Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 29.06.2017, Az.: 11 K 88/16

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
29.06.2017
Aktenzeichen
11 K 88/16
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2017, 43833
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2017:0629.11K88.16.00

Verfahrensgang

nachfolgend
BFH - 01.03.2018 - AZ: V R 35/17

Amtlicher Leitsatz

Bei der Nutzungsüberlassung eines Grundstücks an einen Landwirt, der seine Umsätze nach den Durchschnittssätzen für land- und forstwirtschaftliche Betriebe versteuert, ist eine Option zur Steuerpflicht nach § 9 Abs. 2 UStG ausgeschlossen.

Tatbestand

1

Das Unternehmen des Klägers besteht in der Verpachtung eines Rinderboxenlaufstalls mit Melkkarussell sowie eines Kälberaufzuchtstalls an eine zwischen ihm und seiner Ehefrau bestehenden Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR). Der Kläger hatte erklärt, auf die Steuerfreiheit der durch die Verpachtung erzielten Umsätze nach § 4 Nr. 12 UStG nach § 9 Abs. 1 UStG zu verzichten. Der Stall wurde in 2005 errichtet und mit Vertrag vom 1. November 2005 an die GbR verpachtet. Der Pachtzins betrug im Streitjahr 4.000 € zzgl. Umsatzsteuer monatlich. Die GbR unterhielt im Streitjahr einen landwirtschaftlichen Betrieb, dessen Umsätze der Pauschalierung gem. § 24 UStG unterlagen. Anlässlich einer Betriebsprüfung gelangte der Beklagte, das Finanzamt (FA), zu der Auffassung, dass sich eine ortsübliche Pacht für den Stall nicht feststellen lasse. Daher sei die Mindestbemessungsgrundlage anzuwenden, welche der Prüfer wie folgt ermittelte:

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HerstellungskostenBemessungsgrundlage
Herstellungskosten Gebäude1.197.762,00 €
davon 10 v.H.119.776,20 €
Herstellungskosten für Betriebsvorrichtungen144.149,00 €
davon 20 v.H.28.829,80 €
Summe148.606,00 €
davon 2/12 (November/Dezember 2005)24.766,00 €
bisher versteuert0,00 €
Mehrumsatz 16 v.H. lt. Bp24.766,00 €
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Das FA erließ am 3. November 2011 einen entsprechend geänderten Umsatzsteuerbescheid, in dem es zugleich abziehbare Vorsteuerbeträge für das Streitjahr in Höhe 206.501,63 € anerkannte. Den Einspruch des Klägers wies es mit Bescheid vom 10. März 2016 als unbegründet zurück. Es liege ein Anwendungsfall des § 10 Abs. 5 i.V.m. § 10 Abs. 4 UStG vor. Bei dem Kläger und der GbR handele es sich um sich nahe stehende Personen. Mangels ortsüblicher Pacht finde deshalb die Mindestbemessungsgrundlage Anwendung.

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Mit seiner hiergegen gerichteten Klage macht der Kläger geltend, die Mindestbemessungsgrundlage müsse im Wege der teleologischen Reduktion auf ein nach marktüblichen Grundsätzen ermitteltes Entgelt reduziert werden. Durch Anfügung des § 10 Abs. 4 Nr. 2 S. 3 UStG mit dem EU-Richtlinien-Umsetzungsgesetz zum 1. Juli 2004 sei der Verweis auf den Berichtigungszeitraum des § 15a UStG in das Gesetz aufgenommen worden. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung führe hierzu aus, dass eine Verteilung der Ausgaben nach ertragsteuerlichen Grundsätzen nicht zwingend und auch nicht geboten sei, da die unterschiedlichen Abschreibungsvarianten nicht den tatsächlichen wirtschaftlichen Wertverzehr widerspiegelten. Dies möge zwar für sich genommen zutreffend sein, führe aber im Ergebnis zu einer vom Gesetzgeber nicht gesehenen Ausweitung des Anwendungsbereichs der Norm. Denn nun werde über die gleichsam willkürlich festgelegte Dauer des in § 15a UStG geregelten Berichtigungszeitraums eine Vergleichsgröße bestimmt, die allenfalls zufällig zu einer mit den tatsächlichen Vereinbarungen übereinstimmenden Bemessungsgrundlage führe. Andererseits führe eine unter gleichen Bedingungen zwischen fremden Dritten ermittelte und abgeschlossene Pacht zu keiner Anwendung der Mindestbemessungsgrundlage.

