Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 06.03.2024, Az.: 14 U 81/23

Nicht erfolgte Abnahme als Hindernis für die Fälligkeit eines werkvertraglichen Vergütungsanspruchs; Abnahmereife aufgrund wesentlicher Mängel nicht gegeben

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
06.03.2024
Aktenzeichen
14 U 81/23
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2024, 17170
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2024:0306.14U81.23.00

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - 05.05.2023 - AZ: 17 O 120/21

Fundstellen

  • DS 2024, 205-207
  • IBR 2024, 289
  • NJW-RR 2024, 766-768 "eigene richterliche Sachkunde"
  • NJW-Spezial 2024, 366
  • NZBau 2024, 628-630
  • ZfBR 2024, 327-329
  • r+s 2024, 478-480

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Das Hinwegsetzen über die Ausführungen eines Sachverständigen erfordert die Darlegung eigener Sachkunde.

  2. 2.

    Eine vermeintliche Sachkunde über das Reiten von Pferden vermittelt keine Sachkunde über den Reitplatzbau.

In dem Rechtsstreit
K. S., ...,
Beklagte und Berufungsklägerin,
Prozessbevollmächtigte:
Anwaltsbüro ...,
gegen
H. K., ...,
Kläger und Berufungsbeklagter,
Prozessbevollmächtigte:
Anwaltsbüro ...,
hat der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 6. Februar 2024 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., die Richterin am Oberlandesgericht ... und die Richterin am Landgericht ... für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 5. Mai 2023 verkündete Urteil der 17. Zivilkammer des Landgerichts Hannover - 17 O 120/21 - teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Die Klage wird als derzeit unbegründet abgewiesen.

Die Anschlussberufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits (erste und zweite Instanz) hat der Kläger zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 13.667,90 Euro festgesetzt.

Gründe

(gem. §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO)

I.

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet (dazu 1). Die Anschlussberufung ist unbegründet (dazu 2).

1.

Die Berufung der Beklagten hat Erfolg und führt zur Abweisung der Klage als derzeit unbegründet.

Der Kläger hat derzeit keinen Anspruch auf Zahlung von Werklohn aus § 631 Abs. 1 BGB. Der Vergütungsanspruch des Klägers ist nicht fällig. Das Werk wurde nicht durch die Beklagte abgenommen, es ist auch aufgrund wesentlicher Mängel nicht abnahmereif (dazu a) und die Abnahme ist auch nicht ausnahmsweise entbehrlich (dazu b).

Im Einzelnen:

a)

Gemäß § 641 Abs. 1 S. 1 BGB ist die Vergütung bei der Abnahme des Werkes zu entrichten. Das Werk des Klägers ist unstreitig nicht von der Beklagten - weder ausdrücklich noch konkludent - abgenommen worden.

Zwar kann grundsätzlich auch die bloße Abnahmereife zur Fälligkeit des Werklohnanspruches führen (vgl. dazu m.N. OLG Nürnberg, Hinweisbeschluss vom 17. Mai 2021 - 13 U 365/21). Eine solche Abnahmereife liegt indes aufgrund wesentlicher Mängel nicht vor.

Der insoweit beweisbelastete Kläger hat die Mangelfreiheit des von ihm errichteten Werkes nicht bewiesen. Ein Werk ist dann frei von Mängeln, wenn es die vereinbarte Beschaffenheit hat, § 633 Abs. 2 S. 1 BGB.

Vereinbart wurde zwischen den Parteien die Errichtung eines Reitplatzes. Dies ergibt sich - auch ohne die von der Beklagten beantragte Zeugenvernehmung - bereits aus der Auftragsbestätigung Anlage K 1, Rückseite S. 1. Dort steht unter Bauvorhaben:

Reitplatz

Ob - wie der Kläger in seinem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 20. Februar 2024 behauptet - der Reitplatz aufgrund seiner Dimensionierung schon gar nicht für den Reitsport ausgelegt gewesen ist, und es lediglich darum ging, Kinder auf den Tieren unter Assistenz herum zu führen, ändert nichts daran, dass eine Auslegung der Auftragsbestätigung ergibt, dass ein funktionaler Reitplatz unter Verwendung von - insoweit ausdrücklich - Reitsand (vgl. Pos. 5) geschuldet gewesen ist und der Verwendungszweck auch das Reiten von Pferden bzw. Ponys auf diesem Platz gewesen ist.

Geschuldet ist daher die Errichtung eines Reitplatzes nach den anerkannten Regeln der Technik, die in Abwesenheit einer abweichenden Vereinbarung den Mindeststandard der vereinbarten Beschaffenheit darstellen (m.N. Jurgeleit in Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, Kompendium des Baurechts, 5. Auflage 2020 Teil 5 Rn. 53). Der Unternehmer sichert üblicherweise stillschweigend bei Vertragsschluss einen Standard zu, der jedenfalls den anerkannten Regeln der Technik entspricht.

Die anerkannten Regeln der Technik zum Reitplatzbau sind vorliegend nicht eingehalten worden. Der Kläger hat weder geeigneten Sand für einen Reitplatz verwendet (dazu (1)) noch den eine Gefahrenquelle darstellenden Gullydeckel abgesenkt (dazu (2)). Diese Mängel sind auch nicht unwesentlich im Sinne des § 640 Abs. 1 S. 2 BGB, weshalb es derzeit dahinstehen kann, ob auch die Verwendung von Vlies und das fehlende Gefälle vom Gebäude einen Mangel darstellen (dazu (3)).

(1)

Ausweislich der überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen weist der verwendete Sand keine ausreichende Reitsand-Qualität auf. Die Anforderungen an die Trittfestigkeit und Trittsicherheit sind nicht erreicht (Sachverständigengutachten S. 13). Der Sachverständige orientiert sich dabei in nicht zu beanstandender Weise an den Empfehlungen der Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau e.V. (im Folgenden FFL) für Planung, Bau und Instandhaltung von Reitplätzen. Hierbei handelt es sich um anerkannten Regeln der Technik. Anerkannte Regeln der Technik sind solche technischen Regeln für den Entwurf und die Ausführung baulicher Anlagen, die in der technischen Wissenschaft als theoretisch richtig anerkannt sind und feststehen (Wissenschaftskriterium), insbesondere in dem Kreis der für die Anwendung der betreffenden Regeln maßgeblichen, nach dem neuesten Erkenntnisstand vorgebildeten Techniker durchweg bekannt sind (Praxiskriterium) und auf Grund fortdauernder praktischer Erfahrung als technisch geeignet, angemessen und notwendig anerkannt sind, (Langzeitbewährung).

Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Der Sachverständige hat in seiner Anhörung dazu überzeugend ausgeführt, dass die FLL ein Gremium aus 12 Personen aus Wissenschaft, Labor, Praktikern und Sachverständigen, die Empfehlungen für den Reitplatzbau erarbeiten. Konkurrierende Regeln gebe es nicht.

Soweit das Landgericht meint, hinsichtlich der Beurteilung der Trittfestigkeit des Sandes eine überwiegende Sachkunde zu haben, ist eine solche Sachkunde für den Reitplatzbau - anders als möglicherweise für das Reiten von Pferden - in keiner Weise dargelegt oder ersichtlich. Will ein Richter - wie hier - von den Ergebnissen eines Sachverständigengutachtens abweichen, so muss er das begründen und die Begründung muss erkennen lassen, dass die abweichende Beurteilung nicht durch einen Mangel von Sachkunde beeinflusst ist (vgl. Musielak, ZPO, 20. Auflage 2023, § 402 Rn. 12). Dies hätte die Darlegung der Sachkunde für die Errichtung bzw. den Bau von Reitplätzen erfordert. Eine solche Sachkunde ist aber weder dargelegt noch ersichtlich.

Soweit der Kläger in seinem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 20. Februar 2024 meint, dass der Sand für die beabsichtigte Nutzungsart - Reiten von Kindern auf den Tieren der Beklagten unter deren Assistenz - geeignet ist, verkennt er, dass ausweislich der Auftragsbestätigung ausdrücklich Reitsand für einen Reitplatz geschuldet gewesen ist, der verwendete Sand aber die Anforderungen an Reitsand ausweislich der Ausführungen des Sachverständigen nicht erfüllt. Ob daneben ein bestimmter Reitsand geschuldet ist, kann hier dahinstehen.

(2)

Daneben ist der Reitplatz aufgrund der unterlassenen Absenkung des Gullydeckels mangelhaft. Ausweislich der überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen stellt die fehlende Absenkung eine Gefahr für Pferd und Reiter dar (S. 15 des Sachverständigengutachtens). Die Absenkung des Gullydeckels war auch geschuldet, obwohl weder die Leistungsbeschreibung im Angebot noch die Auftragsbestätigung die Absenkung vorsieht. Der Kläger schuldet einen Reitplatz als funktionales Werk. Der Unternehmer schuldet nicht nur die Umsetzung einer möglicherweise fehlerhaften Leistungsbeschreibung, sondern einen funktionalen Bauerfolg. Widersprechen die "geschriebenen" Vertragsbestandteile den allgemeinen Regeln der Technik, so ist der Unternehmer dennoch verpflichtet, ein mangelfreies Werk zu erbringen (vgl. von Rintelen in Messerschmidt/Voit, 4. Auflage 2022, Kapitel H Rn. 3). Denn zur vereinbarten Beschaffenheit im Sinne des § 633 Abs. 2 Satz 1 BGB gehören alle Eigenschaften des Werkes, die nach der Vereinbarung der Parteien den vertraglich geschuldeten Erfolg herbeiführen sollen. Der vertraglich geschuldete Erfolg bestimmt sich dabei nicht allein nach der zu seiner Erreichung vereinbarten Leistung oder Ausführungsart, sondern auch danach, welche Funktion das Werk nach dem Willen der Parteien erfüllen soll (vgl. etwa OLG Braunschweig, Grund- und Teilurteil vom 08. Dezember 2016 - 8 U 111/15).

