Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 19.12.2002, Az.: 8 A 345/02
Anschrift; Empfangsbekenntnis; Rechtsschutzinteresse; Unterschrift; Untertauchen eines Asylbewerbers; Zustellung
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 19.12.2002
- Aktenzeichen
- 8 A 345/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 43426
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 10 Abs 1 AsylVfG
- § 10 Abs 7 AsylVfG
- § 56 Abs 2 VwGO
- § 82 Abs 2 VwGO
- § 174 Abs 4 ZPO
- § 189 ZPO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Ein Verstoß gegen zwingende Zustellungsvorschriften liegt vor, wenn das Empfangsbekenntnis über die Ladung zum Termin nicht von einem prozessbevollmächtigten Rechtsanwalt, sondern in dessen Auftrag lediglich durch eine Rechtsanwaltsgehilfin abgezeichnet worden ist.
Tenor:
Die Klage wird als offensichtlich unzulässig abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand:
Der Kläger ist georgischer Staatsangehöriger georgischer Volkszugehörigkeit.
Das Gericht folgt den Feststellungen des angefochtenen Verwaltungsaktes, soweit sich diese im letzten Absatz auf der Seite 1 und im ersten Absatz auf der Seite 2 des Bescheides des Bundesamtes vom 20. Juni 2002 finden, und sieht insoweit von einer Darstellung des Tatbestandes ab (§ 77 Abs. 2 AsylVfG).
Durch den Bescheid vom 20. Juni 2002 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Antrag des Klägers auf Anerkennung als Asylberechtigter als offensichtlich unbegründet ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG offensichtlich nicht und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorlägen. Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen und ihm wurde für den Fall der Nichteinhaltung der Ausreisefrist die Abschiebung nach Georgien angedroht.
Nach Zustellung des Bescheides am 24. Juni 2002 hat der Kläger am 08. Juli 2002 den Verwaltungsrechtsweg beschritten.
Der Kläger ist der Auffassung, die Klage sei zulässig. Es sei ihm nämlich gegen das Versäumnis der Klagefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil weder ihn selbst noch seine Prozessbevollmächtigten ein Verschulden an der Verfristung der Klage treffe. Deren verspätete Erhebung beruhe vielmehr auf einem Versehen einer bislang ausnahmslos zuverlässigen Angestellten in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten, der ein solcher Fehler erstmals unterlaufen sei. Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens zu dem Wiedereinsetzungsgesuch wird gemäß § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO auf die Schriftsätze des Klägers vom 08. und 15. Juli sowie vom 04. September 2002 verwiesen.
Der Kläger beantragt, unter Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 20.06.2002 teilweise aufzuheben,
den Leiter des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge zu verpflichten festzustellen, dass in der Person des Klägers die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot i. S. d. § 51 Abs. 1 AuslG erfüllt sind,
(hilfsweise) den Leiter des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge zu verpflichten festzustellen, dass hinsichtlich des Klägers Abschiebungshindernisse i. S. d. § 53 AuslG vorliegen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor, dass es aus ihrer Sicht nicht in erster Linie darum gehe, im Vorfeld durch richterliche Vernehmung die Zulässigkeit der Klage zu klären, obwohl die Zweifel an der bisherigen Darstellung des Sachverhalts, die der Kläger zur Grundlage seines Wiedereinsetzungsgesuchs gemacht habe, nicht gänzlich ausgeräumt seien.
Der Kläger ist einer unter dem 15. August 2002 ergangenen Zuweisung in den Landkreis Uelzen nicht gefolgt. Seit dem 05. September 2002 ist sein Aufenthalt unbekannt.
Mit Beschluss vom 16. Juli 2002 ist der Rechtsstreit dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen worden. Dieser hat mit Beschluss vom 07. November 2002 angeordnet, dass am 04. Dezember 2002 abgesondert über die Zulässigkeit der Klage verhandelt wird. Die Ladung zu diesem Termin ist den Bevollmächtigten des Klägers am 8. November 2002 zugegangen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte, das Protokoll der mündlichen Verhandlung und den Verwaltungsvorgang der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Das Gericht kann entscheiden, obwohl weder der Kläger persönlich noch seine Bevollmächtigten zu der mündlichen Verhandlung erschienen sind und die Ladung, die den erforderlichen Hinweis nach § 102 Abs. 2 VwGO enthielt, den Bevollmächtigten des Klägers nur unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen ist.
Ein Verstoß gegen zwingende Zustellungsvorschriften liegt vor, weil das Empfangbekenntnis über die Ladung zum Termin nicht von einem prozessbevollmächtigten Rechtsanwalt, sondern in dessen Auftrag lediglich durch die anlässlich des Zugangs der Ladung ebenfalls anwesende Rechtsanwaltsgehilfin, Frau M., abgezeichnet worden ist. Deren Unterschrift genügt nämlich – auch wenn sie im Auftrag des Anwalts gehandelt hat – nicht den Anforderungen der §§ 56 Abs. 2 VwGO, 174 Abs. 4 Satz 1 ZPO an die Unterzeichnung durch den Adressaten (vgl. Stöber in: Zöller, ZPO, 23. Aufl. 2002, § 174 RN 12 m. w. N.). Zwar ist den Prozessbevollmächtigten des Klägers zuzugestehen, dass sich in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urt. v. 10. 6. 1976 – IX ZR 51/75 –, BGHZ 67, 10 ff.) die Auffassung findet, ein Rechtsanwalt könne sich bei der Zustellung nach § 5 Abs. 2 VwZG durch einen Büroangestellten zur Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses in solchen Verfahren vertreten lassen, in denen die Vertretung durch Anwälte nicht geboten ist. Abgesehen davon, dass diese Rechtsprechung umstritten geblieben ist (vgl. zur Gegenauffassung: OVG Hamburg, Beschl. v. 24. 9. 1998 – BS VI 122/96 –, NJW 1999, 965 f.), vollzieht sich aber seit dem 1. Juli 2002 die Zustellung von Ladungen nicht mehr nach den Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes (vgl. demgegenüber § 56 Abs. 2 VwGO a. F.). Die Beauftragung der Kanzleikraft mit der Abzeichnung des Empfangsbekenntnisses erweist sich vor diesem rechtlichen Hintergrund als unstatthaft, rechtfertigt indessen nicht den Schluss, es habe den bevollmächtigten Anwälten des Klägers unter Verstoß gegen § 14 Satz 1 BORA an dem Willen gefehlt, die Zustellung entgegenzunehmen. Für einen Rechtsirrtum spricht auch, dass der Kläger sich mit Schriftsatz vom 21. November 2002 unter Bezugnahme auf den geladenen Termin eingelassen hatte, aber trotz diverser anderer Rügen eine Mitteilung im Sinne von § 14 Satz 2 BORA nicht erfolgt ist. Nach alldem kann die Ladung gemäß den §§ 56 Abs. 2 VwGO, 189 ZPO als den Bevollmächtigten am 8. November 2002 zugestellt angesehen werden.
Die Klage wird als offensichtlich unzulässig (§ 78 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) abgewiesen, weil es auf der Hand liegt, dass es, seit der Kläger unbekannten Aufenthalts ist, und damit auch zum maßgeblichen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1, Halbsatz 1 AsylVfG) der letzten mündlichen Verhandlung, an der nach § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO erforderlichen (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. 4. 1999 – BVerwG 1 C 24.97 -, DVBl. 1999, 989 ff.) Bezeichnung des Klägers durch die Angabe einer aktuellen Wohnungsanschrift fehlt. Der Kläger war zur Angabe einer solchen Anschrift auch nicht nach § 82 Abs. 2 Satz 1 VwGO noch einmal gesondert aufzufordern. Eine solche Aufforderung ist nämlich schon grundsätzlich nicht zwingend (Ortloff in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: Januar 2002, § 82 RN 18; a. A.: Geiger in: Eyermann, VwGO, 11. Aufl. 2000, § 82 Rdnr. 15), und kann jedenfalls in Prozessen über asylrechtliche Streitigkeiten unterbleiben, wenn – wie im vorliegenden Falle – eine ordnungsgemäße (§ 10 Abs. 7 AsylVfG) Belehrung des Klägers darüber erfolgt ist, dass er dem angerufenen Gericht jeden Wechsel der Anschrift unverzüglich anzuzeigen hat (§ 10 Abs. 1 AsylVfG).
Davon abgesehen ist die Klage auch deshalb offensichtlich unzulässig, weil ihr das Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Ein um Abschiebungsschutz nachsuchender Ausländer, der untergetaucht ist und sich verborgen hält, hat nämlich wegen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens kein Rechtsschutzinteresse an einer gerichtlichen Entscheidung. Vielmehr gibt er durch sein Verhalten zu erkennen, dass er sich einem regulären gerichtlichen Verfahren nicht stellen will (vgl. Nds. OVG, Beschl. vom 20. 12. 1999 – 12 M 4779/99 –, zitiert nach dem Intranet der Niedersächsischen Verwaltungsgerichtsbarkeit; Thüringer OVG, Beschl. vom 2. 7. 1999 – 3 ZEO 1154/98 -, NVwZ-Beilage 2000, 5; VG Braunschweig, Beschl. vom 8. 8. 2000 – 6 B 364/00 -, zitiert nach dem Intranet der Niedersächsischen Verwaltungsgerichtsbarkeit).
Vor diesem Hintergrund kommt es nicht mehr darauf an, ob die Zulässigkeit der Klage zudem an ihrer Verfristung scheitert oder Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren wäre.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.