Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 08.06.1989, Az.: 12 A 240/87

Vertriebenenausweis; Einziehung; Gültigkeit; Vertrauensschutz; Heimatvertriebener; Vertriebener

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
08.06.1989
Aktenzeichen
12 A 240/87
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1989, 12779
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1989:0608.12A240.87.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Braunschweig - 21.09.1987 - AZ: 8 A 101/87
nachfolgend
BVerwG - 25.06.1991 - AZ: BVerwG 9 C 22.90

Tenor:

Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig - 8. Kammer - vom 21. September 1987 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Kläger; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

1

Der Kläger zu 1) wurde 19... als ... in Moskau geboren. Sein Vater hieß ..., seine Mutter ... geborene J.. Nach der Geburtsurkunde des Klägers (ausgestellt von der Stadt Moskau) waren beide Elternteile jüdischer Volkszugehörigkeit. Die Großeltern väterlicherseits sollen nach einer beglaubigten Übersetzung einer die Geburt des Vaters des Klägers bescheinigenden, am 19. Juni 1978 "wiederholten" Geburtsurkunde die ... und Frau ... geb. ... gewesen sein. Die Nationalität des Großvaters ist in der Geburtsurkunde als "Deutscher", die der Großmutter als "Jüdin" angegeben; bei der Geburtsurkunde handelte es sich nach der Auffassung des Landeskriminalamtes Wiesbaden um eine Fälschung (Akten der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Braunschweig 136 Jas 10535/83, vgl. hierzu Vermerk der Beklagten v. 6. 2. 1985, Akte II Bl. 105).

2

Der Kläger heiratete 1976 Vera geb. ..., geb. 1946, die Klägerin zu 3). Beide haben zwei Kinder, die Klägerin zu 2) Elena, geb. 1965 und Boris, geb. 1970, beide in Moskau geboren.

3

Der Kläger reiste mit seiner Ehefrau und seinen Kindern am 17. Juni 1980 mit einer Ausreisegenehmigung der Sowjetregierung aus der UdSSR aus, um ständigen Aufenthalt in Israel zu nehmen. Den Behörden der UdSSR hatte er seine jüdische Volkszugehörigkeit nachgewiesen. In Wien entschloß er sich, nicht nach Israel weiterzureisen; er kam am 15. Juli 1980 in die Bundesrepublik Deutschland und hielt sich von Juli 1980 bis April 1982 in Berlin auf, ohne sich auf seine deutsche Volkszugehörigkeit zu berufen. Er nahm in S. eine Tätigkeit als Zahnarzt auf. Seinem Antrag auf Namensänderung in Schwarz wurde durch Bescheid vom 3. Juli 1982 entsprochen; über seinen Einbürgerungsantrag wurde nicht entschieden.

4

Die Kläger beantragten am 25. Oktober 1982/26. Juli 1983 die Ausstellung eines Ausweises für Vertriebene und Flüchtlinge A. Der Kläger zu 1) gab die Volkszugehörigkeit seiner Eltern als deutsch an, die seiner Ehefrau als russisch, die Muttersprache bezeichnete er als deutsch. Er begründete seinen Antrag weiter mit einem maschinenschriftlichen "Lebenslauf", in diesem berichtete er von der Deportierung seiner Eltern 1937 nach Innerrußland, ferner führte er aus, daß beide Eltern der "deutschen Volksgruppe" angehört hätten. Dies ergebe sich u.a. aus der Geburtsurkunde seines Vaters, in der ausdrücklich die Nationalität seines Großvaters ... mit "deutsch" angegeben sei; seine Großmutter väterlicherseits sei eine geborene .... Sein Vater sei 1959 verstorben. Der Kläger will 1952 nach dem Abitur ein zahntechnisches Studium an der Fachschule Issyk, Bez. Alma Ata, begonnen haben, nach dieser Ausbildung will er 1954 zur Marine eingezogen worden sein, wo er bis 1958 gedient haben will. Seine Ausreise aus der Sowjetunion will er nur dadurch erwirkt haben, daß er sich auf seine jüdische Konfession berufen und unter Verzicht auf die sowjetische Staatsangehörigkeit die Ausreise nach Israel beantragt habe. Bei Volkszählungen 1959 und 1969 will er stets als Nationalität "deutsch" angegeben haben.

5

Aufgrund der Angaben des Klägers zu 1) und der ergänzenden Versicherungen der Zeugen ..., ..., ... und ... stellte die Beklagte dem Kläger zu 1), seiner Ehefrau und der Tochter Elena am 25. Februar 1985 den Vertriebenenausweis A aus.

6

Im Rahmen des laufenden Einbürgerungsverfahrens des Klägers und seiner Familie wurde die Vertriebeneneigenschaft erneut überprüft. Die Bezirksregierung Braunschweig und der Niedersächsische Minister für Bundesangelegenheiten vertraten die Auffassung, die Vertriebenenausweise seien zu Unrecht erteilt worden, weil sich die Eltern des Klägers zu 1) nicht zur deutschen, sondern zur jüdischen Nationalität bekannt hätten, es wurde deshalb ein Einziehungsverfahren gemäß § 18 BVFG eingeleitet.

7

Hingewiesen wurde auf widersprüchliche Angaben des Klägers. In seinem Antrag vom 26. Juli 1983 (Ergänzungsbogen, Akte I Bl. 11) hat er den Wohnort seines Vaters bis 1937 mit Moskau angegeben, in der Verhandlungsniederschrift vom 12. Februar 1985 (Akte II Bl. 114, 115) ist die Angabe des Klägers vermerkt, bis 1937, das wisse er aus Erzählungen seiner Eltern, hätten diese in Engels/Wolgagebiet gelebt. Der Vater sei als Dentist in der Umgebung von Engels tätig gewesen; 1936/1937 seien seine Eltern verschleppt worden, sie seien nicht in Moskau verhaftet worden, sondern in Engels und von dort in verschiedene Zwangsarbeitslager gebracht worden.

8

Auch die am 17. August 1982 notariell abgegebene eidesstattliche Versicherung des ... ist nach Auffassung der Beklagten nicht glaubhaft. Denn er will 1943 die Mutter des Klägers zu 1) in einer Kolchose kennengelernt und dabei erfahren haben, daß Frau ... jahrelang wegen ihrer deutschen Volkszugehörigkeit in einem Zwangsarbeitslager gewesen sei und daß ihr Ehemann noch immer in einem Arbeitslager im Kreis Swerdlowsk gewesen sei, während die Kinder der Eheleute ..., u.a. der Kläger zu 1), in Moskau bei einer Tante zurückgeblieben seien. L. habe jedoch in seinem BVFG-Verfahren angegeben, seine ganze Verwandtschaft, seine Eltern und seine fünf Geschwister seien 1941 im Rigaer Ghetto umgekommen und er selbst sei von 1941 bis 1945 von den Russen nach Usbekistan verschleppt worden. Als Grund für den Besuch der Kolchose "Rosa Luxemburg" habe er den Besuch von Mutter und Bruder angegeben, die jedoch nach seinen späteren Angaben bereits 1941 umgekommen sind. Die Erklärung, warum er die Kolchose aufgesucht habe, lasse Zweifel aufkommen, ob er Frau ... bereits tatsächlich 1943 dort kennengelernt habe. ... hat diese widersprüchlichen Erklärungen mit Schreiben vom 30. Juni 1986 zu erklären versucht und auf sein hohes Alter von 78 Jahren und seine mangelnde Konzentration hingewiesen.

9

Der Zeuge ... habe die Familie ... erst 1949 im Lager Ivdelj kennengelernt; hier habe es nur zu einem kurzen Kontakt kommen können, da der Vater des Klägers 1949 verstarb und die restliche Familie ... 1949 nach Kasachstan umgezogen ist. ... hat mit Schreiben vom 6. Juni 1986 seine damaligen Angaben bestätigt und darauf hingewiesen, daß sich ... seinerzeit zum deutschen Volkstum bekannt habe.

10

Die Eltern des Klägers seien 1937 nicht wegen ihres Volkstums, sondern im Rahmen der durch Stalin angeordneten gewaltsamen politischen Säuberung verhaftet worden. Von diesen Maßnahmen seien alle vermeintlichen oder tatsächlichen Gegner des Stalinismus betroffen gewesen und zwar unabhängig vom Volkstum. Diese Maßnahme sei auch getrennt von den nach Ausbruch des 2. Weltkrieges 1941 vorgenommenen Verschleppungen und Zwangsansiedlungen von Volksdeutschen im Zusammenhang mit den Ereignissen des 2. Weltkrieges zu sehen. Die Verhaftung der Eltern des Klägers sei somit kein Nachweis für deren Bekenntnis zum deutschen Volkstum.

