Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 28.09.2009, Az.: 11 A 2669/08
Altfallregelung; Verwurzelung; Passpflicht; Identität; Mitwirkungspflicht; Zurechnung; Ermessen; Libanon; Türkei
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 28.09.2009
- Aktenzeichen
- 11 A 2669/08
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2009, 44492
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGOLDBG:2009:0928.11A2669.08.0A
Rechtsgrundlagen
- 8 EMRK
- 5 I Nr 1a AufenthG
- 5 I Nr 4 AufenthG
- 5 III AufenthG
- 25 V AufenthG
- 104a II 1 AufenthG
- 1618a BGB
Amtlicher Leitsatz
Auch wenn die Identität eines Ausländers nicht geklärt ist und er die Passpflicht nicht erfüllt, kann gem. § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach Ermessen erteilt werden (hier: Einzelfall einer Ermessensreduzierung auf Null bei 22-jähriger hier geborener Ausländerin).
Einem volljährigen Ausländer kann die Täuschung über die Identität und Staatsangehörigkeit durch die Eltern nicht zugerechnet werden. Ihn treffen allerdings eigene Mitwirkungspflichten, insbesondere muss er gegenüber seinen Eltern den sich aus § 1618a BGB ergebenden Anspruch auf Beistand ggf. auch gerichtlich geltend machen.
Tatbestand
Die Klägerin ist am 17. Juli 1987 in Leer geboren. Ihre Eltern sind am 27. April 1986 aus dem Libanon in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Sie geben die Namen S. und O. (geb. 1964 bzw. 1967) an.
Nachdem der Asylantrag der Klägerin abgelehnt worden ist (Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 17. Juli 1989), erteilte der Beklagte der Klägerin aufgrund der Bleiberechtsregelung vom 18. Oktober 1990 erstmals am 2. Mai 1991 eine Aufenthaltsbefugnis, welche mehrfach, zuletzt bis zum 29. November 1999 verlängert worden ist. Seither wird die Klägerin von dem Beklagten geduldet.
Ein Antrag auf Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis ist mit Bescheiden des Beklagten vom 31. Mai und 7. Juni 1999 abgelehnt worden. Die hiergegen erhobenen Widersprüche blieben erfolglos (Widerspruchsbescheide der Bezirksregierung Weser-Ems vom 29. Februar und 1. März 2000). Der Beklagte hat mit Bescheid 30. Mai 2003 auch einen Antrag der Klägerin auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis abgelehnt.
Die Klägerin ist strafrechtlich wie folgt in Erscheinung getreten: Am 28. August 2003 stellte die Staatsanwaltschaft Aurich ein Verfahren wegen vorsätzlicher Körperverletzung nach § 45 JGG ein. Am 17. Januar 2005 erhielt sie vom Amtsgericht Leer wegen Diebstahls eine Verwarnung; ihr wurde zudem die Erbringung von Arbeitsleistungen auferlegt.
Der Vater der Klägerin ist mehrfach wegen Betäubungsmitteldelikten belangt worden.U.a. ist er in den Jahren 1993 und 2005 deshalb zu Freiheitsstrafen von jeweils drei Jahren verurteilt worden.
Die Klägerin beantragte am 1. November 2007 bei dem Beklagten die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen und berief sich auf die Regelung des § 104a Abs. 2 AufenthG.
Dies lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 9. September 2008 ab. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt worden: Es bestünden Zweifel an der Identität der Klägerin. Es entspreche allgemeiner Erfahrung, dass viele angeblich staatenlose Kurden aus dem Libanon die türkische Staatsangehörigkeit besäßen. Die Eltern der Klägerin hätten auch unter einem anderen Namen einen weiteren Asylantrag gestellt. Identitätsnachweise seien auch in früheren Verfahren nicht erbracht worden. Bei einer Hausdurchsuchung habe man ein Foto des Vaters der Klägerin gefunden, welches zweifellos in der Türkei aufgenommen worden sei. Außerdem sei der Vater der Klägerin im Libanon unter dem Namen K., geb. 1962, einer erkennungsdienstlichen Behandlung unterzogen worden. Der Großvater der Klägerin habe zudem angegeben, dass ihr Vater 1958 in der Türkei geboren sei. Die vorgelegten libanesischen Laissez-passer seien gefälscht. Wegen des Fehlens der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen der Passpflicht und der Klärung der Identität sei unerheblich, dass die Klägerin vollständig integriert sei und auch den erweiterten Realschulabschluss besitze. Die Klägerin hätte auf ihre Eltern einwirken können und sich an Verwandte und einen Vertrauensanwalt im Libanon wenden können. Sie habe auch wegen ihres türkischen Großvaters nicht beim türkischen Generalkonsulat vorgesprochen. Sie habe zudem die ihr angebotene Auslandsreise nicht unternommen. Sie müsse sich daher die Identitätstäuschung ihrer Eltern zurechnen lassen. Als Kind eines türkischen Staatsangehörigen besitze auch die Klägerin diese Staatsangehörigkeit.
