Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 12.10.2007, Az.: 10 B 5037/07
Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen einer versammlungsrechtlichen Auflage zur Regelung der Streckenführung eines Demonstrationszuges
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 12.10.2007
- Aktenzeichen
- 10 B 5037/07
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2007, 55811
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGHANNO:2007:1012.10B5037.07.0A
Rechtsgrundlage
- § 15 Abs. 1 VersG
Verfahrensgegenstand
versammlungsrechtliche Auflagen
Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO
In der Verwaltungsrechtssache
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hat das Verwaltungsgericht Hannover - 10. Kammer -
am 12. Oktober 2007
beschlossen:
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
Der Antrag des Antragstellers,
die aufschiebende Wirkung seiner Anfechtungsklage gegen Ziffer II. Nr. 1 Punkt a) des Auflagenbescheides der Antragsgegnerin vom 11.10.2007 wiederherzustellen,
bleibt ohne Erfolg.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist materiell rechtmäßig, die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der vom Antragsteller erhobenen Klage gegen die von ihm benannte und in dem Bescheid der Antragsgegnerin vom 11.10.2007 enthaltene Auflage zur Streckenführung kommt nicht in Betracht.
Die vom Gericht nach § 80 Abs. 5 VwGO zu treffende Ermessensentscheidung setzt eine Abwägung der sich gegenüberstehenden Interessen voraus, in die auch die Erfolgsaussichten des eingelegten Rechtsbehelfs in der Hauptsache mit einzubeziehen sind. Bei einem offensichtlich Erfolg versprechenden Rechtsbehelf überwiegt im Hinblick auf die Art. 19 Abs. 4 GG zu entnehmende Garantie effektiven Rechtsschutzes das Suspensivinteresse des Betroffenen das öffentliche Vollzugsinteresse, so dass die aufschiebende Wirkung grundsätzlich wiederherzustellen bzw. anzuordnen ist. Ergibt eine rechtliche Einschätzung des Gerichts aber, dass der eingelegte Rechtsbehelf offensichtlich erfolglos bleiben wird, rechtfertigen diese fehlenden Erfolgsaussichten bei Vorliegen eines besonderen Vollzugsinteresses die Anordnung der sofortigen Vollziehung.
Nach der in diesem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen summarischen Prüfung wird die Klage des Antragstellers gegen die von ihm angefochtene Auflage voraussichtlich keinen Erfolg haben, da die Änderung der Streckenführung des angemeldeten Aufzugs vom Versammlungsrecht gedeckt ist.
Nach § 15 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes - VersG - kann die zuständige Behörde eine Versammlung unter anderem von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei der Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet ist.
Dabei folgt aus der Bedeutung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit, dass nicht jede Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung ein Verbot oder eine Beschränkung der Versammlung rechtfertigt. Unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit hat vielmehr eine Güterabwägung stattzufinden mit der Folge, dass ein Verbot oder eine Beschränkung nur zulässig ist, wenn es zum Schutz anderer, dem Versammlungsrecht gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist.
Diesen Anforderungen wird die Änderung der Streckenführung in dem Bescheid vom 11.10.2007 gerecht.
Die Kammer kommt zu dem Ergebnis, dass die Abwägung der in Betracht kommenden Rechtsgüter tatsächlich dazu führen muss, dass die vom Antragsteller angemeldete Demonstration nicht auf der gewünschten Demonstrationsroute ablaufen kann:
Soweit der Antragsteller für die Auftakt- und Abschlusskundgebung den Bahnhofsvorplatz angemeldet hatte, kollidiert dies mit den gleichermaßen geschützten Rechtgütern der Personen, die während der Zeit der Kundgebungen und bereits geraume Zeit davor - welche die Polizei für die Einrichtung von Absperrungen benötigt - von Süden kommend in die Nordstadt wollen. Ihnen wäre im Falle der Kundgebungen auf dem Bahnhofsvorplatz das Passieren der Unterführung im Verlauf der Hannoverschen Straße unmöglich. Ein guter Teil dieser Personen wird aber am Samstag die Nordstadt unzumutbar erschwert, um an zahlreichen religiösen Veranstaltungen teilzunehmen und ist daher in ihrer Religionsausübungsfreiheit beschränkt, sofern ihnen die Zufahrt zur Nordstadt genommen wird. Dazu gehören insbesondere Moslems aus allen Teilen Hildesheims, die den ganzen Tag die Moschee in der Leunisstraße aufsuchen werden. Der Antragsteller greift insoweit in seiner Argumentation zu kurz, wenn er davon ausgeht, dass das Fest des Fastenbrechens sich lediglich auf die Morgenstunden beschränkt.
Soweit der Antragsteller die Straße "Altes Dorf" als Kundgebungsort ablehnt, weil sie zu schmal sei, ist ihm entgegen zu halten, dass in der Straße ein Parkplatz zur Verfügung steht, der die vom Antragsteller erwarteten Kundgebungsteilnehmer aufnehmen kann. Die Antragsgegnerin hat insoweit telefonisch versichert, dass die Räumung des Parkplatzes veranlasst und von der Bahn AG zugesichert sei. Soweit der Antragsteller eine geringere Außenwirkung der Kundgebungen als auf dem Bahnhofsvorplatz befürchtet, hat er dies hinzunehmen, da es keine erkennbare Möglichkeit gibt, die Kundgebungen auf dem Bahnhofsvorplatz abzuhalten, ohne die Unterführung unter den Bahngleisen in die Nordstadt dauerhaft zu blockieren.
Soweit der Antragsteller weiter vorträgt, die in der Auflage festgesetzte Wegstrecke führe zu 70 % über Schnell- und Umgehungstraßen, auf denen der Demonstration keinerlei Außenwirkung zuteil werde, ist festzustellen, dass die auferlegte Streckenführung bis auf ihren Anfang mit der vom Antragsteller angemeldeten Streckenführung identisch ist. Außerdem ist auf im Internet zur Verfügung stehenden Luftbildern sehr wohl zu erkennen, dass an der gesamten auferlegten Wegstrecke auch Wohnbebauung vorhanden ist, so dass der Einwand des Antragstellers ins Leere geht.
Soweit der Antragsteller hinsichtlich des Erntedankgottesdienstes der Kirche Maria Lichtmess, Guter Hirt, anzweifelt, dass die insoweit schützenswerten Grundrechtsausübungen in die Abwägung aufzunehmen sind, ist ihm entgegenzuhalten, dass für ein "Nachschieben" der Gottesdienstanmeldung keinerlei Anhalt ersichtlich ist. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der angekündigte Gottesdienst eine längere Vorplanung erfahren hat. Ausweislich eines Schreibens der katholischen Pfarrgemeinde vom 01.10.2007 finden in der Kirche regelmäßig samstags um 17.00 Uhr Gottesdienstes statt und wird jedes Jahr ein Erntedankgottesdienst gefeiert. Zu diesem werden wiederkehrend als Dank die Mitglieder anderer Gemeinden eingeladen, die für den Mittagstisch der Kirchengemeinde spenden.
Aufgrund des geplanten Erntedankgottesdienstes in der Kirche Guter Hirt führt die Abwägung der maßgeblichen Grundrechte schließlich dazu, dass die angemeldete Demonstration im Streckenverlauf auch nicht über den auferlegten Ort der Zwischenkundgebung hinaus gehen kann. Anderenfalls wäre durch den Verlauf über die Fahrenheitstraße und die Zeppelinstraße die Zuwegung zu der Kirche abgeschnitten. Da das Gebiet um die Fahrenheitstraße lediglich über zwei Zuwegungen aus anderen Stadtgebieten verfügt und bereits eine davon durch den Streckenverlauf und die Zwischenkundgebung blockiert ist, muss die Anfahrt der Kirche über die Max-Eyth-Straße und Zeppelinstraße für die Gläubigen freigehalten bleiben. Anderenfalls wäre ihnen eine Teilnahme an dem Gottesdienst unmöglich und sie wären in ihrer Religionsfreiheit unzumutbar eingeschränkt. Auch insoweit ist nicht allein ein kurzzeitiges Passieren des Kirchengrundstückes durch den Demonstrationszug in der Abwägung zu berücksichtigen, sondern die Tatsache, dass die Polizei frühzeitig die gesamte Demonstrationsstrecke absperren und auf diese Weise freihalten muss, um den ungestörten Demonstrationsablauf gewährleisten zu können.
Auch ein besonderes Vollzugsinteresse liegt vor. Der Antragsgegnerin ist darin zu folgen, dass aufgrund der Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die drohen, wenn der geänderten Streckenführung nicht Folge geleistet wird, die Anordnung der sofortigen Vollziehung im öffentlichen Interesse geboten ist, da das Interesse des Antragstellers, die Demonstration auf einer anderen als der durch die Auflage festgesetzten Strecke durchzuführen, nur unwesentlich beeinträchtigt wird.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG und trägt der Tatsache Rechnung, dass die Entscheidung in der Hauptsache vorweggenommen wird.
Soweit über den Sachantrag entschieden worden ist, steht den Beteiligten die Beschwerde gegen diesen Beschluss an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht, Uelzener Straße 40, 21335 Lüneburg, zu.
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