11

Laut Geburtsurkunde des Klägers sei die Nationalität beider Elternteile jüdisch. Auch sei zu berücksichtigen, daß der Kläger mit seiner Ehefrau in Berlin als Ausländer registriert worden sei.

12

Im übrigen gehe aus dem Amtlichen Mitteilungsblatt des Bundesausgleichsamtes von 1976 hervor, daß die Zahl der Juden mit deutscher Volkszugehörigkeit sehr gering gewesen sei, zumal in der Sowjetunion eine eigene, über 2 Mio. zählende jüdische Minderheit bestehe. Es kämen nur wenige Assimilierungsfälle und sonstige Einzelfälle vor, in denen nach entsprechender Prüfung das Bekenntnis zum deutschen Volkstum anerkannt werden könne; die bloße Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis wie bei der Familie ... reiche nicht aus. Auch die Tatsache, daß der Kläger bereits 1952 das Abitur gemacht und danach bis 1954 eine Fachschulausbildung absolviert habe, spreche gegen seine deutsche Volkszugehörigkeit in der Sowjetunion.

13

Mit Bescheid vom 27. Januar 1987 zog die Beklagte die Vertriebenenausweise der Kläger unter Versagung von Vertrauensschutz ein, gleichzeitig wurde die sofortige Vollziehung angeordnet. Die Bezirksregierung Braunschweig wies die Widersprüche der Kläger durch Bescheide vom 27. Februar 1987 zurück und lehnte auch Anträge auf Aussetzung der Vollziehung ab.

14

Die Kläger haben Klage erhoben und auf die deutsche Volkszugehörigkeit des Klägers zu 1) hingewiesen. Die in Kenntnis der Zweifel an der Echtheit der Abstammungsurkunde erteilten Ausweise dürften aus Gründen des Vertrauensschutzes nicht eingezogen werden, zumal die Jahresfirst gemäß § 48 Abs. 4 VwVfG bereits verstrichen gewesen sei. Die Kläger haben beantragt,

15

die Bescheide der Beklagten vom 27. Januar 1987 und die Widerspruchsbescheide der Bezirksregierung Braunschweig vom 27. Februar 1987 aufzuheben.

16

Die Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

18

Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 21. September 1987 die Klage abgewiesen.

19

Es hat mit Beschluß vom 21. September 1987 die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Verfügung der Beklagten vom 27. Januar 1987 wiederhergestellt. Die Beklagte habe das besondere Interesse an der Sofortvollziehung nicht hinreichend begründet. Die Klage sei auch nicht von vornherein aussichtslos.

20

Die Kläger haben gegen das Urteil Berufung eingelegt. Die strittige Geburtsurkunde habe Beweiswert, der Chemiedirektor Dr. ... als Gutachter sei für die Beurteilung der Echtheit der Urkunde nicht fachlich kompetent gewesen. Er habe die angebliche Fälschung der Urkunde nämlich aus dem "üblichen russischen Sprachgebrauch" hergeleitet, über den er sich von der Heimatauskunftsstelle habe unterrichten lassen. Er habe somit die angebliche Fälschung der Urkunde mit Argumenten begründet, für die ihm jegliche Fachkompetenz abzusprechen sei. Außerdem habe die Beklagte verkannt, daß in einem Einziehungsverfahren gemäß § 18 BVFG die Beweislast umgekehrt sei, die Beklagte habe noch nicht bewiesen, daß die Eltern des Klägers nicht dem deutschen Volkstum zuzurechnen gewesen seien. Der Kläger könne für sich Vertrauensschutz in Anspruch nehmen. Aufgrund seines Vertriebenenausweises habe der Kläger eine Zahnarztpraxis eröffnet und hierfür erhebliche finanzielle Investitionen getätigt. Sollte der Einziehungsbescheid rechtskräftig werden, so würde er seine Approbation verlieren und damit seine Existenz. Die Kläger beantragen,

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unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach ihrem in erster Instanz gestellten Antrag zu erkennen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

24

Auf den Inhalt der Schriftsätze der Parteien wird zur Ergänzung Bezug genommen.