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Hinzu trete die Besonderheit, dass es weder für den Kläger, noch für den Beklagten möglich gewesen sei, ein "marktübliches Entgelt" im Sinne einer tatsächlichen Vergleichspacht zu ermitteln. Es könne aber als gesichert angesehen werden, dass es nicht "marktüblich" sei, Entgeltvereinbarungen an § 10 Abs. 5 i.V.m. § 15a Abs. 1 UStG auszurichten. Die Anwendung des § 10 Abs. 5 UStG i.V.m. § 10 Abs. 4 S. 3 UStG sei durch den BFH bereits dahingehend einschränkend ausgelegt worden, dass die Mindestbemessungsgrundlage auf das marktübliche Entgelt zu begrenzen sei, wenn ein solches festgestellt werden könne (BFH-Urteil vom 9. Oktober 1997 XI R 8/86). Ferner sei nach Auffassung des BFH kein Anwendungsfall der Mindestbemessungsgrundlage gegeben, wenn es sich um Umsätze zwischen zwei zum vollen Vorsteuerabzug berechtigten Unternehmern handele (BFH-Urteil vom 6. Juni 2014 XI R 44/12). Diese Konstellationen habe der Gesetzgeber offensichtlich übersehen. Entsprechendes müsse für den vorliegenden Streitfall gelten.

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Die Anwendung des § 10 UStG durch das FA sei ferner unionswidrig. § 10 Abs. 5 UStG stelle eine abweichende Sondermaßnahme im Sinne der MwStSystRL dar. Die Vorschrift sei als abweichende nationale Maßnahme zur Verhütung von Steuerhinterziehungen und -umgehungen eng auszulegen und dürfe nur angewandt werden, soweit dies hierfür unbedingt erforderlich sei. Der EuGH habe zu Art. 80 der MwStSystRL für den Fall der Lieferung von Gegenständen oder der Erbringung von Dienstleistungen zu einem künstlich niedrigen oder hohen Preis, der zwischen Beteiligten vereinbart wird, die beide zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt sind, entschieden, dass auf dieser Stufe keine Steuerhinterziehung oder -umgehung stattfinde (Urteil Balkan and Sea Properties in UR 2012, 435, HFR 2012, 675, Rz 47). Erst beim Endverbraucher oder bei einem eine Mischung von Umsätzen bewirkenden Steuerpflichtigen, der nur zu einem Pro-Rata-Abzug berechtigt sei, könne ein künstlich hoher oder niedriger Preis zu einem Steuerausfall führen. Nur wenn die von dem Vorgang betroffene Person nicht zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt sei, bestehe ein Risiko von Steuerhinterziehung oder -umgehung, dem die Mitgliedstaaten vorbeugen dürften. Zwar sei die Pächterin vorliegend nur in den Grenzen des § 24 UStG zum Vorsteuerabzug berechtigt. Nach der Systematik des § 10 UStG werde aber nicht geprüft, ob in einem Fall wie dem vorliegenden ein künstlich hoher oder zu niedriger Preis die Anwendung der Vorschrift als Sondermaßnahme rechtfertige, da nur schematisch auf die in § 15a UStG genannten Zeiträume abgestellt werde.

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Im Übrigen werde auch nicht der Ansicht des FG Münchens in seinem Urteil vom 5. April 2016 2 K 1767/13 gefolgt, nach der eine Option nach § 9 Abs. 2 UStG bei entgeltlicher Nutzungsüberlassung an einen pauschalierenden Landwirt ausgeschlossen sei, was für den vorliegenden Fall zur Folge hätte, dass für die erzielten Umsätze die Steuerbefreiungsnorm des § 4 Nr. 12a UStG griffe. Nach dem Wortlaut der Vorschrift sei ein Verzicht auf die Steuerbefreiung nur zulässig, soweit der Leistungsempfänger das Grundstück ausschließlich für Umsätze verwende oder zu verwenden beabsichtige, die den Vorsteuerabzug nicht ausschließen. Für den nach § 24 UStG pauschalierenden Landwirt sei der Vorsteuerabzug aber gerade nicht ausgeschlossen; die Vorsteuerbeträge würden lediglich nach Maßgabe des § 24 Abs. 1 S. 3 UStG abweichend ermittelt, um dem Landwirt einen steuerlichen sowie organisatorischen Vorteil zu verschaffen. Lediglich ein darüber hinausgehender Vorsteuerabzug entfalle.

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Der Kläger beantragt,

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die Bemessungsgrundlage gem. § 10 UStG unter Abänderung des Umsatzsteuerbescheids vom 3. November 2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10. März 2016 um 16.766 € herabzusetzen.

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Das FA beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Für neugebaute Milchviehställe gebe es in der Region Weser-Ems wegen der beim Bau regelmäßig bereits berücksichtigten speziellen betrieblichen Belange des Pächters außerhalb von Familienverbünden keine Vergleichsfälle unter den Bedingungen des freien Markts. Die Vorgehensweise des Gesetzgebers die Mindestbemessungsgrundlage an den Berichtigungszeitraum gem. § 15a UStG zu koppeln sei sachgemäß. Gerade bei langfristig verpachteten Gebäuden sei die Möglichkeit, ungerechtfertigte Steuervorteile zu erzielen, erheblich. Mit der Anknüpfung an den Vorsteuerberichtigungszeitraum des § 15a UStG erreiche der Gesetzgeber, dass gezogene Vorsteuer und abzuführende Umsatzsteuer einander entsprächen.

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Nach einer vom Gericht eingeholten Stellungnahme der Landwirtschaftskammer Niedersachsen vom 13. Januar 2017 ist im Bereich des Klägers kein anderer Pachtfall bekannt, in dem ein Rinderboxenlaufstall verpachtet worden ist. Daher könnten zu einem marktüblichen Pachtzins für ein derartiges Objekt keine Aussagen gemacht werden.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist unbegründet. Das FA hat zu Unrecht angenommen, dass die hier vorliegenden Verpachtungsumsätze nicht nach § 4 Nr. 12 a UStG umsatzsteuerfrei sind. Dies führt dazu, dass der Kläger aus dem Bezug von Leistungen für die Errichtung des Stalls keinen Vorsteuerabzug beanspruchen kann. Da der dem Kläger zu Unrecht gewährte Vorsteuerabzug die Höhe der versteuerten Verpachtungsumsätze übersteigt, wird der Kläger jedoch durch den angegriffenen Bescheid nicht in seinen Rechten verletzt (vgl. § 100 Abs. 1 S. 1 FGO). Eine Verböserung ist im finanzgerichtlichen Verfahren ausgeschlossen.

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1. Nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG kann ein Unternehmer die in Rechnungen im Sinne des § 14 UStG gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuer abziehen. Der Vorsteuerabzug ist aber gemäß § 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG ausgeschlossen, wenn der Unternehmer die Leistungen zur Ausführung von steuerfreien Umsätzen verwendet.

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Die - hier vorliegenden - Verpachtungsumsätze sind nach § 4 Nr. 12a UStG grundsätzlich umsatzsteuerfrei. Der Kläger hat nicht wirksam zur Steuerpflicht der an die zwischen ihm und seiner Ehefrau bestehenden GbR geleisteten Vermietungsumsätze optieren können.

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Nach § 9 Abs. 1 UStG kann ein Unternehmer zwar zur Umsatzsteuer optieren, wenn die Vermietungsumsätze an einen anderen Unternehmer, für dessen Unternehmen ausgeführt werden. Jedoch ist der Verzicht auf die Steuerfreiheit bei der Vermietung und Verpachtung von Grundstücken nach § 9 Abs. 2 UStG auf solche Fälle beschränkt, in denen der Leistungsempfänger das Grundstück oder Grundstücksteile ausschließlich für Umsätze verwendet oder zu verwenden beabsichtigt, die den Vorsteuerabzug nicht ausschließen. Der Unternehmer hat die Voraussetzungen nachzuweisen.

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Das Gericht teilt die Rechtsauffassung des FG München in seinem Urteil vom 5. April 2016 2 K 1767/13, EFG 2016, 1385 ff., wonach bei der Nutzungsüberlassung eines Grundstücks an einen Landwirt, der - wie im Streitfall - seine Umsätze nach den Durchschnittssätzen für land- und forstwirtschaftliche Betriebe versteuert und demnach nur einen "pauschalen Vorsteuerabzug" nach § 24 Abs. 1 Sätze 3 und 4 UStG geltend machen kann, deshalb die Option zur Steuerpflicht nach § 9 Abs. 2 UStG ausgeschlossen ist (so auch Schüler-Täsch in Sölch/Ringleb, UStG, § 9 Rn. 47; Stadie in Stadie, UStG, § 9, Rn. 28; Nieuwenhuis in Offerhaus/Söhn/Lange, UStG, § 9, Rn. 78).