Am 25. September 2008 hat die Klägerin Klage erhoben.
Sie macht im Wesentlichen geltend: Sie sei vollständig integriert. Sie habe den erweiterten Realschulabschluss, spreche akzentfrei Deutsch und könne nur deshalb keine Ausbildung aufnehmen, weil sie keine Aufenthaltserlaubnis besitze. Seit Dezember 2006 habe sie als Verkäuferin bei Mc Donalds in P. gearbeitet und einen monatlichen Nettolohn in Höhe von 800,- Euro erzielt. Nach einer weiteren Tätigkeit in der Gastronomie und einem Praktikum sowie einer Zeit der Arbeitslosigkeit habe sie am 1. Mai 2009 mit zwei Schwestern eine Gaststätte in P. eröffnet. Sie habe eine eigene Wohnung, die sie selbst finanziere und nehme keine öffentlichen Mittel in Anspruch. Sie sei bereit, ihrer Passpflicht zu genügen, könne sich aber nur auf die Angaben ihrer Eltern stützen. Zudem sei der Beweiswert einer Auskunft des Bundeskriminalamtes vom 16. Januar 1995 zweifelhaft. Es sei daraus nicht erkennbar, warum der Großvater der Klägerin im Libanon lebe und welchen Status er dort habe. Zudem hätten die türkischen Behörden ihren Vater in den dortigen Registern nicht gefunden. Das Foto, welches bei der Hausdurchsuchung vorgefunden worden sei, zeige nicht ihren Vater, sondern einen anderen Verwandten. Ihr Vater habe ihr gegenüber immer betont, im Libanon geboren zu sein und keine eigene Staatsangehörigkeit zu besitzen. Tatsächlich sei ihre Mutter mit ihrem Vater auch nicht verheiratet gewesen. Eine bereits früher vorgelegte Heiratsbescheinigung beziehe sich auf eine andere Frau. Ihre Mutter habe ihr berichtet, dass sie ihren Vater im Jahre 1982 kennen gelernt habe, als er bereits mit einer libanesischen Frau verheiratet gewesen sei. Er sei ohne Wissen der Familie mit ihr weggegangen. Es gäbe keinen Heiratsvertrag und keine Registrierung bei den libanesischen Behörden. Nach den Berichten ihrer Mutter sei ihr Vater im Libanon geboren. Sie habe den Namen E. auf Vorschlag ihres Mannes angenommen. Tatsächlich sei sie die 1967 im Beirut geborene M.. Ihre Schwester sei M., welche in Syrien geboren sei. Sie sei dort im Zivilregister erfasst. Deren Eltern hätten wohl die syrische Staatsangehörigkeit; ihre Mutter sei jedoch in Syrien selbst nicht registriert. Da sie kein eheliches Kind sei, könne ihr Vater ihr die türkische Staatsangehörigkeit nicht vermitteln. Eine syrische Staatsangehörigkeit könne sie lediglich über den Vater erworben haben. Sie könne für ggf. unzutreffende Auskünfte ihrer Eltern auch nicht verantwortlich gemacht werden. Sie habe sie immer wieder animiert, entsprechende Angaben zu machen. Die Rechtsauffassung des Beklagten hätte zur Folge, dass selbst ihre eigenen Kinder mangels Identitätsklärung stets nur geduldet würden.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 9. September 2008 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihr eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen zu erteilen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er erwidert im Wesentlichen: Die in der Auskunft des Bundeskriminalamtes vom 16. Januar 1995 dargestellten Erkenntnisse seien eindeutig. Hinsichtlich der Registrierung sei die Antwort von Interpol aus Ankara wohl deshalb negativ gewesen, weil der Vater der Klägerin nie erfasst worden sei. Dies sei nachvollziehbar, weil er aus dem Kurdengebiet stamme und die dortigen Behörden an diesem Personenkreis nicht besonders interessiert seien. Es sei eine nicht unerhebliche Zahl an Kurden in die Nachbarstaaten gegangen. Eine nachträgliche Registrierung in der Türkei sei möglich. Es bestehe jedoch bei der Familie der Klägerin keine derartige Bereitschaft. Das erwähnte Foto zeige eindeutig ihren Vater in der Türkei. Die vorgelegte Heiratsbescheinigung mit einer anderen Frau sei nicht aussagekräftig. Es könne sich um eine frühere Ehe oder eine Zweitehe handeln. Dass in einem islamisch geprägten Land nichteheliche Kinder zur Welt kämen, sei unrealistisch. Die Eltern der Klägerin hätten sich auch immer als Ehepaar ausgegeben. Außerdem sei es ausreichend, dass der Vater der Klägerin türkischer Staatsangehöriger wäre; diese Staatsbürgerschaft würde er an sie weitergeben. Hinsichtlich der angeblichen Schwester der Mutter der Klägerin, seien die Angaben für eine Identifizierung nicht ausreichend. Darüber hinaus sei eine Ableitung der syrischen Staatsangehörigkeit lediglich vom Vater möglich. Dass der Vater an der Aufklärung der Identität nicht mitwirke, sei nachvollziehbar, da ihm anderenfalls eine Aufenthaltsbeendigung drohen würde. Die Klägerin müsse sich jedoch die Identitätstäuschung ihrer Eltern zurechnen lassen.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen; sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen.
1.
Dieser ergibt sich zum einen aus § 104a Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Sie ist ein geduldetes volljähriges Kind, dessen Eltern die Aufenthaltszeiten nach § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG erfüllen. Sie ist in Deutschland geboren, so dass sie genau so behandelt werden muss, wie eine bei Einreise minderjährige Person.
Es erscheint gewährleistet, dass die Klägerin sich auf Grund ihrer bisherigen Ausbildung und Lebensverhältnisse in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland einfügen kann. Allein diese positive Integrationsprognose ist maßgeblich; die Bestimmung des § 104a Abs. 1 AufenthG findet insoweit keine unmittelbare Anwendung (vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 8. Dezember 2008 - 3 Bs 31/08 - InfAuslR 2009, 153 [OVG Hamburg 08.12.2008 - 3 Bs 31/08]). Zu berücksichtigen sind insoweit im Rahmen einer Gesamtbewertung begangene Straftaten, die Schul- und Berufsausbildung, Sprachkenntnisse und das sonstige Verhalten, soweit es Hinweise auf die Integration des Ausländers zulässt (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Januar 2009 - 1 C 40.07 - NVwZ 2009, 979 [BVerwG 27.01.2009 - BVerwG 1 C 40.07]<981>; OVG Hamburg, Beschluss vom 29. Januar 2008 - 3 Bf 149/02 - InfAuslR 2009, 64 [OVG Hamburg 29.01.2008 - 3 Bf 149/02]<70>; OVG Lüneburg, Urteil vom 27. September 2007 - 11 LB 69/07 - <juris, Rn. 80>).
Die Klägerin ist lediglich als Jugendliche wegen geringfügiger Straftaten in Erscheinung getreten. Seit der einzigen Verurteilung wegen Diebstahls, die zu einer Verwarnung und Arbeitsauflage geführt hat, sind mehr als 4 1/2 Jahre verstrichen. Die hier geborene Klägerin hat die gesamte Schullaufbahn in Deutschland absolviert und schließlich den erweiterten Realschulabschluss erworben. Danach hat sie überwiegend gearbeitet und keine Sozialhilfeleistungen bezogen. Nach ihren glaubhaften Angaben in der mündlichen Verhandlung war sie von Ende 2006 bis Juni 2008 bei McDonalds in P. und anschließend ein Vierteljahr in einer Gaststätte in A. tätig. Hieran hat sich ein einmonatiges Praktikum bei einer Versicherung angeschlossen. Nach einer Zeit der Arbeitslosigkeit betreibt sie nunmehr seit dem 1. Mai 2009 zusammen mit zwei Schwestern eine Gaststätte in Papenburg. Sie erhält aus dem Betrieb wöchentlich etwa 200,- € zur eigenen Verfügung.
Wie die mündliche Verhandlung bestätigt hat, verfügt die Klägerin über Deutschkenntnisse, die den durchschnittlichen Fähigkeiten eines deutschen Staatsangehörigen ihrer Altersgruppe mindestens entsprechen. Sie lebt seit ihrer Geburt vor über 22 Jahren ununterbrochen in Deutschland. Von Mai 1991 bis November 1999 hat sie auch Aufenthaltstitel besessen, deren Legitimität aufgrund der Täuschung ihrer Eltern über ihre Identität und Staatsanghörigkeit allerdings belastet ist. Diese Täuschung kann der Klägerin allerdings aktuell nicht mehr zugerechnet werden, da sie bereits volljährig ist (vgl. BVerwG, a.a.O.S. 982; OVG Koblenz, Beschluss vom 19. Juni 2009 - 7 B 10468/09 - InfAuslR 2009, 345 <349>; VGH Mannheim, Beschluss vom 24. Juni 2009 - 13 S 519/09 - InfAuslR 2009, 351 <353>) . Ihre - wie im Folgenden zu 2. noch näher dargelegt werden wird - geringe eigene Verantwortlichkeit an der fehlenden Klärung der Identität und Staatsangehörigkeit, ist nach Auffassung des Gerichts nicht geeignet, die positive Integrationsprognose in Frage zu stellen.
Die Klägerin kann die Aufenthaltserlaubnis zum anderen auch nach § 25 Abs. 5 AufenthG beanspruchen. Nach den vorstehenden Ausführungen ist die Klägerin derart in den Verhältnissen der Bundesrepublik Deutschland verwurzelt, dass es ihr im Hinblick auf den in Art. 8 EMRK vorgesehenen Schutz des Privatlebens nicht mehr zumutbar ist, in ihr Heimatland zurückzukehren.
Maßgeblich ist dabei, inwieweit eine Integration des Ausländers in Deutschland gelungen ist, zum anderen ist die Möglichkeit seiner Reintegration in das Heimatland in den Blick zu nehmen. Gesichtspunkte sind dabei die Dauer des Aufenthalts in Deutschland und inwieweit dieser rechtmäßig gewesen ist, die deutschen Sprachkenntnisse und eine soziale Eingebundenheit in die hiesigen Lebensverhältnisse, wie sie etwa in der Innehabung eines Ausbildungs- oder Arbeitsplatzes, in einem festen Wohnsitz, einer Sicherstellung des ausreichenden Lebensunterhalts, einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel, und dem Fehlen von Straffälligkeit zum Ausdruck kommt. Die Frage einer möglichen Reintegration im Heimatland bemisst sich nach Kriterien wie der Kenntnis der dortigen Sprache, der Existenz dort lebender Angehöriger sowie sonstiger Bindungen an das Heimatland. Geboten ist bei alledem eine familienbezogene Betrachtung (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Januar 2009 a.a.O.; OVG Lüneburg, Beschluss vom 1. November 2007 - 10 PA 96/07 -; Beschluss vom 17. November 2006 - 10 ME 222/06 -; Beschluss vom 1. September 2006 - 8 LA 101/06 -; Beschluss vom 11. Mai 2006 - 12 ME 138/06; Beschluss vom 11. April 2006 - 10 ME 58/06 -; Beschluss vom 18. April 2006 - 1 PA 64/06; VGH Mannheim, Beschluss vom 10. Mai 2006 - 11 S 2354/05 - <juris, Rn. 17>; OVG Koblenz, Beschluss vom 24. Februar 2006 - 7 B 10020/06.OVG - InfAuslR 2006, 274 ff. [OVG Rheinland-Pfalz 24.02.2006 - 7 B 10020/06.OVG]; OVG Münster, Beschluss vom 27. März 2006 - 18 B 787/05 - Asylmagazin 5/2006, S. 26 <27>).
2.
Die Identität der Klägerin ist allerdings nicht geklärt und sie genügt auch der Passpflicht nicht. Die allgemeinen (Regel-)Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 Nr. 1a und 4 AufenthG sind daher nicht erfüllt.
Es ist nämlich davon auszugehen, dass zumindest der Vater der Klägerin aus der Türkei stammt. Für das Gericht ist zunächst wesentlich, dass nach dem in den Verwaltungsvorgängen befindlichen Schreiben des Bundeskriminalamtes an die Polizeiinspektion Leer und das LKA Niedersachsen vom 16. Januar 1995 Interpol Beirut im Rahmen eines Personenfeststellungsverfahrens ermittelt hat, dass dort identische Fingerabdrücke vorhanden sind, da gegen den Vater der Klägerin im Jahre 1973 ein Verfahren wegen des Verdachts des Diebstahls geführt worden ist. Danach hat der Vater der Klägerin dort den Namen K., geb. 1962, getragen und eine syrische Staatsangehörigkeit behauptet. Der Großvater väterlicherseits der Klägerin hat gegenüber Interpol Beirut allerdings angegeben, dass der Name des Vaters Z., geb. 1958 in M., ist, der ebenso wie sein Vater V. und die Mutter M. die türkische Staatsangehörigkeit besitzt. Dass insoweit ein Personenfeststellungsverfahren von Interpol Ankara negativ ausgefallen ist, lässt eine andere Beurteilung nicht zu. Denn erfahrungsgemäß haben Kurden im Falle einer Übersiedlung in den Libanon einen neuen (arabischen) Namen angenommen.
Ein weiteres Indiz ist auch, dass bei einer Wohnungsdurchsuchung im Hause der Familie der Klägerin ein in den Verwaltungsvorgängen befindliches Foto vorgefunden wurde, welches eine männliche Person mit einem Kind vor einem Gebäude in der Türkei zeigt. Das Gericht hat nach einem Vergleich mit einem Passfoto aus den 80er Jahren keinen Zweifel, dass es sich hierbei um den Vater des Klägers handelt. In diese Erkenntnis fügt sich ein, dass - wie eine ebenfalls in den Verwaltungsvorgängen befindliche Rechnung der Deutschen Telekom vom 23. März 1999 ergibt - vom Telefonanschluss der Mutter der Klägerin häufiger in die Türkei telefoniert wird.
Darüber hinaus haben die Eltern der Klägerin im Laufe der Zeit unterschiedliche Angaben zu ihren Personaldaten gemacht. So haben sie im Juli 1986 auch unter den Namen M. und M. Asylanträge gestellt. Im Oktober 1986 haben sie sich gegenüber der Stadt Schwerte als A. und M., geb. 1961 bzw. 1967, ausgegeben. Die Mutter der Klägerin hat nunmehr wieder einen gänzlich anderen Namen angegeben und trägt vor, ihre bisherige Identität erfunden zu haben. Sie erklärt jetzt auch, mit dem Vater der Klägerin nicht verheiratet zu sein. Ein früher vorgelegtes Laissez passer aus dem Libanon ist nach den unbestrittenen Angaben des Beklagten gefälscht.
Damit in Übereinstimmung steht auch die allgemeine Erkenntnis, dass vornehmlich zwischen 1985 und 1990 ursprünglich aus der Türkei stammende Großfamilien, die sich im Libanon niedergelassen hatten, in die Bundesrepublik eingereist sind. Nach ihrem Vortrag waren sie staatenlos. Seit Ende der 90er Jahre gibt es jedoch Hinweise darauf, dass diese ganz überwiegend die türkische Staatsangehörigkeit besitzen. Es handelt sich dabei um eine geplante Aktion mit dem Ziel, dauerhaft in Deutschland zu bleiben (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 29. Januar 2009 - 11 LB 136/07 - <juris, Rn. 57).
Ob die Eltern der Klägerin verheiratet sind, ist bei dieser Beurteilung ohne ausschlaggebende Bedeutung, da sich eine türkische Staatsangehörigkeit hiervon unabhängig von ihrem Vater ableiten würde. Soweit die Identität der Mutter der Klägerin durch deren Schwester, die syrische Staatsangehörige sein soll, belegt werden soll, ist dies ebenfalls unerheblich. Nach den syrischen Rechtsvorschriften leitet sich die dortige Staatsangehörigkeit allein von dem Vater ab (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 5. Mai 2008, S. 10).
Es liegt auch kein atypischer Sonderfall, der das ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regel beseitigt, vor, in dem ausnahmsweise ohne Klärung der Identität und Vorlage eines Reisepasses eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden müsste.
Nach der Rechtsprechung der Kammer (Urteil vom 23. November 2007 - 11 A 538/06 -; Urteil vom 17. Januar 2007 - 11 A 2381/05 - <juris>; vgl. auch Bäuerle a.a.O., Rn. 53f; Wenger, Zuwanderungsrecht, 2. Aufl. 2008, Rn. 6 zu § 5 AufenthG) kommt entsprechend der amtlichen Gesetzesbegründung (BT-Drs. 15/420, S. 70) ein Ausnahmefall vor allem in den Fällen des früheren § 9 Abs. 1 Nr. 3 AuslG in Betracht. Danach ist erforderlich, dass ein gesetzlicher Anspruch auf einen Aufenthaltstitel gegeben ist, bereits ein rechtmäßiger Aufenthalt in der Bundesrepublik bestanden hat und ein Pass in zumutbarer Weise nicht zu erlangen ist. §§ 104a Abs. 2 Satz 1 und 25 Abs. 5 AufenthG begründen jedoch keinen gesetzlichen Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis, sondern ein (ggf. eingeschränktes) Ermessen der Ausländerbehörde; die Klägerin wird von dem Beklagten bisher auch lediglich geduldet.
Nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG kann aber - was der Beklagte nicht beachtet hat - auch von der Klärung der Identität und der Passpflicht nach Ermessen abgesehen werden. Hier ist dieses dahingehend reduziert, von diesen Erteilungsvoraussetzungen abzusehen.
Nach der Rechtsprechung der Kammer (Urteil vom 17. Januar 2007 a.a.O.; Urteil vom 16. Mai 2007 - 11 A 3780/05 -; Urteil vom 23. November 2007 a.a.O.; vgl. auch VGH München, Beschluss vom 22. Juli 2008 - 19 CE 08 781 - InfAuslR 2009, 158 <162>; Bäuerle a.a.O. Rn. 185 ff.) ist insoweit maßgeblich, dass gem. § 5 Abs. 3 Satz 1 AufenthG u.a. in den Fällen des § 25 Abs. 1 - 3 AufenthG zwingend von den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG abzusehen ist. Aber auch bei allen anderen nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des AufenthG aus humanitären Gründen zu erteilenden Aufenthaltstiteln kann gem. § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG nach Ermessen auf die Erfüllung der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen verzichtet werden. Nach der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drs. 15/420, S. 70) liegt der Regelung des § 5 Abs. 3 AufenthG zu Grunde, dass bei humanitären Aufenthaltstiteln typischerweise nicht die Erfüllung aller Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG verlangt werden kann. Für diese Fälle ist deshalb eine "zusammenfassende" und damit insgesamt zu betrachtende Sonderregelung geschaffen worden. Der Gesetzgeber ist davon ausgegangen, dass bei zielstaatsbezogenen Gesichtspunkten die Erfüllung der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen stets unzumutbar ist, während dies bei inlandsbezogenen Ausreisehindernissen nach dem Einzelfall zu beurteilen ist. Hieraus ergibt sich, dass nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG eine umfassende Einzelfallabwägung vorzunehmen ist. Dabei ist etwa auch der Grad der Verantwortlichkeit des Betroffenen, die Bedeutung der jeweils nicht erfüllten allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen für die öffentlichen Interessen, die Nähe zu den Fällen des § 25 Abs. 1 bis 3 AufenthG sowie die mit § 25 Abs. 5 AufenthG verbundene gesetzgeberische Intention Kettenduldungen zu vermeiden (BT-Drs. 15/420, S. 80) angemessen Rechnung zu tragen. Darüber hinaus sind auch höherangige verfassungsrechtliche Wertentscheidungen zu berücksichtigen, die der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zu Grunde liegen (vgl. allgemein: BVerwG, Beschluss vom 26. März 1999 - 1 B 18.99 - InfAuslR 1999, 332 [BVerwG 26.03.1999 - BVerwG 1 B 18.99; 1 PKH 4.99]<333>) .
Bei dieser Abwägung überwiegen derzeit die für die Erteilung eine Aufenthaltserlaubnis sprechenden Gesichtspunkte so eindeutig, dass eine andere Entscheidung rechtsfehlerhaft wäre.
Der Klägerin steht nach den Ausführungen zu 1. u.a. ein starkes Aufenthaltsrecht aus Art. 8 EMRK zu. Sie ist danach so im Bundesgebiet verwurzelt, dass ihr eine Ausreise nicht zugemutet werden kann. Ihr müssten mithin auch bei fehlender Klärung der Identität auf unabsehbare Zeit weiterhin Duldungen erteilt werden. Zu Recht weist die Klägerin in diesem Zusammenhang auch darauf hin, dass anderenfalls selbst ihren eigenen Abkömmlinge keine rechtliche Möglichkeit zuzubilligen wäre, einen Aufenthaltstitel zu erhalten.
Maßgeblich zu berücksichtigen ist auch, dass der Klägerin die Täuschung ihrer Eltern über ihre Identität und Staatsangehörigkeit - wie ausgeführt - aktuell nicht zugerechnet werden kann. Ihre gegenwärtige Verantwortlichkeit an der fehlenden Identitätsklärung bewertet das Gericht als gering.
Das Gericht vermag der Klägerin zu glauben, dass sie ihre Eltern schon mehrfach gebeten hat, ihr über ihre Herkunft abschließend und wahrheitsgemäß Auskunft zu geben. Hierfür spricht vor allem, dass sie diesbezüglich im vorliegenden Verfahren - wenn auch nicht ausreichende - ergänzende Angaben gemacht hat, die von ihrer Mutter herrühren. Zwar hat die die Klägerin nach § 1618a BGB einen Anspruch gegen ihre Eltern auf Beistand. Hierzu können insbesondere auch Auskunftsansprüche gehören (vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 6. Mai 1997 - 1 BvR 409/90 - BVerfGE 96, 56 [BVerfG 06.05.1997 - 1 BvR 409/90] ), die ggf. auch gerichtlich durchsetzbar und vollstreckbar sind. Gerade auf diese rechtliche Grundlage ist die Klägerin bisher von dem Beklagten aber nicht hingewiesen worden. Es ist auch nicht zu verkennen, dass die Eltern der Klägerin wegen ihrer eigenen prekären aufenthaltsrechtlichen Situation kein Interesse an solchen Auskünften haben.
Die Möglichkeit, insbesondere einen türkischen Reisepass zu erlangen, schätzt das Gericht selbst im Falle wahrheitsgemäßer Auskünfte der Eltern zudem als eher gering ein. Generell ist zu berücksichtigen, dass die türkischen Behörden nur zu einem sehr geringen Maße an einer Mitwirkung bereit sind, wenn ein arabischsprachiger Kurde angibt, er besitze keine sonstige Staatsangehörigkeit, sei aber türkischer Staatsangehöriger (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 11. September 2008, S. 34). Die türkischen Behörden haben ersichtlich kein Interesse daran, Angehörige nationaler Minderheiten, wie den Kurden, als türkische Staatsangehörige nachzuregistrieren.
Sofern ermittelt würde, dass der Vater der Klägerin - ggf. unter einem abweichenden Namen - in den türkischen Registern erfasst ist, müsste die Klägerin - wie dem Gericht aus anderen Verfahren bekannt ist - noch eine erhebliche Zahl von Unterlagen beibringen, ohne dass damit ihre Nachregistrierung gesichert wäre. Danach werden eine internationale Geburtsurkunde, eine Meldebescheinigung, eine Schulbescheinigung über alle besuchte Klassen, eine Bescheinigung darüber, dass keine andere Staatsangehörigkeit besteht und Bescheinigungen über die Staatsangehörigkeit der Eltern, eine Heiratsurkunde der Eltern bzw. eine Vaterschaftsanerkennungsurkunde ihres Vaters, sowie Vernehmungsprotokolle der Eltern und Geschwister sowie zwei weiterer Zeugen verlangt (vgl. Auskünfte des türkischen Generalkonsulats Hannover an den Landkreis Oldenburg vom 23. April und 27. August 2007). Sofern sich ergeben sollte, dass der Vater der Klägerin trotz seiner türkischen Herkunft nicht in den türkischen Registern erfasst ist, wäre eine Nachregistrierung der Klägerin zudem erst möglich, wenn er zuvor mit Hilfe seiner offenbar im Libanon lebenden Eltern selbst eine Nachregistrierung erwirkt (vgl.a.a.O.).
Das Gericht weist zur Vermeidung weiterer Rechtsstreitigkeiten darauf hin, dass der Beklagte bei der Entscheidung über eine Verlängerung der zu erteilenden Aufenthaltserlaubnis berücksichtigen darf, ob die Klägerin gegenüber den Eltern ihre sich aus § 1618a BGB ergebenden Rechte auch förmlich ggf. gerichtlich geltend macht. Sie wird hierbei zunächst Auskunft über deren Identität und Staatsangehörigkeit einschließlich der Vorlage dies belegender Urkunden verlangen müssen; hiervon ist ggf. auch die Angabe des Namens, unter dem ihr Vater in der Türkei registriert ist, erfasst. Sofern erforderlich müsste die Klägerin von ihrem Vater auch Unterstützung bei einer Nachregistrierung in der Türkei verlangen.