25

Die Verwaltungsvorgänge der Beklagten haben dem Senat vorgelegen; auf ihren Inhalt wird ebenfalls Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Berufung hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Klagen der Kläger aus zutreffenden Gründen abgewiesen.

27

Rechtsgrundlage für die angefochtene Verfügung der Beklagten ist § 18 Bundesvertriebenengesetz - BVFG - i.d.F. vom 3. September 1971 (BGBl I S. 1565). Ein Vertriebenenausweis ist einzuziehen oder für ungültig zu erklären, wenn die Voraussetzungen für seine Ausstellung nicht vorgelegen haben. Die Einziehung ist rechtswidrig, wenn der Begünstigte Vertrauensschutz für sich in Anspruch nehmen kann, d.h. der Vertriebenenausweis darf nur entzogen werden, wenn die Voraussetzungen für seine Ausstellung nicht vorgelegen haben und der Ausweisinhaber keinen Vertrauensschutz genießt. Die Einziehung des Ausweises ist gegenständlich auf solche mit seiner Ausstellung verbundenen Rechte und Vergünstigungen zu beschränken, auf die der Ausweisinhaber nicht schutzwürdig vertraut hat (BVerwGE 68, 159).

28

Heimatvertriebene erhalten gemäß § 15 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 BVFG zum Nachweis ihrer Vertriebeneneigenschaft den Vertriebenenausweis A. Heimatvertriebener kann nach § 2 BVFG nur sein, wer zugleich Vertriebener i.S. des § 1 BVFG ist. Gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG ist Vertriebener, wer als deutscher Staatsangehöriger oder deutscher Volkszugehöriger nach Abschluß der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen u.a. die Sowjetunion verlassen hat. Der Kläger war zum Zeitpunkt der Ausreise aus der Sowjetunion nicht deutscher Staatsangehöriger, so daß er seine deutsche Volkszugehörigkeit gemäß § 6 BVFG nachweisen mußte. Gemäß § 6 BVFG ist deutscher Volkszugehöriger, wer sich in seiner Heimat zum deutschen Volkstum bekannt hat, sofern dieses Bekenntnis durch bestimmte Merkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung und Kultur bestätigt wird. Ein derartiges Bekenntnis konnte der Kläger als 1935 Geborener, zum Zeitpunkt des Beginns der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen erst sechs Jahre alt, noch nicht abgeben; der Zeitpunkt der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen in der Sowjetunion ist in Juni 1941 anzunehmen. Abzustellen ist demgemäß auf die Volkszugehörigkeit der Eltern bzw. des die Familie prägenden Elternteiles.

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Die Voraussetzungen des § 6 BVFG erfüllt derjenige, der sich in seiner Heimat zum deutschen Volkstum bekannt hat und wenn objektive Merkmale dieses Bekenntnis bestätigen. Ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum ist eine bewußt und gewollt gegenüber Dritten abgegebene verbindliche Erklärung, dem deutschen Volkstum als national geprägter Kulturgemeinschaft angehören zu wollen; dieses Bekenntnis kann sowohl durch ausdrückliche Erklärung als auch durch schlüssiges Verhalten abgegeben werden.

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1. Für die vom Kläger in Anspruch genommene deutsche Volkszugehörigkeit i.S. des § 6 BVFG spricht die Tatsache der Planung einer Ausreise aus der Sowjetunion mit dem Ziel Israel nicht. Der Kläger zu 1) darf sich zwar als zum Zeitpunkt des Beginns der gegen die deutschen Volkszugehörigen gerichteten allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen noch nicht Bekenntnisfähiger auf die angebliche deutsche Volkszugehörigkeit von Vorfahren berufen, jedoch war von ihm nach Erlangung der Bekenntnisfähigkeit spätestens in den 50er Jahren zu erwarten, daß er selbst Bekenntnismerkmale i.S. des § 6 BVFG erfüllte, er muß gezeigt haben, daß er sich kraft Familientradition dem deutschen Volkstum verbunden fühlte. Hierzu hat er in seinem dem Antrag auf Ausstellung des Ausweises A vom 26. Juli 1983 beigefügten "Lebenslauf" dargelegt, er habe sich bei den Volkszählungen 1959 und 1969 mit seinen Angehörigen als Deutscher zu erkennen gegeben, indem er "als Nationalität stets "deutsch" angegeben" habe, dieses in der Hoffnung, "als Deutscher auswandern zu können". Diesen angeblichen Plan einer Auswanderung in die Bundesrepublik Deutschland hat er indessen 1980 nicht weiter verfolgt, sondern er hat eine Ausreiseerlaubnis aus der Sowjetunion mit dem Ziel Israel erwirkt. Erst als er in Wien angelangt war (August 1980) reiste er nach West-Berlin weiter. Hier stellte er keinen Antrag auf Anerkennung als Heimatvertriebener, sondern reichte erst 1983 bei der Beklagten einen solchen Antrag ein. Das eigene Verhalten des Klägers liefert somit keinen Anhaltspunkt für ein eigenes Bekenntnis zum deutschen Volkstum nach Erlangung der Bekenntnisfähigkeit.

