Abschnitt 4 VV-ROG/NROG-Untersagung - Ermessensentscheidung
Bibliographie
- Titel
- Verwaltungsvorschriften zum ROG und zum NROG für die Untersagung raumbedeutsamer Planungen und Maßnahmen (VV-ROG/NROG-Untersagung)
- Amtliche Abkürzung
- VV-ROG/NROG-Untersagung
- Normtyp
- Verwaltungsvorschrift
- Normgeber
- Niedersachsen
- Gliederungs-Nr.
- 23100
Die Entscheidung über eine befristete oder unbefristete Untersagung steht im pflichtgemäßen Ermessen der Landesplanungsbehörde.
4.1 Entschließen zum Untersagen (Entschließungsermessen)
Da keine behördliche Verpflichtung zum Erlass einer Untersagung besteht, ist zunächst zu entscheiden, ob überhaupt ein Einschreiten mittels Untersagung für erforderlich gehalten wird (Entschließungsermessen).
Zu berücksichtigen ist u. a., ob eine Veränderung der Planung oder Maßnahme im Laufe des Planungs- oder Zulassungsverfahrens zu erwarten ist, durch die eine Kollision mit dem bestehenden oder in Aufstellung befindlichen Ziel der Raumordnung vermieden wird.
Im Rahmen des Entschließungsermessens ist beispielsweise auch zu berücksichtigen, ob anstelle einer (frühzeitigen) Untersagung ein formloser Hinweis verbunden mit der Bitte um Aufgabe der Planung oder des Vorhabens genügen würde. Es ist jedoch auch der Gegenstand der Untersagung zu berücksichtigen. Soll z. B. eine Genehmigungsbehörde vorübergehend die Erteilung einer gebundenen Entscheidung unterlassen, auf die ein Vorhabenträger sonst einen Anspruch hätte, bietet nur eine formelle befristete Untersagung zum Schutz in Aufstellung befindlicher Ziele die rechtliche Möglichkeit, diese Genehmigung bei Entscheidungsreife (noch) nicht erteilen zu müssen. In diesem Fall wäre ein bloßer formloser Hinweis an die Genehmigungsbehörde rechtlich nicht ausreichend.
Sind bereits in vergleichbaren Fallkonstellationen - d. h. bei gleichen Tatbeständen - Untersagungen ausgesprochen worden, so beeinflussen die Ermessenserwägungen solcher vorausgegangenen Verfahren das "Ob" ebenso wie das Ergebnis der Ermessensausübung im laufenden Verfahren (Selbstbindung der Verwaltung). Ebenso ist zu berücksichtigen, inwieweit das "Nicht-Ahnden" eine Präzedenzwirkung auf künftige Entscheidungen hätte.
Für unbefristete Untersagungen gilt zudem:
Da Adressaten einer Untersagung in aller Regel andere öffentliche Stellen sind und für öffentliche Stellen der Grundsatz der Rechtmäßigkeit der Verwaltung gilt, ist davon auszugehen, dass sie bei entsprechendem Hinweis auf eine Rechtsverletzung auch ohne förmliche Untersagung das geltende Recht einhalten und auf die Fortführung einer raumordnungswidrigen Planung oder den Erlass einer raumordnungswidrigen Genehmigung verzichten werden. Es müssen daher besondere Gründe vorliegen, die darauf schließen lassen, dass sich eine andere öffentliche Stelle ohne förmliche Untersagung nicht rechtstreu verhalten wird. Anhaltspunkte können beispielsweise sein, dass im Rahmen einer der Untersagung vorangegangenen Anhörung entsprechende Äußerungen erfolgten oder dass eine raumordnungswidrige Planung trotz Hinweises auf ein entgegenstehendes Ziel der Raumordnung faktisch weiterverfolgt wird.