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Die einschränkende Regelung des § 9 Abs. 2 UStG erfolgte durch das Gesetz zur Bekämpfung des Missbrauchs und zur Bereinigung des Steuerrechts vom 21. Dezember 1993 insbesondere zur Verhinderung sogenannter Vorschaltmodelle, in denen Unternehmen gegründet werden, die ein Gebäude errichten und unter Inanspruchnahme des Vorsteuerabzugs steuerpflichtig beispielsweise an Banken, Ärzte, Bildungseinrichtungen und Krankenhäuser vermieten (Schüler-Täsch in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 9, Rn.155; Stadie in Stadie, UStG, § 9, Rn. 25). § 9 Abs. 2 UStG will also gerade künstliche bzw. missbräuchliche Gestaltungen im Zusammenhang mit dem Vorsteuerabzug ausschließen.

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§ 9 Abs. 2 UStG ist auch mit dem Unionsrecht vereinbar, da die Mitgliedstaaten bei Einräumung des Optionsrechts zur Steuerpflicht den Umfang dieses Wahlrechts einschränken können (Art. 13 Teil C der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Richtlinie 77/388/EWG -; jetzt Art. 137 Abs. 2 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem - MwStSystRL -).

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Nach anderer Ansicht bleibt trotz Pauschalierung nach § 24 Abs. 1 UStG der Vorsteuerabzug dem Grunde nach bestehen, so dass eine Option zur Steuerpflicht möglich sein soll (vgl. FG Niedersachsen, Beschluss vom 23. November 2000 5 Ko 14/00, EFG 2001, 307; FG Baden-Württemberg, Urteil vom 26. Januar 2005 12 K 493/00, EFG 2005, 761; im Ergebnis auch so: Abschn. 9.2 Abs. 2 UStAE).

22

Diese Auffassung widerspricht aber der o.g. Intention des § 9 Abs. 2 UStG (vgl. Stadie in Stadie, UStG, § 9, Rn. 28, 25), da damit Vorschaltmodelle, in denen sowohl die pauschalierten Vorsteuern beim Landwirt, als auch die tatsächlichen Vorsteuern aus Investitionsumsätzen bei dem vorgeschalteten Vermieter abzugsfähig sind, weiterhin möglich wären.

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Außerdem widerspricht sie § 24 Abs. 1 Satz 4 UStG. Danach besteht eine Wirkung der Anwendung der Durchschnittssatzbesteuerung darin, dass der Vorsteuerabzug entfällt.

24

Zwar werden nach § 24 Abs. 1 Satz 3 UStG unabhängig davon, ob Vorsteuern angefallen sind, Vorsteuerbeträge festgesetzt. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um einen tatsächlichen Vorsteuerabzug, da § 24 UStG lediglich zu einer Pauschalbesteuerung - unabhängig von tatsächlichen Eingangsumsätzen - führt.

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Diese Auslegung entspricht auch Art. 25 Abs. 5 Unterabs. 2 Richtlinie 77/388/EWG (jetzt: Art. 302 MwStSystRL), wonach ein Pauschallandwirt, der einen pauschalen Ausgleich in Anspruch nimmt, in Bezug auf die dieser Pauschalregelung unterliegenden Tätigkeiten kein Recht auf Vorsteuerabzug hat (Schüler-Täsch, MwStR 2013, 540, 543 f.).

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Im Übrigen geht die Finanzverwaltung in anderem Zusammenhang auch davon aus, dass Pauschallandwirte, keine zum vollen Vorsteuerabzug berechtigte Unternehmer sind (Abschn. 10.7. Abs. 6 Satz 4 UStAE, neu gefasst durch BMF vom 23. Februar 2016, BStBl I 2016, 240).

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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

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3. Die Revision ist nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO zuzulassen, da das Gericht von der Rechtsprechung anderer Finanzgerichte und der Verwaltungsregelung abweicht und die Rechtssache grundsätzlich Bedeutung hat.