Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 15.09.2016, Az.: 3 B 4870/16
Bundesamt; Jahresfrist; Rechtsbehelfsbelehrung
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 15.09.2016
- Aktenzeichen
- 3 B 4870/16
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2016, 43524
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 58 Abs 2 VwGO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Die Rechtsbehelfsbelehrung des Bundesamtes ist aufgrund der Formulierung in deutscher Sprache abgefasst unrichtig erteilt, sodass nach § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO die Einlegung eines Rechtsbehelfs innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig ist.
Tenor:
Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin vom 24. August 2016 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 20. Juli 2016 wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens; Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen die Anordnung, nach Italien abgeschoben zu werden.
Sie stellte am 13. Mai 2016 bei der Antragsgegnerin einen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes und gab am gleichen Tag in einem „persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates zur Durchführung des Asylverfahrens“ vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) an, sie sei am 1. Januar 1997 geboren und eritreischer Staatsangehörige. Ihr Herkunftsland, Eritrea, habe sie im Juli 2013 verlassen und sei, über Äthiopien, den Sudan, Libyen und Italien kommend nach Deutschland eingereist. In Italien habe man ihr Fingerabdrücke abgenommen.
Eine Abfrage in der EURODAC-Datenbank ergab im Hinblick auf die Antragstellerin einen Treffer der ersten Kategorie für Italien (IT1AG03QTR). Das Bundesamt stellte am 27. Mai 2016 ein Aufnahmegesuch an Italien, auf welches die italienischen Behörden – bis auf eine Bestätigung des Zugangs – nicht reagierten.
Mit Bescheid vom 20. Juli 2016 – zugestellt am 30. Juli 2016 – lehnte das Bundesamt den Antrag als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung der Antragstellerin nach Italien an. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, der Antrag sei gemäß § 27 a des Asylgesetzes (AsylG) unzulässig, weil Italien gemäß Art. 18 Abs. 1 b der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Dublin III-VO) für die Behandlung des Asylantrages zuständig sei. Die Anordnung der Abschiebung beruhe auf § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO auszuüben, seien nicht ersichtlich. Italien gewährleiste entsprechend dem Grundrecht auf Asyl ein Schutzverfahren, das auch für Überstellungen nach der Dublin III-VO greife. Der Bescheid enthält Ausführungen bezüglich des Ablaufes von Asylverfahrens in Italien und verweist hierzu maßgeblich auf Stellungnahmen des Auswärtigen Amtes, des UNHCR sowie Rechtsprechung aus den Jahren 2012, 2013 und 2014. Trotz regionaler Unterschiede könne im Ergebnis davon ausgegangen werden, dass landesweit in Italien ausreichend staatliche bzw. öffentliche karikative Unterbringungsmöglichkeiten zu Verfügung stünden. Nach Entscheidungen der nationalen und internationalen Gerichte sowie aktuellen Erkenntnismitteln lägen in Italien keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) und des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vor. Anderslautende Berichte der Schweizerischen Flüchtlingshilfe seien überholt bzw. nicht repräsentativ für das ganze Land. In der beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung heißt es unter anderem:
„Die Klage muss den Kläger, die Beklagte und den Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnen und in deutscher Sprache abgefasst sein.“
Am 24. August 2016 hat die Antragstellerin gegen den Bescheid Klage erhoben (Aktenzeichen: 3 A 4869/16) und zugleich um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, die Klagefrist betrage nach § 58 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ein Jahr. Die Rechtsbehelfsbelehrung sei unrichtig erteilt worden. Der Satzteil „und in deutscher Sprache abgefasst sein“ erwecke den falschen Eindruck, dass der Betroffene selbst für die Schriftform zu sorgen habe. Dies stünde im Widerspruch zu § 81 Abs. 1 Satz 2 VwGO, wonach die Klage auch zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erhoben werden könne. Inhaltlich drohe aufgrund systemischer Mängel im italienischen Asylsystem die Verletzung von Rechten Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), jedenfalls solange, wie die italienischen Behörden keine individuelle Garantieerklärung dafür abgäben, dass der Betroffene einen Platz in einer Unterkunft erhalte und seine grundlegenden Bedürfnisse gedeckt seien. Die Antragstellerin gehöre als schwangere Frau ohne männliche Unterstützung schon jetzt zu dem besonders schutzbedürftigen Personenkreis. Ausweislich des eingereichten Mutterpasses ist der errechnete Entbindungstermin der 10. Januar 2017. Nach einer Stellungnahme der behandelnden Frauenärztin vom 29. August 2016 bestehe bei der Antragstellerin das Risiko einer Früh- oder Fehlgeburt.
Die Antragstellerin beantragt,
die aufschiebende Wirkung ihrer Klage anzuordnen.
Die Antragsgegnerin hat noch keinen Antrag gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist zulässig. Er ist gemäß § 34 a Abs. 2 AsylG i. V. m. § 80 Abs. 5 VwGO statthaft, soweit sich die Klage gegen die unter Ziffer 2 des angefochtenen Bescheides angeordnete Abschiebung des Antragstellers nach Italien richtet.
Antrag (und Klage) sind auch nicht wegen Ablaufes der Wochenfrist gemäß § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG unzulässig. Die dem Bescheid beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung ist unrichtig erteilt worden, sodass nach § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO die Einlegung des Rechtsbehelfs innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig ist. Mit der Formulierung „in deutscher Sprache abgefasst" wird dem Betroffenen unrichtiger Weise nahelegt, die Klage müsse schriftlich erhoben werden. Dem in diesem Satzteil verwendeten Verb „abfassen" kommt ganz überwiegend die Bedeutung einer schriftlichen Äußerung zu. Es ist gleichbedeutend mit anfertigen, aufschreiben, aufsetzen, formulieren, niederschreiben, schreiben, verfassen, zu Papier bringen, niederlegen (VG Düsseldorf, Gerichtsbesch. v. 28.06.2016 – 22 K 4119/15.A –, juris Rn. 54 f. unter Verweis auf den Duden, Das Synonymwörterbuch, 4. Aufl., zum Stichwort "abfassen", Ziff 1). Äußert sich die Rechtsbehelfsbelehrung – wie hier – über die notwendigen Angaben nach § 58 Abs. 1 VwGO hinaus auch über die Form des Rechtsbehelfs, so sind alle Möglichkeiten der Erhebung des Rechtsbehelfs, insbesondere die Möglichkeit, Klage zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu erheben, zu benennen. Dies ist unterblieben mit der Folge, dass ihr ein unrichtiger oder irreführender Zusatz beigefügt ist, der geeignet ist, beim Betroffenen einen Irrtum über die formellen und/oder materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen und ihn dadurch abzuhalten, den Rechtsbehelf einzulegen bzw. rechtzeitig einzulegen (VG Gelsenkirchen, Urt. v. 24.06.2016 – 3a K 4187/15.A –, juris Rn. 17; VG Augsburg, Beschl. v. 03.12.2014 – Au 7 S 14.50321 –, juris Rn. 26). Klage und Antrag sind am 24. August 2016 und damit innerhalb der Jahresfrist erhoben bzw. gestellt worden.
Der Antrag ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht kann die aufschiebende Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO anordnen, wenn das Interesse des betroffenen Ausländers, von einem Vollzug der Abschiebungsanordnung vorläufig verschont zu bleiben, gegenüber dem öffentlichen Interesse an dem nach § 75 Abs. 1 AsylG gesetzlich angeordneten sofortigen Vollzug der Abschiebungsanordnung überwiegt. Hierbei sind insbesondere die Erfolgsaussichten des Klageverfahrens zu berücksichtigen, soweit diese sich im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits abschätzen lassen. Nach diesem Maßstab überwiegt das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin. Nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes lediglich gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage bestehen – derzeit – ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Vollzuges ihrer angeordneten Abschiebung nach Italien.
Rechtsgrundlage für die Abschiebungsanordnung ist § 34 a Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 AsylG. Nach dieser Vorschrift ordnet das Bundesamt, wenn ein Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
Die Voraussetzungen für eine Abschiebungsanordnung nach Italien liegen nach dem hier gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt, in dem die Entscheidung gefällt wird, nicht vor. Die Antragstellerin hat ihren Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes nach dem 1. Januar 2014 gestellt, sodass gemäß Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO die Vorschriften dieser Verordnung anzuwenden sind. Unabhängig von der Frage, ob die wohl grundsätzlich aus Art. 13 Abs. 1, Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO resultierende Zuständigkeit Italiens für die Durchführung des Asylverfahrens gemäß Art. 3 Abs. 2 Satz 3 Dublin III-VO auf die Antragsgegnerin übergangen ist, steht jedenfalls nicht fest, dass die Abschiebung nach Italien i.S.v. § 34 a Abs. 1 AsylG durchgeführt werden kann.
Mit Beschluss vom 29. Januar 2015 – 3 B 13203/14 –, veröffentlicht in juris, hat die 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Hannover entschieden, dass auf Grund vorhandener systemischer Mängel in den Aufnahmebedingungen für (rückgeführte) Asylbewerber in Italien Abschiebungen dorthin auf der Basis der Dublin III-VO grundsätzlich unzulässig sind, wenn nicht die italienischen Behörden im jeweiligen Einzelfall zuvor eine „Garantieerklärung“ dahingehend abgeben, dass der betreffende Asylbewerber nach seiner Rückführung einer menschenrechtskonformen Behandlung und Unterbringung zugeführt werden wird. Im Einzelnen hat die Kammer dazu ausgeführt:
„Die Antragsgegnerin stützt ihre Abschiebungsanordnung auf § 34a AsylVfG. Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ordnet das Bundesamt, wenn der Ausländer in einen gemäß § 27a AsylVfG für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat abgeschoben werden soll, die Abschiebung dorthin an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind auf der Grundlage des nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG maßgeblichen aktuellen Sachstandes nicht vollständig erfüllt.
[…]
Es steht jedoch nicht im Sinne von § 34a Abs. 1 AsylVfG fest, dass derzeit eine Abschiebung nach Italien durchgeführt werden kann. Nach Auffassung der Kammer ist eine Überstellung des Antragstellers nach Italien auf der Grundlage der angegriffenen Abschiebungsanordnung gegenwärtig unzulässig, weil es im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH sowie des EGMR und auch des BVerfG wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylantragsteller in Italien systemische Schwachstellen aufweisen, die (auch) für den Antragsteller auf der Basis des derzeitigen Verfahrensstandes bei einer Überstellung die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU–Grundrechtecharta mit sich brächten.
(1)
Der EGMR hat bereits früher derartige systemische Mängel für das Asylverfahren wie für die Aufnahmebedingungen in Fällen der Überstellung von Asylbewerbern im Rahmen des Dublin-Systems nach Griechenland bejaht (vgl. EGMR – Große Kammer, Urteil vom 21.01.2011 – Nr. 30696/09, M.S.S. – NVwZ 2011, 413) und in Folgeentscheidungen insoweit ausdrücklich auf das Kriterium des systemischen Versagens (‚systemic failure‘) abgestellt (EGMR, Entscheidungen vom 02.04.2013 – Nr. 27725/10, Mohammed Hussein u. a. – ZAR 2013, 336 Rn. 78; vom 04.06.2013 – Nr. 6198/12, Daytbegova u. a. – Rn. 66; vom 18.06.2013 – Nr. 53852/11, Halimi – ZAR 2013, 338 Rn. 68; vom 27.08.2013 – Nr. 40524/10, Mohammed Hassan – Rn. 176 und vom 10.09.2013 – Nr. 2314/10, Hussein Diirshi – Rn. 138).
In seinem jüngsten Urteil vom 04.11.2014 (- Nr. 29217/12 -, Tarakhel; veröff. unter http://hudoc.echr.coe.int/sites/eng/pages/search.aspx?i=001-148070#G.) hat der EGMR diese Rechtsprechung weiterentwickelt. Er hat dort die dem Betroffenen drohende Verletzung seiner Rechte aus Art. 3 EMRK durch eine drohende unmenschliche oder erniedrigende Behandlung in den Mittelpunkt der Betrachtung gestellt und dazu ausgeführt, dass sich die Ursache der drohenden Gefahr weder auf das Schutzniveau auswirke, das durch die Konvention garantiert wird, noch auf die sich aus der Konvention ergebenden Pflichten des Staates, der die Abschiebung der Person anordnet. Das dem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem zugrunde liegende Prinzip gegenseitigen Vertrauens befreit diesen Staat danach gerade nicht davon, eine gründliche und individuelle Prüfung der Situation der betroffenen Person vorzunehmen und die Durchsetzung der Abschiebungsanordnung auszusetzen, falls die Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung festgestellt werden sollte (EGMR, Urteil vom 04.11.2014 – a. a. O. –, Rn. 104).
Ein „systemisches Versagen“ im Sinne dieser Rechtsprechung setzt nach Ansicht der Kammer deshalb nicht voraus, dass ein Systemfehler zwangsläufig eine Vielzahl von Asylsuchenden betreffen muss. Der Begriff der „systemischen Mängel“ beschreibt danach vielmehr die Vorhersehbarkeit und Reproduzierbarkeit einer drohenden Rechtsverletzung. Ein systemischer Mangel liegt demgemäß vor, wenn die Struktur des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen eine Stelle aufweist, die so defizitär ausgestaltet ist, dass dort, Rechtsverletzungen regelhaft eintreten können (ähnlich VG Hannover, Kammer-Beschl. vom 22.12.2014, 10 B 11507/14, juris Rn. 20; vgl. eingehend Lübbe, ZAR 3/2014, S. 107).
(2)
Ausgehend davon besteht auf der Grundlage der aktuellen Erkenntnislage bei summarischer Prüfung zumindest hinsichtlich der Aufnahmebedingungen Italiens für (rückkehrende) Asylbewerber ein abschiebungsrelevanter systemischer Mangel.
Die Kammer geht in tatsächlicher Hinsicht übereinstimmend mit dem BVerfG und dem EGMR davon aus, dass auf Grund von aktuellen Berichten international anerkannter Flüchtlingsschutzorganisationen und auch des Auswärtigen Amtes belastbare Hinweise für das Bestehen von erheblichen Kapazitätsengpässen bei der Unterbringung rückgeführter bzw. asylsuchender Ausländer in Italien vorliegen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.09.2014 – 2 BvR 732/14 –, juris Rn. 15; EGMR, Urteil vom 04.11.2014 – a. a. O. –, Rn. 106 ff.; ausführlich zum neueren Erkenntnisstand VG Gelsenkirchen, Beschl. vom 13.11.2014 – 7a L 1718/14.A –, juris Rn. 18 ff.; vgl. zuletzt auch VG Gießen, Beschl. v. 03.01.2015, 1 L 3772/14.GI.A, juris Rn. 11). Bezeichnenderweise hat auch die italienische Regierung selbst in dem Tarakhel-Verfahren vor dem EGMR nicht geltend gemacht, dass die Kapazitäten des SPRAR-Systems und der CARAs zusammengenommen derzeit in der Lage wären, den Großteil, geschweige denn die komplette Nachfrage nach Unterbringung zu decken. Danach ist auf der Grundlage der verfügbaren aktuellen Erkenntnisse nicht auszuschließen, dass eine erhebliche Zahl Asylsuchender ohne Unterkunft bleibt oder in überfüllten Einrichtungen ohne jede Privatsphäre oder sogar in einer „gesundheitsgefährdenden oder gewalttätigen Umgebung“ untergebracht werden könnte (so ausdrücklich: EGMR, Urt. vom 04.11.2014, a. a. O., Rn. 115) , was mit Art. 4 der EU-Grundrechtecharta nicht vereinbar wäre. Darin liegt im Sinne der Rechtsprechung des EGMR ein systemischer Mangel. Denn wenn auch nicht in jedem Einzelfall eine derartige menschenrechtswidrige bzw. entwürdigende Unterbringung droht, so kann dieses doch auf Grund der insgesamt unzureichenden angemessenen Unterbringungsmöglichkeiten regelhaft wiederkehrend in einer Vielzahl von Fällen eintreten.
Dem kann die Antragsgegnerin nicht mit Erfolg entgegenhalten, in der (deutschen) Rechtsprechung werde das Vorliegen systemischer Mängel im Asylsystem und hinsichtlich der Aufnahmebedingungen in Italien überwiegend verneint. Der weitaus größte Teil der von der Antragsgegnerin dafür angeführten Rechtsprechung ist vor den o. a. Entscheidungen des EGMR und des BVerfG ergangen und schon deshalb für die Beurteilung der aktuellen Lage von nur geringer Bedeutung. Die danach ergangene Rechtsprechung setzt sich, soweit sie veröffentlicht bzw. der Kammer zugänglich ist, mit dieser Frage nicht unter ausreichender Berücksichtigung der Einschätzungen des BVerfG und des EGMR auseinander. Soweit darin insbesondere behauptet wird, die Aussagen zu der Unterbringungssituation von Asylbewerbern in Italien in der Tarakhel-Entscheidung des EGMR und in der Entscheidung des BVerfG vom 17.09.2014 seien ausschließlich auf die Situation von Familien/Eltern mit kleinen Kindern bezogen und deshalb insbesondere auf alleinstehende (junge) Männer von vornherein nicht übertragbar (vgl. z. B. VG Aachen, Beschl. vom 17.12.2014, 2 L 622/14.A, juris Rn. 29 f.; VG Oldenburg, Beschl. vom 15.12.2014, 12 B 2771/14, juris Rn. 35; VG Arnsberg, Beschl. vom 09.12.2014, 5 L 1237/14.A, juris Rn. 6; VG Ansbach, Beschl. vom 09.12.2014, AN 14 K 14.50187b, juris Rn. 30; VG Hannover, Beschl. v. 05.12.2014, 6 B 13305/14, n. v.; VG Stade, Beschl. vom 02.12.2014, 6 B 2025/14, n. v.) stimmt die Kammer dem nicht zu. Die Feststellungen des EGMR in der Tarakhel-Entscheidung zu den tatsächlichen Verhältnissen in Italien (Rn. 37 ff, 106 ff) und seine Schlussfolgerung daraus (a.a.O., Rn. 115) sind seinen weiteren Ausführungen zu der Situation der Beschwerdeführer in dem von ihm konkret entschiedenen Fall einer Familie mit mehreren Kindern (Rn. 120 ff) vorgelagert. Sie beziehen sich - erkennbar - auf die Situation des dortigen Asylsystems insgesamt und betreffen damit alle Asylbewerber in Italien. Auch das BVerfG hat seine Aussage zu den Kapazitätsengpässen im asylrechtlichen Unterbringungssystem in Italien in tatsächlicher Hinsicht gerade nicht auf die Situation von Familien mit kleinen Kindern beschränkt (BVerfG, Beschl. vom 17.09.2014, 2 BvR 732/14, juris Rn. 15).
(3)
Daraus folgt zugleich, dass der vorliegende systemische Mangel hinsichtlich der Aufnahmebedingungen in Italien in Form unzureichender angemessener Unterbringungsmöglichkeiten auch für den Antragsteller als alleinstehenden jungen Mann derzeit die Gefahr begründet, im Falle einer Rücküberstellung einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung ausgesetzt zu sein, was seiner Abschiebung im gegenwärtigen Verfahrensstand entgegensteht.
Dagegen lässt sich auch nicht anführen, der EGMR selbst habe in der Tarakhel-Entscheidung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Verhältnisse in Italien nicht mit jenen in Griechenland zu vergleichen seien, die den Gerichtshof dazu veranlasst hätten, Abschiebungen dorthin als mit der EMRK unvereinbar anzusehen (Rn. 114). Nach dem Verständnis der Kammer hat der EGMR vielmehr in der Tarakhel-Entscheidung seine Rechtsprechung zu einem möglichen Verbot von Abschiebungen innerhalb des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems auf der Rechtsfolgenseite fortentwickelt und ihr darin eine neue Kategorie im Sinne eines „auflösend bedingten“ Abschiebungsverbotes bei drohenden Menschenrechtsverletzungen hinzugefügt. Nach dem bisherigen Rechtsverständnis waren Abschiebungen auf der Grundlage der Dublin III-VO nur entweder zulässig, oder - ausnahmsweise - wegen zu befürchtender Menschenrechtsverletzungen in Folge eines systemischen Versagens des Asylsystems im Zielland unzulässig. Nunmehr sieht der EGMR zusätzlich die Möglichkeit als gegeben an, in den Fällen, in denen zwar systemische Schwachstellen im Asylsystem eines Mitgliedstaates bestehen, dieses System aber jedenfalls noch als so hinreichend leistungsfähig angesehen werden kann, dass im Einzelfall die Gefahr einer menschenrechtswidrigen Behandlung bei einer Überstellung abwendbar erscheint, Abschiebungen weiterhin durchzuführen. Erforderlich ist dafür aber nach Auffassung des EGMR, dass der aufnehmende Staat, dessen Asylsystem systemische Schwachstellen aufweist, vor der Rücküberstellung eine auf den jeweiligen Einzelfall bezogene, hinreichend konkrete „Garantieerklärung“ zu einer menschenrechtskonformen Behandlung der zu überstellenden Person abgibt. In einem solchen Fall ist dann eine Überstellung in den ersuchten Mitgliedstaat trotz dort vorhandener systemischer Schwachstellen nicht (mehr) „unmöglich“ im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO, sondern wird zulässig.“
An dieser Rechtsprechung hält die 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Hannover auch unter Berücksichtigung der Entscheidung des EGMR (3. Section) vom 5. Februar 2015 – 51428/10 – (A. M. E. ./. NL) fest. In ihrem Beschluss vom 23. April 2015 – 3 B 2129/15 –, www.rechtsprechung.niedersachsen.de, hat die Kammer insoweit ausgeführt:
„Soweit die 3. Section des EGMR dort die Beschwerde eines jungen männlichen Asylsuchenden ohne abhängige Angehörige gegen seine Rückführung nach Italien als offensichtlich unbegründet verworfen hat, weil „kein hinreichend reelles und unmittelbares Risiko erkennbar [sei], das die Schwelle zu einer Eröffnung des Schutzbereichs von Artikel 3 EMRK erreicht“, vermag die Kammer dieser Auffassung nicht zu folgen. Der 3. Section des EGMR hat in dieser Entscheidung ohne erkennbare weitere Aufklärung des Sachverhalts „keinen Anhalt“ für die Vermutung gesehen, dass der Kläger außerstande sein würde, die „zur Verfügung stehenden Ressourcen für Asylsuchende“ in Anspruch zu nehmen oder dass die italienischen Behörden nicht in angemessener Weise auf seine Bedürfnisse eingehen würden (sämtlich zitiert nach EGMR, Beschluss vom 5.2.2015 – A. M. E. –, Rn. 36 des amtl. Abdrucks). Dies widerspricht aber den Feststellungen der Großen Kammer des Gerichtshofs in der Rechtssache Tarakhel, wonach jedenfalls hinsichtlich der zur Verfügung stehenden Unterkünfte die Ressourcen in Italien derart knapp bemessen sind, dass es nicht genügt, Familien mit Kindern generell bevorzugt zu behandeln, sondern es einer individuellen Zusicherung der geordneten Unterbringung bedarf.
Dass angesichts dessen sowie unter Berücksichtigung des aktuell gegenüber den Verhältnissen in 2014 nochmals erhöhten Zustroms von Flüchtlingen nach Italien alleinstehenden jungen männlichen Asylsuchenden offenkundig keine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 3 EMRK drohen soll, ist für die Kammer nicht nachvollziehbar. Die Kammer teilt insbesondere nicht die – auch nicht näher begründete – Auffassung der 3. Section des EGMR, es sei schon nicht ersichtlich, dass in diesen Fällen der Schutzbereich des Art. 3 EMRK berührt sei. Nach der ständigen Rechtsprechung des EGMR muss zwar eine Misshandlung ein notwendiges Minimum an Intensität erreichen, um in den Anwendungsbereich von Art. 3 EMRK zu fallen, wobei dieses Minimum von den Umständen des Einzelfalls abhängt, beispielsweise der Dauer der Behandlung, ihren physischen und psychischen Auswirkungen sowie, in einigen Fällen, Geschlecht, Alter und dem Gesundheitszustand des Betroffenen (vgl. EGMR, Urteile vom 26.10.1996 (Große Kammer) – Nr. 30210/96, Kudła –, Rn. 91, ECHR 2000-XI, und vom 21.1.2011 – Nr. 30696/09, M. S. S. –, Rn. 249). Weiterhin hat der EGMR zwar wiederholt entschieden, dass Art. 3 EMRK die Vertragsparteien nicht allgemein dazu verpflichtet, jedem in ihrem Hoheitsgebiet ein Zuhause zur Verfügung zu stellen oder Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu gewähren, um ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen (vgl. EGMR, Urteile vom 18.1.2001 (Große Kammer) – Nr. 27238/95, Chapman –, ECHR 2001-1 Rn. 99; vom 26.4.2005 – Nr. 53566/99, Müslim –, Rn. 85; und vom 21.1.2011 – M. S. S., a. a. O. –, Rn. 249). Zugleich hat der Gerichtshof aber betont, dass Asylsuchende als Angehörige einer besonders unterprivilegierten und verletzlichen Bevölkerungsgruppe besonderen Schutzes bedürfen. Auch das BVerfG hat festgestellt, dass von einer Rückführung in sichere Drittstaaten betroffene Ausländer – anders als bei einer Rückführung in ihr Heimatland – regelmäßig weder auf verwandtschaftliche Hilfe noch auf ein soziales Netzwerk bei der Suche nach einer Unterkunft für die Zeit unmittelbar nach ihrer Rückkehr zurückgreifen können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.9.2014 – a. a. O. –). Das betrifft den Kläger nicht weniger als eine junge Frau oder eine Familie mit Kindern.
In einer solchen Konstellation sieht auch der EGMR in ständiger Rechtsprechung Art. 3 EMRK als verletzt an, wenn in einer Situation extremer materieller Armut und vollkommener Abhängigkeit von staatlicher Unterstützung der Betroffene in einer Lage schwerwiegender Entbehrungen oder Not, die nicht mit der Menschenwürde vereinbar ist, mit behördlicher Gleichgültigkeit konfrontiert wird (vgl. EGMR, Entscheidung vom 18.6.2009 – Nr. 45603/05, Budina –). Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die Verpflichtung, Asylsuchenden Unterkunft und hinreichende materielle Bedingungen zu gewähren, Bestandteil des positiven Rechts geworden und die Behörden gehalten sind, ihre eigene Gesetzgebung zu befolgen, aber ein dahingehendes Unterlassen es dem Betroffenen unmöglich macht, diese Rechte in Anspruch zu nehmen und für seine grundlegenden Bedürfnisse zu sorgen.
In diesem Zusammenhang sind die in der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen – Aufnahmerichtlinie – (ABl. L 180 S. 96) genannten Mindeststandards für die Aufnahme von Asylsuchenden in den Mitgliedsstaaten zu berücksichtigen. Nach Art. 17 und 18 der Aufnahmerichtlinie tragen die Mitgliedsstaaten dafür Sorge, dass Antragsteller ab Stellung des Antrags auf internationalen Schutz im Rahmen der Aufnahme materielle Leistungen in Anspruch nehmen können, die einem angemessenen Lebensstandard entsprechen, der den Lebensunterhalt sowie den Schutz der physischen und psychischen Gesundheit von Antragstellern gewährleistet. Bei vorübergehenden Unterbringungsengpässen erlaubt Art. 18 der Aufnahmerichtlinie für einen angemessenen Zeitraum, der so kurz wie möglich sein sollte, niedrigere Standards der Unterbringung, wobei allerdings unter allen Umständen die Grundbedürfnisse gedeckt werden müssen. Zu diesen Grundbedürfnissen rechnet die Kammer auch die Unterkunft an sich, die Versorgung mit Nahrung, elementare Hygienebedürfnisse und den Schutz vor Übergriffen und geschlechtsbezogener Gewalt einschließlich sexueller Übergriffe und Belästigung in Unterbringungszentren.
Es steht für die Kammer außer Zweifel, dass auch der Antragsteller diese Grundbedürfnisse tatsächlich hat. Es ist auch nicht erkenn- bzw. begründbar, dass Art. 3 EMRK diese in der Aufnahmerichtlinie konkretisierten elementaren Grundbedürfnisse nicht auch für die Gruppe der alleinstehenden, jungen und gesunden männlichen Asylsuchenden, der der Antragsteller angehört, garantiert. Dass Art. 3 EMRK bei schutzbedürftigen Personen im Sinne von Art. 21 der Aufnahmerichtlinie die Berücksichtigung weiterer individueller Bedürfnisse gebietet – etwa hinsichtlich der gemeinsamen Unterbringung von Familien und des Schutzes der Kinder oder des Bedarfs besonderer medizinischer Versorgung –, steht dem nicht entgegen.
Auch der Wortlaut des Art. 17 Abs. 2 der Aufnahmerichtlinie:
„Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die im Rahmen der Aufnahme gewährten materiellen Leistungen einem angemessenen Lebensstandard entsprechen, der den Lebensunterhalt sowie den Schutz der physischen und psychischen Gesundheit von Antragstellern gewährleistet.
Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass dieser Lebensstandard gewährleistet ist, wenn es sich um schutzbedürftige Personen im Sinne von Artikel 21 und um in Haft befindliche Personen handelt.“
erlaubt keine derartige Differenzierung am untersten Rand der Existenzsicherung. Vielmehr sind eine dauerhafte Obdachlosigkeit und Unterernährung ebenso wie Gewalt und gesundheitsgefährdende Zustände in Unterkünften geeignet, auch einen jungen, alleinstehenden und (bisher) gesunden Asylbewerber an Grenzen der körperlichen und seelischen Belastbarkeit zu bringen, vor deren Überschreitung ihn Art. 3 EMRK schützen soll.“
Nach den aufgezeigten Maßstäben droht der Antragstellerin eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 3 EMRK aufgrund der weiterhin bestehenden systemischen Mängel des italienischen Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen. Dies gilt jedenfalls solange, wie die italienischen Behörden keine individuelle Garantieerklärung dazu abgeben, dass sie einen Platz in einer Unterkunft erhält und seine grundlegenden Bedürfnisse an Nahrung, Hygiene und medizinischer Versorgung gedeckt sind (vgl. VG Hannover, Urt. v. 26.03.2015 – 10 A 1060/15 –, juris Rn. 43). Eine solche Erklärung liegt im vorliegenden Fall nicht vor. Vielmehr haben die italienischen Behörden schon das Übernahmeersuchen der Antragsgegnerin unbeantwortet gelassen. Allgemein spricht auch ein gerichtsbekanntes Schreiben des Bundesamtes vom 14. April 2015 an das Verwaltungsgericht Wiesbaden dafür, dass Italien derartige Garantien derzeit nicht abgibt.
Soweit das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht (Nds.OVG) in seinem Urteil vom 25.06.2015 – Aktenzeichen: 11 LB 248/14, zu finden über www.rechtsprechung.niedersachsen.de – ausführt, es könne nicht festgestellt werden, dass in Italien systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber vorlägen, folgt die Kammer dieser Auffassung aus den nachstehenden Gründe nicht. Das Nds. OVG geht in seiner Entscheidung davon aus, dass es in Italien in Bezug auf die Unterbringungssituation von Asylbewerbern zu Kapazitätsengpässen komme, sich der italienische Staat aber mit Erfolg bemüht habe, diese Situation zu entschärfen. Zwar seien die Aufnahmeeinrichtungen immer noch oft überfüllt, die Asylsuchenden seien aber, was die Bemühungen der italienischen Behörden zeigten, nicht schutzlos auf sich allein gestellt (Nds. OVG, Urt. v. 25.06.2015 – 11 LB 248/14 –, juris Rn. 53). Vor diesem Hintergrund sei davon auszugehen, dass trotz der nach wie vor bestehenden Kapazitätsengpässe zwischen den vorhandenen und den erforderlichen Plätzen jedenfalls kein so großes Missverhältnis bestehe, dass eine Unterbringung von Dublin-Rückkehrern in Italien typischerweise nicht möglich wäre. Vielmehr drohe auch Dublin-Rückkehrern in Italien grundsätzlich nicht die Gefahr monatelanger Obdachlosigkeit oder fehlender Versorgung, so dass systemische Mängel des italienischen Asyl- und Aufnahmesystems nicht vorlägen (Nds. OVG, Urt. v. 25.06.2015 – 11 LB 248/14 –, juris Rn. 54). Die Kammer vermag das Vorliegen systemischer Mängel in der Unterkunftssituation Italiens nicht bereits deshalb zu verneinen, weil die dortigen Behörden bemüht sind, die Kapazitäten der Belastung anzupassen. Wenn nach wie vor ein Missverhältnis zwischen den vorhandenen und den erforderlichen Plätzen in Italien besteht, ist nicht ohne Weiteres ersichtlich, inwiefern bei rücküberstellten Flüchtlingen mit einer den Vorgaben der EGMR entsprechenden Unterbringung gerechnet werden kann. Demgegenüber ist, weil die Aufnahmesysteme auch aktuell überlastet sind, zunächst generell davon auszugehen, dass Flüchtlinge, die in das Land zurückkehren, Probleme haben werden, eine menschenwürdige Unterkunft zu finden. Eine solche Situation aber begründet die Annahme eines systemischen Mangels, weil die Struktur der Aufnahmebedingungen eine Stelle aufweist, die so defizitär ausgestaltet ist, dass dort Rechtsverletzungen regelhaft eintreten können (siehe oben). Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Zahl der in Italien ankommenden Flüchtlinge weiter steigt. Waren es im Jahr 2013 über 25.000 und im Jahr 2014 schon über 63.000 Asylantragsteller – bei insgesamt über 170.000 einreisenden Migranten im Jahr 2014 –, rechnet die parlamentarische Untersuchungskommission zur Flüchtlingsproblematik für das Jahr 2015 mit rund 200.000 Flüchtlingen (VG Aachen, Beschl. v. 22.05.2015 – 9 L 426/15.A –, juris Rn. 25 ff.). Für ein systemisches Versagen des italienischen Asyl- und Aufnahmesystems spricht insbesondere auch, dass sich die politischen Entscheidungsträger auf dem EU-Gipfel im Juni 2015 darauf verständigt haben, 40.000 Flüchtlinge aus Italien und Griechenland auf andere EU-Länder zu verteilen (siehe hierzu: http://www.sueddeutsche.de/politik/eu-gipfel-deutschland-nimmt-italien-und-griechenland-fluechtlinge-ab-1.2538767). Ende September 2015 haben sich die EU-Staaten diesbezüglich weitergehend darauf geeinigt, insgesamt 160.000 Flüchtlinge aus Griechenland und Italien auf andere EU-Länder zu verteilen. Die Umverteilung hat zwar bereits begonnen (http://www.mdr.de/nachrichten/umverteilung-fluechtlinge100.html), kommt aber nur schleppend voran. Dieser Schritt, Flüchtlinge unabhängig von den Vorgaben über die zuständigen Mitgliedstaaten nach der Dublin III-VO auf andere Länder zu verteilen, ist als starkes Indiz dafür zu werten, dass Italien dem Flüchtlingsstrom aktuell nicht mehr gewachsen ist. Anhaltspunkte, die eine andere Einschätzung nahe legen, sind derzeit nicht ersichtlich. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass die Zahl der in Italien ankommenden Flüchtlinge nach einem Rückgang in dem Zeitraum von August bis November 2015 im Dezember 2015 wieder deutlich angestiegen ist (Bericht des UNHCR: Europe refugees & migrants emergency response, nationality of arrivals to Greece, Italy and Spain, January – December 2015, S. 1, zu finden über: http://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/
MonthlyTrendsofNationalities-ArrivalstoGreeceItalyandSpain-31December2015.pdf).
Rechtsverletzungen sind auch nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil rücküberstellte Flüchtlinge keine monatelange Obdachlosigkeit zu befürchten haben. Insoweit ist nicht davon auszugehen, dass ein Eingriff in die Schutzgüter der GRCh und der EMRK erst dann vorliegt, wenn ein Flüchtling mehrere Monate auf der Straße leben muss. Sofern sich die vorgenannte Entscheidung des Nds. OVG mit der jüngsten Rechtsprechung des EGMR – Urt. v. 04.11.2014 – Nr. 29217/12 – (Tarakhel) und Urt. v. 05.02.2015 (3. Section) – 51428/10 – (A. M. E. ./. NL) – auseinandersetzt, gelten die oben dargestellten Ausführungen.
Der Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe – „Aufnahmebedingungen in Italien,
Zur aktuellen Situation von Asylsuchenden und Schutzberechtigten, insbesondere Dublin-Rück-kehrenden in Italien“ – aus dem August 2016 deutet darauf hin, dass sich die Situation in Italien auch aktuell nicht wesentlich verbessert hat. In ihrem Fazit stellt die Schweizerische Flüchtlingshilfe fest:
„Es bestehen bei der Unterbringung von Asylsuchenden und Schutzberechtigten in Italien Defizite, die auf einer systematischen Verletzung der den Asylsuchenden nach der ARL und der QRL zustehenden Rechte beruhen. Damit verletzt Italien seine Verpflichtungen aus dem EU-Asylacquis insgesamt. Auch verletzt Italien die Pflichten in Bezug auf Information der Betroffenen beim Zugang zur Gesundheitsversorgung so-wie der Berücksichtigung der Bedürfnisse besonders verletzlicher Personen. Zudem werden die Kinderrechte sowie das Recht auf Einheit der Familie gemäss EMRK und nach dem EU-Recht nur unzureichend respektiert. Das Fehlen von Unterstützung von Asylsuchenden und Schutzberechtigten kann darüber hinaus zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK führen. Gehen die prüfenden Behörden und Gerichte angesichts dieser Sachlage nicht ohnehin von systemischen Mängeln im gesamten italienischen Unter-bringungssystem aus, muss zumindest sorgfältig und individuell geprüft werden, ob diese Rechte im Einzelfall verletzt sind. Diesbezüglich trifft die Behörden der über-stellenden Staaten eine konkrete, individuelle Abklärungspflicht. Diese wird in vielen Einzelfällen verletzt. Die Mitgliedstaaten können sich auch nicht von ihren Überprü-fungspflichten durch den Hinweis befreien, diese Rechte müssten in Italien selber geltend gemacht werden, da dies keine realistische Möglichkeit darstellt.“
Die Antragstellerin gehört als schwangere Frau mit eventuell noch auftretenden Komplikationen zu einer besonders schutzwürdigen Personengruppe. Auch dies ist im Hinblick auf die beabsichtigte Abschiebung nach Italien zu berücksichtigen und verstärkt die Feststellung, dass die Abschiebung nicht durchgeführt werden kann.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylG.