Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 28.04.2005, Az.: L 1 RA 210/04
Verfassungsmäßigkeit der zu Abschlägen führenden gesetzlichen Regelungen zur Anhebung der Altersgrenzen; Schutz der Erhaltung der Finanzierbarkeit und damit Sicherstellung des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung als Rechtfertigungsgrund für einen Grundrechtseinriff durch das Rentenreformgesetz 1992 (RRG 92)
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 28.04.2005
- Aktenzeichen
- L 1 RA 210/04
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2005, 19611
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2005:0428.L1RA210.04.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Stade - 22.06.2004 - AZ: S 4 RA 39/03
- nachfolgend
- BSG - 25.02.2010 - AZ: B 13 R 41/09 R
Rechtsgrundlagen
- § 44 SGB X
- § 237a Abs. 3 S. 1 Nr. 1a SGB VI
- Art. 3 Abs. 2 GG
- Art. 6 GG
- Art. 14 Abs. 1 S. 1, 2 GG
- Art. 20 Abs. 3 GG
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten hinsichtlich der ihr bewilligten Altersrente für Frauen eine abschlagsfreie Rentenzahlung. Zur Begründung vertritt sie die Auffassung, dass die zu Abschlägen führenden gesetzlichen Regelungen zur Anhebung der Altersgrenzen verfassungswidrig seien.
Die im Dezember 1941 geborene Klägerin ist Mutter von vier Kindern (geb. 1963, 1965, 1969 und 1971). Sie hat zunächst den Beruf der Hotelfachfrau erlernt (1957-59). Nach einem Hochschulstudium (von 1988 bis 1992) ist sie promovierte Diplom-Sozialökonomin. Vom August 1994 bis zum September 1995 sowie ab Februar 1996 bis Dezember 1997 war die Klägerin arbeitslos und bezog zeitweise Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit (heute: Bundesagentur für Arbeit). Nach zwischenzeitlicher Erwerbstätigkeit folgte erneut eine Zeit der Arbeitslosigkeit (ohne Leistungsbezug) bei gleichzeitiger Tätigkeit als freiberufliche Publizistin. - Die Klägerin bezieht eine Hinterbliebenenpension vom Land Niedersachsen.
Im Versicherungsverlauf der Klägerin sind Kindererziehungszeiten (KEZ) gespeichert von 1963 bis 1972, sodann Pflichtbeiträge wegen versicherungspflichtiger Beschäftigung von 1974 bis 1988, im Anschluss Zeiten der Hochschulausbildung von 1988 bis 1992 (Höchstdauerüberschreitung), Zeiten der Arbeitslosigkeit von 1994 bis 1995, von 1996 bis 1997 und im ersten Halbjahr 2001 sowie erneut Pflichtbeiträge von 1995 bis 1996 sowie von 1998 bis 2001. Daneben sind Kinderberücksichtigungszeiten (KBÜZ) festgestellt für die Zeit von 1963 bis 1981.
Im September 2000 hatte sich die Klägerin an die Beklagte gewandt und um Auskunft gebeten, wann sie frühestens eine Altersrente in Anspruch nehmen könne und ob sich ihre Rentenhöhe entscheidend verändern würde, wenn sie "noch einmal für 12 Monate eine Teilzeitstelle antreten" würde. Die Beklagte hatte die Anfrage zum Anlass genommen, die bisherigen Versicherungszeiten festzustellen und darüber den Bescheid vom 21. März 2001 erlassen. Dem Bescheid war außerdem eine Rentenauskunft beigefügt gewesen. Hierin hatte die Beklagte auf die Stichtagsregelung des 7. Mai 1996 in § 237 a Abs. 3 SGB VI hingewiesen. Danach finde eine Anhebung der Altersgrenzen mit einhergehendem Rentenabschlag nicht statt, wenn bis zum 7. Mai 1941 geborene Frauen (bereits) am 7. Mai 1996 arbeitslos waren oder deren Arbeitsverhältnis vor dem 7. Mai 1996 für einen Zeitpunkt nach dem 6. Mai 1996 gekündigt/beendet wurde.
Die Klägerin hatte gegen den Bescheid Widerspruch erhoben und zur Begründung geltend gemacht, dass sie die von der Beklagten in dem Bescheid und in der Rentenauskunft zugrunde gelegten gesetzlichen Regelungen zur Altersrente für Frauen (ARFrauen) für verfassungswidrig halte. So habe bereits die im Jahre 1992 eingeführte und rückwirkend geltende Voraussetzung von 10 Jahren Pflichtbeitragszeiten nach Vollendung des 40. Lebensjahres einseitig nur Frauen diskriminiert. Hätte sie diese Regelung bei Aufnahme ihres Studiums im Jahre 1988 bereits gekannt, hätte sie die Studienaufnahme verschoben. Darüber hinaus erscheine die neue gesetzliche Regelung eines Stichtags am "7. Juni 1996" völlig willkürlich, der über die Vornahme oder Nichtvornahme von Abschlägen bei vorzeitiger Inanspruchnahme der ARFrauen entscheide. Auch diese Regelung sei frauendiskriminierend und stelle eine soziale Härte dar. Sie könne auch nicht mit der Sicherung der gesetzlichen Rentenversicherungssysteme gerechtfertigt werden. Insgesamt stelle es eine systemwidrige Benachteiligung dar, wenn Frauen, die durch die Kindererziehung zum Erhalt des Rentensystems beigetragen hätten, durch die Einführung neuer gesetzlicher Regelungen benachteiligt würden.
Die Beklagte hatte in einem Hinweisschreiben ausgeführt, dass die Regelung der 10 Jahre Pflichtbeitragszeiten nach Vollendung des 40. Lebensjahres nicht erst 1992 und rückwirkend, sondern bereits 1972 eingeführt worden sei. Bezüglich der Stichtagsregelung des "7. Juni 1996" bestünden keine verfassungsrechtlichen Bedenken und die Vorschrift sei deshalb von den Rentenversicherungsträgern anzuwenden.
Daraufhin hatte die Klägerin den Widerspruch mit Schreiben vom 4. Juli 2001 zurückgenommen.