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2. Es bestehen weiter Zweifel daran, daß die Eltern des Klägers sich vor Beginn des Krieges des deutschen Reiches gegen die Sowjetunion 1941 deutlich zum deutschen Volkstum bekannt haben.

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a) Der Name ... ist ein typisch russischer Geschlechtsname; der Name ist in Namensverzeichnissen der Rußlanddeutschen nicht enthalten. Es besteht nach einleuchtender Auffassung der Heimatauskunftsstelle (Schreiben vom 16. Februar 1983 an die Stadt ...) der Verdacht, daß es sich bei der vom Kläger vorgelegten Geburtsurkunde seines Vaters, geboren 15. Juni 1906, um eine Gefälligkeitsurkunde bzw. Fälschung handeln könnte; denn in dieser "wiederholten" Geburtsurkunde des Vaters, ausgestellt am 19. Juni 1978, wird die Nationalität dessen Vaters ... als Deutscher angegeben, die Nationalität der Mutter des Vaters des Klägers, geborene ..., Ilse Gertrude, als Jüdin. Die Frage der Echtheit der Urkunde soll indessen dahingestellt bleiben.

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Jedenfalls ergibt sich daraus, daß die Eltern des Klägers deutsch gesprochen haben sollen, kein eindeutiger Anhaltspunkt für die deutsche Volkszugehörigkeit der Eltern; denn aus der Tatsache, daß Juden deutsch gesprochen haben und ihre kulturelle Ausrichtung deutsch war, ist noch kein sicheres Bekenntnis der Juden in Rußland zum deutschen Volkstum i.S. des § 6 BFVG zu folgern. Insoweit wird auf das überzeugende Gutachten der Heimatauskunftsstelle über die Volkszugehörigkeit in der Sowjetunion Bezug genommen (Verwaltungsakte III, Bl. 269 ff.).

34

b) Die Mutter des Klägers ist eine geborene Bespalowa; dieser Name ist in den Listen deutscher Volkszugehöriger nicht geführt, er ist ein typisch russischer Geschlechtsname, ebenso wie der Name ....

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c) Der Grund der Verschleppung der Eltern des Klägers 1937 muß nicht in ihrer deutschen Volkszugehörigkeit liegen, vielmehr kann die Verschleppung im Rahmen der durch Stalin angeordneten gewaltsamen politischen "großen Säuberung" geschehen sein, davon waren alle vermeintlichen oder tatsächlichen Gegner des Stalinismus betroffen (Verbannung aus politischen Gründen) und zwar unabhängig vom Volkstum. Die Eltern des Klägers wurden in verschiedenen Lagern untergebracht und von den Kindern getrennt (der Kläger verblieb in Moskau). Diese Maßnahme ist getrennt von dem nach Ausbruch des 2. Weltkrieges 1941 vorgenommenen Verschleppungen und Zwangsansiedlungen von Volksdeutschen im Zusammenhang mit den Ereignissen des 2. Weltkrieges zu sehen; die Verhaftung und Verbannung der Eltern des Klägers kann kein Beweis für ihr Bekenntnis zum deutschen Volkstum sein. Darüber hinaus ist bekannt, daß die deutschen Volkszugehörigen in östlich entlegene Gebiete zwangsumgesiedelt und unter Kommandanturaufsicht gestellt wurden; dies bedeutete nicht unbedingt eine Lagerunterbringung, sondern hatte zur Folge, daß sich dieser Personenkreis in regelmäßigen Abständen bei der Kommandantur melden mußte. Nach Aufhebung der Kommandanturaufsicht 1955 wurden die deutschen Volkszugehörigen zwar von der Zwangsansiedlung befreit, ihnen war allerdings untersagt, in die Gebiete zurückzukehren, aus denen sie während des 2. Weltkrieges verbannt worden waren. Es steht fest, daß die Mutter des Klägers mit den Kindern nicht unter Kommandanturaufsicht stand, vielmehr konnte sie 1954 wieder nach Moskau zurückkehren, was gegen ihr Bekenntnis zum deutschen Volkstum spricht.

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d) Auch der berufliche Werdegang des Klägers spricht gegen die deutsche Volkszugehörigkeit seiner Eltern. Der Kläger will 1952 sein Abitur gemacht und anschließend die zahntechnische Hochschule in Issyk bis 1954 besucht haben; nach Beendigung des Militärdienstes will er einen Studienplatz an der Zahnärztlichen Fakultät der Moskauer Universität erhalten und nach Beendigung des Studiums an städtischen Krankenhäusern als Zahnarzt gearbeitet haben. Angehörige der deutschen Volksgruppen in Rußland haben in ihrem Berufsleben Nachteile erlitten, deshalb reisen heute in das Bundesgebiet nur Forstarbeiter, Landarbeiter, allenfalls Facharbeiter oder Techniker ein, die Deutschen wurden bis 1970 von einer akademischen Ausbildung ferngehalten.

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e) Die Zeugen ... und ... haben im Verwaltungsverfahren widersprüchliche Angaben gemacht, wann und warum sie die Eltern des Klägers zu 1) kennengelernt haben. Beide konnten über ein Bekenntnis der Eltern bis zum maßgeblichen Zeitpunkt nichts aussagen, beide Zeugen hatten nach ihren Angaben nur kurzen Kontakt zu den Eltern im Jahre 1943 bzw. 1949. Die Angaben dieser beiden Zeugen sind daher nicht geeignet, für sich alleine die deutsche Volkszugehörigkeit der Eltern des Klägers zu 1) zu beweisen.

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Damit steht fest, daß auch unter Berücksichtigung eines Beweisnotstandes die Voraussetzungen des § 6 BVFG in der Person des Klägers zu 1) nicht gegeben sind.

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3. Der Vertriebenenausweis ist gemäß § 18 BVFG zu entziehen, wenn die Voraussetzungen für seine Ausstellung nicht vorgelegen haben und der Ausweisinhaber keinen Vertrauensschutz genießt. § 18 BVFG geht nach § 1 Abs. 2 Satz 1 VwVfG den Regelungen der §§ 48 ff. VwVfG vor (BVerwGE 68, 159). Die Regelungen in § 48 Abs. 2 und Abs. 4 VwVfG gelten sonach nicht.

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Vertrauensschutz kann der Kläger nicht in Anspruch nehmen, weil er allenfalls vom Zeitpunkt der Erteilung des Ausweises am 25. Februar 1985 bis zum Zeitpunkt des ersten Hinweises der Beklagten auf ihre Absicht, den Ausweis einzuziehen, vertrauen durfte (21. 5. 1986, Beiakte II, Bl. 157). Der Kläger hat von diesem Zeitpunkt an bis heute seine Approbation als Zahnarzt, die ihm nach seinen Angaben entzogen wird, wenn der Ausweis A ihm nicht erhalten bleibt, behalten und aufgrund dieser Approbation praktiziert. Es kann in diesem Verfahren nicht geklärt werden, ob eine solche Entziehung der Approbation aufgrund der geltenden Rechtsgrundlagen Bestand haben kann. Dies ist erst in einem Rechtsstreit des Klägers gegen die eine Entziehung der Approbation verfügende Behörde zu klären. Inzwischen ist der Kläger schon jahrelang mit seiner Familie in der Bundesrepublik und hat vermutlich die Möglichkeit, seine Einbürgerung zu betreiben.

41

Nach Auffassung des Senates kann der Kläger aufgrund dieses besonderen Sachverhaltes nicht für sich in Anspruch nehmen, schutzwürdig auf die Ausstellung des Vertriebenenausweises A vertraut zu haben.

42

Nach allem ist die Berufung zurückzuweisen.

43

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 2 VwGO iVm § 708 Nr. 10 ZPO.

44

Die Revision ist gemäß § 132 Abs. 2 VwGO nicht zuzulassen.

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Schoof

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Dr. Gehrmann

47

Radke