Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 24.06.1996, Az.: 3 L 3433/93

Regeln der Technik; Baubestimmungen; DIN; Abwasseranlage; Errichtung; Zulässigkeit

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
24.06.1996
Aktenzeichen
3 L 3433/93
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1996, 13261
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1996:0624.3L3433.93.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Braunschweig 19.05.1993 - 10 A 10169/92
nachfolgend
BVerwG - 30.09.1996 - AZ: BVerwG 4 B 175/96

Fundstellen

  • Schriftt u Rspr 1996, 22
  • ZfW 1997, 190

Amtlicher Leitsatz

1. Unter die Regeln der Technik im Sinne des § 153 Abs 1 NdsWG (WasG ND) fallen auch technische Baubestimmungen, die von Fachausschüssen und Sachverständigengremien erstellt worden sind, wie die Vorschriften des Deutschen Normausschusses (DIN).

2. Die Worte in § 18b Abs 1 WHG "sind ... zu errichten und zu betreiben" sind so zu verstehen, daß Abwasseranlagen nur dann errichtet und betrieben werden dürfen, wenn sie die in Betracht kommenden Regeln der Technik einhalten.

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig - 10. Kammer - vom 19. Mai 1993 geändert. Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens trägt der Kläger. Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

1

I.

Der Kläger ist Eigentümer des 800 qm großen Grundstücks ... 1 in .... Für dieses Grundstück obliegt ihm die Pflicht zur Beseitigung des Abwassers (§ 149 Abs. 4 NWG), nachdem die Bezirksregierung Braunschweig durch Bescheid vom 19. April 1988 die Stadt Salzgitter bis zum 20. Juni 2003 von der Pflicht zur Beseitigung des Abwassers für dieses Grundstück freigestellt hat.

2

Dem Rechtsvorgänger des Klägers wurde im Jahre 1978 unter Widerruf die wasserrechtliche Erlaubnis erteilt, Küchenabwässer über ein vorgeschaltetes Absetzbecken und das übrige Schmutzwasser nach Vorreinigung in einer Vier-Kammer-Ausfaulgrube über jeweils einen Sickerschacht in den Untergrund einzuleiten.

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Mit Bescheid vom 27. Oktober 1988 teilte die Beklagte dem Kläger mit, die von ihm durchgeführte Abwasserreinigung entspreche nicht mehr den an die Reinigung von häuslichem Abwasser zu stellenden Anforderungen. Vielmehr sei eine Teilreinigung in Kleinkläranlagen (Mehrkammer-Ausfaulgruben) mit anschließender Untergrundverrieselung oder Filtergräben nach DIN 4261 Teil 1 oder in Kleinkläranlagen mit Abwasserbelüftung nach DIN 4261 Teil 2 erforderlich. Sickerschächte nach DIN 4261 Teil 1 entsprächen nicht mehr den allgemein anerkannten Regeln der Technik. Zugleich wurde der Kläger aufgefordert, seine Abwasserreinigungsanlage bis zum 1. Januar 1995 umzubauen und einen für die Änderung der wasserrechtlichen Erlaubnis erforderlichen Antrag bis zum 1. 4. 1993 zur Genehmigung vorzulegen. Seinen Widerspruch begründete der Kläger wie folgt: Er sei Eigentümer eines nur kleinen Grundstücks. Es sei ihm nicht möglich, Filtergräben oder eine Dränage für eine weitere Untergrundverrieselung anzulegen. Dies sei auch angesichts der Hanglage seines Grundstücks nicht erforderlich. Wegen der Hanglage und des damit einhergehenden Fließens des Grundwassers bestehe eine natürliche Untergrundverrieselung. Filtergräben oder Dränagerohre dürften keinen wesentlich anderen Effekt erzielen.

4

Der Widerspruch wurde durch Bescheid der Bezirksregierung Braunschweig vom 28. April 1992 mit der Begründung zurückgewiesen, der Hinweis auf die Hanglage des Grundstücks rechtfertige keine gegenüber dem Ausgangsbescheid abweichende Beurteilung. Das Niedersächsische Umweltministerium habe mit Erlaß vom 3. Mai 1988 die Anforderungen, die an Kleinkläranlagen zu stellen seien, festgelegt. Danach entsprächen Sickerschächte nicht mehr den allgemein anerkannten Regeln der Technik. Allein durch die Hanglage werde die Reinigungsleistung der Kleinkläranlage nicht verbessert.

5

Mit seiner Klage hat der Kläger vorgetragen, er nehme etwa seit 10 Jahren eine ständige manuelle Abwasserbelüftung dadurch vor, daß er das Wasser aus den Sickerschächten für eine Bewässerung der auf seinem Grundstück befindlichen Pflanzen und Bäume nutze. Schäden habe er bislang nicht feststellen können. In seiner unmittelbaren oder weiteren Umgebung seien keine Brunnen oder Trinkwasereinzugsgebiete vorhanden, die er beeinträchtigen könne. Er sehe deshalb keine Notwendigkeit für eine Sanierung seiner Abwasserbeseitigungsanlage.

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Der Kläger hat beantragt,

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den Bescheid der Beklagten vom 27. Oktober 1988 und den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Braunschweig vom 28. April 1992 aufzuheben.

8

Die Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen,

10

und sich auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide bezogen.

11

Das Verwaltungsgericht hat durch Urteil vom 19. Mai 1993 die angefochtenen Bescheide mit der Begründung aufgehoben, die vom Kläger durchgeführte Abwasserbehandlung in einer Vier-Kammer-Ausfaulgrube stelle ebenso eine abwassertechnisch vertretbare Lösung dar wie ein Einbringen des Abwassers in den Untergrund über einen Sickerschacht. Demgegenüber beinhalte die von der Beklagten alternativ zu einer Kleinkläranlage mit Abwasserbelüftung geforderte biologische Nachbehandlung durch Untergrundverrieselung bzw. Filtergräben lediglich eine weitere, sich nicht als unabdingbar darstellende Form der Abwassernachbehandlung. Auch wenn eine derartige biologische Nachbehandlung mit einem erhöhten Wirkungsgrad einhergehe und demgemäß aus Gründen des Gewässerschutzes wünschenswert sei, gehe die angefochtene Sanierungsanordnung über den in der DIN 4261 niedergelegten Mindeststandard hinaus.

12

Der Erlaß des Niedersächsischen Umweltministers vom 3. Mai 1988, wonach Sickerschächte nicht mehr den allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprächen, rechtfertige keine abweichende Beurteilung. Es spreche eine Vermutung dafür, daß die DIN-Regelungen den Stand der Abwassertechnik wiedergäben. Diese Vermutung werde durch den Erlaß, der Ausführungen über die technische Angemessenheit von Sickerschächten nicht aufweise, nicht entkräftet.

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Gegen diese Entscheidung führt die Beklagte Berufung. Sie trägt vor: Die punktförmige Versickerung mittels eines Sickerschachtes entspreche nicht den allgemein anerkannten Regeln der Technik. DIN 4261 Teil 1 verlange bei Mehrkammer-Absetzgruben (Nr. 3.1.1) eine Nachbehandlung durch Untergrundverrieselung (3.1.3.1) oder durch Filtergräben (3.1.3.2). Die Versickerung über einen Sickerschacht erfolge dagegen punktförmig ohne ausreichende Abwasserbehandlung. Eine Belüftung erfolge dabei nur ungenügend. Dagegen fänden bei der flächenhaften Untergrundverrieselung teils aerobe, teils anaerobe Vorgänge statt, die eine biologische Reinigung bewirkten. Die Untergrundverrieselung bzw. die Behandlung durch Filtergräben werde deshalb unter Nr. 3.1 als Abwasserbehandlung aufgeführt und nicht unter der Nr. 3.2, die mit Abwassereinleitung überschrieben sei.

14

Das Einbringen von Abwasser in den Untergrund setze voraus, daß eine schädliche Verunreinigung des Grundwassers oder eine sonstige nachteilige Veränderung seiner Eigenschaften nicht zu besorgen sei (Nr. 3.2.1). Diese Voraussetzung werde nach 3.2.1.1 durch eine Untergrundverrieselung erfüllt, nicht durch punktförmige Versickerung mittels Sickerschacht (Nr. 3.2.1.2). Da in Niedersachsen infolge hoher Grundwasserstände oft regional keine oder nur eine geringe Bodenpassage möglich sei und bei Kleinkläranlagen mit Sickerschacht mangels ausreichender Reinigungsleistung eine Verunreinigung des Grundwassers zu besorgen sei, entsprächen Sickerschächte aus Vorsorgegründen grundsätzlich nicht den allgemein anerkannten Regeln der Technik. Die Streusiedlung, in der das Grundstück des Klägers liege, werde in absehbarer Zeit nicht an die zentrale Kanalisation angeschlossen. Sie habe im Stadtgebiet inzwischen in 80 vergleichbaren Fällen Anpassungsverfügungen erlassen und überwiegend auch durchgesetzt. Im Falle des Klägers werde die Nachrüstung Kosten in Höhe von etwa 2.000,-- DM erfordern.

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Die Beklagte beantragt,

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das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

17

Der Kläger beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Er widerspricht dem Vorbringen der Beklagten und trägt ergänzend vor: Er betreibe keine punktförmige Abwasserversickerung, sondern eine flächenmäßige mit Sauerstoffanreicherung. Der Sickerschacht für den Fäkalbereich sei 2 × 2 m groß und nicht luftdicht abgeschlossen. Der Sickerschacht für die Küchenabwässer sei rund und habe einen Durchmesser von 90 cm. Die Überlaufrohre zwischen Vorkammern und Sickerschächten lägen in den Sickerschächten mehrere Zentimeter bzw. Dezimeter über dem Wasserspiegel und ließen Sauerstoffanreicherungen zu. Auch der Sickerschacht für die Küchenabwässer sei nicht luftdicht verschlossen.

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Rein rechnerisch sei die Bodenschicht der beiden Sickerschächte flächenmäßig mindestens genauso groß wie die Bodenschicht für eine Untergrundverrieselung. Er sei auch der Meinung, daß in den beiden Sickerschächten eine hinreichend starke Bodenschicht vorhanden sei, die ausreichende Filterwirkung erbringe, wobei das Sickerwasser wegen der Hanglage des Grundstücks großflächig zerfließen könne. Im übrigen führe er seit 10 Jahren durch das Begießen seiner Grundstückspflanzen mit dem Wasser aus den Sickerschächten eine Selbstkontrolle durch. Negative Auswirkungen habe er bisher nicht feststellen können.

21

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird ergänzend auf die Verwaltungsvorgänge sowie auf die Schriftsätze der Beteiligten verwiesen. Sie waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

22

II.

Die Berufung der Beklagten hat Erfolg. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig.

23

Nach § 153 Abs. 1 des Niedersächsischen Wassergesetzes idF vom 20. August 1990 (GVBl. S. 371) - NWG - sind Abwasseranlagen "nach den hierfür jeweils in Betracht kommenden Regeln der Technik zu betreiben". Entsprechen vorhandene Anlagen den Vorschriften des Absatzes 1 nicht, so hat der Unternehmer die erforderlichen Anpassungsmaßnahmen vorzunehmen (Abs. 2 Satz 1). Diese Vorschrift entspricht der rahmenrechtlichen Regelung in § 18 b des Wasserhaushaltsgesetzes idF des Gesetzes vom 12. Februar 1990 (BGBl. I S. 205) - WHG -. Die Berechtigung für ein solches Verlangen ergibt sich daraus, daß nach § 7 a Abs. 1 Satz 1 WHG eine Erlaubnis für das Einleiten von Abwasser in den Untergrund nur erteilt werden kann, wenn Menge und Schädlichkeit des Abwassers so gering gehalten werden, wie dies bei Anwendung der jeweils in Betracht kommenden Verfahren nach den allgemeinen Regeln der Technik möglich ist. Unter diese Regeln der Technik fallen auch technische Baubestimmungen, die von Fachausschüssen und von Sachverständigengremien erstellt worden sind, wie die Vorschriften des Deutschen Normenausschusses DIN (ebenso Gieseke-Wiedemann-Czychowski, WHG, 6. Aufl., § 7 a RdNr. 8 ff.; Breuer, Öffentliches und privates Wasserrecht, 1976, Nachtrag RdNr. 18).

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Abwasseranlagen im Sinne dieser Vorschriften sind alle Einrichtungen zur Abwasserbeseitigung, insbesondere zum Sammeln, Fortleiten, Behandeln, Einleiten, Versickern, Verregnen und Verrieseln von Abwasser. Unter diesen Begriff fallen auch die Grundstücksentwässerungsanlagen auf dem Grundstück des Klägers. Die "Regeln der Technik", nach denen sie (zwingend) zu betreiben sind, sind in den einschlägigen DIN-Vorschriften niedergelegt, für Kleinkläranlagen in den DIN-Normen 4261 Teilen 1 bis 4. Sie haben zur Aufgabe zu beschreiben, ob und mit welchem technischem Verfahren ein gesetzlich vorgeschriebenes Anforderungsniveau bzw. ein gesetzlich vorgeschriebenen Schutzziel erreicht werden kann. Die Worte "sind ... zu errichten und zu betreiben" sind so zu verstehen, daß Abwasseranlagen nur dann errichtet und betrieben werden dürfen, wenn sie die in Betracht kommenden Regeln der Technik auch einhalten (Gieseke-Wiedemann-Czykowski, aaO, § 18 b RdNrn. 5, 6). Nach Absatz 2 sind vorhandene Anlagen den Regeln der Technik entsprechend so zu betreiben, daß sie den ihrer Art entsprechenden Wirkungsgrad erreichen, sie genießen also keinen Bestandsschutz. Entsprechen sie den Anforderungen des Absatzes 1 nicht, haben die Länder sicherzustellen, daß die erforderlichen Anpassungen durchgeführt werden.

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Von dieser Möglichkeit hat die Beklagte im Streitfall Gebrauch gemacht. Sie war dabei an den Erlaß des Niedersächsischen Umweltministers vom 3. Mai 1988 (205.031117) gebunden, der auszugsweise für sie folgendes angeordnet hat:

26

"Soweit eine ... zentrale Abwasserbeseitigung aufgrund der Siedlungsstruktur und der unverhältnismäßig hohen Kosten nicht angezeigt ist und Gründe des Wohls der Allgemeinheit nicht entgegenstehen, ist regelmäßig eine Teilreinigung in Kleinkläranlagen (Mehrkammer-Ausfaulgruben) mit Untergrundverrieselung oder Filtergräben nach DIN 4261 Teil 1 oder in Kleinkläranlagen mit Abwasserbelüftung nach DIN 4261 Teil 2 erforderlich. Sickerschächte entsprechen nicht mehr den allgemein anerkannten Regeln der Technik ..."

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Durch diese ihr Ermessen bindende Verwaltungsvorschrift war die Beklagte gehalten, die für den Betrieb von Kleinkläranlagen bestehenden technischen Regeln generell, aber auch im Falle des Klägers durchzusetzen. Ihr Anpassungsverlangen läßt Ermessensfehler nicht erkennen. Zunächst ist es nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung unstreitig, daß die Beklagte eine Anpassung in allen Fällen verlangt hat und noch verlangen wird, in denen in absehbarer Zeit ein Anschluß der Grundstücke an zentrale Anlagen der Grundstücksentwässerung nicht möglich ist. Die Beklagte hat dazu ausgeführt, der Anschluß der im Außenbereich gelegenen Streusiedlung, in der sich das Grundstück des Klägers befinde, hätte nach ihren überschlägigen Berechnungen etwa 500.000,-- DM erfordert; ein Aufwand in dieser Höhe wäre unangemessen hoch gewesen. Bei dieser Sachlage war sie verpflichtet, entsprechend den strengen Anforderungen des Wasserhaushaltsrechts die Anpassung der vorhandenen Kläranlage an den - durch den Erlaß vom 3. Mai 1988 näher konkretisierten - Stand der Technik zu verlangen, um die Schädlichkeit des in den Untergrund gelangenden Abwassers so gering wie möglich zu halten. Daß die Aufwendungen, die mit der von ihr geforderten Investition verbunden sind, nicht unverhältnismäßig hoch sind, hat die Erörterung in der mündlichen Verhandlung ergeben, ebenso, daß auch im Falle des Klägers unter Berücksichtigung der Lage und der Bebauung seines Grundstücks hinreichend technische Möglichkeiten bestehen, dem Anpassungsverlangen zu entsprechen.

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Nach alledem war das angefochtene Urteil auf die Berufung der Beklagten zu ändern und die Klage abzuweisen.

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Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, der Ausspruch über ihre vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 Abs. 2 VwGO iVm §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1 und 713 ZPO.

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Die Revision konnte nicht zugelassen werden, weil dafür die Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

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Beschluß

32

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Berufungsverfahren auf 2.000,-- DM festgesetzt (§ 13 Abs. 1 Satz 1 GKG).

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Eichhorn

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Dr. Berkenbusch

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Meyer-Lang