Mit Schreiben vom 1. August 2001 hatte sich die Klägerin erneut an die Beklagte gewandt und erklärt, die Rücknahme des Widerspruchs sei vorschnell erfolgt, und darum gebeten, einen rechtsbehelfsfähigen Bescheid zu erlassen, um eine verfassungsrechtliche Prüfung der Schlechterstellung von bestimmten Vergleichsgruppen zu ermöglichen.
Die Beklagte hatte das Schreiben als Überprüfungsantrag nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ausgelegt und den Antrag mit Bescheid vom 2. Oktober 2001 mit der Begründung abgelehnt, dass sich der Bescheid vom 21. März 2001 auch nach nochmaliger Überprüfung nicht als rechtswidrig erweise, weil die Beklagte das geltende Recht angewendet habe und dieses Recht nicht verfassungswidrig sei.
Die Klägerin hatte gegen den Bescheid Widerspruch eingelegt und diesen damit begründet, dass sie sich durch die "ständigen Verschlechterungen der Bedingungen zur Erlangung der Altersrente für Frauen mit 60 sowie die nachweisbar ständige Schlechterstellung für Mütter in der Rentenversicherung ohne sachlichen Grund in ihren Grundrechten verletzt" sehe. Der Gleichheitssatzverstoß betreffe sie in ihrer zweifachen Rolle als Frau und Mutter. Sie habe sich in ihrer "langfristigen Lebensplanung darauf verlassen, dass ich wenigstens mit 60 - d.h. zum 1.1.2002 - ohne Abschläge in Rente gehen" könne. Die nun erfolgte kurzfristige gesetzliche Änderung stelle einen Verstoß gegen die Grundgesetzartikel 2 Abs. 1, 3 Abs. 1 und 6 Abs. 4 dar. - Die Beklagte hatte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 9. Juli 2002 zurückgewiesen und erneut ausgeführt, dass sie das geltende Recht angewendet habe und dieses Recht nicht verfassungswidrig sei.
Noch zuvor, nämlich im Januar 2002, hatte die Klägerin den zu diesem Verfahren führenden Antrag auf ARFrauen mit Wirkung ab dem 1. Januar 2002 gestellt und die "Zusendung eines widerspruchsfähigen Rentenbescheides" begehrt. Daneben zahlte sie freiwillige Beiträge nach.
Die Beklagte erließ den Bewilligungsbescheid vom 10. Mai 2002, mit dem sie der Klägerin ARFrauen mit Wirkung ab dem 1. Januar 2002 bewilligte. Dabei berechnete sie ausweislich der Anlage 6 die Rente durch Verminderung des Zugangsfaktors um 24 Kalendermonate vorzeitiger Renteninanspruchnahme je 0,003 (=0,072) auf 0,928 (statt 1,0) zu einem Rentenzahlbetrag von ca. 950 Euro.
Die Klägerin legte Widerspruch ein und begründete ihn damit, dass die stufenweise Anhebung der Altersgrenzen verfassungswidrig und in ihrem Fall auch nicht korrekt angewendet worden sei. Die ARFrauen sei im Jahre 1957 eingeführt worden, um den durch Doppelbelastung stärker in Anspruch genommenen Frauen mit dem Eintrittsalter in die AR von 60 Jahren gegenüber den Männern mit deren Regeleintrittsalter von 65 Jahren eine frühere Renteninanspruchnahme zu ermöglichen. In der Zwischenzeit sei es jedoch zu zahlreichen Gesetzesänderungen gekommen, wodurch nunmehr Männer leichter in den Vorruhestand gehen könnten als Frauen. Dabei könnten diese neuen Rentenarten aber nicht in gleichem Umfang von Frauen in Anspruch genommen werden, weil Frauen aufgrund ihrer Doppelbelastung die dort geforderten 35 Jahre Wartezeit im Regelfall nicht erfüllen könnten. Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz aus Art. 3 GG liege deshalb darin, dass trotz angeblich leerer Rentenkassen allein den Männern immer günstigere Vorruhestandsregelungen eröffnet würden, nicht aber den Frauen. Daneben liege in ihrem konkreten Fall die fehlerhafte Anwendung der Stichtagsregelung (7. Mai 1996) darin begründet, dass sie vom 31. August 1994 bis zum 30. September 1995 und dann wieder vom 24. Februar 1996 bis zum 31. Dezember 1997 arbeitslos gemeldet gewesen sei, also gerade auch zum Stichtag des 7. Mai 1996.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 16. Januar 2003 zurück und führte zur Begründung im Einzelnen aus, dass die Altersgrenzenanhebung für Frauen der Geburtsjahrgänge 1940 und früher am 1. Januar 2000 eingeführt und dabei eine umfangreiche Vertrauensschutzregelung in § 237 a Abs. 3 SGB VI vorgesehen worden sei. Die Beklagte habe dieses geltende Recht, das in seiner Struktur der Vertrauensschutzvorschrift des § 237 Abs. 4 SGB VI für AR wegen Arbeitslosigkeit entspreche und nicht verfassungswidrig sei, angewendet und im Fall der Klägerin auch korrekt umgesetzt. Denn die Klägerin sei im Dezember 1941 geboren und falle damit nicht unter den Vertrauensschutz.
Hiergegen hat die Klägerin am 26. Februar 2003 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Stade erhoben und zur Begründung ergänzend geltend gemacht, dass die stufenweise Anhebung der Altersgrenzen bei der ARFrauen gegen das Eigentumsgrundrecht aus Art. 14 GG, gegen das Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG sowie gegen den Schutz von Ehe und Familie in Art. 6 GG verstoße. Das Eigentumsgrundrecht aus Art. 14 GG sei verletzt, weil zwar die im RRG 92 vorgenommene Anhebung der Altersgrenzen durch die Regelung einer langen Übergangsfrist verhältnismäßig gewesen sei, nicht aber die in § 237 a SGB VI sodann vorgenommene Verkürzung (Beschleunigung) dieser ursprünglich beabsichtigten Übergangszeit. Diese Verkürzung sei unverhältnismäßig und könne auch nicht mit beabsichtigten Einsparungen in der Rentenversicherung gerechtfertigt werden. Das Rechtsstaatsprinzip sei verletzt, weil die Klägerin nach der bisher geltenden Rechtslage jahrzehntelang auf eine abschlagsfreie Inanspruchnahme vertraut habe und nun in ihrem Vertrauen enttäuscht worden sei. Sie habe nicht damit gerechnet, dass eine über das bisherige Maß hinausgehende Verschlechterung eingeführt werde. Hinzu komme, dass sich die Rechtsänderung zum 1. Januar 2000 als Regelung mit unechter Rückwirkung darstelle, weil sie in bereits begonnene Versicherungsbiographien eingreife. Der Verstoß gegen Art. 6 GG folge daraus, dass die Neuregelungen in erster Linie Mütter benachteilige. Denn die Erwerbsbiographien von Frauen hätten sich seit 1957 bis heute nicht so manifest verändert, dass eine frühere Renteninanspruchnahme nicht mehr erforderlich sei. Insbesondere bestünden auch heute noch erhebliche Doppelbelastungen in Familie und Beruf sowie unterbrochene Erwerbsbiographien wegen Kindererziehung.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 22. Juni 2004 abgewiesen und zur Begründung im Einzelnen ausgeführt, dass die von der Klägerin gerügte Beschleunigung der Anhebung der Altersgrenzen bei der ARFrauen nicht verfassungswidrig sei. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) habe sich bereits ausdrücklich mit dieser Rechtsfrage beschäftigt und eine entsprechende Verfassungsbeschwerde einer im Januar 1942 geborenen und Kinder erziehenden Frau nicht zur Entscheidung angenommen. Das BVerfG habe in seiner Entscheidung ausdrücklich und zutreffend sowohl einen Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 GG als auch gegen Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verneint. Daneben sei für die Kammer auch keine Verletzung des Art. 6 GG ersichtlich. Entgegen der Auffassung der Klägerin habe sich das BVerfG in seiner Entscheidung mit allen maßgeblichen rechtlichen Gesichtspunkten auseinander gesetzt.
Gegen das am 29. Juni 2004 zugestellte Urteil richtet sich die am 29. Juli 2004 eingelegte Berufung, mit der die Klägerin ergänzend geltend macht, dass das BVerfG entgegen der Urteilsbegründung des SG die von der Klägerin im vorliegenden Rechtsstreit aufgeworfenen Fragen gerade nicht entschieden habe. Dazu gehöre zum Einen die Entscheidung des Gesetzgebers, das Regeleintrittsalter für Altersrente sowohl bei Männern als auch bei Frauen einheitlich auf das 65. Lebensjahr zuzuführen und zu diesem Zweck die Altersgrenzen bei Frauen schrittweise anzuheben. Und dazu gehöre zum Zweiten die Frage, ob die gesetzliche Gewährung einer ungeminderten Altersrente bei Erreichen einer bestimmten Altersgrenze zur eigentumsgrundrechtlich geschützten Rentenanwartschaft gehöre. Da sich das SG mit diesen Fragen auch nicht in eigener Meinungsbildung auseinandergesetzt habe, sei sein Urteil aufzuheben und ihr - der Klägerin - abschlagsfreie ARFrauen zu bewilligen.
Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,
- 1.
das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 22. Juni 2004 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 10. Mai 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Januar 2003 abzuändern,
- 2.
die Beklagte zu verurteilen, die der Klägerin gezahlte Altersrente für Frauen ab dem 1. Januar 2002 ohne Abschläge zu zahlen.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtenen Bescheide als zutreffend und bezieht sich zur Begründung ergänzend auf das Urteil des SG.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Sie haben vorgelegen und sind Gegenstand von Beratung und Entscheidung gewesen.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte gem. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten zuvor hiermit einverstanden erklärt haben.
Die gem. §§ 143f. SGG statthafte und zulässige Berufung ist unbegründet.
Im Ergebnis sind weder das Urteil des SG noch die Bescheide der Beklagten zu beanstanden. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf abschlagsfreie Zahlung der ihr ab dem 1. Januar 2002 bewilligten ARFrauen.
Rechtsgrundlage der Prüfung des Anspruchs der Klägerin auf abschlagsfreie Rentenzahlung ist nicht § 44 SGB X. Zwar hat die Klägerin nahezu alle ihre im vorliegenden Rechtsstreit vorgebrachten Einwände und Argumente bereits in einem früheren Verwaltungsverfahren bei der Beklagten vorgebracht und hierüber bereits einen Bescheid erhalten, der bestandskräftig geworden ist (Bescheid vom 21. März 2001, Rücknahme des Widerspruchs der Klägerin). Auch war es hierüber bereits zu einem Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X gekommen, das ebenfalls bereits bestandskräftig abgeschlossen ist (Bescheid vom 2. Oktober 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Juli 2002, der seinerseits nicht mit der Klage angefochten worden ist). Gleichwohl handelt es sich vorliegend nicht um eine - abermalige, zweite - Überprüfung im Sinne von § 44 SGB X, sondern um eine erstmalige (originäre) Prüfung eines neuen Begehrens: Die Rechtsgrundlage des § 44 SGB X kommt nur dann zur Anwendung, wenn der Versicherte die Überprüfung eines bereits erlassenen (bestandskräftigen) Verwaltungsakts (VA) beantragt und das in diesem VA geregelte Begehren (wiederholend) zur Überprüfung stellt. Dem hingegen ist § 44 SGB X nicht einschlägig, wenn der Versicherte ein neues Begehren geltend macht und zur Begründung allein bereits bekannte Argumente wiederholt. Insoweit handelt es sich um ein neues (prozessuales) Begehren mit notwendiger erstmaliger (originärer) Prüfung. So liegt es im vorliegenden Fall. Die Klägerin hatte sich mit ihren Argumenten und Einwänden zur geltend gemachten Verfassungswidrigkeit ursprünglich gegen den Feststellungsbescheid vom 21. März 2001 gewendet, mit dem Versicherungszeiten festgestellt, aber noch keine Leistungen bewilligt worden waren. Dies galt auch für das Überprüfungsverfahren, das sich auf diesen Bescheid vom 21. März 2001 bezog. Demgegenüber begehrt die Klägerin seit ihrer neuen Antragstellung im Januar 2002 die Zuerkennung einer Leistung - nämlich der ARFrauen - in einer bestimmten Höhe. Dabei wiederholt sie zwar weitgehend bekannte Argumente und Einwände, jedoch im Rahmen eines nunmehr neuen Begehrens (Leistung statt Feststellung von Versicherungszeiten). - Durch die damit nicht gegebene Anwendbarkeit des § 44 SGB X ist die Klägerin - zu ihren Gunsten - auch nicht mit der bei § 44 SGB X geltenden erhöhten Darlegungs- und Beweislast für neue Tatsachen/Rechtsänderungen belastet, sondern der "normalen" Darlegungs- und Beweislast ausgesetzt.
Doch auch unter dieser "normalen" Darlegungs- und Beweislast ist eine Rechtsfehlerhaftigkeit des angefochtenen Bewilligungsbescheides vom 10. Mai 2002 nicht feststellbar und eine Verfassungswidrigkeit der von der Beklagten bei seinem Erlass angewendeten Gesetzesvorschriften nicht gegeben.
Der Bewilligungsbescheid ist nicht rechtsfehlerhaft, namentlich nicht deshalb, weil die Beklagte die Vertrauensschutzvorschrift des § 237 a Abs. 3 bei der Klägerin nicht zur Anwendung gebracht hat. Der diesbezügliche Einwand der Klägerin, sie sei am 7. Mai 1996 arbeitslos gewesen und erfülle deshalb den Tatbestand des § 237 a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 a SGB VI, ist rechtlich unerheblich. Denn Voraussetzung für die Anwendung des § 237 a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 a SGB VI ist nach der vorhergehenden Regelung des § 237 a Abs. 3 Satz 1 erster Halbsatz, dass die Klägerin "bis zum 7. Mai 1941 geboren" wäre. Dies ist indes nicht der Fall. Die Klägerin ist im Dezember 1941 geboren und fällt deshalb von vornherein nicht mehr unter den Anwendungsbereich der gesamten Vertrauensschutzvorschrift des § 237 a Abs. 3 SGB VI.
Die von der Beklagten angewendeten Gesetzesvorschriften der §§ 77 Abs. 2, 237 a Abs. 2 SGB VI in Verbindung mit der Anlage 20 zum SGB VI, die wegen der Nichtanwendbarkeit des § 237 a Abs. 3 SGB VI zu einer Verminderung des Zugangsfaktors bei der Klägerin um 24 Kalendermonate je 0,003 auf 0,928 führen, sind entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin auch nicht verfassungswidrig, und zwar weder hinsichtlich der Beschleunigung der Anhebung der Altersgrenzen bei der ARFrauen (2. Stufe) noch durch die - zeitlich vorhergehende - Entscheidung des Gesetzgebers, die Altersgrenzen der ARFrauen auf die Regelaltersrentengrenze anzuheben und die ARFrauen gänzlich abzuschaffen (1. Stufe).
Die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Regelungen ergibt sich vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung der ARFrauen, die sich wie folgt darstellt:
Die ARFrauen ist mit der Rentenreform des Jahres 1957 eingeführt worden. Ende der 80er Jahre und nach einer zur ARFrauen ergangenen Grundsatz-Entscheidung des BVerfG (Beschluss vom 28.1.1987, 1 BvR 455/82, SozR-2200, § 1248 Nr. 47) einigten sich die großen politischen Parteien darauf, den früheren Rentenzugang der Frauen stufenweise anzuheben. Im Rentenreformgesetz von 1992 (RRG 92) (1. Stufe, siehe oben) wurde deshalb eine im Jahre 2001 beginnende und im Jahre 2012 abzuschließende Anhebung der Altersgrenzen der ARFrauen auf das Regelzugangsalter von 65 Lebensjahren (ohne Abschläge) vorgesehen, wobei die Frauen die Rente gleichwohl noch vorzeitig in Anspruch nehmen können sollten (gegen Rentenabschläge), §§ 39, 41 SGB VI i.d.F.v. 18.12.1989. Aufgrund der sodann seit 1995 einsetzenden massiven Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage in Deutschland hat der Gesetzgeber jedoch mit dem am 1.1.1997 in Kraft getretenen Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz (WFG) die Anhebung der Altersgrenzen vorgezogen und beschleunigt (2. Stufe, siehe oben) und den Übergangszeitraum bis zur Abschaffung der ARFrauen auf die Jahre von 2000 bis 2005 verändert, § 237 a SGB VI i.d.F.v. 25.9.1996 bei gleichzeitiger Aufhebung des § 39 SGB VI. Dieses Vorziehen und Beschleunigen (das auch andere Rentenarten betraf, etwa die AR wegen Arbeitslosigkeit) wurde im späteren Rentenreformgesetz von 1999 (RRG 99, § 237 a SGB VI i.d.F.v. 16.12.1997) nahezu unverändert fortgeführt (vgl. zu dieser rechtshistorischen Entwicklung: Wenner, Kein schutzwürdiges Vertrauen auf gesetzliche Übergangsregelungen, Soziale Sicherheit 2004, S. 177, 178; Klattenhoff in: Hauck/Haines, Kommentar zum SGB, § 237 a Rn. 2-4, 8,9; BVerfG a.a.O.; jeweils m.w.N.).
Im Rahmen dieser gesetzgeberischen Entwicklungsgeschichte zur ARFrauen hat das BVerfG mit dem vom SG zutreffend zitierten Beschluss vom 3.2.2004 (1 BvR 2491/97) die 2. Stufe der Rechtsentwicklung, also das Vorziehen und Beschleunigen der Anhebung der Altersgrenzen, für (unzweifelhaft) verfassungsmäßig erachtet und die Verfassungsbeschwerde gem. § 93 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BVerfGG) nicht zur Entscheidung angenommen. Zur Begründung hat es im Einzelnen ausgeführt, dass - unabhängig vom Vorliegen eines Eingriffs in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG - ein solcher Eingriff jedenfalls als Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG gerechtfertigt sei, weil die ARFrauen - ebenso wie andere Rentenarten, namentlich die AR wegen Arbeitslosigkeit - massive Anreize zur - gesetzgeberisch nicht gewollten - Frühverrentung dargestellt hätten, weshalb zur Erhaltung der Finanzierbarkeit der gesetzlichen Rentenversicherung (geplantes Einsparvolumen des WFG: ca. 17 Mrd. DM) das Vorziehen und Beschleunigen der Anhebung der Altersgrenzen geeignet und - wegen Vermeidung des alternativ möglichen Absenkens der Bestandsrenten - erforderlich sowie - bei einem ansonsten drohenden Beitragssatz von 26 - 28 v.H. - verhältnismäßig im engeren Sinn gewesen sei. Auch sei der Grundsatz des Vertrauensschutzes nicht verletzt, weil zwar eine bis dahin bestehende Übergangregelung (RRG 92) durch eine strengere Übergangsregelung (WFG) ersetzt worden sei, diese Ersetzung jedoch durch gewichtige Belange des Gemeinwohls legitimiert gewesen (Absinken des Renteneintrittsalters bei Frauen: 1996 waren bereits 373.000 von 542.000 Neurentnerinnen unter 65 Jahre; kurzfristiger Beitragssatzanstieg von 1996 auf 1997 von 19,2 auf 20,3 v.H.) und zudem für die Dauer der Übergangszeit den Frauen die Möglichkeit der vorzeitigen Renteninanspruchnahme (mit Abschlägen) bzw. alternativ der Aufbau eines Ausgleichs in der Alterssicherung verblieben sei. - Dieser Entscheidung des BVerfG tritt der erkennende Senat bei. Sie stimmt im Übrigen in ihrem Ergebnis und in ihren wesentlichen Begründungen überein mit der Entscheidung des erkennenden Senats zum Vorziehen und Beschleunigen der Anhebung der Altersgrenzen bei der AR wegen Arbeitslosigkeit (LSG Niedersachsen-Bremen , Urteil vom 27.6.2002, L 1 RA 239/01).
Doch nicht nur die 2. Stufe der gesetzgeberischen Entwicklung (Vorziehen und Beschleunigen der Anhebung der Altersgrenzen durch das WFG) ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin ist bereits die 1. Stufe der Veränderung der ARFrauen (Einführung der Anhebung der Altersgrenzen auf Regelaltersrente, vorzeitige Inanspruchnahme nur mit Abschlägen), also namentlich die Neuregelung im RRG 92, nicht verfassungswidrig, sondern verfassungsmäßig.
Dabei ist der Klägerin zunächst einzuräumen, dass das SG sich mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit der 1. Stufe in seinem Urteil nicht auseinander gesetzt hat. Auch ist der Klägerin zuzugeben, dass auch der vom SG in Bezug genommene Beschluss des BVerfG vom 3.2.2004 allein die Verfassungsmäßigkeit der 2. Stufe behandelte, zur Verfassungsmäßigkeit der 1. Stufe aber ausdrücklich keine Aussage traf ("Es ist hier nicht zu prüfen, ob die im RRG 92 getroffene Entscheidung des Gesetzgebers, den Regelzugang zur Altersrente für Mann und Frau gleichermaßen auf das vollendete 65. Lebensjahr festzulegen und eine Anhebung des Renteneintrittsalters für Frauen schrittweise ab dem Geburtsjahrgang 1941 vorzunehmen, im Einklang mit dem Grundgesetz steht. Diese Regelung ... ist nicht Gegenstand der vorliegenden Verfassungsbeschwerde"). Die Erklärung dafür, dass bislang zwar eine verfassungsrechtliche Prüfung der 2. Stufe, nicht jedoch der 1. Stufe stattfand, ergibt sich daraus, dass nach den prozessualen Regelungen im BVerfGG zur zulässigen Erhebung der Verfassungsbeschwerde (grundsätzlich der Rechtsweg erschöpft oder) eine unmittelbare Betroffenheit des Beschwerdeführers gegeben sein muss, die bei der ARFrauen - ebenso wie bei der AR wegen Arbeitslosigkeit - aber gerade erst durch die Einführung der ("schnelleren", weil die 1. Stufe "überholenden") 2. Stufe ausgelöst wurde, während die ("langsamere") 1. Stufe zu einer unmittelbaren Betroffenheit erst zu einem späteren Zeitpunkt geführt hätte (vgl. nur: Wenner, a.a.O., S. 178).
Doch führt auch die nunmehr vom erkennenden Senat nachgeholte Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der 1. Stufe der Reform der ARFrauen nicht zur Annahme von deren Verfassungswidrigkeit, und zwar weder unter den Gesichtspunkten des Eigentumsgrundrechts (Art. 14 GG), des Vertrauensschutzes, des Gleichbehandlungsgrundsatzes (Art. 3 GG), des Rückwirkungsverbots (Art. 20 Abs. 3 GG) noch des Schutzes von Ehe und Familie (Art. 6 GG).
Im Hinblick auf Art. 14 GG hat die 1. Stufe der Reform der ARFrauen entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin nicht gegen ihr Eigentumsgrundrecht verstoßen, und zwar weder durch eine Eigentumsverletzung als solche noch durch eine Missachtung des Vertrauensschutzes von Normadressaten, der als Teil der Anforderungen an die Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Eigentums gelten und deshalb innerhalb des Art. 14 GG geprüft werden kann (zur Frage der rechtlichen Einbindung des Vertrauensschutzes: BSG, Entscheidung vom 16.12.1999, B 4 RA 18/99 R, Soziale Sicherheit 2000, S. 289, 294 m.N.z.Rspg. des BVerfG; ebenso: LSG Niedersachsen-Bremen , Urteil vom 27.6.2002, L 1 RA 239/01).
Bezüglich eines Eingriffs in das Eigentumsrecht als solches lässt der erkennende Senat - ebenso und ausdrücklich das BVerfG in seinem Beschluss vom 3.2.2004 - unentschieden, ob die gesetzliche Gewährung ("Zusage") einer ungeminderten Altersrente bei Vollendung eines bestimmten Lebensalters (vorliegend geltend von 1957 bis 1991) zur eigentumsgrundrechtlich geschützten Rentenanwartschaft zählen kann (zum Diskussionsstand weitere Nachweise bei: Wenner, a.a.O., S. 178). Denn selbst wenn eine ursprüngliche gesetzliche Regelung eines abschlagsfreien Zahlbetrages vom Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG erfasst sein sollte, würde - ebenso das BVerfG im o.g. Beschluss zur 2. Stufe - der Eingriff durch die mit der Einführung der Anhebung der Altersgrenzen verbundenen Rentenabschläge den Grenzen der Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG genügen. Dies ergibt sich aus Folgendem:
Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG darf der Gesetzgeber Inhalt und Schranken des Eigentums näher bestimmen und eingrenzen, soweit Gründe des öffentlichen Interesses unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dies rechtfertigen (vgl. nur: BVerfGE 72, 9, 23) [BVerfG 12.02.1986 - 1 BvL 39/83]. Eine solche Inhalts- und Schrankenbestimmung hat der Gesetzgeber vorliegend mit dem RRG 92 vorgenommen. Dabei war das Gesetz - entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin - sowohl aus Gründen des öffentlichen Interesses geboten als auch verhältnismäßig, und zwar gerade auch in Bezug auf den Umstand, dass es eine bis dahin geltende langfristige gesetzliche Regelung abänderte.
Der Eigentumsschutz nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG bewirkt grundsätzlich keinen Schutz gegen Gesetzesänderungen, vielmehr müssen solche ausdrücklich möglich bleiben, um notwendige Anpassungen an etwaige Änderungen der vom Gesetz betroffenen Regelungsmaterie vornehmen zu können (BSG vom 16.12.1999, a.a.O., S. 293 m.N.z.Rspg.d. BVerfG). Dabei sind zwar an die Zulässigkeit einer Gesetzesänderung strenge Anforderungen zu stellen, wenn sie mit einer (langen) Rechtstradition der betroffenen Reglungsmaterie bricht (BSG vom 16.12.1999, a.a.O., S. 294 m.N.z.Rspg.d. BVerfG). Diese strengen Anorderungen sind maßgeblich an die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme zu stellen. Sie hat nicht nur geeignet und erforderlich zu sein, sondern muss - im Rahmen der Angemessenheit/Zumutbarkeit - aufgrund eines hohen Gemeinschaftsgutes erfolgen und ausreichende Übergangsvorschriften bzw. Ausgleichsmaßnahmen für besonders betroffene Adressaten vorsehen (vgl. nur: BVerfG vom 15.3.2000, a.a.O., S. 2733; BVerfGE 72, 9, 23 [BVerfG 12.02.1986 - 1 BvL 39/83]; BSG vom 16.12.1999, a.a.O., S. 294).
Diesen strengen verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit genügt jedoch das RRG 92 im Hinblick auf die ARFrauen in nicht zu beanstandender Weise. Denn die gesetzgeberische Maßnahme aus den Jahren 1989/1992 war geeignet, erforderlich, angemessen und zumutbar. Dies folgt namentlich aus dem zunehmenden Auseinanderfallen zwischen der gesetzgeberischen Intention bei Einführung der ARFrauen im Jahre 1957 einerseits und der späteren gesellschaftlichen Entwicklung sowie tatsächlichen Inanspruchnahmepraxis andererseits:
Die ARFrauen war im Jahre 1957 eingeführt worden, um die Doppelbelastung von Frauen in Beruf und Familie auszugleichen. Seit den 80er Jahren wurde sie jedoch immer mehr als Instrument der Frühverrentung in Anspruch genommen (so auch ausdrücklich: BVerfG, Beschluss vom 3.2.2004, a.a.O.) und erhielt damit eine wirtschaftliche Zielrichtung ("subventionierter Arbeitsplatzabbau"), für die sie nicht konzipiert und vorgesehen war. Diese Entwicklung der ARFrauen stellt(e) sich insoweit nicht wesentlich anders dar als die Entwicklung der AR wegen Arbeitslosigkeit. Hatte der Anteil der ARen wegen Arbeitslosigkeit am Gesamt-Rentenzugang 1980 noch ca. 8% betragen, war er bis 1994 auf ca. 21% angestiegen. Da mit diesen deutlich gestiegenen frühzeitigen Rentenzugängen gleichzeitig entsprechende Beitragsausfälle zu verzeichnen waren, betrug die zusätzliche Belastung der Rentenversicherungsträger allein im Kalenderjahr 1995 ca. 15 Milliarden DM (Nachweise zur ökonomischen Entwicklung bei: Binne, Verfassungsrechtliche Anmerkungen zur vorgesehenen Korrektur der Frühverrentungspraxis, Deutsche Rentenversicherung 1996, S. 145, 147). Vor der Rentenreform 1989/1992 war deshalb ein Anstieg der Beitragssätze in der gesetzlichen Rentenversicherung auf 40 v.H. prognostiziert worden (Ruland, Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, DRV 1997, S. 94, 97; BVerfG, Beschluss vom 3.2.2004, a.a.O.). Die Einführung der Anhebung der Altersgrenzen bei der ARFrauen bei gleichzeitigem Rentenabschlag für ihre vorzeitige Inanspruchnahme war daher geeignet, den finanziellen Verlust der Rentenversicherung zu mildern. Dass es sich bei dieser Einschätzung des Gesetzgebers lediglich um eine Prognose handelte, ist nach der Rechtsprechung des BVerfG im Rahmen der Geeignetheitsprüfung grundsätzlich nicht zu beanstanden, da künftige wirtschaftliche Entwicklungen naturgemäß nicht im Detail vorausgesagt werden können, auch nicht vom Gesetzgeber (BVerfGE 50, 290, 332, 333). Die Maßnahme war auch erforderlich, weil bei unveränderter Fortgeltung der ARFrauen die genannten Einsparungen nicht hätten erzielt werden können. Ob auch andere gesetzliche Regelungen zu dem gleichen oder zumindest zu einem gleichwertigen Erfolg geführt haben könnten, ist dabei unbeachtlich, da die Auswahl der Regelungsinstrumentarien in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers liegt (BVerfGE 220, 241).
Die Regelungen des RRG 92 waren aber auch angemessen und zumutbar. Denn die durch das RRG 92 verursachte Minderung der Zahlbeträge war durch ein hohes Gemeinschaftsgut gerechtfertigt und von einem ausreichenden Übergangszeitraum begleitet:
Der Gesetzgeber des RRG 92 hat im Hinblick auf das Auslaufen der ARFrauen einen ausreichenden Übergangszeitraum geschaffen (von 2001 bis 2012). Daneben kann die Klägerin zwar die später anlässlich der Beschleunigung der Anhebung der Altersgrenzen geschaffenen Übergangsvorschrift des § 237 a Abs. 3 SGB VI nicht für sich in Anspruch nehmen. Gerade daraus wird aber deutlich, dass sie noch nicht zu den angesprochenen rentennahen Jahrgängen zählt und die damit einhergehende zeitliche Entfernung zur Inanspruchnahmemöglichkeit der ARFrauen es ihr ermöglicht hätte, Ausgleichsmaßnahmen zu ergreifen, etwa eine anderweitige Alterssicherung in Angriff zu nehmen oder - wie sie selbst in ihrer Anfrage an die Beklagte vom September 2000 erwogen hatte - "noch einmal für 12 Monate eine Teilzeitstelle anzutreten", um eine optimale Rentenhöhe zu ermöglichen. Dies hätte erst recht gegolten, wenn es bei der 1. Stufe verblieben und der dort vorgesehene lange Übergangszeitraum erhalten geblieben wäre.
Die gesetzliche Regelung ist auch aufgrund eines hohen Gemeinschaftsgutes erfolgt. Das RRG 92 erging zum Schutz der Erhaltung der Finanzierbarkeit und damit Sicherstellung des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung (Nachweise bei: LSG Niedersachsen-Bremen , Urteil vom 27.6.2002, L 1 RA 239/01). Die Konsolidierung und Stabilisierung der Finanzentwicklung der Rentenversicherung ist aber nach der Rechtsprechung des BVerfG nicht nur ein hohes Gemeinschaftsgut als solches, sondern ihm kommt sogar eine so hohe Bedeutung zu, dass zu seinem Schutz in Situationen, in denen sich öffentliche Haushalte dramatisch verschlechtern, aus akuten Gründen Gesetzesregelungen getroffen werden dürfen, mit denen das Vertrauen gerade auch härter betroffener Versicherter enttäuscht werden darf (BVerfGE 76, 256, 357, 358) [BVerfG 30.09.1987 - 2 BvR 933/82]. Aus der - vom BVerfG festgestellten - Zulässigkeit des Vorziehens und Beschleunigens der Anhebung der Altersgrenzen mit kurzem Übergangszeitraum im WFG 97 kann daher auch insoweit auf die Zulässigkeit der "langsameren" Einführung der Anhebung der Altersgrenzen im RRG 92 geschlossen werden.
Nach alledem liegt ein Verstoß des RRG 92 bezüglich der ARFrauen gegen Art. 14 GG jedenfalls wegen der Wahrung der Inhalts- und Schrankenbestimmung des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG nicht vor.
Dabei lässt der Senat unentschieden, ob ein Verstoß gegen Art. 14 GG auch (oder schon) deshalb nicht vorliegt, weil die Abschaffung der ARFrauen aus anderen verfassungsrechtlichen Gründen - u.U. sogar - geboten war, nämlich aufgrund einer in Betracht zu ziehenden Diskriminierung der Männer im Sinne von Art. 3 Abs. 2 GG:
Wie bereits ausgeführt, war die ARFrauen mit der Rentenreform des Jahres 1957 eingeführt worden und sollte nach der damaligen Gesetzesbegründung dazu dienen, den durch Doppelbelastung als Arbeitnehmerin und Hausfrau erwarteten vorzeitigen Kräfteverbrauch der Frauen durch Ermöglichung eines früheren Renteneintritts (bereits mit dem vollendeten 60. Lebensjahr) auszugleichen. Nachdem sich jedoch in der Folgezeit die bis dahin "klassische" Rolle der Frau in Ehe, Familie und Berufsleben zunehmend wandelte und indem namentlich die Gestaltungsmöglichkeiten der Erwerbstätigkeit von Frauen vielfältiger wurden, kam es erstmals zur verfassungsmäßigen Überprüfung der Berechtigung des Fortbestehens der Rentenart durch das BVerfG, da - von einem männlichen Beschwerdeführer - ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 2 Grundgesetz (GG) (Gleichberechtigung von Mann und Frau, Verbot der Diskriminierung auch gegenüber Männern) gerügt wurde. Auf die von dem männlichen Beschwerdeführer erhobene Verfassungsbeschwerde führte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seinem Beschluss aus dem Jahre 1987 (vom 28.1.1987, 1 BvR 455/82, SozR-2200, § 1248 Nr. 47) im Einzelnen aus, dass zwar inzwischen zweifelhaft sei, ob die Rentenart noch mit der "klassischen" Doppelbelastung von Frauen verfassungsrechtlich zu legitimieren sei. Jedoch sei die Rentenart deshalb (noch) verfassungsrechtlich gerechtfertigt, weil sie jedenfalls auf die Kompensation erlittener Nachteile ziele, die Frauen im Erwerbsleben nach wie vor (1987) gegenüber Männern erlitten, wie z.B. eine durchschnittlich geringere Ausbildung, ein daraus resultierendes geringeres Arbeitsentgelt, eine überdurchschnittliche Häufung von Frauenarbeitsplätzen in den unteren Lohngruppen, geringere Aufstiegschancen von Frauen im Beruf und das Bestehen von typischen Unterbrechungen der Erwerbsbiographien der Frauen wegen Kindererziehung mit der Folge der Nichterfüllbarkeit der Voraussetzungen einer 35jährigen Wartezeit für andere Rentenarten. Am Ende der Entscheidung des BVerfG hieß es:
"Der Wandel in den tatsächlichen Verhältnissen, der sich schon vollzogen hat und noch vollzieht, und die Angleichung der Rechtsordnung an die gebotene Gleichstellung von Mann und Frau lassen erwarten, dass die Umstände, welche die verfassungsrechtliche Prüfung unter dem Gesichtspunkt des Nachteilsausgleichs beeinflussen, im Laufe der weiteren Entwicklung an Bedeutung verlieren werden. Wann das der Fall sein wird und welche Folgerungen daraus zu ziehen sein werden, hat in erster Linie der Gesetzgeber zu entscheiden."
