Urteile vom 26.01.2006, III R 51/05, BStBl II 2006, 515; vom 20.07.2006, III R 8/04, BStBl II 2006, 883; vom 19.10.2006, III R 29/06, BFH/NV 2006, 63). In Anbetracht der zitierten Rechtsprechung des BVerfG und vor allem auch im Lichte des Beschlusses des BVerfG vom 21.07.2010 (1 BvR 611/07, 1 BvR 2464/07, DStR 2010, 1721) zur Ungleichbehandlung von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft im Erbschaftsteuer- und Schenkungsgesetz a.F. und der Entscheidung des EuGH vom 10.05.2011, C-147/08, DB 2011, 1169-1171 kann diese Rechtsprechung jedoch nicht mehr aufrechterhalten werden (vgl. Messner, DStR 2010, 1875, 1878; Beschlüsse des Niedersächsischen Finanzgerichts -Nds FG- vom 09.11.2010, 10 V 309/10 und vom 14.06.2011, 10 V 157/11).

21

2. Das Aufhebungsinteresse der Antragstellerin überwiegt vorliegend auch die gegen die Gewährung der Vollzugsaussetzung sprechenden öffentlichen Belange (vgl. Senatsbeschluss vom 09.11.2010, 10 V 309/10, StBW 2010, 1110; kritisch zu diesem Kriterium Beschluss des Nds FG vom 06.01. 2011, 7 V 66/10, EFG 2011, 827).

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3. Der Umfang der Aufhebung der Vollziehung bestimmt sich nach dem Antrag der Antragstellerin. Eine weitergehende Aussetzung ist nach § 113 FGO i.V.m. § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO nicht möglich. Daher kommt es auf die Frage, ob der angefochtene Bescheid im Sinne des Begehrens der Antragstellerin änderbar wäre oder ob dieser zunächst aufgehoben werden müsste, um dann einen Zusammenveranlagungsbescheid zu erlassen, nicht an.

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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Beschwerde ist nach § 128 Abs. 3 FGO zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.