Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 04.12.2002, Az.: 8 A 435/02

Aufenthaltsermittlung; Frist; Verschulden; Wiedereinsetzung; Wiedereinsetzungsfrist

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
04.12.2002
Aktenzeichen
8 A 435/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 43440
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Es liegt ein Anwaltsverschulden vor, das die Gewährung von Wiedereinsetzungen ausschließt, wenn Wiedereinsetzungsgründe deshalb nicht rechtzeitig vorgebracht worden sind, weil es die Prozessbevollmächtigte unterlassen hat, den infolge landesinterner Verteilung der Asylbewerber abgerissenen Kontakt zu den Mandanten dadurch wiederherzustellen, dass sie zeitnah effektive Maßnahmen zur Aufenthaltsermittlung ergriff.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Kläger können eine Vollstreckung durch die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe des festgesetzten Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

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Die Kläger sind russische Staatsangehöriger tschetschenischer Volkszugehörigkeit und reisten nach eigenen Angaben am 19. Juni 2002 auf dem Landwege über ihnen unbekannte Länder in die Bundesrepublik Deutschland ein. Dort stellten sie am 23. Juli 2002 Asylanträge. Die Kläger zu 1) und zu 2) wurden aus diesem Anlass schriftlich und gegen Empfangsbestätigung auf die Zustellungsvorschriften des § 10 AsylVfG hingewiesen.

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Das Gericht folgt den Feststellungen des angefochtenen Verwaltungsaktes, die sich in dem zweiten (durch Leerzeilen abgetrennten) Absatz auf der Seite 2 des Bescheides vom 13. August 2002 finden, und sieht insoweit von einer Darstellung des Tatbestandes ab (§ 77 Abs. 2 AsylVfG).

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Durch den Bescheid vom 13. August 2002 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge die Anträge der Kläger auf Anerkennung als Asylberechtigte ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorlägen und forderte die Kläger unter Fristsetzung zur Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland auf. Für den Fall der Nichteinhaltung der Ausreisefrist wurde die Abschiebung in die Russische Föderation angedroht.

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Am 15. August 2002 wurde der angegriffene Bescheid in der Aufnahmeeinrichtung Braunschweig dem Klägerin zu 1) ausgehändigt.

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Am 02. September 2002 haben die Kläger den Verwaltungsrechtsweg beschritten.

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Sie sind der Auffassung, die Klage sei zulässig, weil ihnen auf ihr Wiedereinsetzungsgesuch vom 21. November 2002 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen das Versäumnis der Klagefrist zu gewähren sei. Sie hätten den angegriffenen Bescheid nicht sofort an ihre Prozessbevollmächtigte weitergeleitet, weil sie zunächst jemanden gesucht hätten, der ihnen erklärte, was in dem Brief stehe. Die Klägerin zu 2) sei dann am 19. August 2002 in das Krankenhaus eingeliefert worden. Zwar habe man sie dort bereits am 20. August 2002 gegen ärztlichen Rat entlassen, sie habe sich aber sehr schlecht gefühlt. Nachdem sie wieder etwas zu sich gekommen sei, habe sie den Bescheid ihrer Prozessbevollmächtigten zugesandt. Ihr Mann habe dies während ihres Krankenhausaufenthaltes nicht getan, weil die Klägerin zu 2) allein in der Lage sei, sich in Verwaltungsangelegenheiten zurecht zu finden. Der Kläger zu 1) sei nämlich psychisch schwer krank und es sei ihm noch nicht gelungen, sich in psychologische oder psychiatrische Behandlung zu begeben. Ihre, der Kläger, Prozessvertreterin habe den angegriffenen Bescheid zwar schon am 02. September 2002 von Seiten der Beklagten erhalten. Von der Verfristung der Klage habe die Bevollmächtigte aber erst am 18. September 2002 erfahren, als ihr die gerichtliche Verfügung des Vorsitzenden vom 16. September 2002 mit der Klageerwiderung zugegangen sei. Sofort habe sich die Prozessbevollmächtigte um Kontakt mit ihnen, den Klägern, bemüht. Das noch an die Anschrift der Aufnahmeeinrichtung in Braunschweig adressierte Schreiben vom 19. September 2002 sei jedoch mit dem Vermerk, „Der Empfänger hält sich nicht mehr in unserer Einrichtung auf.“, zurückgeschickt worden. Über andere Asylbewerber habe die Prozessbevollmächtigte zwar ihre, der Kläger, Anschrift ermitteln können. Die Adresse sei ihr aber erst am 30. Oktober 2002 mitgeteilt worden. Am 31. Oktober 2002 habe die Rechtsanwältin sie, die Kläger, dann aufgefordert, sich mit ihr am 05. November 2002 in Verbindung zu setzen. Bei dem daraufhin erfolgten Telefonat habe die Klägerin zu 2) die dargelegten Umstände geschildert und sei gebeten worden, eine Bestätigung des Krankenhauses beizubringen. Der Brief, der diese Bescheinigung enthalten habe, sei am 11. November 2002 bei der Rechtsanwältin eingegangen. Diese stehe gegenwärtig unter erheblichem zeitlichen Druck und habe deshalb nicht am selben Tage die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragen können. Jedoch sei auch die Beantragung drei Tage nach Posteingang als unverzüglich zu betrachten.

