Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 15.06.2017, Az.: 10 K 139/16
Gleichsetzen des typischerweise arbeitstäglichen Aufsuchens eines Ortes zur Aufnahme der beruflichen Tätigkeit mit "regelmäßig oder üblicherweise"; Beginn der Fahrtätigkeit eines Fernfahrers am Firmensitz seines Arbeitgebers hinsichtlich Abzugsfähigkeit von Fahrkosten
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 15.06.2017
- Aktenzeichen
- 10 K 139/16
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2017, 43341
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2017:0615.10K139.16.0A
Rechtsgrundlagen
- § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4, 4a S. 2, 3 EStG
- § 9 Abs. 4 S. 4 EStG
Fundstellen
- AuA 2018, 722
- DStRE 2018, 967-968
- StX 2017, 694-695
Amtlicher Leitsatz
Typischerweise arbeitstägliches Aufsuchen eines Ortes zur Aufnahme der beruflichen Tätigkeit ist nicht gleichzusetzen mit "regelmäßig oder üblicherweise". Der Fernfahrer, der lediglich 2 - 3 Tage/Woche seine Fahrtätigkeit am Firmensitz seines Arbeitgebers beginnt und die übrige Zeit mehrtägige Fahrten unternimmt, sucht nicht typischerweise arbeitstäglich den Firmensitz seines Arbeitgebers zur Aufnahme seiner beruflichen Tätigkeit auf.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Fahrten des Klägers zu dem Betriebssitz seines Arbeitgebers lediglich mit der Entfernungspauschale gemäß § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 S. 2. Abs. 4a S. 3 Einkommensteuergesetz 2014 (EStG) zu berücksichtigen sind oder aber nach Reisekostengrundsätzen.
Der Kläger ist bei der Firma K. als LKW-Fahrer beschäftigt. Entsprechend seiner arbeitsvertraglichen Regelung übt er seine Fahrtätigkeit im Rahmen von ein- oder mehrtägigen Fahrten im In- und Ausland aus. Im Streitjahr war er an insgesamt 242 Tagen mit dem LKW unterwegs. Dabei entfielen 178 Tage auf mehrtägige Fahrten und 64 Tage auf eintägige Fahrten; insgesamt hat er an 114 Tagen den 37 km von seinem Wohnort entfernt liegenden Betrieb seines Arbeitgebers in H. mit seinem eigenen Pkw aufgesucht, um dort den Lkw zu übernehmen und mit seiner Fahrtätigkeit zu beginnen.
Der Beklagte berücksichtigte die 114 Fahrten zum Arbeitgeber lediglich mit einer Entfernungspauschale von 0,30 €/km. Der Einspruch des Klägers hinsichtlich der Berücksichtigung der 114 Fahrten zum Arbeitgeber nach Reisekostengrundsätzen blieb ohne Erfolg.
Mit seiner Klage begehrt der Kläger weiterhin die Berücksichtigung der 114 Fahrten zu seinem Arbeitgeber nach Reisekostengrundsätzen. Er übe eine Fahrtätigkeit aus und verfüge somit über keine erste Tätigkeitsstätte im Sinne des § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG, noch würde er typischerweise arbeitstäglich dauerhaft denselben Ort aufsuchen. Entsprechend seien seine 114 Fahrten zum Arbeitgeber gemäß § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4a S. 2 EStG mit den pauschalen Kilometersätzen zu berücksichtigen, die für das jeweils benutzte Beförderungsmittel als höchste Wegstreckenentfernung nach dem Bundesreisekostengesetzt festgesetzt seien, also 0,30 € pro gefahrenen Kilometer. Typischerweise arbeitstäglich bedeute, dass von den regelmäßigen Arbeitstagen mit Ausnahme von Krankheit und Urlaub auszugehen sei, an denen der Steuerpflichtige den Sammelpunkt aufsuche. Sofern die Tätigkeit von mehrtägigen Reisen geprägt sei, greife diese Regelung nicht.
Der Kläger beantragt,
den Einkommensteuerbescheid 2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 3. Mai 2016 dahingehend zu ändern, dass bei den Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit weitere Fahrtkosten in Höhe von 1.265,40 € (114 Tage x 37 km x 0,30 €/km) als Werbungskosten berücksichtigt werden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er bleibt bei seiner im Verwaltungsverfahren vertretenen Auffassung. Der Kläger habe in Hannover einen s.g. Sammelpunkt aufgesucht, denn er habe weisungsgemäß zur Aufnahme seiner beruflichen Tätigkeit diesen Ort dauerhaft aufgesucht und dort seine Tätigkeit begonnen. So habe der Kläger stets seine Arbeit dort aufgenommen und das Fahrzeug übernommen, mit dem er dann seine Fahrtätigkeit ausgeübt habe. Es sei unerheblich, dass die Anzahl der arbeitstäglich erforderlichen Fahrten bedingt durch mehrtägige Auswärtstätigkeiten bei Fernreisen in den einzelnen Jahren unterschiedlich sein könnten. Auch ein Arbeitnehmer mit erster Tätigkeitsstätte suche bedingt durch evtl. durchzuführende Dienstreisen seine Arbeitsstelle nicht immer arbeitstäglich auf. Entscheidungserheblich sei vielmehr, dass der Kläger den Ort typischerweise dauerhaft aufsuche und er sich entsprechend darauf einstellen könne. Die tatsächliche Zahl der Fahrten zum Sammelpunkt sei unerheblich.
Entscheidungsgründe
I. Die Klage ist begründet.
Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Fahrten des Klägers zu seinem Arbeitgeber sind bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit (§ 19 EStG) antragsgemäß gemäß § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4a S. 2 EStG mit den pauschalen Kilometersätzen zu berücksichtigen, die für das jeweils benutzte Beförderungsmittel als höchste Wegstreckenentfernung nach dem Bundesreisekostengesetzt festgesetzt sind, beim Kläger also 0,30 € pro gefahrenen Kilometer.
