Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 18.12.2002, Az.: 6 A 51/02
Anlieger; Räumpflicht; Straßenreinigung; Winterdienst; Zumutbarkeit
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 18.12.2002
- Aktenzeichen
- 6 A 51/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 42093
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 52 Abs 4 StrG ND
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Übertragung der Straßenreinigungspflicht einschließlich des Winterdienstes auf die Straßenanlieger
Tatbestand:
Der Kläger ist Anlieger der H.-K.-Straße in Wolfsburg. Zwischen seinem Grundstück (H.-K.-Straße 18) und dem Grundstück Nr. 13 zweigt von der H.-K.-Straße eine Stichstraße zu den Grundstücken Nr. 14 bis 17 ab, die hinter den Grundstücken H.-K.-Straße Nr. 12, 13 und 18 liegen und ebenfalls mit Wohngebäuden bebaut sind.
Nach § 1 Abs. 1 der Satzung über die Reinigung öffentlicher Straßen, Wege und Plätze in der Stadt Wolfsburg vom 28. Januar 1998 - RS - ist die Reinigung der öffentlichen Straßen (Fahrbahnen, Gehwege, Gossen und Parkstreifen), Wege und Plätze bis zur Mitte den Eigentümern der angrenzenden Grundstücke übertragen worden, soweit diese Grundstücke nicht nach Maßgabe der Verordnung über Art und Umfang der Reinigung öffentlicher Straßen, Wege und Plätze der Stadt Wolfsburg in der Fassung der Änderungsverordnung vom 21. Juli 1999 - RVO - in die öffentliche Straßenreinigung einbezogen worden sind. Nach Buchstabe D I der Anlage zur Reinigungsverordnung sind nur die Grundstücke 1, 3, 5, 7 bis 13, 18 bis 20, 24 bis 26, nicht aber auch die an der Stichstraße gelegenen Grundstücke 14 bis 17 in die öffentliche Straßenreinigung, die auch den Winterdienst umfasst, einbezogen worden. Dies gilt in gleicher Weise für die Grundstücke 21 bis 23, die an einem weiteren Stichweg liegen, der ebenfalls von der H.-K.-Straße abzweigt.
Unter dem 28. August 1998 wandte der Kläger sich unter Hinweis auf die von ihm als ungerecht empfundene Verpflichtung zur Reinigung des an seinem Grundstück seitlich vorbeiführenden Stichwegs (bis zur Mitte des Weges) an die Beklagte und forderte eine Einbeziehung der Hinterliegergrundstücke in die öffentliche Reinigung. Die Beklagte teilte dem Kläger daraufhin in einem Schriftsatz vom 26. August 1998 mit, dass wegen der geringen Breite des Stichwegs eine Reinigung mit Fahrzeugen der Stadt nicht möglich sei. Sofern der Kläger sich nicht in der Lage sehe, die Reinigung selbst durchzuführen, werde geraten, fremde Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Auf eine erneute schriftliche Eingabe des Klägers vom 12. Oktober 1998 mit dem Ziel, die Reinigungssatzung zu ändern, erläuterte die Beklagte dem Kläger in einem Schriftsatz vom 6. November 1998 noch einmal die Rechtslage. Die Behörde verwies darauf, dass die sich aus der Lage der Hinterliegergrundstücke ergebenden Unterschiede in dem Ausmaß der Reinigungspflicht von dem Kläger hinzunehmen seien.
Als der Kläger mit Schreiben vom 29. September 1999 ein weiteres Mal um die Freistellung von der Pflicht zur Reinigung eines Teils der angrenzenden Stichstraße nachsuchte und eine Einbeziehung des Stichwegs in die öffentliche Straßenreinigung forderte, lehnte die Beklagte diesen Antrag mit Bescheid vom 18. Juli 2000 als unbegründet ab. Den hiergegen erhobenen Widerspruch des Klägers vom 28. Juli 2000 wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 24. November 2000 als unbegründet zurück.