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Die Kläger beantragen, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren und

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die Beklagte zu verpflichten, unter teilweiser Aufhebung deren Bescheides vom 13. August 2002, Az.: 2773606-160 für sie das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG festzustellen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie macht geltend, die Klage sei verfristet.

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Der Rechtsstreit ist durch Beschluss der Kammer vom 23. Oktober 2002 dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen worden. Dieser hat mit Beschluss vom 07. November 2002 angeordnet, dass am 04. Dezember 2002 abgesondert über die Zulässigkeit der Klage verhandelt werde.

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Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und den Verwaltungsvorgang der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage bleibt als unzulässig erfolglos, weil sie verfristet ist und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden kann.

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Gemäß § 74 Abs. 1, Halbsatz 1 AsylVfG muss eine Klage, die sich gegen eine Entscheidung nach dem Asylverfahrensgesetz richtet, innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung dieser Entscheidung erhoben werden. Der ablehnende Bescheid des Bundesamtes vom 13. August 2002 wurde den Klägern gemäß den §§ 31 Abs. 1 Satz 2, 10 Abs. 3 und Abs. 4 Satz 4, Halbsatz 1 AsylVfG am 15. August 2002 zugestellt. Er war mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung versehen. Gemäß den §§ 57 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO, 187 Abs. 1 und 188 Abs. 2 BGB lief somit die Zweiwochenfrist für die Klageerhebung am 29. August 2002, 24.00 Uhr, ab. Sie war demnach bereits versäumt, als die Klage am 02. September 2002 bei dem Verwaltungsgericht Braunschweig eingegangen ist.

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Hinsichtlich des Versäumnisses der Klagefrist kann den Klägern Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 60 VwGO nicht gewährt werden. Es kann dahingestellt bleiben, ob die mit dem Wiedereinsetzungsantrag vom 21. November 2002 vorgetragenen Gründe für die verspätete Erhebung der Klage auf einem Verschulden der Kläger beruhen, ihnen insbesondere vorzuwerfen ist, dass sie nicht selbst die Klage bei dem Verwaltungsgericht erhoben oder sich zu diesem Zwecke früher mit ihrer Prozessbevollmächtigten in Verbindung setzten. Denn der Wiedereinsetzungsantrag und die Tatsachen zu seiner Begründung sind ihrerseits verspätet gestellt bzw. vorgebracht worden, ohne dass hinsichtlich dieser Verspätung Wiedereinsetzung zu gewähren ist.

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Nach § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist der Wiedereinsetzungsantrag zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Wie sich aus Absatz 2 Sätze 2 und 3 der Vorschrift ergibt, sind innerhalb dieser Frist die Tatsachen zur Begründung des Antrages vorzubringen und ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen. Der Beginn der Antragsfrist setzt keine positive Kenntnis der Fristversäumnis voraus; das Hindernis entfällt vielmehr schon zu dem Zeitpunkt, zu dem Zweifel an der Einhaltung der Frist aufkommen (Jörg Schmidt in: Eyermann, VwGO, 7. Aufl. 2000, § 60 Rdnr. 26). Deshalb war im vorliegenden Falle das Hindernis jedenfalls nicht mehr gegeben, seit die Prozessbevollmächtigte der Kläger am 18. September 2002 davon Kenntnis erlangte, dass die Beklagte die Klage für verfristet hielt, weil der angefochtene Bescheid am 15. August 2002 zugestellt worden sei. Innerhalb der darauf folgenden zwei Wochen, also bis zum Ablauf des 02. Oktober 2002, haben die Kläger aber weder einen Wiedereinsetzungsantrag gestellt, noch die Tatsachen vorgebracht, die eine Wiedereinsetzung in die Klagefrist rechtfertigen sollen. Der Sachverhalt, der zur Versäumung dieser Frist geführt hat, war dem Verwaltungsgericht innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist auch nicht bekannt. Deshalb scheidet eine Wiedereinsetzung in die Klagefrist nach § 60 Abs. 2 Satz 4 VwGO aus.

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In Anbetracht seiner Verfristung ist der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Klagefrist unzulässig, weil den Klägern bezüglich der Zweiwochenfrist des § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO Wiedereinsetzung (vgl. hierzu: BVerwG, Urteil vom 20.06.1995 - BVerwG 1 C 38.93 -, Buchholz 310, § 60 Nr. 200) nicht gewährt werden kann. Insoweit mag offen bleiben, ob diese Wiedereinsetzung bereits deshalb nicht zu gewähren ist, weil die Kläger schon das Hindernis für die Einhaltung der Wiedereinsetzungsfrist verschuldeten. Als Hindernis in diesem Sinne kommt im vorliegenden Fall nur der mangelnde Kontakt und Informationsaustausch zwischen den Klägern und ihrer Prozessbevollmächtigten in Betracht. Für ein Verschulden der Kläger daran könnte insbesondere sprechen, dass die Kläger zu 1) und zu 2) im Zuge ihrer Asylantragstellung auf die Vorschrift des § 10 Abs. 1 AsylVfG hingewiesen worden waren. Aus dieser Vorschrift ergibt sich nämlich eine Obliegenheit der Asylbewerber, jedenfalls Bevollmächtigte und Empfangsberechtigte unverzüglich von Aufenthaltswechseln zu unterrichten, um auf diese Weise auch für das Gericht ihre Erreichbarkeit sicherzustellen (Schenk in: Hailbronner, AuslR., Kommentar, Stand: August 2002, § 10 AsylVfG, Rdnr. 13). Selbst wenn man trotzdem zugunsten der Kläger davon ausgeht, dass es nicht auf einem ihnen zurechenbaren Verschulden beruht, dass die Frist für ein Gesuch um Wiedereinsetzung in die Klagefrist versäumt wurde, ist Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist nicht zu gewähren. Für eine solche Wiedereinsetzung gilt nämlich wiederum die Frist des § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Diese Frist beginnt entweder mit dem tatsächlichen Wegfall des Hindernisses zu laufen oder mit dem Zeitpunkt, von dem an das Weiterbestehen des Hindernisses nicht mehr als unverschuldet angesehen werden kann (Jörg Schmidt, a.a.O.). Die Bevollmächtigte wusste seit dem 24. September 2002, dass sich die Kläger nicht mehr in der Aufnahmeeinrichtung Braunschweig aufhielten. Dass sie gleichwohl erst am 30. Oktober 2002 die aktuelle Adresse der Kläger ausfindig machte und erst am 05. November 2002 in einen Informationsaustausch eintrat, kann nicht als unverschuldet angesehen werden. Die Bevollmächtigte hätte sich nämlich in Anbetracht der Bedeutung der Angelegenheit nicht darauf beschränken dürfen, die Anschrift der Kläger über andere Asylbewerber zu ermitteln. Geboten gewesen wäre vielmehr eine sofortige Anfrage per Telefon oder Fax bei der Zentralen Anlaufstelle in Braunschweig, wohin man die Kläger verteilt habe, und ggf. eine nachfolgende Anfrage bei der zuständigen Ausländerbehörde, wie die konkrete Adresse der Kläger laute. Für eine erfolgreiche Kontaktaufnahme mit den Klägern und die Klärung der Frage des Vorliegens von Wiedereinsetzungsgründen ist in Anbetracht der heutigen technischen Kommunikationsmittel der Prozessbevollmächtigten lediglich ein Zeitraum von maximal zwei Wochen zuzubilligen. Dies gilt hier in besonderer Weise vor dem Hintergrund, dass die Bevollmächtigte selbst russisch spricht und deshalb ohne weiteres auch fernmündliche Mandantengespräche geführt werden konnten. Somit ist jedenfalls seit Ablauf des 08. Oktober 2002 ein unverschuldetes Hindernis für die Stellung eines Wiedereinsetzungsantrages nicht mehr anzuerkennen. Das Verschulden der Bevollmächtigten der Kläger steht gemäß den §§ 173 VwGO, 85 Abs. 2 ZPO eigenem Verschulden der Kläger gleich. Dies gilt auch in Prozessen über asylrechtliche Streitigkeiten (BVerfG, Beschl. v. 21. 6. 2000 – 2 BvR 1989/97 –, AuAS 2000, 197 [198]). Inwieweit ein Eigenverschulden der Kläger persönlich vorliegt, kann deshalb hier offen bleiben. Diese Frage wäre nur im Rahmen eines etwaigen Antrags der Kläger an das Bundesamt, das Verfahren hinsichtlich der Feststellungen zu Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG im Ermessenswege wieder aufzugreifen, von Bedeutung (vgl. BVerfG, a. a. O., Seite 199, m. w. N.). Die Frist, binnen der der mangelnde Kontakt und Informationsaustausch zwischen den Klägern und ihrer Prozessbevollmächtigten als Grund für die Wiedereinsetzung in die versäumte Wiedereinsetzungsfrist allenfalls hätte erfolgreich vorgebracht werden können und innerhalb der das Wiedereinsetzungsgesuch hinsichtlich der versäumten Klagefrist nachzuholen gewesen wäre, lief jedenfalls am 22. Oktober 2002, 24.00 Uhr, ab. Die Kläger begehrten aber erstmals am 21. November 2002 – und damit verspätet – unter Geltendmachung von Wiedereinsetzungsgründen Wiedereinsetzung im Hinblick auf die Versäumung der Klagefrist.

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Nach alldem kann Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist und damit auch Wiedereinsetzung gegen das Versäumnis der Klagefrist nicht gewährt werden. Die unzulässige Klage ist abzuweisen.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Nebenentscheidungen im Übrigen beruhen auf den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.