Geschuldet war hier die Errichtung eines Reitplatzes. Die Funktionalität eines Reitplatzes setzt die gefahrlose Nutzung desselben durch Pferd und Reiter voraus. Diese ist aufgrund der fehlenden Absenkung des Gullydeckels nicht gewährleistet. Dies gilt selbst dann, wenn lediglich - wie vom Kläger behauptet - ein Reitplatz für das assistierte Reiten von Kindern auf den Pferden der Beklagten geschuldet gewesen sein sollte.

(3)

Die genannten Mängel sind auch nicht unwesentlich im Sinne des § 640 Abs. 1 S. 2 BGB. Insoweit kann dahingestellt bleiben, ob weitere Mängel aufgrund des fehlenden Gefälles und aufgrund der konkreten Verwendung von Vlies vorliegen.

Ein wesentlicher Mangel liegt in der Regel vor, wenn er nach Art, Umfang und/oder Auswirkung von solchem Gewicht ist, dass dem Besteller vor dem Hintergrund der zugrundeliegenden vertraglichen Beschaffenheitsvereinbarung die Übernahme des Bauwerkes nicht zugemutet werden kann. Unwesentlich ist demgegenüber ein Mangel oder eine fehlende Restleistung, wenn es dem Besteller zumutbar ist, die Leistung als im Wesentlichen vertragsgemäße Erfüllung anzunehmen, und das Interesse des Bestellers an einer Beseitigung verbliebener Mängel vor Abnahme im Einzelfall nicht schützenswert erscheint. Maßgebend für die Beurteilung sind hierbei Art und Umfang der noch ausstehenden Restleistungen und der vorhandenen Mängel sowie ihre konkreten Auswirkungen unter Abwägung der beiderseitigen Interessen der Vertragsparteien. Die Grenze der Wesentlichkeit wird deshalb regelmäßig bei Mängeln erreicht sein, die für den Besteller bzw. Nutzer Gefahren mit sich bringen, die der Gebrauchsfähigkeit des Werkes entgegenstehen (vgl. m.N. Messerschmidt in Messerschmidt/Voit, 4. Auflage 2022, § 640 Rn. 99).

Danach stellen die Verwendung ungeeigneten Sandes und die fehlende Absenkung des Gullydeckels schon deswegen wesentliche Mängel dar, da beide Mängel mit Gefahren für Pferd und Reiter einhergehen.

b)

Die Abnahme als Fälligkeitsvoraussetzung ist auch nicht aufgrund eines entstandenen Abrechnungsverhältnisses entbehrlich. Die Voraussetzungen eines Abrechnungsverhältnisses liegen nicht vor.

Ein Abrechnungsverhältnis setzt voraus, dass der Besteller nicht mehr Erfüllung des Vertrages, sondern nur noch Minderung des Werklohns erreichen will oder nur noch Schadensersatz statt der Leistung in Form des kleinen Schadensersatzes verlangt (§ 281 Abs. 4 BGB) oder die Abnahme des Werkes oder weitere Arbeiten des Unternehmers ernsthaft und endgültig ablehnt oder die Erfüllung unmöglich geworden ist. All diese Voraussetzungen sind hier weder vorgetragen noch ersichtlich.

c)

Da der Werklohn des Klägers aufgrund nicht unwesentlicher Mängel noch nicht fällig ist und die Beklagte die Abnahme insoweit berechtigterweise verweigert hat, ist die Vergütungsklage des Klägers als derzeit unbegründet abzuweisen (vgl. m.N. Busche in Münchener Kommentar zum BGB, 9. Auflage 2023, § 641 Rn. 6).

2.

Die Anschlussberufung des Klägers ist schon aus den genannten Gründen unbegründet. Der Kläger hat derzeit keinen Anspruch auf Vergütung, weder auf eine Vergütung in Höhe von 11.667,90 € noch in Höhe weiterer 2.000 €.

3.

Soweit der Kläger in seinem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 20. Februar 2024 ausführt, ihm stünde ein Leistungsverweigerungsrecht im Rahmen der Nachbesserung zu, verkennt er bereits, dass sich der Vertrag mangels Abnahme noch im Erfüllungsstadium und nicht im Gewährleistungsstadium befindet und der Unternehmer, hier also der Kläger, in diesem Stadium vorleistungspflichtig ist. In diesem Zusammenhang sei unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH, Urteil vom 22. März 1984 - VII ZR 50/82) angemerkt, dass selbst in dem Fall, in dem der Besteller nach Abnahme des Werkes außerprozessual die Beseitigung eines Mangels verlangt und er sich dabei an deren Kosten (in Höhe von "Sowieso-Kosten") beteiligen muss, der nachbesserungsbereite Unternehmer nach Treu und Glauben vorweg weder Zahlung noch Zusage eines Kostenzuschusses verlangen kann, sondern lediglich Sicherheitsleistung in angemessener Höhe.

II.

1.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 97 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i. V. m. § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

2.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und der Senat nicht von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes oder eines anderen Oberlandesgerichts abweicht, so dass auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern, § 543 ZPO.

3.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 3 ZPO, 48 GKG.