Zu Unrecht ist das Finanzamt davon ausgegangen, dass die Fahrtkosten nur begrenzt abzugsfähig seien, der Kläger nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Satz 3 EStG i.V.m. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 und Abs. 2 EStG für die Fahrten von der Wohnung zur betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers nur die Entfernungspauschale geltend machen könne.
1. Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a S. 1, 2 EStG sind beruflich veranlasste Fahrtkosten, die nicht Fahrten zwischen Wohnung und 1. Tätigkeitsstätte im Sinne des Abs. 4 und sowie keine Familienheimfahrten sind, grundsätzlich in Höhe des dafür tatsächlich entstandenen Aufwands als Werbungskosten zu berücksichtigen. Anstelle der tatsächlichen Aufwendungen, die dem Arbeitnehmer durch die persönliche Benutzung eines Beförderungsmittels entstehen, können die Fahrtkosten mit den pauschalen Kilometersätzen angesetzt werden, die für das jeweils benutzte Beförderungsmittel (Fahrzeug) als höchste Wegstreckenentschädigung nach dem Bundesreisekostengesetz festgesetzt sind.
a) Erste Tätigkeitsstätte ist nach § 9 Abs. 4 EStG die ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten, der der Arbeitnehmer dauerhaft zugeordnet ist. Die Zuordnung im Sinne des Satzes 1 wird durch die dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen sowie die diese ausfüllenden Absprachen und Weisungen bestimmt. Von einer dauerhaften Zuordnung ist insbesondere auszugehen, wenn der Arbeitnehmer unbefristet, für die Dauer des Dienstverhältnisses oder über einen Zeitraum von 48 Monaten hinaus an einer solchen Tätigkeitsstätte tätig werden soll.
Der Kläger hat danach keine erste Tätigkeitsstätte. Er übt als Lkw-Fahrer vielmehr eine reine Fahrtätigkeit aus. Er ist - zwischen den Beteiligten unstreitig - weder einer Tätigkeitsstätte im Unternehmen des Arbeitgebers ausdrücklich dauerhaft zugeordnet noch ist eine Zuordnung zu einer ersten Tätigkeitsstätte anhand der quantitativen Zuordnungskriterien nach § 9 Absatz 4 Satz 4 EStG möglich.
b) Auch die Ausnahmeregelung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Satz 3 EStG findet keine Anwendung, nach der unter den dort genannten Voraussetzungen die Regelung über die Entfernungspauschale - 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 und Abs. 2 EStG - entsprechend angewandt wird. Diese Vorschrift setzt voraus, dass ein Arbeitnehmer keine erste Tätigkeitsstätte (§ 9 Absatz 4) hat und er nach den dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen sowie den diese ausfüllenden Absprachen und Weisungen zur Aufnahme seiner beruflichen Tätigkeit dauerhaft denselben Ort oder dasselbe weiträumige Tätigkeitsgebiet typischerweise arbeitstäglich aufzusuchen hat.
Zwar hat der Kläger nach den Vorgaben seines Arbeitgebers zu Beginn seiner Fahrtätigkeit, den Lkw am Firmensitz zu übernehmen, um von dort die Fahrtätigkeit zu beginnen. Diesen Firmensitz sucht der Kläger aber nicht typischerweise arbeitstäglich auf. Bedingt durch die regelmäßige - und nicht etwa nur im Ausnahmefall - stattfindende mehrtägige Fahrtätigkeit, bei der keine arbeitstägliche Hin- und Rückfahrt stattfindet, findet sich der Kläger tatsächlich und entsprechend den Vorgaben des Arbeitgebers nur etwa jeden zweiten oder dritten Tag am Firmensitz des Arbeitgebers ein. Von seinen insgesamt 242 Arbeitstagen hat der Kläger lediglich an 114 Tagen seine Fahrtätigkeit am Firmensitz seines Arbeitgebers begonnen. Demnach hat der Kläger den Firmensitz seines Arbeitgebers gerade nicht typischerweise arbeitstäglich aufgesucht, (vgl. insoweit auch die Beispiele bei Loschelder in Schmidt EStG § 9 Rz. 211, sowie Ergänztes BMF-Schreiben zur Reform des steuerlichen Reisekostenrechts ab 1. Januar 2014 vom 24. Oktober 2014, BStBl I 2014, 1412 Rz. 37 Bsp. 24).
Darauf, ob der der Steuerpflichtige sich wie ein Arbeitnehmer mit erster Tätigkeitsstätte auf die Fahrten zum Firmensitz einstellen kann, kommt es nach der gesetzlichen Regelung nicht an. Die vom Beklagten vorgenommene Auslegung des Begriffs "typischerweise arbeitstäglich" mit "regelmäßig oder üblicherweise" scheidet aufgrund des klaren Wortlautes ebenso aus, wie die Annahme, dass in die Betrachtung nur solche Arbeitstage einzubeziehen seien, an denen Fahrten zum Firmensitz tatsächlich erforderlich seien. Bei mehrtägigen Einsätzen sind indes auch solche Tage Arbeitstage, an denen die Fahrtätigkeit von unterwegs begonnen wurde.
2. Über die bisher berücksichtigten Fahrtkosten in Höhe der Entfernungspauschale hinaus, sind die weiteren Fahrtkosten in Höhe von 1.265,40 € (114 Tage x 37 km x 0,30 €/km) zu berücksichtigen.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 151 Abs. 1 und 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).
Die Berechnung der geänderten Steuerfestsetzung ist gemäß § 100 Abs. 2 S. 2 und 3 FGO dem Beklagten übertragen worden.