Für befristete Untersagungen gilt zudem:
Besonders zu berücksichtigen ist im Rahmen des Ermessens, dass durch eine befristete Untersagung in nach derzeitiger Rechtslage (noch) bestehende Rechte eingegriffen würde. Daher ist die mit dem in Aufstellung befindlichen Ziel zu sichernde Funktion oder Nutzung der durch die Untersagung beschränkten Rechtsposition gegenüberzustellen. Die Landesplanungsbehörde hat insofern eine Güter- und Interessenabwägung vorzunehmen. Insbesondere wenn durch eine befristete Untersagung in verfassungsrechtlich verankerte Eigentums- oder Planungsrechte eingegriffen würde, ist deren rechtlicher Wertigkeit ein hohes Gewicht beizumessen. Beispielsweise ist bei Untersagung einer gemeindlichen Bauleitplanung das Gewicht der gemeindlichen Planungshoheit als Bestandteil der kommunalen Selbstverwaltung zu berücksichtigen (Artikel 28 Abs. 2 GG, Artikel 57 Niedersächsische Verfassung), die nach § 1 Abs. 4 BauGB gesetzlich nur durch geltende Ziele der Raumordnung begrenzt ist. Die mit einer Untersagung bewirkte faktische Begrenzung der Planungshoheit auch durch ein in Aufstellung befindliches Ziel der Raumordnung bedarf einer besonders sorgfältigen Rechtfertigung im konkreten Einzelfall.
Gleiches gilt, wenn eine raumbedeutsame Maßnahme untersagt werden soll, wie beispielsweise die Genehmigung eines privaten Bauvorhabens auf einem Außenbereichsgrundstück, das sich im Eigentum des Vorhabenträgers befindet.
4.2 Auswahl zwischen verschiedenen Handlungsmöglichkeiten (Auswahlermessen)
Bestehen mehrere Möglichkeiten, wie die Landesplanungsbehörde tätig werden kann (Auswahlermessen), hat sie zu entscheiden, welche am besten geeignet, erforderlich und angemessen ist. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet dabei, grundsätzlich unter mehreren Alternativen das mildeste Mittel zu wählen. Die inhaltliche Reichweite der Untersagung ist auf das angemessene Maß zu begrenzen. Im Rahmen des Auswahlermessens hat die Landesplanungsbehörde vor allem Umfang und - bei befristeten Untersagungen - Dauer der Untersagung zu prüfen. Gegebenenfalls ist auch zu entscheiden, an welchen Adressaten sie gerichtet werden soll (siehe Nummer 5).
Bei befristeten Untersagungen ist der genaue Zeitraum zu bestimmen, für den die Untersagung gelten soll. Dem Ermessen ist in zeitlicher Hinsicht eine Grenze gesetzt. Die befristete Untersagungsmöglichkeit ist zeitlich zunächst auf maximal zwei Jahre begrenzt (§ 12 Abs. 2 Satz 2 ROG). Insofern hat die Landesplanungsbehörde bei der Bemessung der Frist eine Prognose über die zu erwartende weitere Verfahrensdauer für die Raumordnungsplanung anzustellen und nachvollziehbar darzulegen. Zulässig sind eine oder mehrere nachträgliche Fristverlängerungen, die in ihrer Gesamtheit maximal ein Jahr betragen dürfen (§ 12 Abs. 2 Satz 3 ROG). Wurde die Untersagung für weniger als zwei Jahre ausgesprochen, darf vor Inanspruchnahme der Fristverlängerung nach § 12 Abs. 2 Satz 3 ROG zunächst der Zweijahreszeitraum nach § 12 Abs. 2 Satz 2 ROG voll ausgeschöpft werden.
Eine weitere Fristverlängerung über den Gesamtzeitraum von drei Jahren hinaus oder der Erlass einer rechtlich selbständigen neuen Untersagung sind auch dann nicht möglich, wenn absehbar ist, dass ein Inkrafttreten des Raumordnungsplans nicht innerhalb dieses Zeitraumes erreicht werden kann.
Zulässig ist auch, die befristete Untersagung mit der höchstmöglichen Dauer auszusprechen, sie jedoch - zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit - mit einer auflösenden Bedingung zu versehen für den Fall, dass der Raumordnungsplan vor Ablauf des Untersagungszeitraumes in Kraft treten sollte.
Zum Ermessen gehört auch die Frage, zu welchem Zeitpunkt des laufenden Planungs- oder Genehmigungsverfahrens die Untersagung ausgesprochen werden soll, d. h., ob frühzeitig untersagt oder zunächst die Entscheidungsreife im Übrigen abgewartet werden soll.
Für die Untersagung zu einem frühen Zeitpunkt spricht, dass ein Planungs- oder Vorhabenträger frühzeitig und verbindlich die fehlende Raumverträglichkeit bescheinigt bekommt. Zu erwägen ist dabei, ob eine frühe Rechtsverbindlichkeit unnötigen Planungs- oder Investitionskosten entgegenwirkt oder gerade eine Untersagung eine Veränderung der Planung oder des Vorhabens bewirkt.
Andererseits kann die Landesplanungsbehörde ihr Ermessen dahingehend ausüben, zunächst die Entscheidungsreife abzuwarten und die Untersagung erst auszusprechen, wenn eine Planung oder ein Vorhaben nicht bereits aus anderen Gründen nicht weiterverfolgt wird. Für ein Abwarten kann auch sprechen, dass Entwürfe von Raumordnungsplänen zunehmend ein zweites oder sogar drittes Beteiligungsverfahren durchlaufen müssen und sich die Verfahrensdauer dadurch deutlich verlängern kann. Dieser Umstand kann die Ermessensausübung dahingehend beeinflussen, die Untersagung nicht zu früh auszusprechen, um die Wirksamkeit einer Untersagung bis zum Abschluss der Raumordnungsplanung zu gewährleisten. Dabei ist jedoch auch abzuwägen, inwieweit bei einer Zurückstellung der Untersagungsentscheidung das Risiko steigt, dass das Vorhaben zwischenzeitlich zugelassen oder umgesetzt wird und so die Weiterverfolgung der Raumordnungsplanung und die Zielerreichung wesentlich erschwert oder unmöglich macht.
Speziell in Bezug auf eine Untersagung von Bebauungsplänen ist in zeitlicher Hinsicht auch § 33 BauGB zu berücksichtigen, der die städtebaurechtliche Zulässigkeit von Vorhaben bereits während der Planaufstellung regelt. Sobald und solange materielle Planreife vorliegt, könnte eine Baugenehmigung erteilt werden. Eine Untersagung eines Bebauungsplans sollte daher rechtzeitig vor Erteilung einer Baugenehmigung ergehen.
Stehen mehrere Adressaten zur Auswahl, ist zu entscheiden, an welchen Adressaten die Untersagung gerichtet werden soll (Näheres siehe Nummer 5).
Gemäß § 3 Abs. 3 NKlimaG liegt die Durchführung von Vorhaben, die der Erreichung der in § 3 Abs. 1 Satz 1 NKlimaG genannten Klimaziele dienen, im überragenden öffentlichen Interesse des Landes; dieses Interesse ist entsprechend zu gewichten. Die Landesverwaltung soll diesbezügliche Verfahren vorrangig führen. Im Übrigen sind die Klimaziele des Landes zu berücksichtigen. Hierzu sind die jeweiligen Treibhausgaseinsparungen und -emissionen zu ermitteln; dies gilt nicht, soweit die Anforderung nach Halbsatz 1 nicht mit angemessenem Aufwand zu erfüllen ist.
Sowohl das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen als auch die Ermessenerwägungen sind im Untersagungsbescheid darzulegen. Das gänzliche Fehlen von Ermessenserwägungen führt zur Rechtswidrigkeit des Bescheides ohne Heilungsmöglichkeiten.
Außer Kraft am 1. Januar 2030 durch Nummer 9 Satz 1 des RdErl. vom 25. Juni 2024 (Nds. MBl. 2024 Nr. 283)