Am 8. Dezember 2000 hat der Kläger den Verwaltungsrechtsweg beschritten. Zur Begründung der Klage trägt er im Wesentlichen vor:
Die Beklagte solle entweder die Stichstraße mit kleineren Reinigungsfahrzeugen reinigen oder die Reinigungspflicht in vollem Umfang auf die Eigentümer der Hinterliegergrundstücke übertragen. Nach wie vor empfinde er die bisherige Regelung als ungerecht und könne sich damit nicht zufrieden geben.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 18. Juli 2000 i.d.F. des Widerspruchsbescheids vom 24. November 2000 zu verpflichten, den Stichweg in die öffentliche Straßenreinigung einzubeziehen und jeden Anlieger der Stichstraße zu 1/6 an den Reinigungskosten zu beteiligen
oder
seine Reinigungspflicht räumlich bis zu der auch durch die Straßenpflasterung sichtbaren Stelle zu begrenzen, an der sich die Stichstraße vor den Grundstücken Nr. 14 bis 17 erweitert.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie entgegnet:
Die von der H.-K.-Straße abzweigenden Stichstraßen seien nicht in die öffentliche Straßenreinigung einbezogen worden, weil sie für die dort eingesetzten Reinigungsfahrzeuge der Stadt zu eng seien. Die Reinigung sei stattdessen den Eigentümern der anliegenden Grundstücke, darunter auch dem Kläger, übertragen worden, wie dies nach § 52 NStrG zulässig sei. Wegen der Eigenart der örtlichen Gegebenheiten sei hier die Übertragung der Reinigungspflicht in Betracht gekommen. Hiervon hätten die Eigentümer der Grundstücke 13 und 18 nicht ausgenommen und die Reinigungspflicht bezüglich der Stichstraße in vollem Umfang, auch entlang den Grundstücken 13 und 18, den Eigentümern der Hinterliegergrundstücke 14 bis 17 auferlegt werden können. Dem jeweiligen Grundstückseigentümer könne eine Reinigungspflicht nur so weit übertragen werden, wie sein Grundstück an die öffentliche Verkehrsfläche angrenze. Der Einsatz einer öffentlichen Handkolonne wäre unter finanziellen Gesichtspunkten unverhältnismäßig. Für solche Fälle sehe die Satzung eine Übertragung auf die Eigentümer der Anliegergrundstücke vor. Eine andere Regelung, mit der in gesetzeskonformer Weise das von dem Kläger verfolgte Ziel erreicht werden könne, sei nicht erkennbar.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist nicht begründet.
Nach § 52 Abs. 1 Satz 1 NStrG sind in Niedersachsen die Straßen, zu denen u.a. auch die dem öffentlichen Verkehr gewidmeten Wege und Plätze einschließlich der Gehwege gehören (§ 2 NStrG), innerhalb der geschlossenen Ortslage zu reinigen. Art, Maß und räumliche Ausdehnung der ordnungsgemäßen Straßenreinigung, die auch den Winterdienst umfasst, sind von der Gemeinde in einer Verordnung zu regeln (§ 52 Abs. 1 Satz 2 NStrG). Dies ist hier mit der Reinigungsverordnung der Beklagten in der Fassung vom 21. Juli 1999 - RVO - erfolgt. Reinigungspflichtig sind nach § 52 Abs. 2 NStrG grundsätzlich die Gemeinden, die allerdings die ihnen obliegenden Straßenreinigungspflichten ganz oder teilweise den Anliegern der an den Straßen liegenden Grundstücke übertragen können (§ 52 Abs. 4 Satz 1 NStrG). Hiervon hat die Beklagte mit ihrer Reinigungssatzung vom 28. Januar 1998 - RS - Gebrauch gemacht.
Gegen die Übertragung der Straßenreinigungspflicht von der Beklagten auf die Straßenanlieger, insbesondere auch hinsichtlich des Winterdienstes bei Eis- und Schneeglätte, bestehen aus verfassungsrechtlicher Sicht keine durchgreifenden Bedenken. Der Straßenanlieger profitiert in besonderem Maße davon, dass sein Grundstück durch eine oder mehrere daran vorbeiführende Straßen erschlossen wird. Die Straße bietet dem Anlieger die Möglichkeit, über das Straßennetz von Fahrzeugen der Ver- und Entsorgung sowie von Rettungsfahrzeugen erreicht zu werden, aber auch selbst mit Fahrzeugen oder als Fußgänger das Straßennetz zu nutzen. Dies rechtfertigt es, dem Grundeigentümer nicht nur Geldleistungspflichten (z.B. Erschließungs- und Straßenausbaubeiträge) für den Bau und die Unterhaltung von Straßen aufzuerlegen, sondern ihn außerdem zur polizeimäßigen Reinigung des an seinem Grundstück gelegenen Straßenabschnitts heranzuziehen, um auf diese Weise - auch in seinem Interesse - die Sicherheit und Leichtigkeit des auf der Straße stattfindenden Verkehrs zu gewährleisten. Eine solche Heranziehung des Straßenanliegers ist im Rahmen der Sozialbindung des Eigentums (Art. 14 Abs. 2 GG) statthaft. Das nach Maßgabe des Grundgesetzes gewährleistete Privateigentum unterliegt insoweit Beschränkungen, als es zum Wohle der Allgemeinheit auch mit Pflichten verbunden ist. Dem Grundstückseigentümer als Straßenanlieger können deshalb zum Ausgleich für die ihm durch die Straßenanbindung zuwachsenden Vorteile im Interesse der Allgemeinheit Verpflichtungen in Form der Straßenreinigung auferlegt werden. Eine solche Heranziehung der Straßenanlieger zur Straßenreinigung ist überdies mit dem persönlichen Freiheitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG) zu vereinbaren, denn diese Reinigungspflicht braucht von den betroffenen Grundstückseigentümern nicht persönlich erfüllt zu werden, sondern kann auch auf Dritte, insbesondere private Reinigungsfirmen, übertragen werden (OVG Lüneburg, Beschl. vom 14.12.1992, 12 K 113/92 m.w.N.).
Die Straßenreinigungssatzung der Beklagten verstößt nicht deshalb gegen höherrangiges Recht, weil die gebührenpflichtige Straßenreinigung, soweit sie von der Beklagten selbst durchgeführt wird, nicht sämtliche Straßen im Zuständigkeitsbereich der Stadt Wolfsburg erfasst, sondern in einigen Teilen des Stadtgebietes - wie im Falle des Klägers hinsichtlich des von der H.-K.-Straße abzweigenden Stichweges neben seinem Grundstück - die Anlieger der von der öffentlichen Straßenreinigung ausgenommenen Erschließungsanlagen zur Straßenreinigung verpflichtet. Aus den Regelungen des Nds. Straßengesetzes ist zu entnehmen, dass die gebührenpflichtige gemeindliche Reinigungsleistung gleichwertig neben der persönlichen Reinigungsleistung der Anlieger steht und der Satzungsgeber nicht verpflichtet ist, die Entscheidung für die eine oder die andere Alternative für das gesamte Gemeindegebiet einheitlich zu treffen (vgl. hierzu: VGH Kassel, Urt. vom 18.08.1999, NVwZ-RR 2000, 242 [OVG Sachsen 15.07.1998 - 3 S 695/97] m.w.N.).
Die Übertragung der Reinigungspflicht auf die Straßenanlieger kann gerade in Bezug auf die Winterwartung durchaus in gewissem Umfang zu einer Belastung führen. Zu dieser Belastung sind jedoch die Vorteile in Beziehung zu setzen, die die Straßenanlieger von der Straßenanbindung und der Aufrechterhaltung eines ungehinderten Verkehrsflusses auch im Winter haben. Hinzu kommt, dass die Winterwartung angesichts plötzlicher Witterungsveränderungen sofortige Sicherungsmaßnahmen durchweg im gesamten Gebiet einer Gemeinde erfordert, damit die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs bei plötzlich eintretendem Schneefall oder weiträumig auftretender Glättebildung gewährleistet ist. Solche Sicherungsmaßnahmen sind jedoch nur dann gewährleistet, wenn entweder die Winterwartung auf eine große Zahl gleichzeitig tätig werdender Pflichtiger, die Anlieger der Straßen, übertragen wird oder wenn stattdessen ein kostenaufwändiger Fuhrpark von der Gemeinde vorgehalten wird und zahlreiche Gemeindebedienstete eingesetzt oder die kostenaufwändigen Leistungen einer privaten Reinigungsfirma in Anspruch genommen werden. Wenn sich bei dieser Sachlage die Gemeinde dazu entschließt, auch im Interesse einer niedrigen Abgabenbelastung der Gemeindebürger die Reinigungspflicht jedenfalls dort auf die Eigentümer der an die Gehwege und Fahrbahnen angrenzenden Grundstücke zu verteilen, wo andernfalls nicht unbeträchtliche Kosten bei einer öffentlichen Straßenreinigung anfallen würden, so ist dies nicht zu beanstanden (OVG Lüneburg, Beschl. vom 14.12.1992, aaO.; BVerwG, Urt. vom 11.03.1988, NJW 1988, 2121 [BVerwG 11.03.1988 - BVerwG 4 C 78.84] m.w.N.). Diesen Gesichtspunkt hat die Beklagte in Bezug auf die unterschiedliche Ausgestaltung der Reinigungsverpflichtung für den Verlauf der H.-K.-Straße einerseits und der davon abzweigenden Stichstraße andererseits hervorgehoben.
Die Übertragung der Reinigungspflicht auf die Straßenanlieger unterliegt allerdings insoweit Grenzen, als die Erfüllung dieser Verpflichtung für die Straßenanlieger nicht unzumutbar sein darf. Als unzumutbar in diesem Sinne ist eine Reinigungspflicht dann anzusehen, wenn die Straßenanlieger dieser Verpflichtung wegen des starken Verkehrsaufkommens nur unter Gefahren für Leib und Leben erfüllen könnten. Dies ist bei einer nur geringen Verkehr aufweisenden Anliegerstraße wie der H.-K.-Straße aber nicht der Fall. Unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse in der neben dem Grundstück des Klägers abzweigenden Stichstraße ist es auch nicht zu beanstanden, dass dem Kläger als Anlieger im Rahmen der Winterwartung die Beseitigung von Schnee und Eis auf der Fahrbahn dieser Stichstraße bis zur Fahrbahnmitte auferlegt worden ist (vgl. hierzu: Wichmann, Straßenreinigung und Winterdienst in der kommunalen Praxis, 3. Aufl., 2000, Rn 183 ff.).
Zwar ist einzuräumen, dass die von der Beklagten getroffene Regelung in Einzelfällen zu Ergebnissen führen kann, die nicht unbedingt befriedigen. Es ist nicht zu verkennen, dass der Kläger im Hinblick darauf, dass sein Grundstück an drei Seiten von Verkehrsflächen umschlossen ist, ungleich stärker zur Straßenreinigung herangezogen wird als sein Nachbar des Grundstücks Nr. 17, der lediglich in der Breite seiner Grundstückszufahrt, mit der er an der Stichstraße angrenzt, Reinigungsdienste zu leisten hat. Darin liegt aber noch kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz. Die Länge der Grundstücksgrenze, mit der das Grundstück des Klägers an öffentliche Wegeflächen stößt, ist noch nicht derart lang, dass von einem Unzumutbarkeitsgrund für die Übertragung der Reinigungspflicht ausgegangen werden kann (vgl. hierzu: Wichmann, aaO., Rn 188 m.w.N.; OVG Münster, Urt. vom 18.11.1996, GemH 2000, 136).
Die Klage ist deshalb mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 13 Abs. 1 Satz 2, 15 und 73 Abs. 1 Satz 1 GKG.