Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 20.06.1996, Az.: 10 L 5047/95

Anerkennung einer ärztlichen Vorprüfung; Auslandsstudium; Ausbildung; Sperrwirkung; Approbation; Ärztliche Vorprüfung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
20.06.1996
Aktenzeichen
10 L 5047/95
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1996, 13237
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1996:0620.10L5047.95.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover 29.05.1995 - 6 A 3808/94
nachfolgend
BVerwG - 27.08.1997 - AZ: BVerwG 6 C 9/96

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - 6. Kammer Hannover - vom 29. Mai 1995 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

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I.

Die Klägerin begehrt von dem beklagten Landesprüfungsamt die Anerkennung ihrer im Ausland abgelegten Ärztlichen Vorprüfung.

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Die im November 1966 geborene Klägerin ist deutsche Staatsangehörige und studierte vom Wintersemester 1987/88 an Humanmedizin an der Universität .... Dort bestand sie im April 1991 nach dreimaligem Scheitern die Ärztliche Vorprüfung endgültig nicht. Dies teilte ihr der Beklagte mit Bescheid vom 4. April 1991, der inzwischen Bestandskraft erlangte, mit und wies zugleich darauf hin, daß sie auch nach einem erneuten Studium der Medizin nicht mehr zur Ärztlichen Vorprüfung zugelassen werden könne. In der Folgezeit studierte die Klägerin an der ...-Universität ... medizinische Wissenschaften und bestand hier in einem deutschsprachigen Studiengang am 23. August 1993 die Ärztliche Vorprüfung.

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Mit Schreiben vom 22. Oktober 1993 beantragte die Klägerin die Anerkennung dieser Vorprüfung gemäß § 12 Abs. 2 ÄAppO, um ihre Ausbildung an der Universität ..., wo sie nach wie vor eingeschrieben sei, fortzusetzen. Mit Bescheid vom 14. Januar 1994 versagte der Beklagte ihr dieses Begehren und führte zur Begründung aus, daß die in Ungarn abgelegte Ärztliche Vorprüfung angesichts der Sperrwirkung des § 20 Abs. 1 ÄAppO nicht anerkannt werden könne. Das Scheitern in den bis April 1991 abgelegten Prüfungsversuchen stehe der Fortsetzung des Medizinstudiums im Bundesgebiet entgegen. Gegen den ablehnenden Bescheid erhob die Klägerin unter dem 27. Januar 1994 Widerspruch, den der Beklagte mit Bescheid vom 29. April 1994 als unbegründet zurückwies.

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Ihre am 19. Mai 1994 erhobene Klage hat die Klägerin dahin begründet, daß § 20 Abs. 1 Satz 2 ÄAppO ihrem Anerkennungsbegehren nicht entgegenstehe. Diese Vorschrift besage, daß eine Ärztliche Vorprüfung lediglich zweimal wiederholt werden dürfe und eine weitere Wiederholung auch nach erneutem Medizinstudium nicht zulässig sei. Um eine Wiederholung der Ärztlichen Vorprüfung gehe es ihr indes nicht, da sie diese an der ...-Universität ... bestanden habe. Sie begehre die Anerkennung dieser Prüfung, zu der der Beklagte nach § 12 Abs. 2 ÄAppO verpflichtet sei. Eine Regelung, nach der sich die Sperrwirkung des § 20 Abs. 1 Satz 2 ÄAppO auch auf die Anerkennung im Ausland erworbener Qualifikationen erstrecke, enthalte die ÄAppO nicht. Auch könne der Gedanke jener Vorschrift nicht auf § 12 Abs. 2 ÄAppOübertragen werden, da die Ausschlußbestimmung des § 20 Abs. 1 Satz 2 ÄAppO das Grundrecht aus Art. 12 GG einschränke und daher eng auszulegen sei. Die Richtigkeit ihrer Auffassung ergebe sich schließlich daraus, daß ihr nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 BÄO sogar die Approbation erteilt werden müßte, wenn sie ihre Ausbildung außerhalb des Bundesgebietes abgeschlossen hätte und die Ausbildungen als gleichwertig einzustufen wären. Es sei daher nicht einzusehen, daß für die Anerkennung einzelner Teile der ärztlichen Ausbildung anderes zu gelten habe.

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Die Klägerin hat beantragt,

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den Bescheid des Beklagten vom 14. Januar 1994 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. April 1994 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihre an der ...-Universität ... abgelegte Ärztliche Vorprüfung anzuerkennen.

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Der Beklagte hat die angefochtenen Bescheide verteidigt und beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Mit Urteil vom 29. Mai 1995 hat das Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben und die Beklagte unter Hinweis auf § 12 Abs. 2 ÄAppO verpflichtet, die an der ...-Universität abgelegte Ärztliche Vorprüfung anzuerkennen. Zur Begründung hat es ausgeführt, daß § 20 Abs. 1 ÄAppO dem Klagebegehren nicht entgegenstehe, da diese Bestimmung nach ihrem Wortlaut allein eine weitere Wiederholung der Ärztlichen Vorprüfung, nicht aber eine Fortsetzung des Studiums ausschließe. Es möge zwar wünschenswert erscheinen, den Gedanken des § 20 Abs. 1 ÄAppO auch auf die Anerkennung von Prüfungen zu erstrecken, die nachträglich im Ausland absolviert worden seien. Hierfür bedürfe es angesichts des grundrechtseinschränkenden Charakters einer solchen Regelung allerdings einer ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung.

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Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts hat der Beklagte noch vor dessen Zustellung am 3. Juli 1995 Berufung eingelegt, zu deren Begründung er ausführt: Das Verwaltungsgericht habe seine Entscheidung auf formale Erwägungen gestützt und die Bedeutung der einzelnen Prüfungen für das Medizinstudium nach der ÄAppO verkannt. Nach der Ärztlichen Vorprüfung hätte die Klägerin den Ersten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung zu absolvieren. Das könne sie nicht, da ein Medizinstudent, der dreimal in der Ärztlichen Vorprüfung gescheitert sei, weitere Prüfungen nicht durchlaufen könne. Das bedeute zugleich, daß ein solcher Student das Studium der Medizin nicht mehr fortsetzen könne und zu exmatrikulieren sei. Aus dem dreimaligen Scheitern in der Ärztlichen Vorprüfung sei zu schließen, daß der Auszubildende ungeeignet für den angestrebten Beruf sei und deshalb im Interesse des allgemeinen Gesundheitsschutzes der Bevölkerung von der Fortsetzung des Studiums ausgeschlossen werden könne.

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Der Beklagte beantragt,

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das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

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Die Klägerin verteidigt die angefochtene Entscheidung, vertieft ihr bisheriges Vorbringen und beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten ergänzend Bezug genommen.

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II.

Die Berufung ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg.

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Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten zu Recht verpflichtet, die an der ...-Universität ... abgelegte Ärztliche Vorprüfung vom 23. August 1993 anzuerkennen. Rechtsgrundlage für das insoweit geltend gemachte Begehren ist § 12 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 ÄAppO, nach dem das Landesprüfungsamt Prüfungen, die ein deutscher Staatsangehöriger im Rahmen seines Medizinstudiums außerhalb des Geltungsbereiches der Verordnung abgelegt hat, anzuerkennen hat, soweit die Gleichwertigkeit des Ausbildungsstandes gegeben ist. Der danach anzustellende Vergleich zwischen der ausländischen Ausbildung und der im Inland hat sich - wie das Bundesverwaltungsgericht entschieden hat (Urt. v. 27. 4. 1995 - 3 C 23/93 -, BVerwGE 98, 180 = NJW 1995, 2426 unter Hinweis auf BVerwGE 92, 88), an den objektiven Umständen des jeweiligen Ausbildungsganges, nicht aber an den individuellen Kenntnissen und Fähigkeiten des Auszubildenden zu orientieren. Maßgeblich sind insoweit die Ausbildungsgegenstände sowie die Wirksamkeit ihrer Vermittlung, also die Didaktik sowie die Art der Leistungskontrollen. Im Hinblick auf die danach gebotene inhaltliche Gleichwertigkeit der jeweiligen Ausbildungsgänge hat der Beklagte erklärt, daß er keine Bedenken gegen die Qualität der an der Semmelweis-Universität Budapest durchgeführten vorklinischen Ausbildung hege und eine dort abgelegte Ärztliche Vorprüfung als gleichwertig ansehe. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 12 Abs. 2 ÄAppO halte er für gegeben; ihm gehe es ausschließlich um die Frage, ob § 20 Abs. 1 ÄAppO auch für § 12 Abs. 2 ÄAppO eine Ausschlußwirkung entfalte.

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Diese Frage hat das Verwaltungsgericht unter Hinweis auf den Wortlaut der Bestimmung zutreffend verneint. § 20 Abs. 1 ÄAppO regelt die Wiederholung von Prüfungen, schreibt vor, daß die Ärztliche Vorprüfung und die einzelnen Abschnitte der Ärztlichen Prüfung jeweils zweimal wiederholt werden können, und sieht eine weitere Wiederholung auch nach einem erneuten Medizinstudium nicht als zulässig an. Nach dem Wortlaut der genannten Bestimmung ist es einem in der Ärztlichen Vorprüfung endgültig gescheiterten Auszubildenden versagt, erneut mit dem Medizinstudium zu beginnen und sich infolge dieser neuen Ausbildung wiederum der Ärztlichen Vorprüfung zu unterziehen. Hierum geht es der Klägerin jedoch nicht, da sie angesichts ihres Auslandsstudiums bereits über die Qualifikation, deren Erwerb im Inland ihr § 20 Abs. 1 ÄAppO versagt, verfügt. Eine dem § 20 Abs. ÄAppO entsprechende Regelung enthält die Anrechnungs- oder Anerkennungsbestimmung des § 12 Abs. 1 und 2 ÄAppO nicht.

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In seinem Urteil vom 27. April 1995 (a.a.O.) hat das Bundesverwaltungsgericht die Frage, ob nach endgültigem Scheitern in der Ärztlichen Prüfung ein im Ausland neu begonnenes und dort erfolgreich abgeschlossenes vollständiges Medizinstudium einen Anspruch auf Approbation nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BÄO begründet, offengelassen. Bedenken gegen eine im Interesse des Auszubildenden zu treffende Auslegung des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BÄO i.V.m. § 20 Abs. 1 ÄAppO - und Entsprechendes würde nach Auffassung des erkennenden Senats für § 12 Abs. 1 und 2 i.V.m. § 20 Abs. 1 ÄAppO gelten - hat das Bundesverwaltungsgericht in der Anwendung des Gleichheitssatzes gesehen. Unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 80, 1, 36 = NVwZ 1989, 850) hat es ausgeführt, daß Prüfungsmißerfolge Rückschlüsse auf die Fähigkeiten eines Kandidaten hinsichtlich der ärztlichen Berufsausbildung zuließen, es mithin zulässig sei, die Zahl der Prüfungswiederholungen zu begrenzen und einen endgültig gescheiterten Auszubildenden auch von einer weiteren Wiederholung nach erneutem Medizinstudium auszuschließen. Könne deshalb ein Kandidat, der dreimal in einer Ärztlichen Prüfung gescheitert sei, dieses negative Indiz bezüglich seiner Fähigkeiten nicht in einem erneuten Medizinstudium in Deutschland ausräumen, so erhebe sich die Frage, weshalb er dies über eine im Ausland mit Erfolg abgeschlossene Ausbildung dürfe. Der Senat teilt diese Bedenken uneingeschränkt insoweit, als er - wie auch das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Urteil - in ihnen durchgreifende Gründe sieht, die es ebenso wie im Falle der erneuten Inlandsausbildung rechtfertigen würden, nachträglich im Ausland erworbene Qualifikationen angesichts der vorangegangenen negativen Indizwirkung nicht anzuerkennen. Im Hinblick auf die als subjektive Berufszugangsschranke das Grundrecht der Berufsfreiheit einschränkende Wirkung bedürfte die Übertragung der Ausschlußwirkung des § 20 Abs. 1 ÄAppO auf die Anerkennung nachträglicher im Ausland erworbener Abschlüsse indes einer ausdrücklichen Regelung des Gesetz- oder Verordnungsgebers (ebenso OVG Münster, Beschl. v. 13. 12. 1994, NJW 1995, 1632 f.; vgl. ferner Narr, Ärztliches Berufsrecht, Band 1, Stand: 1. Juli 1994, Rdn. 234).

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Von einer solchen den Gedanken des § 20 Abs. 1 ÄAppO auf die Anerkennung eines im Ausland erworbenen Ausbildungsstandes als gleichwertig übertragenden Regelung hat der Gesetzgeber bewußt abgesehen. Das zeigt die Entstehungsgeschichte des § 3 Abs. 2 Satz 1 BÄO, der die Erteilung der Approbation nach einem im Ausland erfolgreich abgeschlossenen Medizin studium regelt. Bei den Beratungen, die der Verabschiedung des Gesetzes zur Änderung der Bundesärzteordnung vom 28. August 1969 (BGBl. 1 S. 1509) vorausgingen, hatte der Bundesrat vorgeschlagen, nach § 3 Abs. 2 Satz 1 den Satz einzufügen, daß die Erteilung der Approbation nicht erfolgen dürfe, wenn der Antragsteller im Geltungsbereich dieses Gesetzes eine Ärztliche Prüfung oder Vorprüfung endgültig nicht bestanden habe (BT-Drs. V/3838, S. 72, 10). Den Ausschluß der Approbationsanerkennung in einem solchen - der Regelung des § 20 Abs. 1 ÄAppO entsprechenden - Fall hatte der Bundesrat damit begründet, daß es bedenklich sei, Personen, die in der Bundesrepublik endgültig eine Ärztliche Vorprüfung oder die Ärztliche Prüfung nicht bestanden und damit nach inländischem Recht die Nichteignung für den ärztlichen Beruf bewiesen hätten, über den Umweg einer Ausbildung im Ausland letztlich doch noch zum Arztberuf in Deutschland zuzulassen. Dies würde insbesondere begüterten Bevölkerungskreisen zugute kommen, so daß auch die Chancengleichheit aller Bewerber um die Zulassung zum ärztlichen Beruf beeinträchtigt würde. Die vom Bundesrat vorgetragenen und auch vom Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 27. April 1995 (a.a.O.) wiederaufgenommenen Bedenken fanden aber letztlich ebensowenig Eingang in die BÄO wie in die ÄAppO im Hinblick auf die Anerkennung im Ausland absolvierter Prüfungen. Der Ausschuß für Gesundheitswesen des Deutschen Bundestages begegnete den Bedenken des Bundesrates dahin, daß er den Hinweis auf die in den vorangegangenen Inlandsprüfungen offenbarten begrenzten Prüfungskenntnisse nicht für durchgreifend erachtete, sondern nach einer erfolgreich durchlaufenen Auslandsausbildung maßgeblich auf die Garantie der Gleichwertigkeit des Ausbildungsstandes abstellte (BT-Drs. V/4525, S. 2). An der danach allein gebotenen Gleichwertigkeit der an der Semmelweis-Universität Budapest abgelegten Ärztlichen Vorprüfung im Verhältnis zu der an einer Universität in der Bundesrepublik Deutschland mit Erfolg absolvierten Ärztlichen Vorprüfung fehlt es, wie eingangs dargelegt, nicht.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10 ZPO.

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Die Revision ist gemäß § 132 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen, weil die Rechtssache im Hinblick auf die Frage, ob § 20 Abs. 1 ÄAppO der Anerkennung einer im Ausland mit Erfolg abgelegten Ärztlichen Vorprüfung entgegensteht, grundsätzliche Bedeutung hat.

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Beschluß

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Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 8.000,-- DM festgesetzt.

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Jank

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Winzer

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RiOVG Munk ist wegen Urlaubs gehindert zu unterschreiben

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Jank