Ende der 80er Jahre und nach dieser Entscheidung des BVerfG einigten sich die großen politischen Parteien darauf, den früheren Rentenzugang der Frauen stufenweise anzuheben (RRG 92, siehe oben).
Kann der erkennende Senat daher noch im Rahmen der Prüfung des Art. 14GG offen lassen, ob und wann die ARFrauen einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 2 GG darstellt(e) und ob nicht bereits deshalb die Angleichung der ARFrauen an die Regelaltersrente verfassungsrechtlich geboten war, so folgt aus der Grundsatz-Entscheidung des BVerfG aus dem Jahre 1987 jedenfalls, dass die Angleichung der ARFrauen an die Regelaltersgrenze keinen Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG darstellt. Denn die aufgezeigte Entwicklung, namentlich das zunehmende Auseinanderfallen von ursprünglicher gesetzgeberischer Intention einerseits und dem Wandel der Frauenerwerbstätigkeit sowie der tatsächlichen Inanspruchnahmepraxis bei der ARFrauen andererseits sind ausreichende sachliche Gründe dafür, um eine Angleichung der Rentenart an die Regelaltersrente zu rechtfertigen. (Darauf, dass Gesetzesänderungen ausdrücklich möglich bleiben müssen, um notwendige Anpassungen an etwaige Änderungen der vom Gesetz betroffenen Regelungsmaterie vornehmen zu können, war bereits oben hingewiesen worden, vgl. nochmals: BSG vom 16.12.1999, a.a.O., S. 293 m.N.z.Rspg.d. BVerfG).
Im Rahmen der Gleichheitssatzprüfung des Art. 3 Abs. 1 GG ist in Bezug auf die Klägerin zu ergänzen, dass die von ihr wiederholt vorgetragene Auffassung unzutreffend ist, wonach durch die Rentenänderungen der letzten Jahrzehnte willkürlich immer günstigere Vorruhestandsregelungen geschaffen würden, die wegen der erforderlichen Wartezeit von 35 Jahren regelhaft nur von Männern in Anspruch genommen werden könnten. Das Gegenteil ist richtig. Wie das Beispiel der in der Praxis bedeutendsten Rentenart, der AR wegen Arbeitslosigkeit, zeigt, ist gerade auch diese Rentenart, die im Übrigen nur eine Wartezeit von 15 Jahren voraussetzt, ebenso an die Regelaltersgrenze angepasst worden wie die ARFrauen, § 237 SGB VI, was in der höchstrichterlichen Rechtsprechung für verfassungsmäßig angesehen wurde (BSG, Urteile vom 25.2.2004, B 5 RJ 44/02 R, B 5 RJ 62/02 R, B 5 RJ 45/03 R, B 5 RJ 9/03 R; BSG, Urteil vom 5.8.2004, B 13 RJ 10/03 R; vgl. nochmals LSG Niedersachsen-Bremen , Urteil vom 27.6.2002, L 1 RA 239/01; a.A. allein: BSG, Urteil vom 28.10.2004, B 4 RA 42/02 R - Vorlage an das BVerfG). Eine "willkürliche" Bevorteilung männlicher Rentenversicherter ist daher insoweit gerade nicht feststellbar. Und dass auch Frauen die AR wegen Arbeitslosigkeit in Anspruch nehmen können, ist selbstverständlich.
Schließlich ist - entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin - auch kein Verstoß gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Rückwirkungsverbots (Art. 20 Abs. 3 GG) und des Schutzes von Ehe und Familie (Art. 6 GG) feststellbar.
Zwar kann in der Anhebung der Altersgrenzen durch das RRG 92 eine Rückwirkung liegen, weil bereits bestehende Versicherungsbiographien in den mit ihnen bis dahin möglichen Rentenzugängen eine Änderung erfahren haben. Zum Einen würde es sich jedoch allein um eine sog. unechte Rückwirkung (tatbestandliche Rückanknüpfung) handeln, weil nicht rückwirkend bereits erworbene Rentenpositionen entzogen, sondern allein bestehende Versicherungsbiographien in ihren künftigen Rechtsfolgen verändert werden. Und zum Zweiten sind solche unechten Rückwirkungen grundsätzlich mit der Verfassung vereinbar, da die unabdingbare Notwendigkeit besteht, die Rechtsordnung ändern zu können, um den Staat handlungsfähig zu halten. Die Neuregelungen müssen dabei aus Gründen des Allgemeinwohls erfolgen (siehe zum Ganzen nur: BVerfGE 69, 272, 309; BSG, Urteil vom 22.2.1001, B 12 RA 6/00R, S. 6). - Diese Gründe des Allgemeinwohls sind vorliegend jedoch gegeben. Auf die obenstehenden Ausführungen zu Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG wird Bezug genommen.
Aus demselben Gründen des Allgemeinwohls kann ein Anspruch auf Aufrechterhaltung der seit 1957 bestehenden Regelungen zur ARFrauen auch nicht aus Art. 6 GG hergeleitet werden. Im Rahmen des dem Staat obliegenden Schutzes von Ehe und Familie kommt dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Er ist namentlich nicht gehalten, alle mit der Mutterschaft und/oder Kindererziehung zusammenhängenden wirtschaftlichen und beruflichen Belastungen auszugleichen. Vielmehr muss der Gesetzgeber auch andere öffentliche Belange mitberücksichtigen. Zu diesen Belangen gehören namentlich die finanzielle Stabilität und Funktionsfähigkeit der Sozialversicherungssysteme (Nachweise zur Rspg. des BVerfG bei: BSG, Urteil vom 18.3.1998, B 6 KA 37/96 R, S. 12). Dies hat der Gesetzgeber vorliegend getan (siehe oben).
Nach alledem sind weder die 1. noch die 2. Stufe der Änderungen der ARFrauen verfassungsrechtlich zu beanstanden.
Die Berufung ist zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.
Die Zulassung der Revision erfolgt gem. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache.