Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 23.09.1998, Az.: 2 U 166/98

Ausgestaltung der Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs durch eine Versicherung einer sog. Grenzspedition aus übergegangenem Recht; Voraussetzungen des Vorliegens der örtlichen Zuständigkeit eines Gerichts zur Geltendmachung eines deliktischen Schadensersatzanspruchs

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
23.09.1998
Aktenzeichen
2 U 166/98
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1998, 32378
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:1998:0923.2U166.98.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Oldenburg - 09.07.1998 - AZ: 4 O 2795/97

Fundstelle

  • TranspR 2001, 322-323

In dem Rechtsstreit
...
hat der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg
auf die mündliche Verhandlung vom 23. September 1998
durch
die Richter ... und ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 9. Juli 1998 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg geändert.

Das Landgericht Oldenburg ist für die Entscheidung des Rechtsstreits zuständig.

Zur weiteren Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des zweiten Rechtszugs - wird die Sache an das Landgericht zurückverwiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Streitwert für den zweiten Rechtszug und der Wert der Beschwer betragen 1.457.415,18 DM.

Tatbestand

1

Die Klägerin versichert Grenzspediteure. Sie begehrt als Versicherer der Firma G. Gesellschaft mbH mit Sitz in .../Österreich (im folgenden: Firma G.) Schadensersatz aus übergegangenem Recht.

2

Die Firma G. stellt im sogenannten Versandscheinverfahren gegen Entgelt Versandscheine an Frachtführer aus mit der Wirkung, daß diese Frachtführer bei der bloßen Durchreise durch ein Land keinen Einfuhrzoll zahlen, der bei der Ausfuhr umständlich zurückerstattet werden müßte. Durch die Ausstellung eines Versandscheins übernimmt sie gegenüber den Durchfuhrländern die Verpflichtung dafür, daß das Zollgut im angegebenen Endempfangsland innerhalb einer bestimmten Frist vollständig ankommt, um dort verzollt werden zu können. Andernfalls haftet sie für den hinterzogenen Zoll.

3

Zum Zweck der Steuerhinterziehung wurde unter Beteiligung des Beklagten zu 1) über eine Firma P. GmbH mit Sitz in G. (im folgenden: Firma P.) in der Zeit zwischen August 1987 und Januar 1988 in neun Fällen Rindfleisch aus Belgrad über Österreich nach Deutschland eingeführt unter Teilnahme am Versandscheinverfahren mit der Firma G. und Angabe der Zielorte Rotterdam bzw. Stockholm seitens der Fahrer der Frachtführerin, einer Firma S.. Die Fahrer der Firma S. beauftragten jeweils die Firma G. in S./Österreich mit der Beschaffung eines Versandscheins. Tatsächlich wurde die Ware nicht durch Deutschland durchgeführt, sondern unter Beteiligung des Beklagten zu 1) im Oldenburger Raum entladen und schließlich unverzollt weiterverkauft. Die Firma G. wurde mit Bescheiden des Hauptzollamts Oldenburg vom 05.12.1989 auf insgesamt 1.879.394,40 DM in Anspruch genommen.

4

Die Klägerin hat behauptet:

5

Die Beklagten hätten hinter der Firma P. gestanden und in Belgrad die gutgläubige Firma S. mit dem Transport nach Rotterdam bzw. Stockholm mündlich beauftragt, um Einfuhrzoll zu hinterziehen. Die Fahrer seien bei der Beauftragung der Firma G. arglos gewesen. Die Ware sei in Deutschland von dem Beklagten zu 1) den Fahrern unter Vorspiegelung einer Verzollung abgenommen worden. Die Beklagte zu 2) habe sodann die Zollpapiere vernichtet und den gesamten Erlös nach Kanada verschafft.

6

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagten gesamtschuldnersich zu verurteilen, an sie 1.457.415,80 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 23.12.1992 auf 1.021.500,10 DM, seit dem 01.11.1993 auf 405.663,65 DM und seit Zustellung der Klage auf den Restbetrag zu zahlen.

7

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

8

Sie haben die Zuständigkeit des Landgerichts Oldenburg gerügt und die Auffassung vertreten, ein deutsches Gericht sei nicht zuständig.

9

Das Landgericht hat die Klage wegen fehlender internationaler Zuständigkeit der deutschen Gerichte als unzulässig abgewiesen. Wegen aller Einzelheiten wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des am 09.07.1998 verkündeten Urteils verwiesen.

10

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt.

11

Sie beantragt,

die Beklagten unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach dem erstinstanzlichen Klagantrag zu verurteilen.

12

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

13

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien im zweiten Rechtszug wird auf den Inhalt ihrer Schriftsätze verwiesen.

Entscheidungsgründe

14

Die Berufung hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Das Landgericht Oldenburg ist entgegen der im angefochtenen Urteil vertretenen Auffassung gemäß §32 ZPO für den Rechtsstreit international und örtlich zuständig. Da eine abschließende Entscheidung im zweiten Rechtszug nicht sachdienlich ist (§540 ZPO), ist die Zurückverweisung der Sache zur weiteren Verhandlung an das Landgericht geboten (§538 Abs. 1 Nr. 2 ZPO).

15

Die Klägerin macht aus übergegangenem Recht der Firma G. (§67 VVG) gegen die Beklagten einen Anspruch aus §823 Abs. 2 BGB i.V.m. §263 StGB geltend. Nach der Rechtsprechung des BGH (NJW 1996, 1411, 1413) reicht für die Begründung der Zuständigkeit nach §32 ZPO die schlüssige Behauptung von Tatsachen, aus denen sich ein deliktischer Anspruch ergibt. Insofern trägt die Klägerin hinreichend vor.

16

Es kann dahinstehen, ob, wie es das Landgericht angenommen hat, der für die Verwirklichung des Betrugstatbestandes erforderlichen Schaden (schon oder erst) am Belegenheitsort des Vermögens der Firma G. eingetreten ist, also in Österreich. Setzt sich bei sogenannten Distanzdelikten der Tatbestand einer unerlaubten Handlung (hier: Betrug) aus verschiedenen Handlungen und Vorgängen zusammen, die sich an verschiedenen Orten vollziehen, ist nicht nur das Gericht zuständig, in dessen Bezirk der letzte den Tatbestand vollendende Erfolg (bei Betrug der Vermögensschaden) eingetreten ist, sondern jedes Gericht, in dessen Bezirk eine dieser zum Tatbestand gehörigen Handlungen begangen worden ist (Zöller-Vollkommer, ZPO, 20. Aufl., §323 Rn. 17 m.w.N.). Insoweit ist beachtlich, daß nach dem Vortrag der Klägerin die Beklagten im Bezirk des Landgerichts Oldenburg die - gutgläubigen - Fahrer der Lkws der Firma S. durch Täuschung zur Aufgabe des Gewahrsams an dem Zollgut (mit der Folge eines jedenfalls über eine bloße Vermögensgefährdung schon an der Grenze hinausgehenden Vermögensschadens durch Entstehung der Haftung der Firma G. für den hinterzogenen Zoll) veranlaßt haben. Das reicht zur Annahme eines zum Betrug gehörenden Merkmals (Täuschung) aus; denn Getäuschter und Geschädigter müssen nicht identisch sein (Schönke/Schröder/Cramer, StGB, 25. Aufl., §263 Rn. 65). - Durch diese Täuschungshandlungen ist mithin die Zuständigkeit des Landgerichts Oldenburg nach §32 ZPO begründet worden.

17

Eine abschließende Sachentscheidung des Senats ist nicht sachdienlich (§540 ZPO). Der Rechtsstreit ist in materiell-rechtlicher Hinsicht noch nicht aufgeklärt und nicht ohne weiteres entscheidungsreif. In einem solchen Fall ist es nicht Aufgabe des Berufungsgerichts, erstinstanzlich nicht geschaffene Entscheidungsgrundlagen im zweiten Rechtszug zu erarbeiten (vgl. Zöller-Gummer, ZPO, 20. Aufl., §540 Rn. 5).

18

Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§708 Nr. 10 und 546 ZPO.